Leben in der Diaspora
Leben in der Diaspora
Wie lebt es sich als Katholik in einer extremen Diasporasituation? Wie ist es, wenn fast alle Nachbarn und Freunde evangelisch (Norddeutschland) oder atheistisch (Ostdeutschland) sind? Wie ist es, wenn die nächste katholische KIrche vielleicht 30 km entfernt ist oder die Messe nur an einem Samstag nachmittag gefeiert werden kann?
Ich habe gegensätzliche Meinungen gehört: Die einen sagen, dass dadurch der Zusammenhalt der Katholiken in der Diaspora gestärkt wird und die Kirchenmitglieder auch bewusster katholisch sind als in Gegenden mit katholischer Mehrheit, wo der Glaube oft nur Tradition sei. Andere meinen, dass der Glaube in einer Diasporasituation oft austrockne, verflache und sich der Umgebung anpasse, so dass protestantisches bzw atheistisches Gedankengut bewusst oder unbewusst in den persönlichen Glauben mit einfließe.
Gibt es hier Leute, die in einer solchen Diasporasituation leben oder gelebt haben? Was sind eure Erfahrungen?
Ich habe gegensätzliche Meinungen gehört: Die einen sagen, dass dadurch der Zusammenhalt der Katholiken in der Diaspora gestärkt wird und die Kirchenmitglieder auch bewusster katholisch sind als in Gegenden mit katholischer Mehrheit, wo der Glaube oft nur Tradition sei. Andere meinen, dass der Glaube in einer Diasporasituation oft austrockne, verflache und sich der Umgebung anpasse, so dass protestantisches bzw atheistisches Gedankengut bewusst oder unbewusst in den persönlichen Glauben mit einfließe.
Gibt es hier Leute, die in einer solchen Diasporasituation leben oder gelebt haben? Was sind eure Erfahrungen?
Re: Leben in der Diaspora
Das alles hängt sehr von der Art der Diaspora ab. Man sollte mindestens 4 Typen unterscheiden: Ländlich-ost; - ländlich-west; städtisch-west und städtisch-ost. Dann vielleicht als 5. Typ noch Berlin.Dieter hat geschrieben:Wie lebt es sich als Katholik in einer extremen Diasporasituation? Wie ist es, wenn fast alle Nachbarn und Freunde evangelisch (Norddeutschland) oder atheistisch (Ostdeutschland) sind? Wie ist es, wenn die nächste katholische KIrche vielleicht 30 km entfernt ist oder die Messe nur an einem Samstag nachmittag gefeiert werden kann?
In Berlin ist es so, daß etwa 10% der Bevölkerung nominell katholisch sind und davon wiederum höchstens 10% einigermaßen "praktizierend". Das sieht sehr dünn aus. Andererseits wohnen die Menschen zumindest in den innenstädtischen Bezirken extrem verdichtet. Hier in Wilmersdorf sind es 5000 pro km², im Wedding fast doppelt soviele. In meinem "Block" - er besteht aus 4 Häusern mit ca 70 Wohnungen um einen gemeinsamen (Hinter-)Hof - hat man also schon eine 7/10-Chance, einen "praktizierenden" Haushalt anzutreffen, in 500 m Umkreis 50 weitere. Tatsächlich treffe ich einen sogar im gleichen Haus (17 Wohnungen) an. Ein Mitglied des PGR wohnt in der gleichen Straße. Fußweg zur Pfarrkirche sind 7 Minuten, zu einer weiteren noch "arbeitenden" Kirche einer eingemeindeten Pfarrei sind es 12 Minuten. Bei der Pfarrkirche gibt es einen Kindergarten und eine Schule in Trägerschaft der Gemeinde. Die Voraussetzungen für ein katholisches Gemeindeleben sind damit nachgerade oberbayrisch. Und wenn man sich darüberhinwegsetzt, daß Pastoral und Sakramentenpraxis nachkonziliar lax sind, sieht alles geradezu ideal aus.
Ich könnte mir vorstellen, daß in Hannover oder Hamburg ähnliche Verhältnisse herrschen. In Dresden und Leipzig eher nicht. Wie es in Niedersachsen auf dem platten Land aussieht, weiß ich nicht. Und wie in Brandenburg will ich gar nicht wissen.
