Das Säkulare Zeitalter

Allgemein Katholisches.
Bruder Donald

Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Bruder Donald »

Polens Kirche kommt im säkularen Zeitalter an
Nur noch ein gutes Drittel der Polen haben 2019 Sonntagsgottesdienste besucht. So traditionsbewusst polnische Katholiken auch sind - man wird nicht umhin kommen, die Spielregeln des säkularen Zeitalters zu akzeptieren.
[...]
Unterm Strich heißt das: Nicht die Zahlen zählen, sondern die Qualität. Katholik wird man nicht länger durch die Geburt, sondern, wenn man es sein will.
Kann mich dieser Schlussfolgerung nur anschließen. Der Katholik von morgen wird Überzeugungstäter sein (müssen).
Was ich mich frage: Wird die Kirche eine erneute konstantinische Wende erleben, oder werden wird sie im säkular-pluralistischen System ihren Platz finden (auf Europa bzw. weltweit bezogen)? Was sind eure Prognosen?

Ralf

Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Ralf »

Ich lese schon seit längerem das "Säkulare Zeitalter" von Charles Taylor, derzeit ca. bei Seite 480 von 1200.

Ich beantworte die Frage dann später. ;D

Trisagion
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Mittwoch 16. Dezember 2020, 20:11
Was ich mich frage: Wird die Kirche eine erneute konstantinische Wende erleben, oder werden wird sie im säkular-pluralistischen System ihren Platz finden (auf Europa bzw. weltweit bezogen)? Was sind eure Prognosen?
Nein und nein, jedenfalls wenn wir von echtem Katholizismus reden. Es kann sein, daß eine häretische Version des Katholizismus seine Nische im System findet, und diese Kirche dann eine Art sozialer Dienstleister, psychologisch-spiritueller Betreuer und gehobener Festivitäten-Organisierer wird, so in etwa wie die Anglikaner es bereits sind. Aber der Katholizismus an sich ist System-inkompatibel und wird gesellschaftlich weiter abgewickelt werden. Es wird sicher echt katholische Restgruppen geben, aber die werden mehr wie die Amish sein - nur nicht so lokal ans Land gebunden, und deshalb vermutlich nicht lange haltend. Weltweit gesehen wird der Katholizismus dieselben Phasen durchlaufen wie im Westen, nur erheblich beschleunigt und mit lokalen Eigenheiten.

Ich sehe drei Möglichkeiten: 1. Die Welt ended bald (ein paar hundert Jahre), Christus kommt wieder. 2. Die Welt versinkt in einer ernsthaften (weltlichen) Katastrophe, und in Folge blühen die Religionen wieder auf. 3. Etwas wirkliche Neues passiert, mit dem wir derzeit nicht rechnen. Wenn alles weiter läuft wie bisher, und die göttliche Garantie für die Kirche gilt, dann muß es die erste Option sein. Die zweite Option ist allerdings recht wahrscheinlich. Die dritte Option ist offensichtlich von Natur aus unvorhersehbar.

Bruder Donald

Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Bruder Donald »

Ausgewogener und denkwürdiger Text von Clemens Victor Oldendorf:
Die Illusion des „Roma locuta“ – Zum Problem der Akzeptanz der Autorität lehramtlicher Entscheidungen
Aber zurück zum Thema Nr. 1: Sicherlich erlegen die Erfahrungen und Erkenntnisse der letzten Zeit dem kirchlichen Lehramt und allzu gestrengen Moralwächtern unter konservativen Katholiken mehr Demut, Feingefühl und auch Zurückhaltung auf, wenn es um die Intimsphäre der Gläubigen geht und erst recht um diejenige von Bürgern in Staat und Gesellschaft, die überwiegend gar keine (praktizierenden) Katholiken sind, vielfach nicht einmal mehr getaufte Christen. Die Freiheit der säkularen Gesellschaft ist zu akzeptieren, an den Ansichten oder am Dialog mit der Kirche auch kein Interesse zu haben und ihr keine besondere gesellschaftliche Autorität oder Relevanz (mehr) zuzubilligen. Wenn dies der Fall ist, ist es oft auch selbstverschuldet, weil Autorität und Vertrauen missbraucht und zerstört wurden und verständlicherweise nicht so leicht und schnell wieder herzustellen sind. Man muss sogar einkalkulieren, dass sie unwiederbringlich sind, woran auch die Anbiederungen des Synodalen Weges dann wohl nichts mehr ändern könnten.

Agricola
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Agricola »

TRisagion hat geschrieben: Es kann sein, daß eine häretische Version des Katholizismus seine Nische im System findet, und diese Kirche dann eine Art sozialer Dienstleister, psychologisch-spiritueller Betreuer und gehobener Festivitäten-Organisierer wird, so in etwa wie die Anglikaner es bereits sind.
Ja, als ein anachronistisches Phänomen innerhalb des Systems besteht schon alles weiter. Manchmal treten diese Anachronismen als a) "Anti-Anachronismen" auf, manchmal als b) integrierte Anachronismen. Die Anglikaner z. B. sind ein Fall von B, IS-Dschihadisten sind ein Fall von A. (Die Terminologie habe ich mir in Teilen von Peter Trawny geborgt, man kann es sicherlich auch anders beschreiben.)

Die m. E. eigentlich spannende Frage ist nun, inwieweit Religion sowie einige weitere Vollzüge, z. B. Kunst, alternative Wirtschafts- und Lebensformen (autarke Subsistenzwirtschaft oder Eremitentum bspw.) und vieles mehr, unter den gegenwärtigen Bedingungen etwas anderes als das sein können.
Trisagion hat geschrieben: Aber der Katholizismus an sich ist System-inkompatibel und wird gesellschaftlich weiter abgewickelt werden.
Das denke ich auch bzw. das eine ergibt sich aus dem anderen und beschränkt sich natürlich nicht nur auf den Katholizismus. Dagegen ist kein Kraut gewachsen bzw. diese ganzen liberalen Anpassungen im Sinne einer Systemintegration sind Ausdruck, Durchführung und in einer Weise Vollendungsgestalt dieser Entwicklungen zugleich.
Trisagion hat geschrieben: Weltweit gesehen wird der Katholizismus dieselben Phasen durchlaufen wie im Westen, nur erheblich beschleunigt und mit lokalen Eigenheiten.
Sofern alles seinen normalen und "normalisierenden" Verlauf nimmt, wird das auch meiner Auffassung nach so sein.
Trisagion hat geschrieben:Ich sehe drei Möglichkeiten: 1. Die Welt ended bald (ein paar hundert Jahre), Christus kommt wieder. 2. Die Welt versinkt in einer ernsthaften (weltlichen) Katastrophe, und in Folge blühen die Religionen wieder auf. 3. Etwas wirkliche Neues passiert, mit dem wir derzeit nicht rechnen. Wenn alles weiter läuft wie bisher, und die göttliche Garantie für die Kirche gilt, dann muß es die erste Option sein. Die zweite Option ist allerdings recht wahrscheinlich. Die dritte Option ist offensichtlich von Natur aus unvorhersehbar.
Ja. Besser kann man’s m. E. kaum auf den Punkt bringen. So ungefähr sehe ich das auch.

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Jakobgutbewohner
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Jakobgutbewohner »

Agricola hat geschrieben:
Freitag 9. April 2021, 18:37
alternative Wirtschafts- und Lebensformen (autarke Subsistenzwirtschaft oder Eremitentum bspw.) und vieles mehr, unter den gegenwärtigen Bedingungen etwas anderes als das sein können.
Was das betrifft, müßte man sich fragen, was eigentlich "anachronistisch" macht. Wenn von "einem System" ausgegangen wird, dann könnte man sich z.B. auch fragen, ob das eine wirklich treffende Zustandsbeschreibung sein kann. Wäre "anachronistisch" vielleicht eine rein subjektive Wertung aus einer Gruppe heraus, deren Anhänger sich selbst oft wohl recht stark für das "Maß der Dinge" halten?
"Selig sind ... die durch die Tore eingehen in die Stadt. Draußen aber sind die Hunde und die "Pharmazeuten" und die Buhler und die Mörder und die Götzendiener und jeder, der die Lüge liebt und tut." Off 22,14+15

Agricola
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Agricola »

hat geschrieben: Wäre "anachronistisch" vielleicht eine rein subjektive Wertung aus einer Gruppe heraus, deren Anhänger sich selbst oft wohl recht stark für das "Maß der Dinge" halten?
Einerseits sollte man sich nicht zu sehr am Wort aufhängen, andererseits empfand ich den Ausdruck als durchaus passend, weil ein Aspekt der entsprechenden Phänomene dadurch gut wiedergegeben wird, den man am klarsten an dem ausmachen kann, was ich oben als „Anti-Anachronismus“ bezeichnet habe.

