Bedeutung der Wahrheit

Allgemein Katholisches.
Biggi
Beiträge: 820
Registriert: Donnerstag 11. Dezember 2003, 16:46

Bedeutung der Wahrheit

Beitrag von Biggi »

Ich beschäftige mich momentan ein wenig mit John Henry Newman. Das, was mich an ihm am meisten beeindruckt, ist seine bedingungslose Suche nach der Wahrheit und sind die existenziellen Konsequenzen, die er dafür auf sich genommen hat (davon ist seine Konversion ja nur die wohl augenfälligste, aber keineswegs einzige).

Demgegenüber springt mir immer wieder als Kontrast das achselzuckende „anything goes“ ins Auge, das heutzutage als Toleranz verkauft wird. Oder der praktische Agnostizismus, der dann banalisiert wird als „Ob das wahr ist, muss halt jeder für sich entscheiden“. Oder die alltägliche Inkonsequenz (auch bei mir!), das als gut und richtig Erkannte bei den ersten ernsthaften Widerständen aufzugeben. etc. etc.

Daher meine Frage: Wie geht ihr mit der Wahrheit um? Zum Beispiel dann, wenn die Sicht benebelt ist („Stückwerk ist unser Erkennen“), aber trotzdem entschieden werden muss, weil eben gelebt werden muss? Zum Beispiel dann, wenn die von euch erkannte Wahrheit mit dem, was andere für wahr halten, zusammenprallt? Zum Beispiel dann, wenn Menschen, die euch nahe stehen, in diesem achselzuckenden Alltags-Agnostizismus befangen sind und jede geistige Anstrengung im Ringen um die Wahrheit ablehnen? Zum Beispiel dann, wenn jemand euch seine Wahrheit (oder das, was er dafür hält) mit Macht um die Ohren schlägt, so dass euch Hören und Sehen vergeht? Zum Beispiel... (beliebig fortzusetzen).
Das Christentum nimmt den Menschen, wie er ist, und macht ihn zu dem, was er sein soll.
(Adolph Kolping, Patron des XX. Weltjugendtags 2005)

Bernd
Beiträge: 96
Registriert: Dienstag 13. Januar 2004, 12:01

Beitrag von Bernd »

Der Mensch neigt dazu, das, was in seinem Kopf ist, für die Wahrheit zu halten, und wenn er absolut nichts denkt, sogar für die absolute Wahrheit.

Manfred Rommel

Benutzeravatar
Mariamante
Beiträge: 834
Registriert: Dienstag 20. April 2004, 00:04
Wohnort: Wien

Jesus = Weg,Wahrheit, Leben

Beitrag von Mariamante »

Wenn Jesus sagt: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben", dann ist die Wahrheit die wir suchen nicht nur eine Lehre- sondern Gott selbst.

Jesus treu zu sein, Zeugnis für IHN abzugeben auch wenn Spott, Hohn und Häme von Menschen kommen, die Christus ablehnen - ist m.E. ein Weg, der göttlichen Wahrheit näher zu kommen.

Gewiß ist auch die Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit im Leben - in Gedanken, Worten und Werken wichtig. In einer Gesellschaft wo die Lüge fast zum Alltag gehört (siehe Werbemethoden) und die Umwertung aller Werte vollzogen wird (das Böse, Unsittliche wird z.B. als gut oder "natürlich" hingestellt) ist es sehr hilfreich um den Heiligen Geist zu beten und zu flehen, damit er uns die Kraft der Unterscheidung schenkt, und wir nicht in ein Lügengespinst hinein geraten.

Wenn Jesus den Satan den Vater der Lüge nennt, dann ist es umso wichtiger innig mit Jesus verbunden zu sein, der Weg, Wahrheit und Leben ist.
Gelobt sei Jesus Christus

Marlene
Beiträge: 661
Registriert: Donnerstag 4. Dezember 2003, 15:03

Beitrag von Marlene »

Liebe Biggi,

am Anfang habe ich mich auf diese Gespräche eingelassen, argumentiert, nachgedacht, gestritten ... heute vermeide ich Streitgespräche dieser Art, wenn es irgend geht. Aber ich versuche, die Inhalte, die da an mich herangetragen werden, zu verstehen, darüber nachzudenken, nehme sie sozusagen als Herausforderung und Anfrage an meine eigene und (hoffentlich) lebendige Suche nach der „Wahrheit". Ich wickle sie ins Gebet mit ein, halte sie Gott hin, und wenn sie mich sehr beschäftigen, bringe ich es auch mal in einem Beichtgespräch zum Ausdruck.

Es gibt ja auch einen positiven Effekt: Ich vertiefe mich am intensivsten in die Bibel und den Katechismus, wenn mir einer seine gesammelten Wahrheiten um die Ohren haut - und gerade im Widerspruch, in der Aggression, die bei mir dann wach wird, lese ich die Texte viel wacher, intensiver und lerne sehr viel mehr daraus.

