Wider die Harmoniesucht in der Kirche
Verfasst: Donnerstag 4. März 2004, 09:51
Man muss den berühmt-berüchtigten Ex-"Benetton"-Fotografen Oliviero Toscani nicht zum Propheten zeitgenössischer Medienpraxis erklären, um aus dem Aufmerksamkeitsprinzip der von ihm bebilderten Werbekampagnen Entscheidendes zu lernen. Ölverschmierte Seevögel, erschossene Mafia-Opfer, blutdurchtränkte Soldatenhemden aus dem Kosovo-Krieg, siechende Aids-Kranke oder Neugeborene, noch an der Nabelschnur - was vordergründig als kühl kalkulierte Skandalwerbung von und für Benetton in Erscheinung tritt, lässt sich hintergründig-strategisch als Kommunikation verstehen, die "auch etwas anderes vermitteln kann als diese Schmierenkomödien vom Glück" (Toscani). Wo und wann ist im Zusammenhang mit Mode und Konsum lebhafter, kontroverser über Umweltschutz, Menschenrechte, Leben und Tod gestritten worden als in Auseinandersetzung mit diesen Bildern? Toscani hängt Werbeplakate als "moderne Ikonen" in Fußgängerzonen.
Und die Kirche? Warum wirken die von ihr approbierten (Sprach-) Bilder dagegen blass, nichts sagend, irrelevant? Der Kommunikationsstil der Kirche ist überaffirmativ und harmoniesüchtig. Ein cantus firmus, der sich angesichts von zweitausend Jahren Kirchengeschichte nur selten aus dem Rhythmus bringen lässt.
"Als Jesus und seine Agentur, ie Apostel' die größte Kommunikationskampagne aller Zeiten entwickelten, geschah das eben nicht mit einer respektvollen und Glück verheißenden Bilderwelt. Ganz im Gegenteil! In diesem Clip findet sich einfach alles wieder, was die Werbung verachtet: Ein nackter Mann, der an ein Kreuz genagelt ist, (...) Umarmung von Aussätzigen, überall Menschen im Elend, abstoßende Kranke, eine Geburt in einem Viehstall inmitten von Tierscheiße, Stunden beispielloser Qualen, Blut, das unter Hammerschlägen hervorspritzt, der Schmerz einer Mutter an der Seite ihres sterbenden Sohnes. (...) Die Jesus-Geschichte beschönigte weder die Leiden noch die Gewalt in der Welt. Sie machte keine Konzessionen an das Sicherheitsbedürfnis ihres Publikums. Sie lancierte die erste große organisierte Kampagne der Geschichte, und dabei wurde eben nicht auf sofortigen Gewinn abgezielt, und es wurden auch nicht die Qualitäten des Produktes direkt angepriesen: das Reich Gottes (...). Sie erzählt uns von der Erlösung und der ewigen Glückseligkeit und verheißt uns dies durch einen gekreuzigten Mann im blutigen Lendentuch, nicht durch Claudia Schiffer im Chanel-Höschen. Und diese Kampagne ist seit zwei Jahrtausenden Teil der kollektiven Vorstellungswelt."
(Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas. Mannheim 1996, S. 131f.)
Und die Kirche? Warum wirken die von ihr approbierten (Sprach-) Bilder dagegen blass, nichts sagend, irrelevant? Der Kommunikationsstil der Kirche ist überaffirmativ und harmoniesüchtig. Ein cantus firmus, der sich angesichts von zweitausend Jahren Kirchengeschichte nur selten aus dem Rhythmus bringen lässt.
"Als Jesus und seine Agentur, ie Apostel' die größte Kommunikationskampagne aller Zeiten entwickelten, geschah das eben nicht mit einer respektvollen und Glück verheißenden Bilderwelt. Ganz im Gegenteil! In diesem Clip findet sich einfach alles wieder, was die Werbung verachtet: Ein nackter Mann, der an ein Kreuz genagelt ist, (...) Umarmung von Aussätzigen, überall Menschen im Elend, abstoßende Kranke, eine Geburt in einem Viehstall inmitten von Tierscheiße, Stunden beispielloser Qualen, Blut, das unter Hammerschlägen hervorspritzt, der Schmerz einer Mutter an der Seite ihres sterbenden Sohnes. (...) Die Jesus-Geschichte beschönigte weder die Leiden noch die Gewalt in der Welt. Sie machte keine Konzessionen an das Sicherheitsbedürfnis ihres Publikums. Sie lancierte die erste große organisierte Kampagne der Geschichte, und dabei wurde eben nicht auf sofortigen Gewinn abgezielt, und es wurden auch nicht die Qualitäten des Produktes direkt angepriesen: das Reich Gottes (...). Sie erzählt uns von der Erlösung und der ewigen Glückseligkeit und verheißt uns dies durch einen gekreuzigten Mann im blutigen Lendentuch, nicht durch Claudia Schiffer im Chanel-Höschen. Und diese Kampagne ist seit zwei Jahrtausenden Teil der kollektiven Vorstellungswelt."
(Oliviero Toscani: Die Werbung ist ein lächelndes Aas. Mannheim 1996, S. 131f.)