Als Beispiel lässt sich der Dschihadismus ganz gut heranziehen: Die gegenwärtige dschihadistische Ideologie bzw. ihre Proponenten intendieren im gegenwärtigen Weltzustand einen insgesamt vergangenen Zustand mit den Mitteln des gegenwärtigen Zustandes wiederherzustellen. Für die Umsetzung oder Darstellung ihrer Anti-Position benutzen diese Herrschaften nicht nur Mittel der von ihnen angegriffenen Position, sondern sie sind zur Erreichung und, falls erreicht, weiteren Aufrechterhaltung ihres Ziels, notwendig auf diese Mittel und damit auf die von ihnen negierte Position angewiesen (denn die Mittel lassen sich nicht einfach von der von ihnen negierten Position trennen). Was sie angreifen bzw. zu negieren suchen, affirmieren sie auf der anderen Seite als Bedingung ihrer Negation wieder. Das ist ein Widerspruch in sich und die gesamte Anti-Position, der gesamte Anachronismus, in gewisser Weise parasitär zur Position.

Das alles gilt nun aber nicht für z. B. Eremiten. Eremiten sind, soweit ich sehe, keine Anachronismen in diesem Sinne. Aber wie gesagt, die eigentlich spannende Frage ist, ob so etwas überhaupt weiterhin in diesem System – oder, wenn einem das lieber ist, in dieser Welt – bestehen kann oder ob seine genuine Möglichkeit als solches zu bestehen, nicht systematisch zunichte gemacht wird.

Bruder Donald

Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Bruder Donald »

Ein lesenswerter Artikel vom evangelischen Pfarrer Alexander Garth auf CNA veröffentlicht:
Warum der christliche Glaube seine beste Zeit noch vor sich hat

Seine Grundthesen:
- Das Volkskirchenmodell ist und muss sterben:
Unser Volkskirchensystem, das sicher seine Segenszeit hatte, gehört gar nicht wesensmäßig zum Christentum. Das Volkskirchenmodell hat sich als Staatskirche, wie noch zu zeigen sein wird, unter Bedingungen gebildet, in denen eine theokratische Staatsform das einzig denkbare Modell war. Jetzt, wo die Bedingungen in einer freiheitlichen Ordnung nicht mehr gegeben sind, kollabiert folglich auch die aus der Zeit der Staatskirche stammende Volkskirche.

- Daraus wird und muss sich eine Kirche aus gewählter Überzeugung bilden:
Individuell gewählte Religiosität [...] ist viel näher dran am Neuen Testament und an dem Leben und der Verkündigung der frühen Kirche. Denn das Christentum ist original eine Konversionsreligion. [...] Der Aufschwung gewählter Religion hat durchaus etwas Positives und Gottgewolltes: nämlich dass das eigentliche Wesen der Kirche als Gegenüber und Alternative zur säkularen Bürgergesellschaft, als „Salz und Licht der Welt“, besser verleiblicht wird und da mit auch sichtbarer.

-Das Gespenst des Volkskirchenmodells spukt noch in vielen Köpfen Verantwortlicher herum:
Die Kirchen haben eine komplette Neuausrichtung ihrer Arbeit, ihrer Kommunikation, ihrer Kultur vor sich, wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden wollen. Die meisten Kirchenleute bewegen sich mental und praktisch noch ganz im alten volkskirchlichen Setting. Sie merken zwar, dass die Arbeit schwer geworden ist. Nicht wenige verzweifeln an der gefühlten Fruchtlosigkeit ihres Tuns. Andere nehmen den kirchlichen Niedergang hin als unabwendbare Folge der Säkularisierung.

-Die liberale Theologie trägt zum Niedergang der Volkskirche bei:
Das liberale Denkraster erhob die Skepsis zum alles formatierenden Prinzip und hat den Glauben derer, die ihm folgen, banal und kraftlos gemacht, ohne Wunder, ohne Mysterien, ohne Hereinbrechen des Göttlichen in unsere Lebens- und Erfahrungswelt. Für Menschen, die nach spiritueller Erfüllung und geistlicher Orientierung und Erfahrung hungern, ist der Glaube im reduktiven Setting eines fundamentalistischen Rationalismus uninteressant und langweilig. Die Demontage der christlichen Glaubensgrundlagen hat einen unübersehbaren Beitrag dafür geleistet, dass die Kirchen sich leeren.

In diesem Zusammenhang frage ich mich, wie das die traditionalistisch-katholischen Gruppierungen wie die FFSPX das mit dem Volkskirchentum sehen? Wird das angestrebt, ist man deswegen zum Teil gegen gewisse Urteile des 2. Vaticanums betreffs Religionsfreiheit oder hat man sich auch von der Volkskirche verabschiedet?

Agricola
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Agricola »

Bruder Donald hat geschrieben:In diesem Zusammenhang frage ich mich, wie das die traditionalistisch-katholischen Gruppierungen wie die [sic] FFSPX das mit dem Volkskirchentum sehen?
Man könnte jetzt sagen: Sie und alle andern Gruppen (Sedisvakantisten et al.) schleppen implizit das Gesellschaftsmodell bzw. die Sozialform aus ihrer jeweiligen konstitutiven Phase mit. Was dazugehört sind meist die "Basics" bzw. die Substanz, die über die Zeit ein wenig moduliert wird. Man kann ja recht deutlich erkennen, um welches Modell bzw. welche Sozialform es sich im Falle der FSSPX handelt.

Aber das wäre fast zu negativ und vielleicht ein wenig zu sehr aus dem Blickwinkel der Welt gesprochen, was die Bewertung angeht (bzgl. des „Mitschleppens“). Dennoch ist‘s im Endeffekt in zumindest einem Punkt ähnlich wie mit den Lutheranern: Beide haben ihre Bezugsgröße(n) verloren. Allerdings andere Bezugsgrößen. Und sie ziehen andere Konsequenzen daraus. Wahrscheinlich ist aber das Ergebnis auf lange Sicht identisch: Es bleiben irgendwelche Rand- und Splittergruppen übrig.
Bruder Donald hat geschrieben:Die liberale Theologie trägt zum Niedergang der Volkskirche bei:
Tendenziell umgekehrt: Der Niedergang der Volkskirchen trug zum Um-sich-Greifen der liberalen Theologie bei. Und auch der Niedergang der Volkskirchen hatte seinerseits bestimmte Voraussetzungen.
Jetzt, wo die Bedingungen in einer freiheitlichen Ordnung nicht mehr gegeben sind, kollabiert folglich auch die aus der Zeit der Staatskirche stammende Volkskirche.
Die freiheitliche Ordnung bringt, direkt oder indirekt, auch freiheitliche Theologien hervor. Aber diese Art freiheitlicher Ordnung hat m. E. kein Interesse an Theologien als solchen, egal ob freiheitlichen oder sonst irgendwelchen.

Bruder Donald

Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Bruder Donald »

Mut zur mystischen Kirche
Gott ist so wenig bekannt wie Rotkäppchen, und die Kirche nur noch nützlich, wenn sie zur Verbesserung des diesseitigen Lebens beiträgt, wie etwa in caritativen Einrichtungen oder der Bejahung vollumfänglicher Gendergerechtigkeit oder auch der Segnung individueller Lebensentwürfe. Schon Max Weber machte vor dem Ersten Weltkrieg darauf aufmerksam, wenige Menschen seien religiös musikalisch, so wie wenige Menschen Gedichte lieben oder Golfspiel oder Musik von Arnold Schönberg. In der katholischen Welt wurde das lange Zeit, bis eben in die erwähnte pianische Epoche, überspielt; die Volkskirche lebte scheinbar. In Wirklichkeit war die Volkskirche als Bekenntniskirche immer eine Illusion, genährt freilich auch durch das verführerische Wort des Tertullian von der „anima naturaliter christiana“, von der naturhaft christlichen Seele eines jeden Menschen.

Wäre das so, dann wären Christus die Massen nachgelaufen. Hingegen war die Zahl der religiös Interessierten und der an der Jüngerschule Jesu Interessierten bis unter das Kreuz bei großzügiger Zählung auf vier bis fünf geschrumpft … . Der Mensch schlechthin ist von Natur aus weder religiös noch areligiös, er kann angesprochen werden auf einen höheren Lebenssinn als das pure genießende lange Überleben, aber in Zeiten des „gesättigten Selbst“, des „abgepuderten Selbst“, wie das Charles Taylor nennt, nur sehr mühsam und angestrengt.