Ich denke, die absolute Wahrheit ist bei Gott und für uns wirklich nicht erkennbar (das von dir zitierte Paulus-Wort ist sozusagen der hermeneutische Schlüssel) - also bleibt uns nur eines: Wir müssen uns immer, so gut wir es können nach IHM ausstrecken, uns auf IHN hin ausrichten, auch immer wieder unsere für uns erkannten Wahrheiten auf IHN hin hinterfragen und IHN bitten, uns zum Hören zu befähigen.

LG
Marlene

max72
Beiträge: 1032
Registriert: Montag 10. November 2003, 16:42

Re: Bedeutung der Wahrheit

Beitrag von max72 »

Biggi hat geschrieben: Daher meine Frage: Wie geht ihr mit der Wahrheit um? Zum Beispiel dann, wenn die Sicht benebelt ist („Stückwerk ist unser Erkennen“), aber trotzdem entschieden werden muss, weil eben gelebt werden muss? Zum Beispiel dann, wenn die von euch erkannte Wahrheit mit dem, was andere für wahr halten, zusammenprallt? Zum Beispiel dann, wenn Menschen, die euch nahe stehen, in diesem achselzuckenden Alltags-Agnostizismus befangen sind und jede geistige Anstrengung im Ringen um die Wahrheit ablehnen? Zum Beispiel dann, wenn jemand euch seine Wahrheit (oder das, was er dafür hält) mit Macht um die Ohren schlägt, so dass euch Hören und Sehen vergeht? Zum Beispiel... (beliebig fortzusetzen).

Sehr gute Frage

Spontan faellt mir ein dass es da ein Buch mit dem Titel "ungewissheit und Wagnis" gibt. Wir erkennen nicht vollstaendig und muessen doch entscheiden. Und die Konsequenzen unserer Entscheidung tragen. Wunderte mich auch immer wieder.

Mir ist erst in den letzten Jahren bewusst geworden, wie wichtig Ratzingers Punkt ist, sich gegen Relativismus zu wehren und die Wahrheit zu suchen. In meinem Freundeskreis ist es solch eine Plage mit diesem Standardsatz "es gibt keine Wahrheit", oder "alles ist wahr". Wenn einer sagt, etwas sei wahr, dann ist er gleich fundamentalist. Da wird dann von Toleranz geredet, aber wenn man nicht dieses "tolerant-holistische" Weltbild teilt, dann ist man Fundamentalist. Zu sagen, es gaebe Wahrheit wird nicht toleriert.

Wie aber Wahrheit erkennen? Tja... Wenn ich sage "dieses ist wahr", dann kann ich nicht ganz ausschliessen, dass ich mich irre und ungerecht bin. Also doch irgendwie vorsichtig vorgehen? Weder dem anderen die Wahrheit um die Ohren hauen, noch "fluechten" und sagen "wir haben ja alle Recht".

Oder sokratisch, den Standpunkt des anderen erfragen und Widersprueche abfuehlen. Das geht gut bei denen die meinen, es gaebe keine Wahrheit. Dann frage ich "ist das denn auch wahr?". Wenn sie Toleranz fordern frage ich, warum sie meinen Standpunkt nicht tolertieren wollen. Da werden sie vermutlich meist sauer sein statt weiterzudiskutieren....

mAX

Biggi
Beiträge: 820
Registriert: Donnerstag 11. Dezember 2003, 16:46

Re: Bedeutung der Wahrheit

Beitrag von Biggi »

max72 hat geschrieben:
Wie aber Wahrheit erkennen? Tja... Wenn ich sage "dieses ist wahr", dann kann ich nicht ganz ausschliessen, dass ich mich irre und ungerecht bin.
Mir scheint, dass häufig die Begrenztheit unserer Wahrheitserkenntnis falsch gedeutet wird. Eine erkannte Wahrheit, kann zwar, wie Paulus sagt, "Stückwerk" sein, d.h. unvollständig, nur Teilaspekte erfassend, aber dennoch sicher sein. Allzu schnell wird aber aus der Tatsache, dass ich vieles nicht vollständig erkennen kann, geschlossen, es gebe keine sichere Wahrheitserkenntnis.
Das Christentum nimmt den Menschen, wie er ist, und macht ihn zu dem, was er sein soll.
(Adolph Kolping, Patron des XX. Weltjugendtags 2005)

max72
Beiträge: 1032
Registriert: Montag 10. November 2003, 16:42

Re: Bedeutung der Wahrheit

Beitrag von max72 »

Biggi hat geschrieben:
max72 hat geschrieben:
Wie aber Wahrheit erkennen? Tja... Wenn ich sage "dieses ist wahr", dann kann ich nicht ganz ausschliessen, dass ich mich irre und ungerecht bin.
Mir scheint, dass häufig die Begrenztheit unserer Wahrheitserkenntnis falsch gedeutet wird. Eine erkannte Wahrheit, kann zwar, wie Paulus sagt, "Stückwerk" sein, d.h. unvollständig, nur Teilaspekte erfassend, aber dennoch sicher sein. Allzu schnell wird aber aus der Tatsache, dass ich vieles nicht vollständig erkennen kann, geschlossen, es gebe keine sichere Wahrheitserkenntnis.
'

Oder schlimmer: Man schliesst es gibt keine Wahrheit, das sei alles kulturell abhaengig.

