Ich muß zugeben, daß mein Bild Pauls VI. sich doch gewandelt hat. Ich hielt ihn bislang für einen eher Konservativen, der es allerdings als seine "Pflicht" ansah, die vom DasKonzil™ angestoßenenen "Reformen" umzusetzen, obwohl er innerlich auch stark darunter litt; eine irgendwie zerissene, tragische Person.
In Roberto de Matteis 'Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte' wird nun beleuchtet, wie sehr Montini bereits als Substitut des Staatssekretariats (1937-52) modernistisches Gedankengut zumindest verharmloste, ja deckte. Er referiert kurz über
Pascendi und
Humani generis, auf die aber bereits nicht mehr die "repressiven Akte [folgten], die es Papst Sarto erlaubt hatten, die neue Häresie, wenn auch nur vorläufig, zu unterdrücken" (2/2012: S. 43). Auf Montini kommt er in dem Zusammenhang auch zu sprechen; er erwähnt, daß es bereits im Umfeld des Papstes Mitarbeiter gab,
S. 44-45 hat geschrieben:die versuchten, die Tragweite der Enzyklika abzuschwächen. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung des päpstlichen Dokumentes, am 8. September 1950, begegnete der französische Philosoph Jean Guitton im Vatikan dem Substitut des Staatssekretariats, Giovanni Battista Montini,
und legte ihm seine Besorgnis darüber dar, dass Rom 'die Fortschritte im Denken' in Frankreich mit Misstrauen beobachten könnte. Msgr. Montini bemühte sich, diesen Eindruck zu zerstreuen, indem er Guitton sagte, dass Humani generis keinen Irrtum verurteilt habe, sondern in bezug auf jene lebendigen und lebenskräftigen Tendenzen in der Kultur, die sich in der Kirche ohne Hast und in kluger Weise entwickeln könnten, nur zur Vorsicht mahne:
[es folgt ein längeres Zitat aus Guittons Dialog mit Paul VI. (Paris; dt. Wien 1967)]
Die Worte von Msgr. Montini ließen eine tiefe Sympathie für die dokrinellen Tendenzen, die Pius XII. in Besorgnis versetzten, durchscheinen und mit ihr die Überzeugung, dass die Ära des ideologischen Konfliktes zwischen Modernismus und Antimodernismus durch die 'neuen Zeiten', die sich für die Kirche eröffneten, endgültig überwunden wäre.
Insofern ist anzunehmen, daß Montini die modernistischen Neuerungen durchaus von Anfang an in gewissem Umfange guthieß und wohl auch unterstützte. Daß er später manchmal menschlich unter den praktischen Konsequenzen litt, sei zugestanden. Eine Episode von 1970 soll dies verdeutlichen:
Quelle hat geschrieben:Als der Papst am Pfingstmontag in seine Kapelle kam, um die hl. Messe zu feiern, waren dort statt der roten Gewänder, die er erwartet hatte, grüne für ihn ausgelegt. Er sprach den an diesem Tag amtierenden Zeremoniar darauf an und fragte:„Was soll denn das. Wir sind in der Pfingstoktav, wo bleiben die roten Gewänder?“
„Eure Heiligkeit“, antworterte der Zeremoniar, „wir haben jetzt tempus
per annum. Die Pfingstoktav ist abgeschafft“.
„Grün“ sagte der Papst, „das kann nicht sein, wer hat das angeordnet?“
„Eure Heiligkeit, Sie selbst haben das verfügt“.
Und der Papst weinte.