Wider die Harmoniesucht in der Kirche

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Erich
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Wider die Harmoniesucht in der Kirche

Beitrag von Erich »

Man muss den berühmt-berüchtigten Ex-"Benetton"-Fotografen Oliviero Toscani nicht zum Propheten zeitgenössischer Medienpraxis erklären, um aus dem Aufmerksamkeitsprinzip der von ihm bebilderten Werbekampagnen Entscheidendes zu lernen. Ölverschmierte Seevögel, erschossene Mafia-Opfer, blutdurchtränkte Soldatenhemden aus dem Kosovo-Krieg, siechende Aids-Kranke oder Neugeborene, noch an der Nabelschnur - was vordergründig als kühl kalkulierte Skandalwerbung von und für Benetton in Erscheinung tritt, lässt sich hintergründig-strategisch als Kommunikation verstehen, die "auch etwas anderes vermitteln kann als diese Schmierenkomödien vom Glück" (Toscani). Wo und wann ist im Zusammenhang mit Mode und Konsum lebhafter, kontroverser über Umweltschutz, Menschenrechte, Leben und Tod gestritten worden als in Auseinandersetzung mit diesen Bildern? Toscani hängt Werbeplakate als "moderne Ikonen" in Fußgängerzonen.

Und die Kirche? Warum wirken die von ihr approbierten (Sprach-) Bilder dagegen blass, nichts sagend, irrelevant? Der Kommunikationsstil der Kirche ist überaffirmativ und harmoniesüchtig. Ein cantus firmus, der sich angesichts von zweitausend Jahren Kirchengeschichte nur selten aus dem Rhythmus bringen lässt.
"Als Jesus und seine Agentur, ie Apostel' die größte Kommunikationskampagne aller Zeiten entwickelten, geschah das eben nicht mit einer respektvollen und Glück verheißenden Bilderwelt. Ganz im Gegenteil! In diesem Clip findet sich einfach alles wieder, was die Werbung verachtet: Ein nackter Mann, der an ein Kreuz genagelt ist, (...) Umarmung von Aussätzigen, überall Menschen im Elend, abstoßende Kranke, eine Geburt in einem Viehstall inmitten von Tierscheiße, Stunden beispielloser Qualen, Blut, das unter Hammerschlägen hervorspritzt, der Schmerz einer Mutter an der Seite ihres sterbenden Sohnes. (...) Die Jesus-Geschichte beschönigte weder die Leiden noch die Gewalt in der Welt. Sie machte keine Konzessionen an das Sicherheitsbedürfnis ihres Publikums. Sie lancierte die erste große organisierte Kampagne der Geschichte, und dabei wurde eben nicht auf sofortigen Gewinn abgezielt, und es wurden auch nicht die Qualitäten des Produktes direkt angepriesen: das Reich Gottes (...). Sie erzählt uns von der Erlösung und der ewigen Glückseligkeit und verheißt uns dies durch einen gekreuzigten Mann im blutigen Lendentuch, nicht durch Claudia Schiffer im Chanel-Höschen. Und diese Kampagne ist seit zwei Jahrtausenden Teil der kollektiven Vorstellungswelt."
(Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas. Mannheim 1996, S. 131f.)
Das Wort ward Fleisch, nicht Kerygma!

Biggi
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Registriert: Donnerstag 11. Dezember 2003, 16:46

Beitrag von Biggi »

Scheint kein einfaches Thema zu sein: 23 Klicks bis vorhin und keine Antwort... - Ich versuch mal was, allerdings noch sehr unfertig.

Der Thread passt ja gut in die aktuelle Diskussion um den "Skandal-Film" The Passion of Christ. Der rüttelt ja ziemlich brutal an der glattgebügelten Vorstellungswelt vom (Leben und) Sterben Jesu.

Dennoch: irgendwas sträubt sich in mir, aus den Thesen eines Oliviero Toscani abzuleiten, dass die (Sprach-)Bilder des Christentums erfolgreicher wären, wenn sie blutiger/brutaler/elender daherkämen. Das Streben nach Glück und Harmonie ist so ur-menschlich, dass ich ihm innerhalb und außerhalb des Christentums nichts Negatives anhängen mag.
Die entscheidende Frage ist allerdings, ob das Blutige/Brutale/Elende, das es in dieser unserer Welt nun mal als Folge der Sünde gibt, ausgeblendet oder realistisch wahrgenommen wird. Ich denke schon, dass wir alle - ich auf jeden Fall! - zu einer selektiven Wahrnehmung neigen, die sich nur ungern ver-stören lässt, aber ich sehe auch gerade innerhalb der Kirche viel Zuwendung zu sozialen Randgruppen, Bedürftigen in jeglicher Form etc. Dies ist für mich aber eben erst die Konsequenz eines christlichen Glaubens, der seinen Namen verdient. Die Motivation zu diesem Glauben entspringt m.E. aber eher aus dem Streben nach Glück, Sicherheit, Geborgenheit. Und dieses Streben ist gut und gottgewollt und "darf" auch in der christlichen Verkündigung "bedient" werden. Nur darf es halt nicht zu einem "Kuschelchristentum" führen (Hab ich nicht im Kreuzgang diesen Begriff schon mal gelesen? Liegt das Copyright dafür nicht sogar bei dir, Erich???), das die Augen vor der irdischen Realität verschließt.