Ich habe kein Problem mich hinzustellen und zu sagen "die Erde ist rund". Das ist ganz eindeutig wahr.

Aber im Glauben gibt es Dinge, wo man vielleicht selbst etwas unsicher ist. Oder die wirklich in heutiger Zeit schwer zu sehen sind oder so unter Angriff sind, dass man selbst verunsichert wird. ZB bei Homosexualitaet muss ich sagen, dass ich ueber die Jahre mehr und mehr die katholische Position zu dem Thema Sexualitaet verstehe. Aber wenn ich das oeffentlich verteidigen muss werde ich doch unsicher und frage mich "stimmt das alles?"

Gerade ein Interviuew mit einer Familien im Irak, die Enthauptungen richtig findet. Die halten das fuer eine wahre Ueberzeugung. Wenn sich jemand so sehr taeuschen kann, kann ich mich nucht genauso sehr taeuschen?

Gruss

Max

Pina Colada
Beiträge: 136
Registriert: Donnerstag 14. Oktober 2004, 11:07

Re: Bedeutung der Wahrheit

Beitrag von Pina Colada »

Interessante Fragen, die du da aufwirfst.....
Biggi hat geschrieben:Daher meine Frage: Wie geht ihr mit der Wahrheit um? Zum Beispiel dann, wenn die Sicht benebelt ist („Stückwerk ist unser Erkennen“), aber trotzdem entschieden werden muss, weil eben gelebt werden muss?
Da bin ich dann recht froh, nicht allein auf diesem Planeten rumgeistern zu müssen! ;)
Es ist immer gut, Menschen zu haben, die man um Rat fragen kann....allerdings müssen diejenigen, die ich um Rat frage, viele Voraussetzungen erfüllen....um eine richtige Entscheidung zu beten, ist mit Sicherheit auch gut....
Oft merkt man erst dann, was die richtige Entscheidung ist, wenn man einfach weitergeht. Wenn man dann damit im Frieden ist, dann kann man das als Frucht des Geistes ansehen.
Und wenn man wirklich eine falsche Entscheidung getroffen hat (oder eine nicht so gute, manchmal gibt es mehr als nur falsch und richtig) und man hat sich wirklich darum bemüht sich richtig zu entscheiden: Was soll´s.
Gott kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben.
Ist bei mir also eine Mischung aus Verstand und Emotion.
Wobei ich mich in der Praxis noch nie gegen den Verstand entschieden (gehandelt schon, aber das war dann auch meist ein Griff ins....)habe, aber schon öfter gegen die Emotion. Ersteres würde ich auch für riskant halten.
Zum Beispiel dann, wenn die von euch erkannte Wahrheit mit dem, was andere für wahr halten, zusammenprallt?
Kommt ganz auf meine Stimmung an....manchmal diskutiere ich obwohl es nicht viel bringt. Im real life hab ich mich da besser unter Kontrolle als im Netz. Manchmal frag ich nach. Die richtige Frage zur richtigen Zeit kann viel in Gang setzen.
Zum Beispiel dann, wenn Menschen, die euch nahe stehen, in diesem achselzuckenden Alltags-Agnostizismus befangen sind und jede geistige Anstrengung im Ringen um die Wahrheit ablehnen?
Das ist die beste Variante, um meinen Blutdruck in akzeptable Höhen zu bringen. Solche Leute sollte ich mir regelmässig zum Frühstück einladen. ;)
Zum Beispiel dann, wenn jemand euch seine Wahrheit (oder das, was er dafür hält) mit Macht um die Ohren schlägt, so dass euch Hören und Sehen vergeht? Zum Beispiel... (beliebig fortzusetzen).
Gegenargumentieren bringt nix.
Zuhören ist manchmal eine Variante, und wenn der andere erschöpft innehält kann man ein oder zwei Sätze sagen. Mehr nicht, wenn´s mehr ist, denkt kein Mensch mehr drüber nach.....
Jedenfalls, wer es nötig hat, so ein Theater abzuziehen, der will in erster Linie nicht mich überzeugen, sondern sich selbst....


Ganz allgemein:

Gott hat jedem von uns die Freiheit gegeben, uns zu entscheiden. Richtig oder Falsch. In grossen, lebensentscheidenden Angelegenheiten, und in Kleinigkeiten.
Dann müssen wir diese Freiheit auch anderen lassen.....
Fällt mir aber sehr schwer......


meint
Pina Colada

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema