Gott finden in allen Dingen

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

overkott hat geschrieben:Wie kommt es zum Beispiel, dass wir aus zwei Mal 2D-Bildern durch Fokusierung und Überlagerung ein räumliches Bild interpretieren? Warum klappt das auch, wenn die beiden 2D-Bilder identisch sind? Ich möchte die verschiedenen Möglichkeiten der 3D-Technik insbesondere mit bereits vorhandener Technik hier nicht weiter ausführen. Aber pauschal zu sagen: "Kant irrt." ist vielleicht doch zu persönlich und sollte punktuell sachlich differenziert werden.
Gutes Beispiel. Die Dreidimensionalität ist gemäß Kant eine willkürliche, nicht zwingende Interpretation der Sinneseindrücke.

Kant widerspricht sich selbst. Einerseits seien Kausalzusammenhänge eine Konstruktion unseres Oberstübchens, andererseits sei das Ding an sich Ursache der Sinneswahrnehmungen. Damit baut Kant seine Überlegungen wesentlich auf einen Widerspruch, auf Sand, und es ist sinnvoll, sie pauschal abzulehnen.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Thomas_de_Austria
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Ergänzungen zu Sempres:
Sempre hat geschrieben:Kant irrt
Ohne Zweifel und das ständig:

[quote="I Kant, "KrV", A 225"]
Das Postulat, die Wirklichkeit der Dinge zu erkennen, fordert Wahrnehmung, mithin Empfindung, deren man sich bewußt ist, zwar nicht eben unmittelbar, von dem Gegenstande selbst, dessen Dasein erkannt werden soll, aber doch Zusammenhang desselben mit irgend einer wirklichen Wahrnehmung, nach den Analogien der Erfahrung, welche alle reale Verknüpfung in einer Erfahrung überhaupt darlegen.
[/quote]

[quote="I. Kant, "KrV", B 273"][…] die Wahrnehmung aber, die den Stoff zum Begriff hergibt, ist der einzige Charakter der Wirklichkeit.[/quote]
Den Satz muss man sich wirklich einmal näher zu Gemüte führen: Damit man von der Wirklichkeit eines Dinges sprechen kann, erfordert das Wahrnehmung, also eine Empfindung, der man sich bewusst ist, allerdings ist sie keine vom betreffenden Gegenstand selbst, dessen Dasein eben erkannt werden soll, aber doch eine, im Zusammenhang mit einer "wirklichen Wahrnehmung" (was soll das in dem Zusammenhang noch bedeuten - wahrgenommene Wahrnehmung, oder was?), nach "der Analogie der Erfahrung".

Alles Wirkliche hat zwar einen notwendigen Bezug zur Wahrnehmung, nur was soll das noch für ein Bezug sein? Ein kausaler Bezug kann es bei Kant schlecht sein, wenn Kausalität (und Dependenz) eine der Kategorien, in der Klasse der Relationen (cf. KrV, B 106), ist, die ja sowieso nur Funktionen des reinen Verstandes sind. Hier fängt es - d. h. das Problem - ja schon einmal an, wenn man alles in den "Verstand" verlagert.

Wichtiger ist - und hier wird es bei Kant eben interessant -, ob dasjenige Wirkliche, das wir durch Wahrnehmung (wie auch immer das nach seiner Lehre auch funktionieren mag) erkannt haben, in seiner Wirklichkeit von der Wahrnehmung abhängig ist. Für gewöhnlich weiß jeder, der draußen einen Baum, hier einen Tisch oder PC oder sonst etwas erkennt, dass die Entität, die er wahrnimmt, auch unabhängig von Wahrnehmung oder möglicher Wahrnehmung wirklich ist. Wirklich oder real meint an und für sich, in der gewöhnlichen Sprache, unabhängig von Wahrnehmung oder möglicher Wahrnehmung wirklich/real zu sein. Leute wie Berkeley mussten der Sprache Gewalt antun, die Alltagssprache einer umfassenden Revision unterziehen, in zentralen Punkten, um ihr Programm durchzubringen.
Wenn wir die Wirklichkeit eines Baumes behaupten, dann auch die Wirklichkeit solcher Eigentümlichkeiten wie der Jahresringe und diverser anderer, aus der sic eine zeitliche Dauer ergibt, die man wissenschaftlich feststellen kann. Das gilt natürlich auch für solche Objekte wie der Erde oder der Sonne: Laut Wissenschaft gab es die Erde und die Sonne bereits zu einer Zeit, als diese beiden nicht Objekte einer Wahrnehmung oder möglichen Wahrnehmung sein konnten, sie also keinerlei Beziehung auf irgendeine Form von Wahrnehmung haben konnten. Die Wissenschaft hat das aus wahrgenommenen Befunden, von - auch im kantischen Sinne - wirklichen Dingen. Wenn alles einen notwendigen Bezug zur Wahrnehmung bedarf um wirklich zu sein, dann ergibt sich, dass es Sachverhalte gibt, die richtig und falsch sind: Die Erde war bereits wirklich, als sie noch keinerlei Bezug zu irgendeiner Wahrnehmung hatte, auch zu keiner möglichen Wahrnehmung (es gab ja in gewissen erdgeschichtlichen Zeitaltern, noch keinerlei Leben auf der Erde) ist richtig, da durch empirische Forschung gedeckt, nach dem obigen Lehrsatz aber auch falsch, hatte sie doch keinen Bezug zu irgendeiner Wahrnehmung. Es ist also kein Wunder, dass, wenn man diese Dinge vertreten möchte, man irgendwann einmal fast zwangsläufig zu Hegels Dialektik kommen muss …
Eigentlich müsste man in diesem Rahmen auch noch Kants Lehre vom Subjekt behandeln, da würde dann eine Reihe weiterer Ungereimtheiten offensichtlich, aber das lasse ich vorläufig einmal.

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overkott
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Wie kommt es zum Beispiel, dass wir aus zwei Mal 2D-Bildern durch Fokusierung und Überlagerung ein räumliches Bild interpretieren? Warum klappt das auch, wenn die beiden 2D-Bilder identisch sind? Ich möchte die verschiedenen Möglichkeiten der 3D-Technik insbesondere mit bereits vorhandener Technik hier nicht weiter ausführen. Aber pauschal zu sagen: "Kant irrt." ist vielleicht doch zu persönlich und sollte punktuell sachlich differenziert werden.
Gutes Beispiel. Die Dreidimensionalität ist gemäß Kant eine willkürliche, nicht zwingende Interpretation der Sinneseindrücke.

Kant widerspricht sich selbst. Einerseits seien Kausalzusammenhänge eine Konstruktion unseres Oberstübchens, andererseits sei das Ding an sich Ursache der Sinneswahrnehmungen. Damit baut Kant seine Überlegungen wesentlich auf einen Widerspruch, auf Sand, und es ist sinnvoll, sie pauschal abzulehnen.
Je länger man über etwas nachdenkt, desto einfacher kann man es formulieren:

Wahrnehmung ist Interpretation von Wirklichkeit.

Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.

Wahrnehmung beschreibt die Subjektseite. Wirklichkeit die Objektseite.

Wahrnehmung als Rationalisierung einer Empfindung ist eine Definition. Wirklichkeit ist die Objekteigenschaft.