Allerdings hat in der Ost-Diaspora der Konzilsgeist nicht so verheerend gewirkt wie im Westen allgemein. Das hat teilweise ganz konkret mit Personen zu tun (Kardinal Bengsch), teilweise auch damit, daß es in der DDR allgemein schwer fiel, die Staatsillusion zu teilen, die im Westen ins Kraut geschossen war. Auch Geldmangel spielte eine (meist positive) Rolle.
Während die Westbischöfe nicht nur wie Staatssekretäre besoldet wurden, sondern sich auch oft genug so fühlten, war z.B. auch für den theologisch eher "progressiven" Bischof Spülbeck ganz klar:
In den letzten 20 Jahren sind auch kirchlich die Ost-West-Unterschiede abgemildert worden, aber keinesfalls verschwunden. Due wirst also sehr verschiedene Antworten auf Deine Frage erhalten, wie Diaspora sich anfühlt.„Wir leben in einem Haus, dessen Grundfesten wir nicht gebaut haben, dessen tragende Fundamente wir sogar für falsch halten. Dieses Haus bleibt uns ein fremdes Haus. Wir leben nicht nur kirchlich in der Diaspora, sondern auch staatlich.“
ich sehe jetzt erst, daß du ja auch aus Berlin schreibst. Vielleicht sind schon Deine Erfahrungen aus einem anderen Stadtteil ganz anders.
„DIE SORGE DER PÄPSTE ist es bis zur heutigen Zeit stets gewesen, dass die Kirche Christi der Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt.“ Summorum Pontificum 2007 (http://www.summorum-pontificum.de/)
Re: Leben in der Diaspora
Ich kenne es halt "andersrum", weil ich als Evangelischer in einer weit überwiegend katholischen Region (Oberschwaben) lebe.Dieter hat geschrieben:Wie lebt es sich als Katholik in einer extremen Diasporasituation? Wie ist es, wenn fast alle Nachbarn und Freunde evangelisch (Norddeutschland) oder atheistisch (Ostdeutschland) sind? Wie ist es, wenn die nächste katholische KIrche vielleicht 30 km entfernt ist oder die Messe nur an einem Samstag nachmittag gefeiert werden kann?
Ich habe gegensätzliche Meinungen gehört: Die einen sagen, dass dadurch der Zusammenhalt der Katholiken in der Diaspora gestärkt wird und die Kirchenmitglieder auch bewusster katholisch sind als in Gegenden mit katholischer Mehrheit, wo der Glaube oft nur Tradition sei. Andere meinen, dass der Glaube in einer Diasporasituation oft austrockne, verflache und sich der Umgebung anpasse, so dass protestantisches bzw atheistisches Gedankengut bewusst oder unbewusst in den persönlichen Glauben mit einfließe.
Gibt es hier Leute, die in einer solchen Diasporasituation leben oder gelebt haben? Was sind eure Erfahrungen?
Nach meiner Erfahrung ist es eher so, dass die Diasporasituation zusammenschweißt und die Leute tatsächlich eher zu ihrem Glauben stehen und bei ihm bleiben. Unserem Kirchenbezirk hier geht es besser als anderen in der Landeskirche, z.B. haben wir vergleichsweise wenig Kirchenaustritte, und die Kirchen sind hier zum Teil (wobei das natürlich von Gemeinde zu Gemeinde schwankt) noch voller als anderswo. Das merkt man dann auch bei strukturellen Fragen. So werden im nächsten PfarrPlan einige Pfarrstellen eingespart, aber da kommt unser Kirchenbezirk noch glimpflich weg. Ich denke, für die Gläubigen hier in der Diaspora sind die Dinge, an die sich andere künftig erst noch gewöhnen müssen, z.B. ein weiterer Fahr-Weg zur Kirche, einfach schon normal. Daher können sie mit Einschnitten in der Infrastruktur vielleicht einfach besser umgehen.
Ich denke das gesagt wird sich genauso auf katholische Diaspora übertragen lassen.
Re: Leben in der Diaspora
Bernado hat geschrieben:Das alles hängt sehr von der Art der Diaspora ab. Man sollte mindestens 4 Typen unterscheiden: Ländlich-ost; - ländlich-west; städtisch-west und städtisch-ost. Dann vielleicht als 5. Typ noch Berlin.Dieter hat geschrieben:Wie lebt es sich als Katholik in einer extremen Diasporasituation? Wie ist es, wenn fast alle Nachbarn und Freunde evangelisch (Norddeutschland) oder atheistisch (Ostdeutschland) sind? Wie ist es, wenn die nächste katholische KIrche vielleicht 30 km entfernt ist oder die Messe nur an einem Samstag nachmittag gefeiert werden kann?