So, mal schauen, ob jetzt jemand den Thread weiterstrickt... :/

LG
Biggi
Zuletzt geändert von Biggi am Sonntag 14. März 2004, 16:02, insgesamt 1-mal geändert.

Stefan

Beitrag von Stefan »

Ich frage nur mal nach der Alternative: Ist die Konsequenz Streitsucht in der Kirche? (Haben wir die etwa nicht?)

Edith
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Registriert: Sonntag 5. Oktober 2003, 20:38

Beitrag von Edith »

Stefan hat geschrieben:Ich frage nur mal nach der Alternative: Ist die Konsequenz Streitsucht in der Kirche? (Haben wir die etwa nicht?)
Harmoniesucht..... äh... wo jetzt? :kratz:


Ich würde nicht unbedingt sagen, daß wir eine Streitsucht haben... aber einen Haufen Individualisten, die natürlich alle Recht haben....
da gehts der Kirche nicht anders, als der Gesellschaft im Ganzen.
ich,ich,ich, meiner,mir,mich......

Jojo
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Beitrag von Jojo »

Der Anspruch dieser Webung, sich "hintergründig-strategisch als Kommunikation" zu verstehen, scheint mir allzu windig, wenig glaubhaft und geradezu albern.
Es ist eine Frage des Stils und des guten Geschmacks. Wenn der den Werbeleuten abhanden gekommen ist, ist das noch lange kein Grund, das nachzumachen.
Auch kann ich nicht nachvollziehen, dass der Kommunikationsstil der Kirche unbedingt "harmoniesüchtig" sein soll, jedenfalls ist mir bisher nicht aufgefallen, dass bei Themen wie z.B. Schwangerschaftsabbruch, Empfängnisverhütung, Homosexualität...die Latte ist endlos, irgendwem nach dem Maul geredet wird.

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Bei dem Artikel stimmt die ganze Gewichtung nicht. Es gibt nämlich noch eine andere Seite in Jesu Leben - die der Liebe, der Versöhnung, der Barmherzigkeit. Hätten die Apostel nur die eine Seite verkündet, wäre wohl nicht viel aus der Sache geworden. Gewalt, Schmutz und Niedertracht haut weder damals noch heute jemand wirklich vom Hocker.
Gekreuzigt wurden damals Tausende ....

Ich glaube eher, dass der Autor hier eine Rechtfertigung für sich selbst zusammenbraut, eine moralische Krücke für seine eigenen Ideen.

Mit Sicherheit hat die Kirche die Aufgabe, Harmonie herzustellen - über alle Streitereien hinweg sich selbst ständig zu versöhnen. Mag sein, dass das bei dem einen oder anderen Zeitgenossen verdächtig erscheint.

Geronimo

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Ermi
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Titel

Beitrag von Ermi »

Wo der Heilige Geist wirkt, da fliegen die Späne! :roll:
Gott ist mittendrin!

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Erich
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Beitrag von Erich »

Mit Sicherheit hat die Kirche die Aufgabe, Harmonie herzustellen - über alle Streitereien hinweg sich selbst ständig zu versöhnen. Mag sein, dass das bei dem einen oder anderen Zeitgenossen verdächtig erscheint.

Mt 10
34 Denkt nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter, die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Des Menschen Feinde werden seine Hausgenossen sein. *
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.
Das Wort ward Fleisch, nicht Kerygma!

Raphael

Beitrag von Raphael »

Ein Zitat von Johannes Dyba: "Wir kommen zusammen, um uns auseinanderzusetzen!"

Auseinandersetzung muß sein, um zu einer Auf-Klärung der fremden und der eigenen Standpunkte zu kommen. Maß und Mitte dieser Auseinandersetzung bleibt das Doppelgebot der Liebe!

GsJC
Raphael

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Erich hat geschrieben:Mit Sicherheit hat die Kirche die Aufgabe, Harmonie herzustellen - über alle Streitereien hinweg sich selbst ständig zu versöhnen. Mag sein, dass das bei dem einen oder anderen Zeitgenossen verdächtig erscheint.

Mt 10
34 Denkt nicht, ich sei gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter, die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Des Menschen Feinde werden seine Hausgenossen sein. *
37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert. Und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert.
Da gibts aber zu meinem Beitrag keinen Zusammenhang ....

Geronimo

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