Das Wort wahr kommt von sein. Wahr ist, was ist.

Das Wort wirklich kommt von wirken und ist ein Synonym für fähig oder auch mächtig.

Wirklichkeit ist das Potential eines Objekts.

Das Potential erkennen wir durch Äußerung. Wir beschreiben diese Äußerung sprachlich im Satz durch das Prädikat. Wir erkennen ein Objekt, indem es zum Subjekt wird, das sich durch das Prädikat äußert.

Beispiel: Der Spiegel (wahrgenommenes Subjekt) reflektiert (Wirklichkeit äußerndes Prädikat). Definition: Ein Spiegel ist ein reflektierender Gegenstand.
Zuletzt geändert von overkott am Donnerstag 15. September 2011, 08:02, insgesamt 1-mal geändert.

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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Alles Wirkliche hat [bei Kant] zwar einen notwendigen Bezug zur Wahrnehmung, nur was soll das noch für ein Bezug sein? Ein kausaler Bezug kann es bei Kant schlecht sein, wenn Kausalität (und Dependenz) eine der Kategorien, in der Klasse der Relationen (cf. KrV, B 106), ist, die ja sowieso nur Funktionen des reinen Verstandes sind. Hier fängt es - d. h. das Problem - ja schon einmal an, wenn man alles in den "Verstand" verlagert.
Kant besteht wie selbstverständlich darauf, dass das Ding an sich für unsere Sinneswahrnehmungen desselben Dings verantwortlich ist. Er bestreitet auch nicht, dass das Ding da sei, wenn niemand zuschaut. Es verursacht allerdings eben nur bloße Sinneswahrnehmung. Das mag man sich so vorstellen: Das Foto sei bloß eine Art Pixelbrei. Dass es die eigene Familie darstellt, die der Fotograph selbst abgelichtet hat, ist bloß Konstruktion des Oberstübchens. Natürlich denkt Kant nicht an solche naheliegenden Dinge, die die Absurdität gleich erahnen lassen.

Er denkt an Dinge wie Astronomie. Moises Maimonides hatte seinerzeit ausgerechnet, wieviele Kilometer der Herr durch die sieben Himmel zurücklegen musste um ganz nach oben aufzufahren und wie lange das dauern würde. Die moderne Astronomie hat ein ganz anderes Bild von demselben Himmel. Folglich provoziert dasselbe Ding an sich (der Himmel) weitreichend unterschiedliche Vorstellungen von dem Ding an sich. Die phantastischen Vorstellungen der Wissenschaft sind demnach Konstruktionen unseres Oberstübchens, gestern andere als heute. Demnach hätten etwa auch die Leute im vorderen Orient vor 2000 Jahren in einer ganz anderen Welt gelebt, als wir heute --- will meinen, sie hätten die Sinneseindrücke derselben Welt in ihrem Oberstübchen ganz anderes verarbeitet.

Befreit man sich nun von allen zeitlich, kulturell usf. bedingten Vorstellungen, dann ist man nach Hegel komplett frei. Frei von allem, d.h. von aller Wirklichkeit, die ja eine Einschränkung unserer geistigen Möglichkeiten darstellte, wenn sie existierte. Es bleiben allein die Sinneseindrücke (zu denen laut Hegel seltsamerweise der Schmerz gehört), die von einem grauen oder bunten Brei aus Dingen an sich um uns herum stammen. Um uns herum ist dabei schon zuviel gesagt. Denn das impliziert eine 3D-Vorstellung, die ja, wie overkott erwähnte, bereits bloß als Konstruktion unseres Oberstübchens zu klassifizieren wäre.

Nun vergisst Hegel, dass wir tatsächlich so frei sind, dass wir jeweils Herr unseres Oberstübchens sind, bzw. sein können, so wir wollen. Wir sind zwar gemäß dem Apostel Paulus im Fleisch verhaftet, das uns versklavt. Bei dieser Idee handelt es sich ja aber nur um eine Konstruktion des Oberstübchens des Apostels. Merkwürdigerweise plagen dennoch Schmerzen den Herrn Hegel. Das deutet darauf hin, dass seine Freiheit doch nicht umfassend und total ist. Jeder indische Nagelbrettsitzer könnte ihm da weiterhelfen. Ich aber verabschiede mich hier, da ja all dieser Irrsinn auf der kantischen Ignoranz seiner eigenen Voraussetzung beruht, dass ein wirklicher Kausalzusammenhang außerhalb unseres Oberstübchens zwischen dem Ding an sich und unseren Sinneswahrnehmungen besteht, der uns allerlei Erkenntnis über die tatsächliche Wirklichkeit da draußen erlaubt.
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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Wie kommt es zum Beispiel, dass wir aus zwei Mal 2D-Bildern durch Fokusierung und Überlagerung ein räumliches Bild interpretieren? Warum klappt das auch, wenn die beiden 2D-Bilder identisch sind? Ich möchte die verschiedenen Möglichkeiten der 3D-Technik insbesondere mit bereits vorhandener Technik hier nicht weiter ausführen. Aber pauschal zu sagen: "Kant irrt." ist vielleicht doch zu persönlich und sollte punktuell sachlich differenziert werden.
Gutes Beispiel. Die Dreidimensionalität ist gemäß Kant eine willkürliche, nicht zwingende Interpretation der Sinneseindrücke.

Kant widerspricht sich selbst. Einerseits seien Kausalzusammenhänge eine Konstruktion unseres Oberstübchens, andererseits sei das Ding an sich Ursache der Sinneswahrnehmungen. Damit baut Kant seine Überlegungen wesentlich auf einen Widerspruch, auf Sand, und es ist sinnvoll, sie pauschal abzulehnen.
Je länger man über etwas nachdenkt, desto einfacher kann man es formulieren:

Wahrnehmung ist Interpretation von Wirklichkeit.

Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Wenn man das Hirn einschaltet, dann ist die Wirklichkeit weitenteils erkennbar. Leider herrscht seit ein paar Jahrzehnten auch in der Kirche die Idee, alles sei interpretierbar, selbst Interpretationen erheischten ihrerseits Interpretation und auch das Lehramt sei nicht ausgenommen aus diesem Teufelskreis, aus diesem Wahn längst verurteilter Philosophien des Durcheinanderwürflers.
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Raphael

Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Raphael »

overkott hat geschrieben:Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Für Kant sind die Erkenntnisobjekte (das "Ding an sich") tote unbewegte Dinge, die quasi erst durch die subjektive Wahrnehmung "zum Leben" erweckt werden.
Damit paßt seine Erkenntnislehre in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild bis hin zu der Entdeckung des Umstandes, daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.

Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann.

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overkott
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Wie kommt es zum Beispiel, dass wir aus zwei Mal 2D-Bildern durch Fokusierung und Überlagerung ein räumliches Bild interpretieren? Warum klappt das auch, wenn die beiden 2D-Bilder identisch sind? Ich möchte die verschiedenen Möglichkeiten der 3D-Technik insbesondere mit bereits vorhandener Technik hier nicht weiter ausführen. Aber pauschal zu sagen: "Kant irrt." ist vielleicht doch zu persönlich und sollte punktuell sachlich differenziert werden.
Gutes Beispiel. Die Dreidimensionalität ist gemäß Kant eine willkürliche, nicht zwingende Interpretation der Sinneseindrücke.

Kant widerspricht sich selbst. Einerseits seien Kausalzusammenhänge eine Konstruktion unseres Oberstübchens, andererseits sei das Ding an sich Ursache der Sinneswahrnehmungen. Damit baut Kant seine Überlegungen wesentlich auf einen Widerspruch, auf Sand, und es ist sinnvoll, sie pauschal abzulehnen.
Je länger man über etwas nachdenkt, desto einfacher kann man es formulieren:

Wahrnehmung ist Interpretation von Wirklichkeit.

Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Wenn man das Hirn einschaltet, dann ist die Wirklichkeit weitenteils erkennbar.
Bravo, genau das ist gemeint. Hirn einschalten (subjektive, also aktive Wahrnehmung), Wirklichkeit (Potential des Objekts).

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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

overkott hat geschrieben:Bravo, genau das ist gemeint. Hirn einschalten (subjektive, also aktive Wahrnehmung), Wirklichkeit (Potential des Objekts).
Du verwechselst Erkenntnis mit wahlfreien Konstruktionen des Oberstübchens.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

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overkott
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Raphael hat geschrieben:Für Kant sind die Erkenntnisobjekte (das "Ding an sich") tote unbewegte Dinge, die quasi erst durch die subjektive Wahrnehmung "zum Leben" erweckt werden.
Damit paßt seine Erkenntnislehre in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild bis hin zu der Entdeckung des Umstandes, daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.

Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann.
Der Ausdruck "an sich" ist ein Synonym für "einzig" (hier ist noch ein Gleichklang vernehmbar), für "selbst". Beim Ding "an sich" geht es also um die Identität des Dings. Die Frage nach der Identität des Dings lautet: Was macht das Ding zum Ding? In welcher Fähigkeit (Kombination von Fähigkeiten) grenzt sich das Ding von anderen Dingen ab.

Der Ausdruck "tote unbewegte Dinge" ist ein Synonym für Objekte, passive Gegenstände.

Passive Gegenstände bergen eine Wirklichkeit, die durch das interpretierende Subjekt zum Leben erweckt werden.

Beispiel: Ein Auto ist ein Auto, auch wenn es nicht fährt, weil es eben fahren kann. Dieses Potential des Fahrenkönnens gehört zur Wirklichkeit des Autos.

Jetzt kommt die Gottesdefinition: Der allmächtige, allfähige, allwirkliche Gott ist die alles umgreifende Wirklichkeit. Gott ist in höchstem Maß real.

Raphael

Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Raphael »

overkott hat geschrieben:Jetzt kommt die Gottesdefinition: .........
Soso, Du möchtest also Gott definieren? :hmm:

Paß auf, daß Du Dich nicht überhebst und ER Dich definiert!

Pilgerer
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Pilgerer »

Raphael hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Für Kant sind die Erkenntnisobjekte (das "Ding an sich") tote unbewegte Dinge, die quasi erst durch die subjektive Wahrnehmung "zum Leben" erweckt werden.
Damit paßt seine Erkenntnislehre in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild bis hin zu der Entdeckung des Umstandes, daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.

Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann.
Die Methodik der Wissensgewinnung kann naturwissenschaftlich sein, sie kann aber auch philosophisch sein. Erstere basiert zum großen Teil auf Empirie und der Interpretation der so gewonnenen Daten. Eine wesentliche Neuerung der Naturwissenschaft ist, dem überlieferten Wissen, metaphysischen Eingebungen oder theoretischen Spekulationen über die Welt zu misstrauen. Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist. Falls es in der Welt eine metaphysische Dimension gibt, wie es in der Naturphilosophie in der Regel angenommen wurde, können die Naturwissenschaften mit ihren physischen Instrumenten diese nicht wahrnehmen/entdecken.
Ob es die metaphysische Dimension gibt, ist kann durch metaphysische Sinne des Menschen oder klassische Spekulation etc. untersucht werden, aber diese sind keine naturwissenschaftlichen Methoden. Die überzeugten Naturwissenschaftler würden hier sagen, dass es keine überzeugenden Methoden zur Untersuchung der metaphysischen (oder auch transzendenten) Wirklichkeit gibt. Falls es letztere Wirklichkeit jedoch gibt, können die naturwissenschaftlichen Methoden nur unvollständiges Wissen zutage fördern.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Thomas_de_Austria
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Sempre hat geschrieben:Kant besteht wie selbstverständlich darauf, dass das Ding an sich für unsere Sinneswahrnehmungen desselben Dings verantwortlich ist. Er bestreitet auch nicht, dass das Ding da sei, wenn niemand zuschaut. Es verursacht allerdings eben nur bloße Sinneswahrnehmung.
Das ist es ja: Er besteht darauf, dass ein angebliches Ding an sich für unsere Wahrnehmungen verantwortlich sein soll (damit will er sich vom Idealismus eines Berkeleys et al. distanzieren - recht bald nach den oben von mir zitierten Stellen, folgt Kants "Widerlegung des Idealism", die er übrigens aus mehreren Gründen nicht wirklich packt, u. a., weil sein eigenes System schlicht zu verschroben ist und in gewisser Weise auf den selben zweifelhaften Voraussetzungen beruht - und zum Schluss hat er sogar einen Zirkel drinnen). Die Frage ist, wie kommt er zu diesem Teil, diesem Ding an sich? Ein reiner, regulierender Begriff soll es nicht sein, sondern schon irgendwie an sich (also tatsächlich gegeben) und real, aber wie kommt man dazu, wenn alles einen notwendigen Bezug zur Wahrnehmung bedarf um als wirklich zu gelten? Und wie soll das Ding an sich etwas verursachen bzw. wie kann man dbzgl. noch sinnvoll davon sprechen, wenn Kausalität eine Kategorie des reinen Verstandes für das Wahrgenommene ist, die im Bereich des "An sich" nicht gilt? Konsequenterweise dürfte er eigentlich gar nicht sagen, dass es Dinge gibt, die nicht Gegenstand der Wahrnehmung bzw. möglicher Wahrnehmung sind/sein können.
Kants Theorie, will ja eine Theorie unserer Erkenntnis sein, nur weist sie in dieser Hinsicht schwere, bis schwerste Mängel auf.
Sempre hat geschrieben: Demnach hätten etwa auch die Leute im vorderen Orient vor 2000 Jahren in einer ganz anderen Welt gelebt, als wir heute […]
Irgendwie war es dieselbe, irgendwie auch nicht. Das ist der oben beschriebene Unsinn, Zeug, das sich selbst ad absurdum führt.
Sempre hat geschrieben: […] da ja all dieser Irrsinn auf der kantischen Ignoranz seiner eigenen Voraussetzung beruht, dass ein wirklicher Kausalzusammenhang außerhalb unseres Oberstübchens zwischen dem Ding an sich und unseren Sinneswahrnehmungen besteht, der uns allerlei Erkenntnis über die tatsächliche Wirklichkeit da draußen erlaubt.
So ist es, anders funktioniert es eben nicht. Nur passt ihm das nicht ins Konzept.
Raphael hat geschrieben: [...] daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.
Diese Sache wird allerdings auch nicht (mehr) in einem subjektivistischen resp. subjektividealistischen Sinne gedeutet.
Raphael hat geschrieben: Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann
Ein interessanter Hinweis, übrigens …
Pilgerer hat geschrieben: Falls es in der Welt eine metaphysische Dimension gibt […]
Der Radikalempirismus führt zu Hume’s Irrationalismus, der ihm ab einem gewissen Punkt selbst nicht mehr geheuer war. Selbst materialistische bzw. physikalistische Philosophen (die die Wissenschaftstheorien für die in gleicher Weise eingestellten Naturwissenschaftler bereitstellen), vertreten gegenwärtig ganz offen zumindest eine Art von Minimalmetaphysik bzw. sehen, dass sie nicht vollständig ohne diese auskommen.
Pilgerer hat geschrieben:Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist.
M. E. ist das keine Streitfrage mehr, die noch besonders behandelt wird. Einen radikalen Empirismus à la Hume, Berkeley & Co. vertritt praktisch niemand mehr - wieso wohl ...?