In Berlin ist es so, daß etwa 10% der Bevölkerung nominell katholisch sind und davon wiederum höchstens 10% einigermaßen "praktizierend". Das sieht sehr dünn aus. Andererseits wohnen die Menschen zumindest in den innenstädtischen Bezirken extrem verdichtet. Hier in Wilmersdorf sind es 5000 pro km², im Wedding fast doppelt soviele. In meinem "Block" - er besteht aus 4 Häusern mit ca 70 Wohnungen um einen gemeinsamen (Hinter-)Hof - hat man also schon eine 7/10-Chance, einen "praktizierenden" Haushalt anzutreffen, in 500 m Umkreis 50 weitere. Tatsächlich treffe ich einen sogar im gleichen Haus (17 Wohnungen) an. Ein Mitglied des PGR wohnt in der gleichen Straße. Fußweg zur Pfarrkirche sind 7 Minuten, zu einer weiteren noch "arbeitenden" Kirche einer eingemeindeten Pfarrei sind es 12 Minuten. Bei der Pfarrkirche gibt es einen Kindergarten und eine Schule in Trägerschaft der Gemeinde. Die Voraussetzungen für ein katholisches Gemeindeleben sind damit nachgerade oberbayrisch. Und wenn man sich darüberhinwegsetzt, daß Pastoral und Sakramentenpraxis nachkonziliar lax sind, sieht alles geradezu ideal aus.
Ich könnte mir vorstellen, daß in Hannover oder Hamburg ähnliche Verhältnisse herrschen. In Dresden und Leipzig eher nicht. Wie es in Niedersachsen auf dem platten Land aussieht, weiß ich nicht. Und wie in Brandenburg will ich gar nicht wissen.
Allerdings hat in der Ost-Diaspora der Konzilsgeist nicht so verheerend gewirkt wie im Westen allgemein. Das hat teilweise ganz konkret mit Personen zu tun (Kardinal Bengsch), teilweise auch damit, daß es in der DDR allgemein schwer fiel, die Staatsillusion zu teilen, die im Westen ins Kraut geschossen war. Auch Geldmangel spielte eine (meist positive) Rolle.
Während die Westbischöfe nicht nur wie Staatssekretäre besoldet wurden, sondern sich auch oft genug so fühlten, war z.B. auch für den theologisch eher "progressiven" Bischof Spülbeck ganz klar:In den letzten 20 Jahren sind auch kirchlich die Ost-West-Unterschiede abgemildert worden, aber keinesfalls verschwunden. Due wirst also sehr verschiedene Antworten auf Deine Frage erhalten, wie Diaspora sich anfühlt.„Wir leben in einem Haus, dessen Grundfesten wir nicht gebaut haben, dessen tragende Fundamente wir sogar für falsch halten. Dieses Haus bleibt uns ein fremdes Haus. Wir leben nicht nur kirchlich in der Diaspora, sondern auch staatlich.“
ich sehe jetzt erst, daß du ja auch aus Berlin schreibst. Vielleicht sind schon Deine Erfahrungen aus einem anderen Stadtteil ganz anders.
Dnnke für deinen Beitrag!
Ich wohne auch in Berlin-Wilmersdorf und kann deine Angaben nur bestätigen. Allerdings würde ich Berlin (West) nicht als klassische Diaspora bezeichnen.
Frage: Was ist PGR?
Zuletzt geändert von Dieter am Montag 16. April 2012, 10:03, insgesamt 1-mal geändert.
- Melody
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- Wohnort: in der schönsten Stadt am Rhein... ;-)
Re: Leben in der Diaspora
PfarrgemeinderatDieter hat geschrieben:Frage: Was ist PGR?
Ewa Kopacz: «Für mich ist Demokratie die Herrschaft der Mehrheit bei Achtung der Minderheitenrechte, aber nicht die Diktatur der Minderheit»
Re: Leben in der Diaspora
Pfarrgemeinderat, auch gerne als Kirchensowjet bezeichnet.Dieter hat geschrieben:Frage: Was ist PGR?