Trisagion
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Trisagion »

Aus demselben Artikel zitiert:
Schon 1966 schrieb der ideologisch unverdächtige und knochentrockene Theologe Karl Rahner: „Der Fromme der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ ... Ein Mystiker ist jemand, der Erfahrung mit Gott gemacht hat. Und wie geschieht das? Nach römisch-katholischer Auskunft auf dem Weg der sichtbaren römischen Kirche: „Wer Euch hört, der hört mich“, sagt der Herr zu den Aposteln, und damit nach katholischem Glauben zur sichtbaren apostolischen hierarchischen Kirche. Dieser Weg der Verbundenheit mit Christus ist dreifach gepflastert: durch das Lesen in der Hl. Schrift, durch den Empfang der Sakramente und durch das Leben der Liebe in Beruf und im Alltag. Gerade der dritte Aspekt wird gern vergessen und ist doch der Lackmustest des Glaubens an Christus, der sagt: „Was Ihr dem Geringsten getan hat, das habt Ihr mir getan!“ Keine Klerikalisierung der Getauften also, sondern Apostolat des Alltags und des Berufes, auch der Freizeit.
Also, die wahre Mystik und Erfahrung mit Gott ist "nach römisch-katholischer Auskunft" das Gutmenschentum, Verzeihung "das Leben der Liebe in Beruf und im Alltag", und dafür bürgt der über alle Zweifel erhabene Karl Rahner.

Na, dann ist ja alles gut. :auweia:

kukHofnarr
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von kukHofnarr »

@Bruder Donald ging in seinem Eröffnungspost davon aus, dass eine "Wende" konstantinischer Art von Nöten sei, aber...

...war die konstantinische Wende ein Segen?

Immerhin hatte in jenem Jahre 321 ein römischer Kaiser um seines Machterhaltes willen klein beigegeben und liess die Kinder Gottes erwachsen werden. Er selber aber bequemte sich kurz vor seinem letzten Schnaufer gegen den Trend der Erwachsenen Kind Gottes werden zu wollen, also in dem Moment, in dem für ihn feststand, dass man nicht noch mehr an Annehmlichkeiten herausholen könnte aus seinem Leben. Man kann also nicht verhehlen, dass Konstantin berechnend war. Seitdem jedoch schallt uns jenes Herrenwort umso lauter ins Ohr, nämlich so werden zu müssen, wie die Kinder sind, andernfalls droht die Zweckentfremdung von Mühlsteinen.

War die konstantinische Wende ein Segen?

These Pro

Gott ist ohne Zweifel der Gott der Ordnung. Der Befehl Jesu das Reich Gottes zu suchen, ist unweigerlich verknüpft mit der Suche nach der Ordnung jenes Reiches. Die Suche nach Gott ist also die Suche nach Seiner Ordnung. Im Herrengebet machen wir uns den Willen Gottes zu eigen, die Ordnung des Reiches Gottes so wie sie im Himmel existiert, auch "auf Erden" zu verwirklichen. Warum es jedoch Gott wichtig zu sein scheint, dass wir in der deutschen Übersetzung den Plural verwenden, erweist sich als interessante Frage. Meint Er mit "Erden" die Kontinente oder meint Er die Summe bewohnbarer Planeten? Meint Er den Pantheismus von Teilhard de Chardin oder meint Er den Staub der Sekundärmaterie aus dem jeder einzelne Mensch gemacht ist? Oder meint er vielleicht etwas anderes, unerwartetes? Der Antwort auf diese Frage nähere ich mich über die nun folgende These "contra" im Hinblick auf die lateinische Version des Herrengebetes: "...et in terra."

These Contra

Die Folgen der Missinterpretation dessen, was das Reich Gottes auf Erden seit Seines Sieges über Tod und Sünde sein soll, zeigen eindeutig, dass in extrinsisch motivierter Auslegung der Worte Jesu die Ursache für solch fatale inquisitorische Entscheidungen verborgen liegt, wie zum Beispiel öffentliche und insgeheime Verbrennung, Brandmarkung und Denunziation. Das dunkelkatholische Anschwärzen Dritter beim Bischof durch meist anonyme Briefe scheint eine quasikatholische Unsitte zu sein, die jedem gutmenschelnden Bischof in aller Härte den wahren Zustand seiner Herde offenbart: SCHWARZ WÄCHST DIE WOLLE SEINER SCHAFE, dunkel also ist der Katholik! Ja, die Wahrheit über uns ist hart: wir sind böse. Aber wir sollen nicht böse bleiben, denn unser Erlöser gab uns den Befehl umzukehren. Wir sollen EBEN NICHT bleiben wie wir sind.

"Ich bin aber nun einmal so, daran kannst du nichts ändern!"

Im vermeintlich tröstenden Lieblingsspruch jener, die sich vom Diözesanpsychologen in ihrem zunehmend schwächelnden "Selbstbewusstsein" lebensuntauglicher Sozialklerikalisten von einem Termin zum anderen stärken lassen, also in jenem "Bleib wie du bist!", offenbart sich der inhärent demokratische Trotz wider die Rechte Gottes und das Unvermögen menschlicher Kraft bei der Lösung des Problems schwarze Wolle weiss waschen zu wollen.

Hier erweist sich der Pelagianismus als höchst wohlfeil, unseren Bauch mit "leckerem Pflaumenmus" vollzupinseln: lasst uns einfach ein bisschen fromm handwerkeln und gegenseitig die Wolle waschen und mit ein wenig - aber bloss nicht ZU wenig - "Wasserstoffperoxid" nachhelfen, dann wird sich mit der Zeit schon der Wille Gottes auf Erden durchsetzen. Wo kämen wir auch hin, wenn wir alles nur der Gnade Gottes überliessen? MITWIRKUNG ist zwar das Zauberwort, aber Nachhelfen ist gemeint. So nimmt es nicht wunder, dass sich auf dem begehrten "Pflaumenmus" die Fliegen tummeln, dass z. B. die geschäftige Martha zur Säulenheiligen eines katholizistischen Feminismus mutiert und Frauenbünde in katholizistischer Ausprägung als ultima ratio zur Rettung der Kirche die "Frauenweihe" fordern, sozusagen als letzte Raketenstufe der KdF_B vor ihrer längst fälligen Explosion aufgrund fehlerhafter "Navigationssoftware". Solcherlei Ansinnen zum Zweck der Erlangung von Kraft durch Freude sind nichts weiter als spastische Zuckungen eines teuflischen, interreligiösen Klerikalfaschismus, d.h. klerikalistischen Bündlertums, das auf pathologisch agressive Weise seine Version des Reiches Gottes um jeden Preis, koste es was es wolle und sei es um den Preis der Rechte Gottes - ius naturae -, durchdrücken will.

Die Ideologie des Klerikalismus ignoriert die Ecclesia, die in weiser Voraussicht schon im ersten Vatikanum jene Irrtümer in einer langen Liste anzuklagen sich bemüssigt sah, die sich dann auch im 20. Jahrhundert notwendig zu voller (kirchen-)demokratischer Blütenpracht entwickeln mussten, weil man vergass das Konzil zu beenden.

Noch sprechen wir nicht von den in Kürze zu erwartenden bittersüssen Früchtchen, deren Hohlspitzen der eine oder andere seit Januar 2020 schon hervorspriessen sieht: jene "Spitzen" können einem schon ziemlich unter die Haut gehen, die faule. Jene Faulheit des Denkens pelagianisch weiss gefärbter Schafe ist gemeint, die sich in der willfährigen Dienstbeflissenheit zeigt, in der ein geweihter Bischof in der vorauseilend piefigen Unterwürfigkeitsgeste eines Staatsbeamten Gottesdienste absagt oder gar den Gottesdienstbesuch verbietet und zugleich seinen polizeilichen Beamtenkollegen ein irdisches Recht zubilligt, himmlische Handlungen zu unterbrechen um den schwarzen Schafen übertrieben weinerlich jene Sakramente verweigern zu können, die sie sowieso nicht verdient hätten.

Dagegen sind die weissgefärbten Schäfchen schon handzahm gestriegelt: denen reicht die eingebildete Rechtgläubigkeit auf "suggestiven Zuruf", durch "Beobachtung heiliger Gesten" und warme, bischöfliche Empfehlungen doch bitte, bitte zuhause, im stillen Kämmerlein Autosuggestion zu betreiben, denn damit komme man schliesslich auch in den Himmel. Wenn dies erst der Anfang vom Ende ist, dann wird wohl dereinst, wenn alle Stricke reissen, auch ein frömmelndes Achselzucken reichen.

Immerhin wird durch die CV-Massenhypnose jener Zustand offenbar, den der Teufel unbedingt haben will: 1. weisse Schafe benötigen keine Sakramente, 2. Staatsbeamte sind die Herren der Kirche, 3. Die Religion der Guten besteht aus Pelagianismus, Fideismus und Klerikalismus.