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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

@Thomas_de_Austria

Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. Er kann nur "Gott finden in allen Winkeln der unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten des Oberstübchens". Er findet Gott nicht mehr in der Schöpfung. Die Schöpfung gibt es nicht mehr, nicht mehr da draußen, nicht mehr an sich. Es gibt nur die Konstruktionen des Oberstübchens. Dort sucht und findet man nicht mehr, nein, man konstruiert dort, was einem in den Kram passt. Das aber kann nur derjenige, der Herr seines Oberstübchens ist. Die meisten Zeitgenossen sind vielmehr von den Gefühlen getrieben. Der Herr Hegel war nach Eigenauskunft vom Schmerz getrieben. Damit produzieren die Gefühle Gott hier oder dort oder auch überall oder auch nirgendwo. Die Gefühle sind Auslöser oder Quelle einer Gottes"erkenntnis", einer Erkenntnis eines Gottes, der an sich nicht ist. Wie trostlos.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Raphael

Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Raphael »

Nun, das "Gott finden in allen Dingen" läßt sich doch hervorragend mit der Ubiquitätslehre Luthers verbinden.
Dann kommt man auch schnell zu dem "kosmischen Christus" von TdC! :nuckel:

Raphael

Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Raphael »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben: Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann
Ein interessanter Hinweis, übrigens …
Drei Namen dazu:
1. Dietrich von Hildebrand
2. Edith Stein
3. last but not least Hedwig Conrad-Martius, eine Freundin von Edith Stein
Zuletzt geändert von Raphael am Freitag 16. September 2011, 09:53, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Für Kant sind die Erkenntnisobjekte (das "Ding an sich") tote unbewegte Dinge, die quasi erst durch die subjektive Wahrnehmung "zum Leben" erweckt werden.
Damit paßt seine Erkenntnislehre in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild bis hin zu der Entdeckung des Umstandes, daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.

Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann.
Die Methodik der Wissensgewinnung kann naturwissenschaftlich sein, sie kann aber auch philosophisch sein. Erstere basiert zum großen Teil auf Empirie und der Interpretation der so gewonnenen Daten. Eine wesentliche Neuerung der Naturwissenschaft ist, dem überlieferten Wissen, metaphysischen Eingebungen oder theoretischen Spekulationen über die Welt zu misstrauen. Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist. Falls es in der Welt eine metaphysische Dimension gibt, wie es in der Naturphilosophie in der Regel angenommen wurde, können die Naturwissenschaften mit ihren physischen Instrumenten diese nicht wahrnehmen/entdecken.
Ob es die metaphysische Dimension gibt, ist kann durch metaphysische Sinne des Menschen oder klassische Spekulation etc. untersucht werden, aber diese sind keine naturwissenschaftlichen Methoden. Die überzeugten Naturwissenschaftler würden hier sagen, dass es keine überzeugenden Methoden zur Untersuchung der metaphysischen (oder auch transzendenten) Wirklichkeit gibt. Falls es letztere Wirklichkeit jedoch gibt, können die naturwissenschaftlichen Methoden nur unvollständiges Wissen zutage fördern.
Der Geisteswissenschaftler fragt: Was ist der Mond?

Der Naturwissenschaftler sagt: Fahren wir hin.

Der Geisteswissenschaftler fragt: Wohin?

Prinzipiell können wir von der Einheit der Wissenschaft ausgehen. Diese differenziert sich zunächst in Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Wenn beide Bereiche sich aus den Augen verlieren, hören sie auf Wissenschaft zu sein, und fangen an, ideologisch zu werden.

Raphael

Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Raphael »

overkott hat geschrieben:Der Geisteswissenschaftler fragt: Was ist der Mond?

Der Naturwissenschaftler sagt: Fahren wir hin.

Der Geisteswissenschaftler fragt: Wohin?
Der Geisteswissenschaftler fragt aber auch: Was ist der Geist?

Und der Geisteswissenschaftler macht sich dann über die auftretenden Selbstbezüglichkeiten Gedanken, womöglich sogar in Kommunikation mit anderen Geisteswissenschaftlern. 8)

Demgegenüber wollen manche Naturwissenschaftler den Geist als unbeachtliches Epiphänomen zur Seite schieben. :daumen-runter:

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:@Thomas_de_Austria

Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. Er kann nur "Gott finden in allen Winkeln der unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten des Oberstübchens". Er findet Gott nicht mehr in der Schöpfung. Die Schöpfung gibt es nicht mehr, nicht mehr da draußen, nicht mehr an sich. Es gibt nur die Konstruktionen des Oberstübchens. Dort sucht und findet man nicht mehr, nein, man konstruiert dort, was einem in den Kram passt. Das aber kann nur derjenige, der Herr seines Oberstübchens ist. Die meisten Zeitgenossen sind vielmehr von den Gefühlen getrieben. Der Herr Hegel war nach Eigenauskunft vom Schmerz getrieben. Damit produzieren die Gefühle Gott hier oder dort oder auch überall oder auch nirgendwo. Die Gefühle sind Auslöser oder Quelle einer Gottes"erkenntnis", einer Erkenntnis eines Gottes, der an sich nicht ist. Wie trostlos.

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:@Thomas_de_Austria

Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. Er kann nur "Gott finden in allen Winkeln der unbegrenzt scheinenden Möglichkeiten des Oberstübchens". Er findet Gott nicht mehr in der Schöpfung. Die Schöpfung gibt es nicht mehr, nicht mehr da draußen, nicht mehr an sich. Es gibt nur die Konstruktionen des Oberstübchens. Dort sucht und findet man nicht mehr, nein, man konstruiert dort, was einem in den Kram passt. Das aber kann nur derjenige, der Herr seines Oberstübchens ist. Die meisten Zeitgenossen sind vielmehr von den Gefühlen getrieben. Der Herr Hegel war nach Eigenauskunft vom Schmerz getrieben. Damit produzieren die Gefühle Gott hier oder dort oder auch überall oder auch nirgendwo. Die Gefühle sind Auslöser oder Quelle einer Gottes"erkenntnis", einer Erkenntnis eines Gottes, der an sich nicht ist. Wie trostlos.
Das kann TdA wohl weniger beantworten als ein Modernist oder Neomodernist. Warum sollte diesen das Ding an sich fremd bleiben, wo sie das Ding an sich doch wahrnehmen, bezeichnen und sich damit zu eigen machen?

