ad_hoc hat geschrieben:Das kann ich nicht, und das will ich nicht. Weißt Du, was für ein gewaltiges Schriftenwerk dieser Luther bei seinem Versuch hinterlassen hat, sich sein stetes schlechtes Gewissen wegzuschreiben und trotzdem vor Gott bestehen zu wollen?
Ich fragte nicht nach Deiner Gesamtinterpretation der Werke Luthers, sondern danach, wie sich Deine Interpretation eines kurzen Zitats aus Melanchthons Confessio Augustana stützen lässt, aus diesem Zitat selbst oder einem anderen der (wenigen) bekenntnisrelevanten Texte. Dafür ist keien umfassende Werkkenntnis vonnöten.
ad_hoc hat geschrieben:Was er in seinen saugroben Bemerkungen in seinen Reden und Briefen verewigte, soll Deiner Auffassung zufolge nicht das sein, was er wirklich dachte, annahm und in den Bekenntnisschriften (dank der nachfolgenden Korrektoren in einer annehmbareren Sprache) ebenfalls verewigte? Ja, war Luther den schizophren? Hat er eine gespaltene Persönlichkeit besessen?
Also ein Widerspruch besteht da auf den ersten Blick durchaus>
ad_hoc hat geschrieben:
Luther schrieb an Melanchthon:
„Sei ein Sünder und sündige nur tapfer darauf los, aber glaube noch tapferer und freue dich in Christo, welcher der Sieger ist über Sünde, Tod und Welt. Man muss sündigen, so lange man lebt; es genügt aber, dass wir den Reichtum der Gnade und das Lamm erkennen (im Glauben), welches die Sünden der Welt trägt, von diesem kann man keine Seele trennen, wenn wir auch an einem Tage hunderttausend mal Unzucht treiben oder töten.“
(Luthers Briefe, De Wette, II, 37)
Confessio Augustana hat geschrieben:6. Auch wird gelehrt, daß solcher Glaube gute Früchte und gute Werke bringen soll, und daß man müsse gute Werke tun, alles, was Gott geboten hat, um Gottes willen, doch nicht auf solche Werke zu vertrauen, um dadurch Gnade vor Gott zu verdienen. [...]
20. Den Unseren wird mit Unwahrheit aufgelegt, daß sie gute Werke verbieten. Denn ihre Schriften über die Zehn Gebote und andere beweisen, daß sie von rechten christlichen Ständen und Werken einen guten nützlichen Bericht und Ermahnung hinterlassen haben,davon man vor dieser Zeit wenig gelehrt hat, [...] Ferner wird gelehrt, daß gute Werke geschehen sollen und müssen, aber nicht, daß man
darauf vertraue, durch sie Gnade zu verdienen, sondern um Gottes willen und zu Gottes Lob. [...] Deshalb ist diese Lehre vom Glauben nicht zu schelten, daß sie gute Werke verbiete, sondern vielmehr zu rühmen, daß sie lehre, gute Werke zu tun, und Hilfe anbiete, wie man zu guten Werken kommen möge. Denn außer dem Glauben und außerhalb von Christus sind menschliche Natur und Vermögen viel zu schwach,
gute Werke zu tun, Gott anzurufen, Geduld zu haben im Leiden, den Nächsten zu lieben, befohlene Ämter fleißig auszurichten, gehorsam zu sein, böse Lust zu meiden usw. Solche hohen und rechten Werke können nicht geschehen ohne die Hilfe Christi, wie er selbst sagt Joh 15: "Ohne mich könnt ihr nichts tun."
(Das zweite Zitat, nicht das erste, folgt dem CA-Text, den Du oben zitiert hast, und ist damit dessen authentische Interpretation, was die Konsequenz zu den Werken angeht.)
Die Differenz zwischen beiden Zitaten ist mehr als nur die einer "annehmbaren Sprache" (es wäre vielleicht auch ganz angemessen, die Bewertung eines Menschen und Theologen nicht an der Sprache festzumachen). Der zweite Text gebietet ganz offensichtlich nicht, "tapfer zu sündigen", sondern macht klar, dass gute Werke geschehen sollen. Die eine Deutungsmöglichkeit dieser Differenz besteht darin, dass Luther schizophren gewesen sei und dass der Luther, der die CA gebilligt und im Kleinen Katechismus selbst die Zehn Gebote ausgelegt hat, ein anderer gewesen sei als der, der da an Melanchthon geschrieben und Tischreden geführt hat; das scheinst Du selbst für absurd zu halten. Die andere Möglichkeit besteht darin, eines der beiden Zitate im Lichte des anderen auszulegen. Die wählst Du selbst. Liest man nun das zweite Zitat im Lichte des ersten, müsste man die Hälfte des Textes streichen und annehmen, dass die klaren Formulierungen zugunsten guter Werke alle nicht so ernst gemeint seien. Liest man das erste Zitat im Lichte des zweiten, so ist klar, dass Luther eigentlich - nämlich da, wo er oder seine Mitstreiter sich dogmatisch präzise ausdrücken - nicht der Meinung ist, dass man "tapfer sündigen" solle, im Gegenteil, dass aber das sittlich richtige Verhalten aufgrund der Gnadenlehre eine so untergeordnete Rolle spielt, dass es da, wo man sich nicht dogmatisch exakt ausdrückt, schon einmal zu übertriebenen und in dieser Schärfe schlicht falschen Äußerungen kommen kann. Präzise ausgedrückt, hätte Luther in dem Brief wohl schreiben müssen, Melanchthon solle in seinen (leider) unweigerlich eintretenden Sünden dennoch um Christi Willen tapfer und unverzagt sein. -- Diese zweite Deutung scheint doch eher plausibel und auch sachlich eher richtig. Man kann ja Kritik üben, aber mit einem Satz aus einem Brief gleich Dinge über die lutherische Gnadenlehre beweisen zu wollen, über die in der CA (also bekenntismäßig verbindlich) das glatte Gegenteil ausgesagt wird, das geht zu weit und ist undifferenziert, unredlich und bösartig. Und dass Ratzinger in seinem Vorwort zu dem Hacker-Buch (das mich vielleicht doch dazu bewegen könnte, mir das Buch anzusehen) sich in dieser Art geäußert haben soll, halte ich für unvorstellbar.