Ich spreche also in dieser "These contra" von nichts weniger, als vom öffentlich vollzogenen Kniefall der konstantinisch gewendeten Kirche vor ihrem gehörnten Herrn der Welt und seiner quasi- weil antikatholischen Agenda. Ich spreche von der These, dass die so genannte konstantinische Wende ein Trick des Teufels war, eine irrlichternd verführerische Ablenkung vom Fokus auf das Reich Gottes, welches sich laut der Worte unseres Erlösers ohne äussere Zeichen verwirklicht.

Jenes nicht von dieser Welt seiende Reich ist so wie Gott selber ist: Gott ist Geist und sein Reich ist ein geistiges Reich. Der Grammatische Gottesbeweis von Prof. Spaemann zeigt eindeutig, dass das Reich Gottes ein geistiges Reich ist. Aber Klerikalfaschisten dienern um ihres Bündlertumes willen auf solche Weise, wie die Ureinwohner Amerikas ihre Freiheit dahingaben für C-Ware: bunte Glasperlen, Fusel sowie Langwaffen mit gebogenen Läufen und versetzter Kimme. Sie sind betrogene Betrüger.

Lange Zeit dachte ich, dass die Monarchie der Weisheit letzter Schluss sei, jedoch, es ist ihr vorletzter. Der Monarch von Gottes Gnaden ist lediglich ein Zugeständnis Gottes an die Schwäche des Menschen, die die leicht andressierbaren irdischen Formen äusserlichen Kotaus bevorzugt, weil sie die in Grenzsituationen kraftzehrenden, willentlichen Akte echter innerer Zuneigung fürchtet nicht leisten zu können.

Ich denke, IHM wäre es lieber, wenn das soziale Königtum auf Erden in jeder einzelnen Nation ausgeübt würde durch unseren Herrn Jesus Christus vermittels der Kirche. Würden alle Menschen diesen Monarchen anerkennen, dann vollzöge sich staatliche Ordnung im Äusseren durch gerechtes Gericht und Exekutive nahezu wie von selbst. Der Gehorsam gegen den Staat findet nur seine Grenze an Befehlen wider die Rechte Gottes im Naturrecht -ius naturae-. Freilich, einer offensichtlichen Tyrannis den Gehorsam zu Handlungen wider die Rechte Gottes zu verweigern ist verhältnismässig einfach. Schwieriger gestaltet sich die Sache, wenn ein Staat sich im Transformationsprozess zu ebensolcher befindet.

Aber trotz allem hallen die Worte der zweiten Person des trinitarischen Gottes durch den Kosmos: "Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es! Denn: Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch."

Wenn wir im lateinischen Herrengebet "...et in terra" sprechen, dann scheint mir damit der Beweis erbracht, dass das Reich Gottes inwendig ist, und die Sakramente der heiligen Mutter Kirche sind die Hilfsmittel im Hinblick auf das Reich, das Inwendige, auf das, was man eben nicht sieht. Sie sind permanenten Kraftakte zur Wiederherstellung der in jedem Sündenfall gestörten geistigen Ordnung mit Auswirkung auf das durchaus sichtbare Hier und Jetzt.

Ein Bischof aber, der immerhin über nichts weniger als die absolute Jurisdiktionsgewalt verfügt, und dessen Aufgabe es ist, die schwarzen Schafe auf gute Weide zu führen, der Bischof, der - egal aus welchem Rechtsgrund - den Empfang der himmlischen Hilfsmittel zum Aufbau des Reiches Gottes behindert, gibt den im NT erwähnten "Kleinen" jenes Ärgernis, aufgrund dessen unser Herr Jesus Christus Mühlsteinen einen besonderen Platz in der Grammatik zugedacht hat.
"Wenn die Wolke sich nicht erhob, brachen sie nicht auf bis zum Tage, da sie sich erhob."

Trisagion
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Trisagion »

kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Der Grammatische Gottesbeweis von Prof. Spaemann zeigt eindeutig, dass das Reich Gottes ein geistiges Reich ist.
Prof. Spaemann in Ehren, aber das hat ja schon Jesus selber klar gesagt.
kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Ich denke, IHM wäre es lieber, wenn das soziale Königtum auf Erden in jeder einzelnen Nation ausgeübt würde durch unseren Herrn Jesus Christus vermittels der Kirche.
Die gesellschaftlich Macht in die Hände des Klerus zu legen ist vermutlich die schlimmste aller denkbaren weltlichen Regierungsformen. Andere Regierungsformen, wie etwa die Anarchie, dürften gesellschaftlich und sozial noch mehr Schaden anrichten, aber die direkte Verquickung von Politik und Seelenheil in den Händen eines Menschen ist ein Übel bedrohlicher als alles andere, denn es kann auch das nächste Leben ruinieren. Und es ist offensichtlich genau das Gegenteil des Willens der Herren, der ja in seiner Verkörperung des Messiah exakt dieser Sorte Idee der Juden entgegengetreten ist.

Hinter all diesen Dingen steht immer die menschliche Lust andere Menschen zwingen zu wollen. Machtausübung verbrämt ihre Taten gerne mit dem Guten, und was kann da besser dienen als die Menschen zu ihrem Seelenheil zwingen zu wollen...

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martin v. tours
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von martin v. tours »

Ja, das mit dem Seelenheil aufzwingen, das beherrscht die säkulare Zeitgeistelite auch perfekt:
Gendersternchen
Klimareligion incl. Greta Thunberg - Fanclub
Die Regenbogenflagge, der neue Gesslerhut unserer Zeit.....

Die Kirche zwingt schon lange niemanden mehr und hätte auch nicht mehr die Kraft dazu. Und damit meine ich nicht rechtliche Kraft.
Nach dem sie nicht erreicht hat, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.
Nicolás Gómez Dávila

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Protasius
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Protasius »

Trisagion hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 13:22
kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Der Grammatische Gottesbeweis von Prof. Spaemann zeigt eindeutig, dass das Reich Gottes ein geistiges Reich ist.
Prof. Spaemann in Ehren, aber das hat ja schon Jesus selber klar gesagt.
kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Ich denke, IHM wäre es lieber, wenn das soziale Königtum auf Erden in jeder einzelnen Nation ausgeübt würde durch unseren Herrn Jesus Christus vermittels der Kirche.
Die gesellschaftlich Macht in die Hände des Klerus zu legen ist vermutlich die schlimmste aller denkbaren weltlichen Regierungsformen. Andere Regierungsformen, wie etwa die Anarchie, dürften gesellschaftlich und sozial noch mehr Schaden anrichten, aber die direkte Verquickung von Politik und Seelenheil in den Händen eines Menschen ist ein Übel bedrohlicher als alles andere, denn es kann auch das nächste Leben ruinieren. Und es ist offensichtlich genau das Gegenteil des Willens der Herren, der ja in seiner Verkörperung des Messiah exakt dieser Sorte Idee der Juden entgegengetreten ist.

Hinter all diesen Dingen steht immer die menschliche Lust andere Menschen zwingen zu wollen. Machtausübung verbrämt ihre Taten gerne mit dem Guten, und was kann da besser dienen als die Menschen zu ihrem Seelenheil zwingen zu wollen...
Ich kann diese Befürchtung durchaus nachvollziehen, aber die Geschichte hat dennoch empirisch zu der Erkenntnis geführt, daß es sich unter dem Krummstab gut leben läßt. Verglichen mit einem weltlichen Fürstentum hatten die Untertanen eines geistlichen Fürsten es in der Regel besser (bspw. Rechtssicherheit, bessere Lebensbedingungen, keine Leibeigenschaft, mehr Feiertage). Und auch in jüngerer Geschichte waren Geistliche als Staatsoberhaupt nicht unbedingt die schlechteste Wahl, man denke etwa an Makarios III., den ersten Präsidenten von Zypern nach Ende der Kolonialzeit, der gleichzeitig Erzbischof von Zypern war.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Trisagion »

martin v. tours hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 15:23
Die Kirche zwingt schon lange niemanden mehr und hätte auch nicht mehr die Kraft dazu. Und damit meine ich nicht rechtliche Kraft.
Oh, wenn sich die kirchliche und weltliche Macht vereinigt, dann brauchst Du nicht lange warten bis sich "kräftige" Menschen in die Führungsriege vorarbeiten. Kardinal Richelieu und Konsorten, nur heutzutage sicher weniger kultiviert und deutlich gieriger...

Es kann auch durchaus sein, daß ein guter Kirchenmann die Ungerechtigkeit von Adel und Monarchie als Regierungsform abmildert, wenn er quasi als Nebenjob weltlicher Fürst wird. Daraus folgt ganz und garnicht, daß die Theokratie ein gute Idee ist.