Was die Aneignung durch Bezeichnung betrifft, wirst du schon in den Schöpfungsgeschichten fündig. Aber auch in Jes 43,1 wird die Aneignung durch Bezeichnung deutlich.

Tatsächlich ist Wahrnehmung nicht nur (sola) eine Konstruktion des Gehirns, denn das wäre ja reine Theorie, sondern als Reflektion ein dialogisches Geschehen zwischen Subjekt und Objekt, dem Unterstellten und dem Gegenübergestellten. Nimmt man ein drittes Kriterium hinzu (etwa Licht) versteht man Wahrnehmung nicht nur als ein dialogisches, sondern als ein weiter zu differenzierendes Geschehen.

Wer Gott gemäß der Bibel verstehen möchte, muss zur Kenntnis nehmen, dass Gott der Ausdruck für den Ersten, den Höchsten, den Allmächtigen und den Allgegenwärtigen ist. Gott ist als Wort des Anfangs und der Ewigkeit gleichzeitig ein Gesamtbegriff.

Wer das nicht versteht, sondern ihn für ein geschaffenes Einzelding hält, sucht ihn vergeblich, weil er von einer anderen Definition ausgeht.

Hegel zum Beispiel litt an der Vernichtung, am Nichts. Das ist verständlich. Weniger verständlich ist, dass er die Freiheit nicht mit der Fülle (der Möglichkeiten), sondern mit dem Nichts identifizierte. Hegels Freiheitsbegriff war im genannten Zitat negativ.

Demgegenüber ist Gott verbunden mit einem positiven Freiheitsbegriff. Seine absolute Freiheit steht für die Fülle der Möglichkeiten in Ewigkeit. Sterben ist für den auf Gott Vertrauenden ein Weitergehen in die Fülle Gottes, eine Entgrenzung, eine Erlösung.

Die Welt in plus und minus zu betrachten, bedeutet, sie zu differenzieren und zu bewerten. Gottgläubige bewerten sie prinzipiell gut, Pessimisten eher schlecht.

Thomas_de_Austria
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Raphael hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben: Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann
Ein interessanter Hinweis, übrigens …
Drei Namen dazu:
1. Dietrich von Hildebrand
2. Edith Stein
3. last but not least Hedwig Conrad-Martius, eine Freundin von Edith Stein
Ja, die ersten zwei sind natürlich ganz große Namen, aber auch die Dritte ist von hochgradigem Interesse. Es gibt ja auch gegenwärtig noch so einige Philosophen, die - zwar vergleichsweise verborgen - ein solches Programm fahren.

Univ.-Prof. DDr. Josef Seifert, ein aus Salzburg stammender, kath. Philosoph (u. a. Gründungsrektor des IAP in Liechtenstein und, was ich weiß, auch Dozent an der Pontificia Universidad Católica de Chile), gehört auch dazu. Für das Thema hier scheint er besonders relevant, da er u. a. Folgendes verfasste: "Überwindung des Skandals der reinen Vernunft. Die Widerspruchsfreiheit der Wirklichkeit - trotz Kant", darin setzt er sich mit den kantischen Antinomien auseinander. Ansonsten hat er eine recht ähnliche Zielsetzung, wie sie auch Frau Conrad-Martius hatte
.
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Thomas_de_Austria
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Thomas_de_Austria »

overkott hat geschrieben:Das kann TdA wohl weniger beantworten als ein Modernist oder Neomodernist.


Deswegen antwortest Du ...?
:detektiv:

Nur ein Scherzchen, nix für ungut.

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Sempre
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. [...]
Das kann TdA wohl weniger beantworten als ein Modernist oder Neomodernist. Warum sollte diesen das Ding an sich fremd bleiben, wo sie das Ding an sich doch wahrnehmen, bezeichnen und sich damit zu eigen machen?
Warum das angeblich so sei, hat Kant dargelegt. Dass er irrt, hatte ich angemerkt.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Pilgerer
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Pilgerer »

Raphael hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist.
M. E. ist das keine Streitfrage mehr, die noch besonders behandelt wird. Einen radikalen Empirismus à la Hume, Berkeley & Co. vertritt praktisch niemand mehr - wieso wohl ...?
Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Kant besteht wie selbstverständlich darauf, dass das Ding an sich für unsere Sinneswahrnehmungen desselben Dings verantwortlich ist. Er bestreitet auch nicht, dass das Ding da sei, wenn niemand zuschaut. Es verursacht allerdings eben nur bloße Sinneswahrnehmung.
Worin besteht diese Einschränkung des radikalen Empirismus?
Die Wissenschaft kann grundsätzlich sowohl empirisch als auch deduktiv (von der Theorie eine Erklärung der Welt ableiten) arbeiten. Deduktiv ist zum Beispiel das Modell des "Homo oecumenicus", das in der Volkswirtschaftslehre ein bestimmtes Verhalten der Menschen in der Wirtschaft annimmt. Auf eine ähnliche Arbeitsweise ist auch die moderne Physik angewiesen, die nicht mehr alles beobachten kann, worüber sie nachdenkt.
overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Kant formuliert noch etwas komplizierter, denkt aber den Zusammenhang der Subjekt-Objekt-Relation richtig.
Für Kant sind die Erkenntnisobjekte (das "Ding an sich") tote unbewegte Dinge, die quasi erst durch die subjektive Wahrnehmung "zum Leben" erweckt werden.
Damit paßt seine Erkenntnislehre in das moderne naturwissenschaftliche Weltbild bis hin zu der Entdeckung des Umstandes, daß der Beobachter das beobachtete Objekt durch die Art seiner Beobachtung "beeinflußt"; bspw. im Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik.

Richtig wird seine Erkenntnislehre dadurch nicht, wie man beim Studium der husserl'schen Phänomenologie lernen kann.
Die Methodik der Wissensgewinnung kann naturwissenschaftlich sein, sie kann aber auch philosophisch sein. Erstere basiert zum großen Teil auf Empirie und der Interpretation der so gewonnenen Daten. Eine wesentliche Neuerung der Naturwissenschaft ist, dem überlieferten Wissen, metaphysischen Eingebungen oder theoretischen Spekulationen über die Welt zu misstrauen. Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist. Falls es in der Welt eine metaphysische Dimension gibt, wie es in der Naturphilosophie in der Regel angenommen wurde, können die Naturwissenschaften mit ihren physischen Instrumenten diese nicht wahrnehmen/entdecken.
Ob es die metaphysische Dimension gibt, ist kann durch metaphysische Sinne des Menschen oder klassische Spekulation etc. untersucht werden, aber diese sind keine naturwissenschaftlichen Methoden. Die überzeugten Naturwissenschaftler würden hier sagen, dass es keine überzeugenden Methoden zur Untersuchung der metaphysischen (oder auch transzendenten) Wirklichkeit gibt. Falls es letztere Wirklichkeit jedoch gibt, können die naturwissenschaftlichen Methoden nur unvollständiges Wissen zutage fördern.
Der Geisteswissenschaftler fragt: Was ist der Mond?

Der Naturwissenschaftler sagt: Fahren wir hin.

Der Geisteswissenschaftler fragt: Wohin?

