[quote="P. Bernard Kälin OSB, "
Ethik", S. 195-198"]
Unter Zins im eigentlichen Sinne versteht man die Entschädigung die der Eigentümer einer Sache für deren zeitweise Überlassung an einen andern oder für deren Gebrauch oder Nutzung erhält; so redet man von Pacht- oder Mietzins. Unter Zins im uneigentlichen Sinn oder unter Geldzins versteht man heutzutage die Entschädigung, die jemand für eine geliehene Summe Geldes vom Entlehner verlangt. Sofern diese Entschädigung auf Grund von gewissen äußern Rechtstiteln gefordert wird, wird sie auch Interesse genannt.
Was nun die Frage betrifft, ob in der heutigen Zeit für ein Gelddarlehen eine Entschädigung verlangt werden darf, so beantworten wir sie in folgender Weise:
Es ist nicht erlaubt, auf den Titel des Gelddarlehens als solchen eine Entschädigung oder Zins im eigentlichen Sinne zu fordern (1); wohl ist es erlaubt, auf Grund von gewissen Rechtstiteln, die außer dem Gelddarlehen liegen, aber mit ihm gegeben sein können, eine Entschädigung oder Zins im uneigentlichen Sinne zu fordern (2).
Beweis zu 1. Es ist, wie Thomas von Aquin[1] betont, ungerecht und daher unerlaubt, etwas, das nicht vorhanden ist oder ein und dieselbe Sache zweimal zu verkaufen. Auf Grund des Gelddarlehens als solchen für das geliehene Geld eine Entschädigung verlangen, heißt aber soviel, als ein und dieselbe Sache zweimal oder etwas verkaufen, das nicht vorhanden ist. Also ist es nicht erlaubt, für das geliehene Geld auf Grund des Darlehens als solchen eine Entschädigung zu verlangen.
Der Obersatz ist gewiß und wird von niemanden bezweifelt.
Den Untersatz beweisen wir also: Es gibt Dinge – sie sind Gegenstand des Darlehensvertrages – deren Gebrauch zugleich auch deren Verbrauch mit sich bringt; so wird der Wein, der als Getränk gebraucht wird, zugleich auch verbraucht, und der Weizen, der als Speise verwendet wird, wird eben dadurch verbraucht. Obschon bei diesen Dingen hinsichtlich ihrer Eigenart der Gebrauch von ihnen selbst unterschieden werden kann, da der wein etwas von dem Gebrauch des Weines Verschiedenes ist, so wird, wenn sie an jemand geliehen werden, ihm doch sowohl die Sache wie auch deren Gebrauch übertragen; denn es wäre lächerlich und unbegreiflich, wenn jemand einem andern den Wein und dazu noch besonders den Gebrauch des Weines verkaufen wollte. Bei den vertretbaren Sachen kann also nicht die Sache getrennt davon noch deren Gebrauch an einen andern übertragen werden. Wenn also jemand den Wein und getrennt davon den Gebrauch des Weines verkaufen würde, so würde er ein und dieselbe Sache zweimal oder etwas verkaufen, das nicht vorhanden ist, und dadurch würde er sich eines Unrechtes schuldig machen. In gleicher Weise begeht aber auch derjenige ein Unrecht, der auf Grund des Titels eines Gelddarlehens als solchen eine Entschädigung verlangt; denn einerseits fordert er das geliehene Geld zurück, anderseits aber dazu noch den Gebrauch des Geldes. Da aber das Geld und der Gebrauch des Geldes zusammenfallen, so fordert er, wenn er zum Geld noch den Gebrauch des Geldes verlangt, zweimal das gleiche oder weil der Gebrauch des Geldes vom Gelde sich nicht trennen läßt, etwas, was nicht vorhanden ist.
Beweis zu 2. Obschon auf Grund des Gelddarlehens als solchen keine Entschädigung oder kein Zins im eigentlichen Sinne gefordert werden darf, so ist es doch erlaubt, auf gewisse Rechtstitel hin, die außer dem Gelddarlehen liegen, eine Entschädigung, das Interesse oder Zins im uneigentlichen Sinn zu fordern. Zu diesen Titeln werden heute folgende gerechnet:
a) Das Lucrum cessans. Es kann nämlich dem Darleiher durch die Übertragung der geliehenen Geldsumme an den Entlehner ein Gewinn entgehen; er könnte mit dem Gelde eine Sache kaufen, die von selbst Früchte trägt; diese Früchte muß er nun entbehren. In diesem Falle ist er, wenn ihm wirklich ein Gewinn entgeht, berechtigt, eine entsprechende Entschädigung zu verlangen.