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Lycobates
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Lycobates »

Protasius hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 20:24
Trisagion hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 13:22
kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Der Grammatische Gottesbeweis von Prof. Spaemann zeigt eindeutig, dass das Reich Gottes ein geistiges Reich ist.
Prof. Spaemann in Ehren, aber das hat ja schon Jesus selber klar gesagt.
kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
Ich denke, IHM wäre es lieber, wenn das soziale Königtum auf Erden in jeder einzelnen Nation ausgeübt würde durch unseren Herrn Jesus Christus vermittels der Kirche.
Die gesellschaftlich Macht in die Hände des Klerus zu legen ist vermutlich die schlimmste aller denkbaren weltlichen Regierungsformen. Andere Regierungsformen, wie etwa die Anarchie, dürften gesellschaftlich und sozial noch mehr Schaden anrichten, aber die direkte Verquickung von Politik und Seelenheil in den Händen eines Menschen ist ein Übel bedrohlicher als alles andere, denn es kann auch das nächste Leben ruinieren. Und es ist offensichtlich genau das Gegenteil des Willens der Herren, der ja in seiner Verkörperung des Messiah exakt dieser Sorte Idee der Juden entgegengetreten ist.

Hinter all diesen Dingen steht immer die menschliche Lust andere Menschen zwingen zu wollen. Machtausübung verbrämt ihre Taten gerne mit dem Guten, und was kann da besser dienen als die Menschen zu ihrem Seelenheil zwingen zu wollen...
Ich kann diese Befürchtung durchaus nachvollziehen, aber die Geschichte hat dennoch empirisch zu der Erkenntnis geführt, daß es sich unter dem Krummstab gut leben läßt. Verglichen mit einem weltlichen Fürstentum hatten die Untertanen eines geistlichen Fürsten es in der Regel besser (bspw. Rechtssicherheit, bessere Lebensbedingungen, keine Leibeigenschaft, mehr Feiertage). Und auch in jüngerer Geschichte waren Geistliche als Staatsoberhaupt nicht unbedingt die schlechteste Wahl, man denke etwa an Makarios III., den ersten Präsidenten von Zypern nach Ende der Kolonialzeit, der gleichzeitig Erzbischof von Zypern war.
:klatsch:

(Unterm Krummstab ist's gut leben ist eine ererbte Familientradition.
Dem kann und muß man beipflichten, umso ungerechtfertigter erscheint im nachhinein die Säkularisierung (und Mediatisierung).
Ein schwerer Makel des Wiener Kongresses, der vor Gott und Sein Gericht bleibt, wenn auch längst durch die Fakten überholt.

Zypern 1974 ist, etwas weniger länger her, eine Kindheitserinnerung.
Der (schismatische) Erzbischof von Zypern hat auch das Privileg, bis heute, seine Unterschrift in Purpurtinte setzen zu dürfen, als der einzige seines Ranges.




+ ὁ Κύπρου Μακάριος

Trisagion zuliebe gibt es das auch auf Englisch:

Bild

;D)
Der Mittelweg ist der einzige Weg, der nicht nach Rom führt (Arnold Schönberg)
*
Fac me Tibi semper magis credere, in Te spem habere, Te diligere
*
... una cum omnibus orthodoxis, atque catholicae et apostolicae fidei cultoribus

Bruder Donald

Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Bruder Donald »

kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
@Bruder Donald ging in seinem Eröffnungspost davon aus, dass eine "Wende" konstantinischer Art von Nöten sei, aber...
Nö, tat er nicht und tut er nicht, da hast du was missverstanden.

Trisagion
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von Trisagion »

Lycobates hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 22:21
Unterm Krummstab ist's gut leben ist eine ererbte Familientradition.
Dem kann und muß man beipflichten, umso ungerechtfertigter erscheint im nachhinein die Säkularisierung (und Mediatisierung).
Unter diesem oder jenem Krummstab mag man es aushalten können, aber um das zu wiederholen: wenn erstmal die politische Macht direkt an den Krummstab gekettet ist, dann geht es nicht mehr um die mehr oder weniger harmlosen, gebildeten Schwätzer die wir heutzutage meist im Kirchenamt sehen. Mir schleierhaft wie man sich wünschen kann, nicht nur kirchlich sondern auch noch weltlich unter die Führung von DBK et al. zu geraten. Aber wenn die Idee hier ist, daß ein sabbelnder Gutmensch politisch nur begrenzt Schaden anrichten wird, dann liegt ihr eben falsch. Die unfähigen Gutmenschen sind im Kirchenamt nur darum, weil es kein kompetenter - und gefährlicher - Mensch auf diese Ämter abgesehen hat. Wenn hier aber echte politische Macht zu holen wäre, noch dazu ohne die lästige demokratische Wählerei und mit voller ideologischer Absicherung dank Religion, dann ist das wie Blut im Wasser für die Haie. Das hatten wir ja alles schonmal, halt Italien in der Renaissance, mit den Borgias und ähnlichem Gesocks. Und die Unsäglichkeit der Vermischung von Religion und Politik damals war sicher entscheidend für die kirchliche Katastrophe der Reformation. Im jetzigen geschwächten Zustand gäbe derlei der Kirche sicher den Rest.

kukHofnarr
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von kukHofnarr »

Als ich ein kleiner Junge war, bestand ein Teil meiner Indoktrination im säkularen Zeitalter nicht nur aus NOM-Predigten, PM-Magazinen und dem KKK, sondern auch aus lustigen Micky-Maus Heften. Besonders lustig fand ich Daniel Düsentrieb und die Panzerknacker. An der Ente Dagobert Trump aber hat mich der Umstand geärgert, dass diese gegen alle Gesetze der Physik so dargestellt wurde, als ob es möglich sei in Golddukaten zu schwimmen... also schrieb ich einen Brief an die Ente in dem stand: "Nö, in Geld kann man nicht schwimmen." Ich habe nie eine Antwort gekriegt. Die lustigen Taschenbücher habe ich trotzdem gelesen.
"Wenn die Wolke sich nicht erhob, brachen sie nicht auf bis zum Tage, da sie sich erhob."

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martin v. tours
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von martin v. tours »

Offensichtlich braucht es einen orthodoxen Russen, der das sagt was man von westlichen "katholischen" Politikern nicht zu hören bekommt.
https://www.youtube.com/watch?v=CCMUeryzX2Y
Nach dem sie nicht erreicht hat, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.
Nicolás Gómez Dávila

kukHofnarr
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Re: Das Säkulare Zeitalter

Beitrag von kukHofnarr »

kukHofnarr hat geschrieben:
Mittwoch 11. August 2021, 04:55
(...)
Die Ideologie des Klerikalismus ignoriert die Ecclesia, die in weiser Voraussicht schon im ersten Vatikanum jene Irrtümer in einer langen Liste anzuklagen sich bemüssigt sah, die sich dann auch im 20. Jahrhundert notwendig zu voller (kirchen-)demokratischer Blütenpracht entwickeln mussten, weil man vergass das Konzil zu beenden.
(...)
Klerikalismus

Der Begriff Klerikalismus bezeichnet eine Ideologie, nach der ein einzelner Kultdiener mithin Kleriker einer Religionsgemeinschaft maximalen Einfluss in staatliche und/oder binnenstaatliche Systeme zu erlangen bestrebt ist.

Die Verwendung des Begriffs „Klerikalismus“ findet sich auch im Umfeld der Kirche, wobei einem Kleriker der Kirche die politische Betätigung bzw. Einflussnahme etwa durch politische Empfehlungen/Wahlagitation nicht erlaubt ist, denn Politik ist die Domäne des kirchlichen Laien, dem seinerseits die klerikale Betätigung nicht erlaubt ist.

Der Klerikalist unterscheidet demnach seinen besonderen Stand des Kultdieners im Klerikerstand nicht deutlich genug vom besonderen Stand des Nichtkultdieners im Laienstand, vielleicht weil er diesen als nicht qualifiziert, intelligent oder vernetzt genug wähnt und somit meint die Führung in der ihm nicht zustehenden Domäne des Nichtkultdieners innehaben zu müssen. Demgegenüber existiert auch das Problem von manchen Laien, welche ihrerseits in Bereichen des Klerikerstands wildern.

Die Ideologie des Klerikalismus beginnt für ihr Opfer eher unmerklich aus durchaus ehrbaren Gründen heraus, etwa mit dem hehren Ziel die Ungerechtigkeit/soziale Ungleichheit oder Irrtümer in der Welt zu beseitigen, jedoch bergen sich darin erhebliche Gefahren bis hin zum "Klerikalfaschismus".