Prinzipiell können wir von der Einheit der Wissenschaft ausgehen. Diese differenziert sich zunächst in Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften. Wenn beide Bereiche sich aus den Augen verlieren, hören sie auf Wissenschaft zu sein, und fangen an, ideologisch zu werden.
[/quote]

Die Geisteswissenschaften befassen sich im weiteren Sinn mit dem Menschen und seiner Kultur. Dazu kann zum Beispiel die Religionswissenschaft gezählt werden, die z.B. vergleichen kann, wie die Religionen die Natur deuten und wie sich dies historisch entwickelt hat. Philosophie und Naturphilosophie sind meiner Ansicht nach nicht Teil der Geisteswissenschaften, sondern sind die "Väter" von allen Wissenschaften. Die Wissenschaften sind ein Teil der Philosophie, die selbst auch für andere Methoden als den wissenschaftlichen offen ist.
Theologie, die den Glauben katechetisch lehrt, ist grundsätzlich philosophischer Art. Wenn sie sich jedoch "wissenschaftlicher Methodik" bedient, wird sie leicht zur Religionswissenschaft. Es ist aber durchaus möglich, Wissenschaft christlich zu betreiben, wenn ausgehend von christlichen Standpunkten die Welt erklärt wird. Ein Beispiel dafür wäre eine christliche kulturwissenschaftliche Analyse der vergangenen Jahrhunderte. Eine Theorie über die Folgen der Entchristianisierung von Gesellschaften ließe sich wissenschaftlich auf den Fall Europa anwenden. Das wird heute nicht praktiziert, weil es vermutlich zu viel Anstoß erregen würde. Im Umfeld des christlichen Widerstandes gab es in den 40er Jahren aber durchaus derartige Ansätze.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. [...]
Das kann TdA wohl weniger beantworten als ein Modernist oder Neomodernist. Warum sollte diesen das Ding an sich fremd bleiben, wo sie das Ding an sich doch wahrnehmen, bezeichnen und sich damit zu eigen machen?
Warum das angeblich so sei, hat Kant dargelegt. Dass er irrt, hatte ich angemerkt.
Wenn ihm das Wesen einer Sache nicht bekannt ist, bleibt sie ihm fremd. Denn wenn er das Wesentliche nicht erkannt hat, hat er auch die Sache an sich nicht erkannt. Das Wesentliche wird nämlich ausgedrückt durch die Formulierung "an sich". Sollte Kant das tatsächlich gesagt haben, lag er in diesem Punkt falsch.

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:Die Geisteswissenschaften befassen sich im weiteren Sinn mit dem Menschen und seiner Kultur. Dazu kann zum Beispiel die Religionswissenschaft gezählt werden, die z.B. vergleichen kann, wie die Religionen die Natur deuten und wie sich dies historisch entwickelt hat. Philosophie und Naturphilosophie sind meiner Ansicht nach nicht Teil der Geisteswissenschaften, sondern sind die "Väter" von allen Wissenschaften. Die Wissenschaften sind ein Teil der Philosophie, die selbst auch für andere Methoden als den wissenschaftlichen offen ist.
Theologie, die den Glauben katechetisch lehrt, ist grundsätzlich philosophischer Art.
Theologie ist Ausgangspunkt aller Theorie. Sie ist Naturphilosophie und Philosophie. Sie wird durch Philosophie als Grundlage aller Geisteswissenschaft erweitert. Sie wird durch empirische Naturwissenschaft gestützt oder falsifiziert.

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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Bleibt nun die Frage: Was meint ein Modernist oder Neomodernist, der Kant, Hegel oder anderen solchen folgt, eigentlich zum Thema "Gott finden in allen Dingen"? Das Ding an sich bleibt ihm ja fremd. [...]
Das kann TdA wohl weniger beantworten als ein Modernist oder Neomodernist. Warum sollte diesen das Ding an sich fremd bleiben, wo sie das Ding an sich doch wahrnehmen, bezeichnen und sich damit zu eigen machen?
Warum das angeblich so sei, hat Kant dargelegt. Dass er irrt, hatte ich angemerkt.
Wenn ihm das Wesen einer Sache nicht bekannt ist, bleibt sie ihm fremd. Denn wenn er das Wesentliche nicht erkannt hat, hat er auch die Sache an sich nicht erkannt. Das Wesentliche wird nämlich ausgedrückt durch die Formulierung "an sich". Sollte Kant das tatsächlich gesagt haben, lag er in diesem Punkt falsch.
Es handelt sich um eine Kernaussage der Philosophie Kants. Auch alles, was darauf aufbaut, ist falsch. Seine Kritik der reinen Vernunft landete mit Dekret vom 11. Juni 1827 auf dem Index librorum prohibitorum.
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Sempre »

Pilgerer hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Es ist hier eine Streitfrage, ob nur durch Erfahrung die wahre Erkenntnis zu einem Objekt möglich ist, oder ob die menschliche Erfahrung (inkl. Hilfsmittel) fehlerhaft ist.
M. E. ist das keine Streitfrage mehr, die noch besonders behandelt wird. Einen radikalen Empirismus à la Hume, Berkeley & Co. vertritt praktisch niemand mehr - wieso wohl ...?
Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Sempre hat geschrieben:Kant besteht wie selbstverständlich darauf, dass das Ding an sich für unsere Sinneswahrnehmungen desselben Dings verantwortlich ist. Er bestreitet auch nicht, dass das Ding da sei, wenn niemand zuschaut. Es verursacht allerdings eben nur bloße Sinneswahrnehmung.
Worin besteht diese Einschränkung des radikalen Empirismus?
Die Wissenschaft kann grundsätzlich sowohl empirisch als auch deduktiv (von der Theorie eine Erklärung der Welt ableiten) arbeiten. Deduktiv ist zum Beispiel das Modell des "Homo oecumenicus", das in der Volkswirtschaftslehre ein bestimmtes Verhalten der Menschen in der Wirtschaft annimmt. Auf eine ähnliche Arbeitsweise ist auch die moderne Physik angewiesen, die nicht mehr alles beobachten kann, worüber sie nachdenkt.
Hier ein Bild zu Kants Philosophie aus Wikipedia:


Bild

Die Dinge an sich bleiben wolkig. Sie affizieren die Sinne (regen die Sinne an) und produzieren Empfindungen, Vorstellungen. Raum und Zeit sind dabei a priori gegebene, reine Anschauungen und nicht etwa Resultat einer Erfahrung oder Erkenntnis. Sie sind Formen der sinnlichen Vorstellungen. Sinneswahrnehmungen in Raum und Zeit angeordnet ergeben die Phänomene, die Erscheinungen.

Gegenstand der Erfahrung, der Erkenntnis der Welt, der Wissenschaften sind nun bloß die bereits subjektiven Erscheinungen, die Phänomene, und nicht die Dinge an sich. Die Erkenntnis ist Produkt zweier Variablen, der Dinge an sich und des Verstandes, der Vernunft.

Kausalität ist nicht Gegenstand der Sinneswahrnehmung. Sie besteht nicht zwischen den Dingen an sich sondern ist erst in den Erscheinungen anwesend. (Immer noch Kant folgend.) Kausalität ist eine Kategorie. Wie auch Raum und Zeit nicht durch die Sinne vermittelt werden, wird auch Kausalität nicht durch die Sinne vermittelt. Die Anordnung der Sinneseindrücke, die von den Dingen angeregt werden, in Raum und Zeit sowie auch die Kausalzusammenhänge dazwischen entstehen erst im Subjekt.