b) Das Damnum emergens. Es kann dem Darleiher durch die Übertragung des geliehenen Geldes ein Schaden erwachsen, weil er zur Zeit, da er das Geld ausgeliehen hat, zufällig ein Gut wohlfeil erwerben könnte, während er dieses nach der Rückzahlung des Geldes voraussichtlich teuer erstehen muß. Auch in diesem Falle ist er zur Forderung einer entsprechenden Entschädigung berechtigt.
c) Das Periculum sortis. Besonders in der heutigen unsicheren Zeit setzt sich der Darleiher der Gefahr aus, das geliehene Geld nicht mehr zurückzuerhalten. Im Hinblick auf dieses Risiko hat der Darleiher das Recht, sich einen Ersatz für den eventuellen Verlust zu sichern.
d) Die Poena conventionalis. Wenn der Darleiher den Entlehner vertraglich verpflichtet hat, das geliehene Geld zu einer bestimmten Zeit zurückzuzahlen und dieser an die Abmachung sich nicht hält, so ist der Darleiher berechtigt, zu fordern, daß der Entlehner die Konventionalstrafe zahle.
e) Das Bonum commune. Der Darleiher, der im Darlehen Geld hergibt, ermöglicht in vielen Fällen den häufigeren Abschluß von Handelsgeschäften und trägt dadurch zur Förderung des Allgemeinwohls bei; daher hat er das Recht auf eine Belohnung für seine an die Allgemeinheit geleisteten Dienste.
Einwände gegen die aufgestellte These. Um die Ansicht zu rechtfertigen, daß es erlaubt sei, beim Gelddarlehen eine Entschädigung anzunehmen, wenn auch die äußern Titel nicht vorhanden sind, oder Zins im eigentlicen Sinne zu fordern, werden u. a. folgende Gründe angeführt:
1. Eine Belohnung zu fordern für etwas, wozu man keine Verpflichtung hat, ist nichts Schlechtes. Nun aber ist der Mensch nicht verpflichtet dem Nebenmenschen Geld zu leihen. Wenn er es aber doch macht, so darf er dafür eine Entschädigung fordern. Antwort: Es wäre in diesem Falle erlaubt, eine Entschädigung zu fordern, wenn es nicht gegen die Gerechtigkeit wäre. Nun aber ist es gegen die ausgleichende Gerechtigkeit, sich für nichts oder sich zweimal bezahlen zu lassen.
2. Das Geld ist heutzutage eine gewinnbringende Sache; denn es kann heutzutage jeder leicht mit Geld einen Gewinn erzielen. Wer aber eine gewinnbringende Sache einem andern für einige Zeit überläßt und dafür eine Entschädigung fordert, verletzt damit die Gerechtigkeit nicht. Also ist es heutzutage erlaubt, für das Gelddarlehen zins zu fordern. Antwort: Das Geld trägt als solches oder aus sich auch heute keine Früchte, es sei denn, daß menschlicher Fleiß dazu kommt. Derjenige, der einem andern Geld gibt, auf daß dieser damit einen Gewinn erziele, hat allerdings einen Anspruch oder ein Recht auf einen Teil des Gewinns, wenn unter den beiden nicht ein Darlehens-, sondern ein Geschäfts- oder Handelsvertrag abgeschlossen wird.
3. Die Staatsgesetze erlauben heutzutage das Zinsnehmen. Antwort: Wenn die Staatsgesetze für ein Gelddarlehen Zins im eigentlichen Sinne des Wortes oder eine Entschädigung auf Grund des Darlehens als solchen erlauben würden, so wären sie ungerecht.
Wenn die Kirche in Can. 1543 ihres Gesetzbuches bestimmt, daß auf Grund des Darlehensvertrages als solchen kein Zins gefordert werden dürfe, daß aber nichts im Wege stehe, den gesetzlichen Zins zu vereinbaren, falls dieser nicht übermäßig hoch ist, so hat sie ihre Prinzipien damit nicht preisgegeben, sondern offenbar in Rücksicht auf da gewöhnliche Vorhandensein der äußern Titel eine Entschädigung für das Gelddarlehen erlaubt.
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[1] S. th. II, II, qu. 78. a. 1.
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Und eines noch:
Was für eine Not soll das eigentlich sein, unter der das prinzipiell unerlaubte Nehmen eines verzinsten Darlehens doch erlaubt ist? Gibt es so etwas überhaupt? Wenn nicht, erscheint doch ein Verweis darauf eher sinnlos ...