Faschismus

Faschismus ist "Bündlertum allein um des Bündlertumes" willen ohne Berücksichtigung der ursprünglich kommunizierten Lehre. Daraus ergibt sich die faschistische Basisdoktrin der "unbedingten Machterhaltung - koste es, was es wolle, jedes Mittel sei erlaubt". Der Faschist entfernt sich also, um beim obigen Beispiel zu bleiben von seinem ursprünglichen Ziel die soziale Ungleichheit zu beseitigen und rückt den "Bund", also die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit gemeinsamen Zielen in den Fokus seines Denkens und Tuns so sehr, dass ihm jedes zunächst rechtmässige und schliesslich unrechtmässige Mittel recht ist um eben nur diesen "Bund" zu erhalten. Schliesslich wird das Gesetz gebrochen unter der Einrede, auf diese Weise dem Gesetz mehr Geltung zu verschaffen - in Wahrheit aber geht es um die Geltung des "Bundes". Faschismus muss erst eine kritische Grösse breiter medialer Verbreitung seiner Propaganda erreichen um systemkritisch zu werden, d.h.: ohne breiten Medienrückhalt ist Faschismus nicht überlebensfähig.

Klerikalfaschismus

Der Übergang vom Klerikalismus zum Klerikalfaschismus ist fliessend und setzt eine Gruppe von ideologisch gleichgesinnten Kultdienern voraus. Der Klerikalfaschismus unterscheidet sich vom Klerikalismus dadurch, daß in der Wahl der Mittel zur Erlangung des maximalen Einflusses in staatliche und/oder binnenstaatliche Systeme keinerlei Rücksicht mehr auf die Grundlagen der ursprünglich vertretenen Lehre genommen wird - stattdessen wird auch hier das Gesetz bewusst gebrochen unter der Vorspiegelung, auf diese Weise dem Gesetz mehr Geltung zu verschaffen, kurz: Klerikalfaschismus ist die Ideologie zur Durchsetzung und Aufrechterhaltung eines klerikalistischen Bündlertums allein um des klerikalistischen Bündlertumes willen - koste es, was es wolle, jedes Mittel sei erlaubt.

Ein Beispiel für Klerikalfaschismus liefert Kardinal Cauchon in seiner Eigenschaft als erfolgreicher Ankläger Jeanne d’Arcs. Hierzu stelle ich nachfolgend das Interview mit Régine Pernoud über Jeanne d'Arc (Johanna von Orléans) von Stefano M. Paci ein.

Dieses Interview wurde veröffentlicht im Jahr 1997 in der immer noch in Liquidation befindlichen Zeitschrift 30TAGE - www.30giorni.it -. Ich poste dieses Interview in der Hoffnung, dass sich potentielle kath. Investoren, Journalisten, Redakteure und der Klerus über einen baldigen Neustart Gedanken machen mögen:

Jeanne d’Arc - Die Ewigkeit selbst liegt im Zeitlichen

"Es gibt keine Situation, nicht einmal die widersinnigste, in der die Gnade Christi nicht sichtbar werden könnte."

Copyright © 30TAGE, Ausgabe Nr. 6/7, Juni-Juli 1997

Es war einmal ein bedeutendes politisches Projekt, ausgeheckt von einer Gruppe Intellektueller, Universitätsprofessoren, Bischöfe und Mächtiger. Doch dann tauchte dieses blutjunge Mädchen auf und kam ihnen in die Quere, ja brachte den Plan fast zum Scheitern. Und behauptete auch noch, im Namen Gottes zu sprechen. Unglaublich! Sie, die Intellektuellen und Politiker, waren schließlich die Verteidiger der Kirche! Sie allein, Bischöfe und Kleriker, hatten das Recht, im Namen Gottes zu sprechen, das Volk zu begeistern!

Dieses Mädchen war ein Stein des Anstoßes, den es zu beseitigen galt. Gesagt, getan. Als Werkzeuge fungierten Männer der Kirche und ein von der Kirche geführter Prozeß. Johanna wurde von den Ihren betrogen. Im Namen der Kirche richtete man die hin, die Péguy als größte Märtyrerin und Heilige, als zweifach Heilige bezeichnete. Denn ihr Martyrium erlitt sie im Herzen der Christenheit.

Der Prozeß Johannas von Orléans ist ein Beispiel für Klerikalismus /1, der auch heute noch die Gemüter erhitzt.

Régine Pernoud, berühmte Historikerin und Expertin für Geschichte des Mittelalters, ist stolze 88 Jahre alt. Aber wenn sie von Johanna von Orléans spricht, leuchten ihre Augen noch genauso begeistert wie früher. Ihr hat sie mehr als fünfzehn Bücher gewidmet, und ihr zum Gedenken hat sie im Jahr 1973 das Johanna-von-Orléans-Zentrum gegründet.

Wir haben Madame Régine Pernoud in ihrem schönen Haus im zentralen Pariser Viertel Saint-Germaine-des-Prés besucht, um mit ihr über den Prozeß, die Hinrichtung und die spätere Rehabilitierung von Johanna von Orléans zu sprechen.

Das Zimmer, in dem sie uns empfängt, ist mit Gemälden und herrlichen gouaches von Henri Matisse geschmückt, lange Jahre ein enger Freund von Régine Pernoud. „Als er mir zum ersten Mal begegnet ist,“ erzählt sie, während sie mir die Werke des großen Malers zeigt, „sagte er: ‚Das Mittelalter ist das Licht, die Renaissance das Dunkel.‘ Wir haben uns sofort angefreundet. Und manchmal, wenn wir uns so unterhielten, schnitt er geistesabwesend aus bunten Blättern Figuren aus, die er achtlos zu Boden fallen ließ. Ich sagte dann immer zu ihm: ‚Henri, was machen Sie denn da? Wollen Sie sie nicht aufheben?‘ Ich fand sie wunderschön. Ich habe sie dann aufgesammelt und eingerahmt. Und jetzt sind sie hier. Henri hatte sehr viel Persönlichkeit und teilte meine Vorliebe für das Mittelalter und für Johanna von Orléans.“

- Beginn des Interviews -

30GIORNI: Madame Pernoud, was können Sie uns über jene Pläne der Professoren, Politiker und Kleriker erzählen, die Johanna durchkreuzte und sich somit ihren Haß zuzog?

RÉGINE PERNOUD: Dieser Plan war an der Universität von Paris ausgeheckt worden. Der Frieden von Troyes hatte dem Erben Heinrichs V. von Lancaster und Katharinas von Frankreich zwei Kronen zugestanden, nämlich die Frankreichs und die Englands. Im Klartext bedeutete dies, daß Frankreich eine Provinz Englands werden sollte. Man befand sich damals in einer allgemeinen Übergangsphase, die politische Lage war reichlich verworren, und so schien es, dieses Projekt würde auf keinen großen Widerstand mehr stoßen. Wer zur Verwirklichung beitrug, dem versprach England Geld, Privilegien und Pfründe.

Die Intellektuellen ließen sich nicht lange bitten, und schon bald standen die Universität von Paris wie auch viele Fürsten, z.B. die Herzöge von Burgund und der Normandie, aber auch viele Bischöfe vollkommen auf der Seite des englischen Königs. Als die Engländer im Oktober 1428 Orléans, eine Stadt im Herzen Frankreichs, belagerten, hatten alle begriffen, daß die Nation endgültig verloren war.

Doch dann ereignete sich etwas vollkommen Unvorhergesehenes. Im März 1429 trat ein Bauernmädchen vor den König und stellte sich ihm vor. Sie konnte weder schreiben noch lesen, behauptete aber, von Gott gesandt zu sein, um Frankreich zu befreien. Sie riet dem König, noch einmal in den Krieg zu ziehen, und zur Verwunderung aller schenkte er ihr Gehör. Ein paar Wochen später führte eben dieses Mädchen die Truppen an. In nur acht Tagen gelang es ihr, Orléans zu befreien. Nach dieser Heldentat konnte sie den König überreden, sich in Reims krönen zu lassen.

Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welchen Haß die Engländer und jene Lobby von Professoren, Politikern und Klerikern auf Johanna hatten, die ihren mühsam ausgeklügelten Plan so vollkommen unerwartet scheitern zu lassen drohte. Als Johanna ihre Macht eingebüßt hatte, von einem feigen König im Stich gelassen und für zweitausend Dukaten verkauft worden war, beschloß diese Lobby, mit ihr abzurechnen und sie durch einen Prozeß zum Tode verurteilen zu lassen.

30GIORNI: Am meisten verblüfft dabei aber, daß es sich um einen Kirchenprozess handelte, der von einem Bischof geleitet wurde, und daß man ausgerechnet die tiefgläubige und der Kirche treuergebene Johanna wegen Häresie verurteilte.

