Ich persönlich neige ja eher dazu, das Christentum als Philosophie zu betrachten (Ich weiß, dass nach der katholischen Lehre dies nicht der Hauptaspekt ist, jajaja....

).
Deshalb würde ich auch davon ausgehen, dass bestimmte Kulturen in ihrem historischen Entwicklungsprozess, diverse Stadien durchmachen und sich weiterentwickeln. Wenn wir also heute die Vergangenheit, oder sogar andere Kulturen, als "barbarisch" empfinden, liegt das in meinen Augen daran, dass sich die abendländische Kultur bisher am weitesten fortentwickelt hat, wobei dies NICHT NUR auf das Christentum zurückzuführen ist.
Vergleichen wir doch mal: Die abendländische Kultur begann mit den Griechen, ihrer Philosophie, ihrer Kunst und ihrem Rechtsempfinden. Dies verband sie mit den Römern, welche die strukturellen Voraussetzungen für eine gemeinsame europäische Entwicklung legten. Als Theodosius das Christentum zur Staatsreligion machte, konnte es sich daher schnell verbreiten.
Nach der Völkerwanderung bildeten sich germanische Reiche, technisches Know-How ging vielfach verloren, und musste wieder neu erlernt werden. Durch die christliche Religion und die Wiederentdeckung der antiken Autoren wurde von der Scholastik, über die Rennaissance und den Humanismus kontinuierlich ein geistig-philosophischer Diskurs gepflegt.
Nachdem im Dreißigjährigen Krieg und im Absolutismus die Religion als Machtinstrument missbraucht und der Klerus, wie schon vor der Reformation, kein leuchtendes Beispiel war, entwickelte sich die Aufklärung, die in der französischen Revolution gipfelte.
Nach den Schrecken der Jakobinerherrschaft, sah man, dass auch reine Vernunft schaden kann und besann sich auf andere Dinge (siehe Klassik, Empfindsamkeit und Romantik).
Nach Darwins Thesen, gewann die Naturwissenschaft die Oberhand. Der Missbrauch selbiger in Form der Rassenlehre und die Erfahrung zweier Weltkriege schuf ein neues geistiges Klima. Und nachdem auch der Fortschrittsglaube nach dem atomaren Wettrüsten einen Dämpfer erhielt, sind wir in der heutigen "Postmoderne" angekommen. (Ich entschuldige mich, wenn das gerade sehr plakativ und gerafft wirkt, es geht jedoch hier nicht anders.

)
Bei all diesen historischen Entwicklungen erkennt man folgendes Schema: Neue Idee --> Missbrauch/Ablehnung/Überalterung der Idee --> Neue Idee usw.
Seit dem klassischen Griechenland findet in Europa eine geistige Evolution statt.
Ideen, Ideologien und Religionen werden übernommen und wieder verworfen, doch dies geschieht immer reflektierend, d.h. die Menschen entwickeln sich dadurch weiter. Und auch wenn wir immer sagen "Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt.", so ist doch in Europa ein geistiges Klima vorherrschend, das all diese Prozesse zulässt.
Wenn man sich jetzt den Nahen Osten betrachtet, herrscht ein anderes Bild. Doch ich wage zu behaupten, dass die geistig-kulturelle Entwicklung dort ungefähr dem entspricht, das in Europa im Spätmittelalter herrschte.
Das soll nicht heißen, dass die Menschen dort dumm seien! Ich sehe den Grund für die Spannungen zwischen Westen und Islam jedoch darin, dass das Abendland geistesgeschichtlich 500 Jahre weiter ist. Zwar gibt es auch im Nahen Osten eine Menge liberaler und säkularer Strömungen, doch sind diese meist in Anlehnung an den Westen entstanden. Bis solche Ideen aus der islamisch-"orientalischen" Kultur selbst kommen, werden noch viele, viele Jahrzehnte vergehen.
Auch die "Heiden" verändern sich und entwickeln sich weiter, dafür brauchen sie jedoch kein Christentum oder eine "Teilhabe an der göttlichen Erkenntnis"!
