P. Engelbert Recktenwald FSSP hat geschrieben:Über Katholiken und Fundamentalisten
Die Glaubenskrise in der Kirche hat im Laufe der letzten Jahrzehnte solche Ausmaße angenommen, dass jene, die dem Glauben treu bleiben, nur noch einen Teil, wahrscheinlich nur eine Minderheit derer ausmachen, die offiziell als katholisch gelten. Wer vom Glauben abfällt, ob als dezidierter Häretiker, wie manche Theologieprofessoren, oder als Opfer des schleichenden Glaubensabfalls, wie viele Taufscheinkatholiken, gilt immer noch als Kirchenmitglied, solange er nicht formell seinen Austritt erklärt hat. Und plötzlich erscheinen jene, die den Glauben bewahrt haben, als eine besondere Gruppe in der Kirche, die dann irgendwo neben den anderen positioniert werden, z.B. am “rechten” oder “konservativen Rand”. Und dann heißt es, man müsse die Mitte suchen. Welche Mitte? Die zwischen Wahrheit und Irrtum, zwischen Glaube und Häresie?
Natürlich sind jene, die glaubenstreu bleiben, keine Heiligen. Untugenden gibt es überall, und das Spektrum guter und weniger guter Charaktereigenschaften ist heute unter den Glaubenstreuen genau so weit gestreut wie in jenen Zeiten, als die meisten Katholiken noch katholisch waren. Auch heute noch gibt es unter ihnen Fanatische und Tolerante, Gebildete und Ungebildete, Demütige und Stolze, Aktive und Kontemplative, Friedfertige und Streitsüchtige, Denkfreudige und Denkfaule, Fröhliche und Verbitterte, Selbstbewusste und Schüchterne. Das Perfide nun besteht darin, die negativen Charaktereigenschaften herauszupicken und sie mit der inhaltlichen Glaubensposition zu verknüpfen. Das ist die Strategie, die hinter dem Begriff “Fundamentalismus” steckt. Eine Flut antifundamentalistischer Machwerke überströmte in den 80er und 90er den Buchmarkt, die das psychologische Profil des typischen “Fundamentalisten” erstellten: Das ist jener Mensch, der aus einem pathologischen Sicherheitsbedürfnis heraus sich an Dogmen klammert, phärisäisch sich für was Besseres hält und nicht zur Toleranz gegenüber den Andersdenkenden in der Kirche bereit ist. Belegen lassen sich solche Urteile anhand von Einzelfällen immer. Dem Leser aber wird suggeriert, das sei “typisch”, und man braucht, wie es oft geschehen ist, nur noch allen glaubenstreuen Gruppen in der Kirche, vom Opus Dei bis zur Schönstattbewegung, das Etikett “fundamentalistisch” anzuheften, um die Glaubenstreue in der Kirche obsolet zu machen. Auf dieser negativen Folie erscheint dann der Glaubenszweifel als geradezu heilige Verpflichtung, um nicht als verknöchert zu erscheinen, die Leugnung der Lehren von “Dominus Iesus” als Ausdruck demütiger und menschenfreundlicher Gesinnung und die pflichtvergessene Duldung glaubenszerstörerischer Häresien als vornehme Toleranz.
Die Folge ist, dass katholische Normalität unmöglich geworden ist. Das, was normal sein sollte, ist es nicht mehr. Für jeden Katholiken sollte z.B. die Anerkennung des CIC und des KKK selbstverständlich sein. (...) Niemand braucht sich in der Kirche dafür zu entschuldigen, dass er noch katholisch ist. Für uns ist der Glaube selbstverständlich. Das bedeutet nicht, dass nicht auch die Bereitschaft vorhanden sein sollte, über den eigenen Glauben Rechenschaft zu geben und mit anderen in einen sachlichen Diskurs zu treten. Jene, die das können, sollen es tun. Die anderen aber sind deshalb, weil sie das nicht tun, nicht verpflichtet, ihren Glauben in Frage zu stellen. Und kein Katholik ist verpflichtet, sich für seine Glaubenstreue deshalb zu entschuldigen, weil es Glaubenstreue gibt, die Fehler machen. Es gibt den typischen Fundamentalisten nicht, sondern es gibt Fanatiker und Pharisäer, und die gibt es unter den Modernisten genau so wie unter den Katholiken. Die beste Widerlegung der antifundamentalistischen Unterstellungen ist der hl. Papst Pius X., der alle Schablonen sprengt. Er war einerseits die Milde und Menschenfreundlichkeit in Person, andererseits der konsequenteste und unbestechliche Bekämpfer des Modernismus. Diesen erkannte er als das “Sammelbecken aller Häresien”, und gerade weil er die Menschen liebte, bekämpfte er ihn, um das Recht der Gläubigen auf eine rechtgläubige Glaubensverkündigung zu sichern. Glaube und Liebe beißen einander nicht, sondern gehören zusammen.