RÉGINE PERNOUD: Ja, diejenigen, die über sie Gericht hielten, wußten genau, daß sie einen Kirchenprozess führten. Drahtzieher war kein Geringerer als der Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon, der das Projekt, von dem ich gesprochen habe, ins Leben gerufen und ausgearbeitet hatte.

1231 wurden die sogenannten Inquisitionsprozesse gegen den Manichäismus eingeleitet, eine Häresie, welche die wichtigsten Stellen der Kirche des Mittelalters infiziert hatte. Zu dieser Art von Prozessen gehörte auch der gegen Johanna von Orléans. Aber die Kirchengerichte kümmerten sich schon bald um mehr als rein kirchliche Belange. Philipp der Schöne benutzte sie zum Beispiel ungeniert für seine Zwecke, um mittels ihm blind ergebener Kleriker mit den Templern abzurechnen. Der Templerprozeß ist nicht weniger abscheulich als der gegen Johanna von Orléans. In beiden Fällen hat sich die Kirche zur politischen Macht aufgeschwungen. Sie hat sich dazu hergegeben, für politische Machthaber Willkürprozesse zu führen. Einen solchen Klerikalismus findet man aber nicht nur im 14. Jahrhundert. Auch heute gibt es diese Tendenz: sie ist Teil des kirchlichen Lebens. Der Unterschied ist nur, daß sie heute andere Formen angenommen hat. Ich glaube, Italien und Deutschland sind davon mehr betroffen als Frankreich.

30GIORNI: Könnte man sagen, daß Johanna erst innerhalb der Kirche auf ihren wahren Feind stieß?

RÉGINE PERNOUD: Ja. Ihre größte Schlacht war die Auseinandersetzung mit ihren eigenen christlichen Glaubensbrüdern. Kann man sich etwas Ungeheuerlicheres vorstellen? Aber obwohl sie sich bewußt war, vor einem Kirchengericht zu stehen, rief sie aus: „Ihr seid nicht die Kirche!“ Niemand war jemals zuvor der Kirche so bedingungslos treu gewesen wie sie, aber dennoch unterschied sie in dieser heiklen Situation sehr wohl zwischen der wahren Kirche und jenen Pariser Professoren, die nur politische Ziele verfolgten.

Ihre Unbeirrtheit ist umso bewundernswerter, wenn man bedenkt, mit welch heimtückischen Mitteln man versuchte, sie zu überlisten, um sie wegen Häresie verurteilen zu können. So fragte man sie beispielsweise nach dem Unterschied zwischen der streitenden Kirche und der triumphierenden Kirche. Das einfache Mädchen kannte diese Begriffe nicht, und so antwortete es gleichgültig: „Da die ganze Kirche die Kirche Gottes ist, kann der Unterschied nicht so wichtig sein.“ Und damit hat sie recht: Christus und seine Kirche sind eine Einheit. Hier genau zu definieren, worin der Unterschied liegt, mag für Theologen von Interesse sein, im Evangelium steht aber nichts davon.

30GIORNI: Wie hat sich König Karl in dieser Angelegenheit verhalten?

RÉGINE PERNOUD: Obwohl er alles ihr verdankte, hat sich der König während ihrer langen Haft und während des Prozesses nie um sie gekümmert. Johanna mußte sich auch von ihm, dem christlichen König, verraten fühlen. Denn Karl VII. verstand sich als ein König, der sich in die Belange der Kirche einmischen und Urteile fällen durfte. Wer in der Neuzeit die Trennung von Staat und Kirche angestrebt hat, dem müßte man ein Denkmal setzen. Die Folgen dieser Trennung waren überaus positiv, auch wenn das vielleicht nicht sofort zu erkennen war. Im Nachhinein sieht man es aber deutlich. Auch heute noch sind die Folgen verheerend, wenn es manchmal zu Überschneidungen von politischer und kirchlicher Macht kommt.

30GIORNI: Warum hat man gegen Johanna einen Kirchenprozess angestrengt?

RÉGINE PERNOUD: Aus politischen Gründen. Wenn man beweisen konnte, daß Johanna eine Hexe oder Gotteslästerin war, stellte die Weihe König Karls VII. in der Kathedrale von Reims keinen heiligen Akt mehr dar. Die Franzosen hätten die Achtung vor ihrem neuen König verloren. Aber in Wahrheit erreichte dieser von sechs überaus eifrigen Pariser Universitätsprofessoren, Bischöfen aus der Normandie und England, Kanonikern aus Rouen sowie Anwälten des Kirchengerichts geführte Prozess das genaue Gegenteil.

30GIORNI: Inwiefern?

RÉGINE PERNOUD: Auf diese Weise wurden uns die Akten einer Art „Heiligsprechungsprozess“ überliefert. Bischof Cauchon hatte sicherlich gedacht, daß es für ein aus illustren Universitätsprofessoren, Theologen sowie Fachleuten für Bürgerrecht und Kirchenrecht zusammengesetztes Gericht ein Leichtes wäre, das einfache Bauernmädchen durcheinander zu bringen. Man hoffte, sie würde häretische Aussagen machen oder sich in Widersprüchen verfangen. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Daher sind die Prozeßakten äußerst wertvoll geworden.

Von Johanna sind uns weder ein Bildnis noch ein Grab geblieben. Um einer möglichen Verehrung nach ihrem Tod vorzubeugen, wurde sogar ihre Asche in die Seine gestreut und somit für immer beseitigt. Was uns geblieben ist, sind nur ihre Worte und die vor Gericht gemachten Zeugenaussagen. Es erscheint paradox, aber in Wahrheit wurde ihr durch ihren Prozeß ein Denkmal gesetzt - auch wenn man sie wegen Häresie zum Scheiterhaufen verurteilt hatte.

Die verschlagenen kirchlichen Würdenträger konnten ihrer Heiligkeit und unbeirrbaren Treue zu Gott nichts anhaben. Trotz aller List gelang es ihnen nicht, sie zu einer Falschaussage zu verleiten. Johannas Antworten, die Guillaume Manchon Tag für Tag aufzeichnete, zeigen deutlich, daß ihr Leben nur einen einzigen Sinn hatte: dem Ruf Gottes zu folgen.

Es ist verblüffend, wie unmißverständlich dieser Ruf erging: durch Stimmen, die sie ganz deutlich vernehmen konnte. Und als Johanna verstanden hatte, daß diese geheimnisvollen Stimmen eine Botschaft Gottes waren, hat sie keinen Moment gezögert. Ihr Leben hatte nur noch einen Sinn: das zu tun, was Er von ihr verlangte. Selbst als die gelehrten Universitätsprofessoren sie die absurdesten Dinge fragten, wissen wollten, wo sie denn ihre „Alraune“ versteckt hätte (ein Kraut, das angeblich dämonische Kräfte verleiht), antwortete sie mit verblüffender Sachlichkeit.

Auf ihre geheimnisvollen Stimmen angesprochen, meinte sie: „Das erste Mal hatte ich große Angst. Es war um die Mittagszeit, im Sommer, und ich befand mich im Garten meines Vaters. Am Vortag hatte ich nicht gefastet.“ Nach dem Schicksal ihrer „Truppe“ befragt meinte sie: „Noch vor Ablauf von sieben Jahren werden die Engländer ganz Frankreich verloren haben. Gott wird den Franzosen einen großen Sieg bescheren.“ Sechseinhalb Jahre später zog Karl VII. siegreich in Paris ein.

Wenn man die Prozeßakten durchliest, erkennt man, daß Johanna diesen selbstherrlichen Intellektuellen gegenüber den Glauben verkörpert. Diesen von politischen Machthabern unterstützten Männern, die meinen, der Geschichte gerecht zu werden. Einen einfachen und doch starken Glauben. Nicht ohne Grund bezeichnete sie Kardinal Jéan Danielou als „die Heilige des Zeitlichen“.

30GIORNI: Achtzehn Jahre nach der Verurteilung wegen Häresie wurde ein neuer Prozeß eingeleitet. Warum?

RÉGINE PERNOUD: König Karl VII. eroberte damals die Normandie und zog in Rouen ein, wo man Johanna verbrannt hatte. Er ordnete eine inoffizielle Untersuchung an, um „die Wahrheit über diesen Prozeß und die Art, wie er geführt wurde“ ans Licht zu bringen. Die Zeugen, darunter auch der Notar, der die Prozeßakten abgefaßt hatte, waren noch am Leben. In den darauffolgenden Jahren wurden zwei weitere Untersuchungen durchgeführt. Dieses Mal offizieller Natur. Das Ergebnis war ein erneuter Inquisitionsprozeß 1456 in Notre-Dame de Paris. Bei der ersten Verhandlung verhörten die Untersuchungsrichter des Königs Johannas Mutter, Isabelle Romée. Danach wurden Zeugen aus ihrer Kindheit und Mädchenzeit vernommen. Der Rehabilitierungsprozeß erklärte den ersten Prozeß für nichtig und zeigte dessen Unrechtmäßigkeiten auf. Johanna wurde von jedem Verdacht der Häresie freigesprochen.

