Pelikan hat geschrieben:Und irgendwie deuten wird man Augustin müssen, denn eine abgeschlossene Erkenntnistheorie hat er wohl kaum vorgelegt.
Doch, lieber Pelikan, hat er schon. Nur findet man bei Augustinus solches nicht an einem Ort, sondern in verschiedenen Schriften verstreut. Er war eben kein systematischer Denker, was ihn mir sehr sympathisch macht. Als Einstieg dazu kann aber seine Schrift „Über den Lehrer“ dienen. Hier erklärt er entschieden, dass Wörter bzw. Sprache nichts lehren können, sondern Wörter lediglich Zeichen sind, die ans Ohr klingen, während das erkennende Subjekt in der Seele, das worauf dieses Zeichen hinweist aus eigenen Mitteln sich vor dem geistigen Auge erstehen lässt. Die Erkenntnis dieser inneren „Sachen“ erfolgt im Licht des inneren Lehrers, dem Wort Gottes, dem Licht, das in die Welt kam um jeden Menschen zu erleuchten. (Vgl. Über den Lehrer ,10,33 - 14,45)
Weiter finden sich in De Trinitate XI, 1,1 eine Untersuchung des sinnlichen Erkennens. Das Subjekt ist die auf die Sinne gerichtete Geist-Seele des Menschen, die er kurz gefasst entsprechend ihrer Erkenntnisrichtung bei der Sinneserkenntnis mit „exterior homo“ bezeichnet. Dieser bedient sich mit Hilfe seines „sensus interior“ der fünf Sinne. „Bei einem solchen Akt des Sehens unterscheidet er 1. den Gegenstand (res), den wir sehen, 2. die Schau (visio), die dabei zustande kommt und 3. das Hintrachten der Geist-Seele (intentio animi), das den Gesichtssinn während des Sehens auf dem Gegenstand festhält.“ (Ebd. XI, 2,2) Der Gegenstand ist objektiv gegeben, die Schau erfolgt durch den Sinneseindruck (visio corporalis), d.h. durch das Einprägen des Gegenstandes in den Sinn und das Hinschauen des Schauenden. Der Leibessinn berühren sich eine körperliche (äußere) und eine seelische (innere) Seite, wobei die körperliche Seite passiv beeindruckt wird, während auf der seelischen Seite die aktive Nachbildung des Sinneseindruckes als geistiges Bild entsteht, das aus dem Inneren der Seele stammt. „Das Abbild des sinnlich wahrgenommenen Gegenstandes entsteht nämlich in der Seele nicht durch eine Einwirkung des Körpers auf die Seele, sondern wird von dieser in sich selbst mit wunderbarer Schnelligkeit gebildet; und zwar so, dass im selben Zeitpunkt, da der Gegenstand z.B. von den Augen gesehen worden ist, auch das Abbild in der Seele des Sehenden hervorgebracht wird. (vgl. De Gen. XII, 16, 33)“ (Franz Körner: Deus in homine videt. Das Subjekt des menschlichen Erkennens nach der Lehre Augustins. Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1964, S. 173) Der zitierte Artikel dazu ist wirklich lesenswert und gibt gründliche Aufschlüsse über die augustinische Erkenntnislehre mit vielen Zitaten zum eigenen Weiterstudium. Schon diese wenige zeigt aber, für Augustinus gibt es keine Abstraktion.
Raphael hat geschrieben: Das endliche Sein und die schiere Existenz des ewigen Seins kann auch mit den Mitteln der natürlichen Vernunft sicher erkannt werden.
Das dies katholischer Auffassung zu entsprechen scheint – ich sage dies vorsichtig, weil ich mich da nicht auskenne -, darauf weist folgendes Zitat von Augustinus: „Um die Wahrheit zu finden, gehe nicht nach draußen, sondern kehre bei dir selbst ein. Die Wahrheit wohnt nämlich im inneren Menschen. Wenn du [während dieser Suche] entdeckst, von welch unbeständiger Beschaffenheit du bist, dann überschreite auch noch dich selbst. Aber bedenke, während du dich selbst überschreitest, dass du die vernunftbewegte Seele überschreitest. Dorthin also strebe, wo das Licht der Vernunft entzündet wird. Denn wohin gelangt jeder gute Wahrheitssucher, wenn nicht zur Wahrheit? Wenn auch die Wahrheit getreu ihrer eigenen Maxime nicht ausschließlich durch die wahrheitsgemäße Bewegung der Vernunft erreicht wird, so ist ihr Finden doch das, was die Wahrheitssucher erstreben.“ (Über die wahre Religion 39,72)
Als Garant für die Richtigkeit der inneren Erkenntnis ewigen Seins, nennt er das ewige Licht selbst: „Alles, was ich bis jetzt über dieses Licht des Geistes [die Wahrheit] gesagt, hat sich mir in eben diesem Licht deutlich zu erkennen gegeben. In diesem Licht nämlich kann ich einsehen, ob das, was gesagt wird, wahr ist und andererseits erkenne ich durch dieses, dass ich [soeben etwas als wahr] eingesehen habe. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder und setzt sich unendlich fort, sooft man einsieht, was man zu erkennen wünscht, einschließlich der Tatsache, dass man erkennt. Ich sehe auch nicht, dass ich mir Sinnesbilder hypostasiere oder mich in unbeständigen Phantasien ergehe. Ferner ist es mir nur möglich zu erkennen, was ich einsehe, weil ich lebe und ich erkenne, dass ich während ich etwas einsehe, vitaler werde. Und da ja die Vitalität des ewigen Lebens die am zeitlichen Leben gewonnene Vorstellung weit übersteigt, wüsste ich auch nicht, was Ewigkeit ist, wenn ich nicht - während ich ihrer inne werde - auf sie hinblicken könnte. Durch das Hinblicken des Geistes freilich unterscheide ich zwischen jedem Veränderlichen und der Ewigkeit. Denn ich erkenne in der Ewigkeit keine zeitlichen Abläufe, weil diese ja durch den Zusammenhang vergangener und zukünftiger Bewegungen der Dinge zustande kommen. Im Ewigen gibt es aber weder Vergangenes noch Zukünftiges, weil das, was vergangen ist, nicht mehr ist und das was zukünftig ist, noch nicht ist. Doch die Ewigkeit ist nur, weder war sie, so als sei sie jetzt nicht mehr, noch wird sie sein, so als sei sie bisher noch nicht gewesen. Nur aus diesem Grund kann sie uneingeschränkt zutreffend dem menschlichen Geist mitteilen: „Ich bin, der ich bin.“ Oder wie die Schrift über sie ebenso zutreffend sagt: „Der da ist, hat mich gesandt.“ (Ex. 3,14)“ (ebd. 49,97)
Die Schrift „Über die wahre Religion“ ist gut geeignet um die augustinische Ansicht über die Gotteserkenntnis mit Hilfe der Ratio (Ich verwende mit Bedacht das lateinische Wort, weil für Augustinus die Ratio noch mehr war, als für die heutige Vernunft.) einerseits und mit Hilfe des Glaubens andererseits kennen zu lernen.
rabler
Denn besser, mein Gott, ist ein einziger Tag in Deiner Nähe, als tausend elegische Verse.