„DIE SORGE DER PÄPSTE ist es bis zur heutigen Zeit stets gewesen, dass die Kirche Christi der Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt.“ Summorum Pontificum 2007 (http://www.summorum-pontificum.de/)
Re: Leben in der Diaspora
Nein, Bernado, du tust das gern. Das ist ein Unterschied. (Ich hab zu PGR durchaus auch ein distanziertes Verhältnis, finde aber den Ausdruck denkbar unangebracht.Bernado hat geschrieben:Pfarrgemeinderat, auch gerne als Kirchensowjet bezeichnet.Dieter hat geschrieben:Frage: Was ist PGR?
Ein düsterer Seraph möchte wohl selbst den dreieinigen Gott erschrecken.
(Mother Mary Francis)
(Mother Mary Francis)
Re: Leben in der Diaspora
Ich kenne eine evangelische Gemeinde im Osten Berlins, in der der Kirchenvorstand umgangssprachlich durchgängig als "Politbüro" bezeichnet wird - und das auch zu Recht!
Re: Leben in der Diaspora
Ähem....kommst du aus Oberbayern oder so?Bernado hat geschrieben: Die Voraussetzungen für ein katholisches Gemeindeleben sind damit nachgerade oberbayrisch.
Ich habe in meiner Oberbayerischen Zeit teilweise solche Wüsten erlebt, dass all das Traditionsgetue dass natürlich noch vorhanden ist auch nicht mehr dagegen ankommen kann.
Definitif ist es in weiten Teilen in OB oft schlimmer als in der Diaspora.
Insofern...
Berlin war auch in meiner Zeit mit allem bestückt was das katholische Herz begehrt - egal in welche Richtung.
MekPom ist noch wüster.Bernado hat geschrieben:Und wie in Brandenburg will ich gar nicht wissen.
Aber egal wie die Diaspora doch aussieht, wer seine Kirche liebt der nimmt (fast) jeden Weg in kauf. Ich finde auch, dass wenn man selbst zur alten Messe tendiert oder sehr konservativ ist, es immer noch besser ist überhaupt in die Kirche zu gehen als gar nicht.
Man kann sich zur Not auch mal in eine evangelische Kirche setzen und den Gottesdienst mitverfolgen als null.
Den eigenen Glauben kann auch die Diaspora einem nicht nehmen.
Re: Leben in der Diaspora
Das Problem steckt eben in dem Satz "Wer seine Kirche liebt...". Daß man zum Aldi oder zum Baumarkt mit dem Auto fahren muß, ist in ländlichen Regionen eine Selbstverständlichkeit - daß auch die Kirche nicht immer vor der Haustür liegen kann, wird vielfch nicht akzeptiert.songul hat geschrieben:Aber egal wie die Diaspora doch aussieht, wer seine Kirche liebt der nimmt (fast) jeden Weg in kauf. Ich finde auch, dass wenn man selbst zur alten Messe tendiert oder sehr konservativ ist, es immer noch besser ist überhaupt in die Kirche zu gehen als gar nicht.
Dort hat man zumindest Chancen für eine ordentliche Predigt...Man kann sich zur Not auch mal in eine evangelische Kirche setzen und den Gottesdienst mitverfolgen als null.
„DIE SORGE DER PÄPSTE ist es bis zur heutigen Zeit stets gewesen, dass die Kirche Christi der Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt.“ Summorum Pontificum 2007 (http://www.summorum-pontificum.de/)
- lutherbeck
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- Registriert: Montag 21. Dezember 2009, 09:09
Re: Leben in der Diaspora
Also ich finde, daß wir Christen - egal welcher Konfession - in diesem Lande zunehmend in einer Diaspora leben...


"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".
Re: Leben in der Diaspora
Vorallem, wenn man von der offiziellen Zahl an Christen dann auch nochmal die ganzen Atheisten abzieht...lutherbeck hat geschrieben:Also ich finde, daß wir Christen - egal welcher Konfession - in diesem Lande zunehmend in einer Diaspora leben...
Bei mir in der Stadt hat man eh den Eindruck es lebten hier mehr Andersgläubige, als Christen...
In der Schule ist es bei uns auch ganz lustig: Von ungefähr 100 Schülern in unserem Jahrgang sind wir im katholischen Religionsunterricht gerade mal 14 Leute (der Rest teilt sich auf zwei evangelische Kurse und zwei Philosophie-Kurse auf)...wir werden einfach immer vergessen: Für die meisten Lehrer und Schüler sind wir einfach gar nicht existent...
(Mal abgesehen davon stehe ich auch in unserem vierzehn-Schüler-Kurs mit meinem Glauben ziemlich alleine da...)
Si Deus nobiscum, quis contra nos?