Liest man die Akten dieses Rehabilitierungsprozesses und die Aussagen derer, die sie gekannt hatten, so kommt einem unweigerlich der Gedanke - ohne hier übertreiben zu wollen -, daß Johanna genauso heilig gewesen wäre, wenn Gott ihr nicht eine so außergewöhnliche Sendung zugedacht hätte, wenn sie nicht zuvor davon informiert worden und wenn nicht „aus dem rechten Winkel des Gartens ihres Vaters“ der Ruf an sie ergangen wäre. Denn im Glauben haben auch die einfachsten und alltäglichsten Dinge ihren Wert. So erinnerten sich ihre alten Freunde aus Domremy: „Sie war wie alle anderen auch und tat das, was alle taten: sie hielt das Haus in Ordnung, spann, weidete das Vieh.“

Was aber wirklich beim Lesen dieser Zeugenaussagen verblüfft ist, daß man bei den Mitbürgern Johannas denselben aufrichtigen Blick und dieselbe realitätsnahe Frömmigkeit wie bei ihr findet. Auch sie sind erfüllt von der christlichen Botschaft, vom Evangelium, das ihnen der Pfarrer verkündigt. Es sind aufrichtige Menschen. Sie haben die Schrecken des Krieges erlebt, der Belagerung - aber ihr Glaube ist nicht ins Wanken geraten.

Wie der Prozeß Johannas ganz deutlich zeigt, war das Christus-Ereignis im Volk immer noch konkret verwurzelt, während die sogenannte Elite der Intellektuellen und Geistlichen es zu einer Sache des Intellekts gemacht und sich somit bereits davon entfernt hatten. Auch aus diesem Grund kann man Johanna wirklich als Heilige unserer Zeit bezeichnen.

30GIORNI: In seinem Mystère de la charité de Jeanne d’Arc scheint Charles Péguy Johanna Madame Gervaise gegenüberzustellen. Während letztere jedoch die traditionelle Lehre der Kirche repräsentiert, wonach der Glaube eine selbstverständliche Pflicht ist, verkörpert Johanna den Menschen der Neuzeit, der erst an erwiesene Gnaden glaubt, wenn er dieses Wunder mit eigenen Augen sieht und anfassen kann. „Denn,“ so schreibt Péguy, „die Ewigkeit selbst liegt im Zeitlichen.“ Ist Péguys Johanna von Orléans nur eine literarische Figur, oder ist sie dieselbe, die uns in den historischen Dokumenten begegnet?

RÉGINE PERNOUD: Péguy hat ein umfassendes Wissen über Johanna von Orléans. Und er hat die Gabe, die geschichtlichen Zusammenhänge richtig zu deuten. Über die Entchristlichung der Neuzeit, deren letzte Konsequenzen wir heute erleben, schreibt er: „Alles ist a-christlich, vollkommen entchristlicht. Das ist es, was man erkennen muß und was die Kleriker nicht erkennen wollen.“

30GIORNI: Hans Urs von Balthasar schrieb über Péguy: „Nie zuvor hat jemand so christlich gesprochen.“ Und dennoch hat Jacques Maritain das Mystère de la charité de Jeanne d’Arc heftig kritisiert. Wer hatte recht?

RÉGINE PERNOUD: Das ist mir neu, daß Maritain Péguy angegriffen haben soll! Sind Sie sich da sicher?

30GIORNI: Ich habe den Brief von Maritain im Charles-Péguy-Archiv von Orléans gefunden. Der Brief trägt das Datum des 2. Februar 1910. Maritain schreibt an Péguy: „Nachdem ich Ihr Werk gelesen habe, bin ich zutiefst betrübt. Ich erkenne darin, daß Sie vom Christentum noch weit entfernt sind, obwohl Sie selbst vom Gegenteil überzeugt sind. […] Die Berufung der heiligen Johanna ist vollkommen verzerrt dargestellt. […] Die Betrachtung des Leidens des Herrn ist oberflächlich und voller Unehrerfürchtigkeiten. […] Sie haben gewagt, von der Heiligen Jungfrau respektlos zu sprechen! Wie soll man das hinnehmen? Dieses Werk, dem Sie sich mit Ihrem ganzen Eifer gewidmet haben, ist Ihnen bedauerlicherweise vollkommen mißlungen […], und das betrübt mich sehr.“

RÉGINE PERNOUD: Das ist unglaublich. Ich wußte nichts von diesem Brief, ich kann es kaum glauben. Was Maritain da schreibt, ist Unsinn. Aber er war eben ein Intellektueller, und Péguy hatte die intellektuellen Kreise ins Visier genommen. Vielleicht hat ihn das verärgert.

30GIORNI: Vielleicht. In der Tat gibt es in den Archiven einen Brief vom 1. April 1910, worin Péguy einem Abonnenten seiner Zeitschrift erklärt, Maritain sei darüber erschüttert, daß Johanna von Orléans mehr sei als eines dieser „Heiligenbildchen, die die Katholiken gewöhnlich in den bürgerlichen Pfarreien vorfinden.“

RÉGINE PERNOUD: Ich habe verschiedene Personen kennengelernt, die zu dem katholischen Kreis gehörten, der im Hause von Jacques und Raïssa Maritain über das Christentum diskutierte. Zum Beispiel Stanislav Fumet, ein enger Freund der beiden. Ich selbst war nie dort, ich habe mich nie von diesen Kreisen angezogen gefühlt, vielleicht, weil sie nach intellektuellem Katholizismus rochen. Und ich halte mich nicht für eine Intellektuelle.

Péguys Johanna von Orléans ist ähnlich: Sie lehnt sich gegen die Intellektuellen auf, die den einfachen Leuten den katholischen Glauben beibringen wollen und sich der Illusion hingeben, ihn so zur Kultur zu machen. Als ob der Glaube der einfachen Gläubigen wie Johanna von Orléans nicht vollkommen der Vernunft entspräche, als ob das wirkliche alltägliche Leben der Menschen nicht intelligenter wäre als die hochtrabenden Reden der Intellektuellen.

30GIORNI: Madame Pernoud, eine letzte Frage: Wann haben Sie begonnen, sich für Johanna von Orléans zu interessieren?

RÉGINE PERNOUD: Es war reiner Zufall. Begonnen hat alles im Jahr 1952 in der Adventszeit. Man hatte mich gebeten, einen Artikel über Johannas Rehabilitierungsprozeß zu schreiben. Wie viele andere war auch ich damals der Meinung, Johanna von Orléans wäre nur etwas für offizielle Abhandlungen. Ich lehnte also zunächst einmal ab. Das wollte man aber nicht akzeptieren und so erklärte ich mich doch noch bereit, mir die vorhandenen Dokumente anzusehen. Ich ging in die Bibliothek und stieg auf eine Leiter, um Jules Quicherats Bücher mit den Prozessakten durchzublättern. Ich fand eines, begann darin zu lesen, und kurze Zeit später, so jedenfalls kam es mir vor, hörte ich, wie der Bibliothekar zu mir hinauf rief: „Fräulein Pernoud, wenn Sie nicht wollen, daß wir Sie einsperren, müssen Sie von der Leiter herunterkommen!“ Es waren mehr als zwei Stunden vergangen, und ich stand noch immer dort oben auf der Leiter und las die Dokumente über den Prozess. Ich war hellauf begeistert.

Von da an habe ich nie aufgehört, mich mit Johanna von Orléans zu befassen. Ja, eigentlich glaube ich, daß ich in all diesen Jahren auf jener Treppe stehengeblieben bin. Um mich noch intensiver mit dieser überraschenden Geschichte von einem Gott zu beschäftigen, der so eng mit der Geschichte des Menschen verwurzelt ist, daß er sich nicht scheut, sich in Kriege, Schlachten und Prozesse zu stürzen.

Johanna stellt einen Widerspruch dar, denn sie zeigt, daß man Christus auch nachfolgen kann, wenn man Krieg führt, was wohl die schlimmste aller menschlichen Aktivitäten ist. Gerade hierin zeigt sich ihre Heiligkeit. Indem sie deutlich macht, daß es keine Situation gibt, nicht einmal die widersinnigste, in der die Gnade Christi nicht sichtbar werden könnte.

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Copyright © 30TAGE, Ausgabe Nr. 6/7, Juni-Juli 1997
"Wenn die Wolke sich nicht erhob, brachen sie nicht auf bis zum Tage, da sie sich erhob."

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