Das eigentlich tragische am modernen Kirchenbau ist, zumindest meiner Meinung nach, dass wir uns entgegengesetzt unserer Möglichkeiten und Bedürfnisse bewegen.
Wer z.B. die gotischen Dome betrachtet, der sieht die Grenzen der damaligen Statik, bzw. das ein oder andere Mal auch die Überschreitung dieser Grenzen (z.B. hier
http://de.wikipedia.org/wiki/Kathedrale_von_Beauvais). Der Kirchenbau war schlicht das Beste, was die Menschen zu leisten vermochten, und aus den teils mehrfachen Versuchen, einen neuen Rekord zu erreichen, kann man ableiten, dass es auch an Mut und Ausdauer, vielleicht auch an Rücksichtslosigkeit nicht gefehlt hat.
Die Bauten des Barock (ganz besonders des Spätbarock in Spanien und Portugal sowie den angehörigen Kolonien) gehen an eine andere Grenze: Wie viel ebene Wandfläche brauch ich eigentlich? Geht nicht auch nur Dekor und Verzierung? Die Ergebnise sind bekannt (z.B. die Kartause von Granada) und zeigen deutlich, dass man an eine Grenze gestoßen ist, die man nicht überwinden kann.
Stellen wir uns kurz vor, welche Möglichkeiten die Bistümer im deutschsprachigen Gebiet haben. Es will mir doch niemand erzählen, dass das, was heute gebaut wird, in irgendeiner Art und Weise die Grenze dessen, was geht, darstellt (es sei denn, man sieht die Vertreibung der Gläubigen und die Entweihung des sakralen als legitimes Ziel, dann sind wir nahe an der Perfektion)
Den wahren Kunststil zeichnet immer eine Richtung, und damit überhaupt erst die Möglichkeit einer Steigerung, eines Maximums und schließlich der Übersteigerung aus, aber immer vor dem Hintergrund einer, für die damaligen Zeit, vernünftigen theologischen Grundlage für die jeweilige Ausrichtung. Man hat ja nicht einfach so beschlossen: "Lasst uns Kirchen bauen, die wie Burgen aussehen (Romanik). - Ach, jetzt hab ich keine Lust mehr auf stabile Mauern und kleine Fenster, bauen wir mal so hoch und leicht wie nur möglich (Gotik).
Jeder Baustil hat eine Begründung, aus der damaligen Lebenssituation der Menschen heraus gibt er das, was die Menschen wollen, ja vor allem, was sie brauchen. Wenn ich mir also große Teile des heutigen Kirchenbaus anschaue, dann würde ich mal sagen, dass wir uns immer noch im Bunker-Stil bewegen. Nackte Mauern, kleine Fenster (wenn überhaupt), Stahl und Beton.
Ich bin kein Theologe, oder auch nur ein Kenner der Materie, und kann daher nicht sagen, was das derzeit überragende Leitbild in der Diskussion ist. Aber von der Betrachtung der Menschen kann ich eines sagen: Die Leute wollen keine "Provokation", keine "Auseinandersetzung", das gibts im täglichen Leben genug. Nein, sie wollen, dass der sakrale Bau einen Kontrapunkt darstellt. In Mitten des chaotischen, aus den Fugen geratenen Lebens suchen sie nach einem unverrückbaren Mittelpunkt, nach einem Bau, der den Satz "Stat crux dum volvitur orbis" Wirklichkeit werden lässt.
Übrigens ist die Idee "Kontrapunkt zur täglichen Existenz" keine neue Idee, tatsächlich war das das bestimmende Leitmotiv aller Zeiten:
-Das Leben ist unsicher, Überfälle, Tod und Zerstörung aller Orten, man sehnt sich nach Sicherheit <-> Kirchen, die Schutz bieten (Romanik)
-Das Leben ist dunkel, kurz und ohne Glanz und Farbe, man wird niedergedrückt von allerlei Plagen <-> in den Himmel strebende, helle, bunte Kirchen (Gotik)
So lässt sich das beliebig mit jedem einzelnen Baustil fortsetzen.
Ich sage: es gibt für Deutschland keinen passenden einheitlichen Baustil, denn das, was das Unverrückbare symbolisiert, ist in jeder Gegend etwas anderes. Für Altbaiern würde ich den Barock identifizieren, für Norddeutschland die Backsteingotik. Das sind Baustile, die an "die gute alte Zeit" anknöpfen, die zeigen, dass das einzelne Leben vergänglich, doch der Glaube unverrückbar ist.
Wir haben heute ungeahnte finanzielle , technische und handwerkliche Fähigkeiten (wenn ich mir anschaue, was mein Vater kann, dann braucht niemand was von der Degenerierung der Handwerkskunst verzählen
)
Anstatt diese Mittel gegen die Bedürfnisse der Menschen einzusetzen, sollten die Verantwortlichen überlegen, was die Leute brauchen, und den Leuten das geben.
Gruß
Grammi