Zu Deiner Frage also ganz schlicht: Die Wissenschaft beschäftigt sich nicht mit den Dingen an sich, sondern nur mit den Erscheinungen, den Phänomenen.


Ein zentraler Fehler, den Kant begeht: Wenn er sagt, dass die Dinge an sich die Sinne affizieren, dann verschleiert er mit dieser Vokabel die unumgängliche Konsequenz, dass die Dinge an sich die Sinneswahrnehmungen verursachen. Kausalität ist daher bereits im ersten Schritt vor den Sinnen gegeben und tritt nicht erst bei der Deutung der Phänomene auf.

Auch kann nicht nur ein Experimentalphysiker oder Ingenieur ausprobieren, dass das Subjekt seinerseits die Dinge an sich mindestens affizieren kann, und nicht bloß die Phänomene. Jedermann verwendet alltäglich allerlei Dinge an sich, um die eigenen Sinne zu affizieren.

Kant, einer der Väter der modernen Philosophie, ist ganz wesentlich, was die Entwicklung des Protestantismus sowie den Modernismus angeht, der heute weite Teile der Kirche durchseucht. Ein paar zusammenfassende Anmerkungen zur zugehörigen Geschichte von Dom Tomás de Aquino OSB hatte ich hier übersetzt. Ohne erkennbares Ding an sich wird auch jede Rede vom Gott an sich sinnlos. Da Gott an sich aber nützlich wäre, tue man gut daran so zu tun als ob es ihn dennoch gebe.
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overkott
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Sempre hat geschrieben:Ein zentraler Fehler, den Kant begeht: Wenn er sagt, dass die Dinge an sich die Sinne affizieren, dann verschleiert er mit dieser Vokabel die unumgängliche Konsequenz, dass die Dinge an sich die Sinneswahrnehmungen verursachen. Kausalität ist daher bereits im ersten Schritt vor den Sinnen gegeben und tritt nicht erst bei der Deutung der Phänomene auf.

Auch kann nicht nur ein Experimentalphysiker oder Ingenieur ausprobieren, dass das Subjekt seinerseits die Dinge an sich mindestens affizieren kann, und nicht bloß die Phänomene. Jedermann verwendet alltäglich allerlei Dinge an sich, um die eigenen Sinne zu affizieren.

Kant, einer der Väter der modernen Philosophie, ist ganz wesentlich, was die Entwicklung des Protestantismus sowie den Modernismus angeht, der heute weite Teile der Kirche durchseucht. Ein paar zusammenfassende Anmerkungen zur zugehörigen Geschichte von Dom Tomás de Aquino OSB hatte ich hier übersetzt. Ohne erkennbares Ding an sich wird auch jede Rede vom Gott an sich sinnlos. Da Gott an sich aber nützlich wäre, tue man gut daran so zu tun als ob es ihn dennoch gebe.
Immer wieder taucht hier der Ausdruck "an sich" (lat. "in se") auf. Was bedeutet an "an sich"? "an sich" bedeutet das Gleiche wie "für sich" (lat. "per se") und meint "einzig", "allein", "nur", "rein", "bloß", "nackt", "losgelöst (aus dem Kontext)", "absolut", "abstrakt".

Die Abstraktion erfolgt theoretisch durch Abgrenzung, Definition. Ein Ding "an sich" wird durch seine Grenze markiert. Wer nicht definieren kann, erkennt auch die Sache nicht. Er kann nicht unterscheiden und daher auch nicht urteilen.

Wodurch grenzt sich Gott von allen anderen Sachen ab? Durch seine Vorrangigkeit, seine Höhe, seine Größe, seine Allgegenwart. Gott hält alles zusammen. Gott und die Dinge "an sich" verhalten sich zueinander wie das Ganze zu seinen Teilen. Gott ist kein Teil der Schöpfung, sondern als Schöpfer ihr Urgrund (prima causa) und das sich in ihr ausdrückende, bleibende geistige Prinzip.

Thomas_de_Austria
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Pilgerer hat geschrieben: Worin besteht diese Einschränkung des radikalen Empirismus?
Inwiefern? Kant war selbst nie ein Vertreter dieser Richtung, allerdings übernahm er so einige Dinge (bei der Behandlung Kants Lehre vom Subjekt würde das auch recht deutlich werden). Der radikale Empirismus eines Hume, Berkeley & Co. verkannte in noch viel höherem Maße die Bedingungen seiner (sinnvollen) Möglichkeit, um es wieder mit Kant zu sagen. Das konnte nicht gut gehen: Berkeley vertrat einen der am stärksten ausgeprägtesten Formen des subjektiven Idealismus’ überhaupt und vor dem Solipsismus konnte ihn nur der etwas umständlich ins System eingeführte Gott retten. Hume hingegen verfiel in einen radikalen Skeptizismus, der ihn damals, als er sein erstes Hauptwerk, den "A Treatise of Human Nature", schrieb, an den Rande des psych. Zusammenbruchs führte (cf. die umfassende Hume-Biographie G. Stremingers - ein ursprünglich aus der Steiermark stammender, atheistischer Philosoph - wenn sich jemand eine Reihe von Invektiven gegen Religion im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen antun möchte, die in der Neuauflage bei C. H. Beck sogar schon ein wenig "zensiert" wurden), den er nur abwenden konnte, indem er mit der Philosophiererei zeitweilig aufhörte und dann seinen Standpunkt zu einer Mischung aus Naturalismus und moderaten Skeptizismus modifizierte, was sich z. B. in "An Enquiry Concerning Human Understanding" niederschlug.
Die Vorrausetzung für dieses ganze empiristische Zeug, das deren Fundament bildete, war der selbst nicht aus der Empirie zu rechtfertigende Satz, dass einzig die Empirie oder Erfahrung gültiges, wahres Wissen über die Welt darstellt. Das, zusammen mit eher zweifelhaften Intentionen, führte dann u. a. dazu, dass es lt. dem frühen Hume eigentlich überhaupt keine Kausalität gibt, dass es eigentlich kein Subjekt gibt, auf jeden Fall nicht im substanziellen Sinne (die Seele oder gar deren Unsterblichkeit und so etwas sowieso schon gar nicht), dass jegliche Form der Induktion ungerechtfertigt/irrational sei, wir aber nicht um sie herum können (weswegen wir auch alle eigentlich von Natur aus tief irrational sind), dass es keine wie auch immer gearteten Werttatsachen gibt, Ethik also nichts mit Erkenntnis (sog. Nonkognitivismus), sondern am ehesten etwas mit Affekten und Gefühlen, in erster Linie und in zweiter Linie mit Interessen zu schaffen hat, wobei letztlich eine Art von - wie die Vertreter das nennen - "aufgeklärter Egoismus", als deren eth. System, die Folge ist etc. pp.
Ich denke, mehr will niemand hören. Berkeley unterschied sich, was diese Dinge betrifft, schon ungemein von Hume, wobei er sich allerdings weit nicht so sehr zu Gefühlen und Affekten, zur Moral etc. geäußert hat, wie dieser. Das Problem bei Berkeley ist eben dafür, dass man bei ihm über kurz oder lang im Solipsismus oder einer Spielart des Phänomenalismus landet. Die "Gottes-Hypothese" - so muss man das in seinem Fall fast nennen - überzeugt nicht unbedingt, weswegen, wenn Berkeley in neuerer Zeit philos. verteidigt wird, dann nur unter Auslassung seiner Lehre von Gott.

