Lacrimosa hat geschrieben:
Ich versuche es noch einmal anders auszudrücken: Ausgangspunkt waren spirituell Suchende, die sich von der Kirche abgewandt haben und sich pseudoreligiös betätigen. Denn sowohl Zazen als auch Yoga sind keine Religionssysteme. Und auch wenn Zazen und Yoga inhaltlich und stilistisch von ihrer Herkunft geprägt sind, methodisch sind sie Meditationswerkzeuge und deswegen von dem Hintergrund einer Religion abziehbar (was inzwischen neurowissenschaftlich gestützt wird).
Yoga als Meditationswerkzeug zu betrachten ist eher eine moderne westliche Eigenart, ursprünglich handelt es sich um eine philosophische Lehre, die auf Erreichen von Erleuchtung abzielt - auf Vereinigung (Yoga) mit dem Göttlichen. Es gibt daher Menschen, die Religion als eine Form von Yoga betrachten. Jnanamarga / Jnanayoga kommt beispielsweise ohne jede körperliche Übung aus. Deshalb ist Yoga eng an den hinduistischen und buddhistischen Hintergrund gebunden: weil es auf das Erreichen eines so verstandenen Erleuchtungszustandes abzielt. In dem ist aber kein Platz für einen persönlichen Gott, der über der Zeit thront.
Entweder ist es Nirvana, die vermeintliche Erkenntnis, das nichts Ewiges existiere - auch die Annahme eines ewigen Gottes oder einer unsterblichen Seele reine Illusion sind, oder die Einheit mit dem Göttlichen, also die Annahme, dass wir keine individuelle Seele hätten, sondern ledliglich einen Teil der Urseele als subjektiv wahrnehmen. Dann gibt es noch eine weitere Schule (Samkhya), die davon ausgeht, dass es so viele einzigartige Seelen wie Menschen gibt und die Abgetrenntheit der eigenen Seele erkannt werden müsse.
Im Westen wird es als Bewegungs- oder Konzentrationskonzept verkauft, weil es sich somit besser ins Wellnesskonzept einfügt. Als religiöser Mensch widerstrebt es mir generell, Schulen oder Lehren in dieser Form zu verflachen oder sie ihre eigentlichen Bestimmung zu entfremden. Das ist dann so wie Wellness-Beten wegen dem guten Gefühl.
Menschen, die sich von diesem Wellness-Trend anziehen lassen und deshalb meditieren, machen das ja nicht, weil sie das spirituelle System das Yoga praktizieren wollen. Sie machen die Übungen, solange sie ihnen gut tun. Ohne dass bei den Menschen selbst innerlich etwas passiert, würden sie auch die Erschwernisse des Katholischen nicht auf sich nehmen. Zu glauben, man könne selbst Erkenntnis erlangen - was auch die Gnostiker dachten -, ist moderner als einzugestehen, dass man eben nichts wissen und nur Gott Alles weiß.
Deshalb ist mir auch unklar, wo Du den Ansatz siehst. Glaubst Du, dass Menschen sich für eine ernsthafte Religiösität begeistern lassen, die aus ihrer persönlichen Entscheidung heraus ernsthafte Religiösität ablehnen?
Glaubst Du, dass jemand, der heute Wellness-Yoga praktiziert, in der Kirche mehr als Wellness-Beten interessant findet?
Glaubst Du, dass jemand, der die eigene Eitelkeit lebt und glaubt, selbst Erkenntnis erlangen zu können, das aufgibt und sich einem Lehramt unterordnet?
Oder dass jemand, der buddhistische Praktiken wählt, weil sie einen Gott ablehnen, sich zum Knien vor Gott auf eine Kirchbank bewegen lässt?
Bitte versteh mich nicht falsch, ich nehme Dich ernst, was Du schreibst, ich glaube aber eben, dass der Sprung nicht so einfach ist und es hier um eine Mentalitätsfrage einerseits, um die freie Entscheidung andererseits geht. Vielleicht stellst Du es Dir auch nicht einfach vor, und es kommt bei mir nur fälschlicherweise so an.
Deswegen habe ich auch an keiner Stelle das Christentum in Frage gestellt. Aber Sehnsucht nach Sinn existiert bei diesen Menschen, die, bezogen auf die Religion, vielleicht gar nicht so festgelegt sind. Leider werden von ihnen Kirchen nicht mehr als Ort wahrgenommen, der kompetent wäre, diese „innerlichen“ Bedürfnisse nach Gottes- und Selbsterkenntnis zu befriedigen.
Sie suchen die Selbsterkenntnis durch sich selbst. Oft hängt damit eine Autoritätenproblematik zusammen. Hier sehe ich daher wirklich den Menschen selbst in der Pflicht, nicht so sehr die Kirchen. Kirchen sind als Angebot in den Stadtbildern vorhanden und damit für jeden offen (bei den verschlossenen stehen die Zeiten dran). Den Schritt in die Kirche muss der Mensch aber selbst tun.
Also ging es mir darum zu fragen, wie man den ehrwürdigen Katholizismus besser aufstellen könnte. Bloß weiß ich mittlerweile nicht mehr, wen ich damit mehr überfordere: mich oder den illustren Kreis hier im Scriptoriom ...
Das beste, was der Katholizismus tun kann, ist klare Kante zeigen, also vielleicht genau das Gegenteil, was viele von einer modernen Kirche erwarten. Ein klares Profil ermöglicht dem Menschen, sich zu Haltungen zu positionieren. Das war auch ein Punkt, der für mich subjektiv für die katholische Kirche und gegen die protestantische Glaubensgemeinschaft gesprochen hat. Eine Kirche, die sich mir in allem anpasst, wäre kaum besser als die yogaähnlichen Selbsterfahrungskurse, in denen ich meine Privaterkenntnisse zu objektiven Erkenntnissen über die Welt erkläre. Klares Profil ermöglicht es mir, Stellung zu beziehen, und es ermöglicht der Welt, kritisch zu streiten. Das gilt z.b. auch für die Moral.