Was den Deduktivismus der gegenwärtigen Wissenschaften angeht: Dieser hat relativ wenig mit der klass. Deduktion zu tun, inhaltlich, sondern stellt vor allem entweder direkt Poppers Ansicht dar oder aber verschiedene Modifikationen derselben. Verifizieren lässt sich ja in der Naturwissenschaft angeblich nichts und die Sätze, von denen man ausgeht und auf deren Grundlage man dann deduktiv schließt, sind rein hypothetischer, vorläufiger Natur. Gesetzt, es gelte p und die Regel p ---> q, dann folgt die Konklusion q, das ist das (nach Kant, nicht einfach nach der antiken Tradition) das ein hypothetisches Urteil, das seinerseits aus (wiederum nach Kant) problematischen Sätzen besteht. "Problematisch" heißt hier, dass in so einem Fall bloß logische Möglichkeit, ohne objektiven, realen Gehalt dahinter steht, deren Gültigkeit praktisch willkürliche Setzung ist. Warum Hume, der empiristische Skeptiker, das als völlig unzureichend für gerechtfertigte, wahre Erkenntnis zurückwiese, ist eigentlich sehr leicht nachzuvollziehen.
Pilgerer hat geschrieben:Dazu kann zum Beispiel die Religionswissenschaft gezählt werden, die z.B. vergleichen kann, wie die Religionen die Natur deuten und wie sich dies historisch entwickelt hat.
Nun, nach der Ansicht derer, die alles, was nur irgendwie mit Religion zu tun hat, nicht schon pauschal von den Universitäten und Bildungseinrichtungen verbannen wollen, hat bspw. die röm.-kath. Theologie überhaupt nur eine Berechtigung an der Universität als eine spezielle Form der Religionswissenschaft, die sich auf die röm.-kath. Ausprägung des Christentums spezialisiert. So hörte ich das noch von einem Professor - einem alten, bärtigen Kantianer, der generell wirkte, wie ein Relikt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg.
Pilgerer hat geschrieben:Philosophie und Naturphilosophie sind meiner Ansicht nach nicht Teil der Geisteswissenschaften, sondern sind die "Väter" von allen Wissenschaften.
Anständige Philosophie ist die Grundlage der Wissenschaften, aufgrund ihrer Allgemeinheit, sowie auch historisch betrachtet (das Verhältnis bzw. die Hierarchie im Verhältnis zur Theologie, ist noch einmal gesondert zu betrachten, aber dafür sollte man am besten St. Thomas v. Aquin heranziehen), obwohl man das in der Zeit des Naturalismus und Szientismus nicht mehr gerne gehört wird …

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overkott
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Natürlich muss man die Bibel und Kant natürlich erst einmal lesen, bevor man über sic et non debattiert.

Pilgerer
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von Pilgerer »

overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Die Geisteswissenschaften befassen sich im weiteren Sinn mit dem Menschen und seiner Kultur. Dazu kann zum Beispiel die Religionswissenschaft gezählt werden, die z.B. vergleichen kann, wie die Religionen die Natur deuten und wie sich dies historisch entwickelt hat. Philosophie und Naturphilosophie sind meiner Ansicht nach nicht Teil der Geisteswissenschaften, sondern sind die "Väter" von allen Wissenschaften. Die Wissenschaften sind ein Teil der Philosophie, die selbst auch für andere Methoden als den wissenschaftlichen offen ist.
Theologie, die den Glauben katechetisch lehrt, ist grundsätzlich philosophischer Art.
Theologie ist Ausgangspunkt aller Theorie. Sie ist Naturphilosophie und Philosophie. Sie wird durch Philosophie als Grundlage aller Geisteswissenschaft erweitert. Sie wird durch empirische Naturwissenschaft gestützt oder falsifiziert.
Wo und wie wird die Theologie durch empirische Naturwissenschaft gestützt oder falsifiziert?
Sempre hat geschrieben:Die Dinge an sich bleiben wolkig. Sie affizieren die Sinne (regen die Sinne an) und produzieren Empfindungen, Vorstellungen. Raum und Zeit sind dabei a priori gegebene, reine Anschauungen und nicht etwa Resultat einer Erfahrung oder Erkenntnis. Sie sind Formen der sinnlichen Vorstellungen. Sinneswahrnehmungen in Raum und Zeit angeordnet ergeben die Phänomene, die Erscheinungen.
Den Eindruck habe ich auch. Die Wissenschaft wird zum Versuch, den unbekannten Dingen eine verbale Hülle umzuhängen, um damit Wort- und Wissensspiele anzustellen. Die Sozialwissenschaften sind zum Beispiel die Wissenschaften der menschlichen Gesellschaft, aber können sie die Gesellschaft verstehen, ohne den Menschen selbst ganz zu kennen? Bleibt der Mensch nicht ein weißer Fleck? Sie können nicht klären, ob die Existenz des Menschen sinnlos oder sinnvoll ist. Ohne Sinn ist der Mensch irgendwie auch wertlos, und die moderne Gesellschaft krankt daran, dass die Menschen sich tatsächlich als wertlos empfinden, wenn sie bestimmte Lebensdaten (z.B. Arbeit, Familie) nicht verwirklicht haben. Der Mensch der modernen Humanwissenschaften ist ein leerer Datenträger, dessen Daten ständig erforscht werden, ohne nach dem Inneren zu fragen.
Dennoch halte ich - wenngleich es heute sehr provokant wäre - eine Art von christlicher Wissenschaft für möglich, die bestimmte Vorannahmen auf der Basis des klassischen christlichen Weltbildes nimmt und damit wissenschaftliche Gesetzesmäßigkeiten entwickelt. Das wäre vermutlich ein Bruch mit dem Kant'schen System, weil es eine Wissenschaft der Dinge an sich wäre.
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Re: Gott finden in allen Dingen

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Die Geisteswissenschaften befassen sich im weiteren Sinn mit dem Menschen und seiner Kultur. Dazu kann zum Beispiel die Religionswissenschaft gezählt werden, die z.B. vergleichen kann, wie die Religionen die Natur deuten und wie sich dies historisch entwickelt hat. Philosophie und Naturphilosophie sind meiner Ansicht nach nicht Teil der Geisteswissenschaften, sondern sind die "Väter" von allen Wissenschaften. Die Wissenschaften sind ein Teil der Philosophie, die selbst auch für andere Methoden als den wissenschaftlichen offen ist.
Theologie, die den Glauben katechetisch lehrt, ist grundsätzlich philosophischer Art.
Theologie ist Ausgangspunkt aller Theorie. Sie ist Naturphilosophie und Philosophie. Sie wird durch Philosophie als Grundlage aller Geisteswissenschaft erweitert. Sie wird durch empirische Naturwissenschaft gestützt oder falsifiziert.
Wo und wie wird die Theologie durch empirische Naturwissenschaft gestützt oder falsifiziert?
Zum Beispiel durch Methoden beim Bestimmen des Alters von Dokumenten.

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