Bernado hat geschrieben:Einer der übelsten Eingriffe der Reformer in die organisch gewachsene römische Liturgie war ja die Ersetzung (geplant war ersatzlose Abschaffung) der altehrtwürdigen Offertoriumsgebete. Und warum sollten die getilgt werden? Weil sie stellenweise so klingen, als ob bereits die verwandelten Gaben auf dem Altar lägen: "Heilige Dreifaltigkeit, nimm diese Opfergabe an, die wir Dir darbringen zum Andenken an das Leiden, die Auferstehung und die Himmelfahrt unsres Hern Jesus Christus...".
War die Kirche 2000 Jahre lang zu blöd, um das zu bemerken? Bugnini und Co. haben genau das angenommen und gingen mit ihrer ingenieurmäßigen Denke (darin den verachteten Scholastikern gar nicht so unähnlich) daran, den "Fehler" zu reparieren.
Eher 1000 Jahre. Der "Fehler" wurde ja nicht repariert, sondern verschlimmbessert.
Bei der Frage nach einem Reformparadigma, so denke ich, fällt die Antwort je nach "Konfession" anders aus.
Für einen römischen Katholiken, davon ausgehend daß die eigene Kirche die Vollverwirklichung der einen heiligen, katholischen und apostolischen Kirche ist, kann das, was vor erst 1000 oder weniger Jahren rezipiert wurde, nicht falsch sein.
Für einen Lutheraner kann etwas unabhängig vom Alter falsch sein, wenn es nicht evangeliumsgemäß ist. Zudem sah Luther den Kanon nicht als Ganzes, sondern verstand ihn - als Kind seiner Zeit - als eine Abfolge von Bitt- und Opferungsgebeten. Das Ad-fontes Prinzip führte hier zum strengen Eliminieren.
Für einen Altkatholiken auf der Grundlage der Utrechter Erklärung ist die alte, ungeteilte Kirche die Norm, nach der Reformen die Wiederherstellung des Zustandes ante Schisma zum Ziel haben. Dabei wird vorausgesetzt, daß durch den Verlust der Einheit und des unveränderten Glaubens Mißbräuche oder Fehlentwicklungen in die Westkirche Eingang gefunden haben. Allerdings ist bei diesem Konzept die Gefahr des gleichen Irrwegs gegeben wie bei den Lutheranern*, denn die Tradition ist nicht allein in einem Buch zu finden und die alte Kirche ist nicht eine untergegange, eine bloße historische Reverenzgröße, sondern sie existiert dort fort, wo Gläubige um rechtmäßige Bischöfe, die dem Wort der Wahrheit folgen, versammelt sind. Da, wo bei Altkatholiken die Bezugnahme zur Orthodoxie als Korrektiv fehlt, ist der Weg in die Nichtkirchlichkeit vorgezeichnet. Diese existientielle Orientierung - wahre Ökumene - muß nicht zur Adaption ostkirchlicher Bräuche führen, wie es die Schweizer Altkatholiken getan haben, indem sie eine Geistepiklese in die Übersetzung des römischen Kanon aufgenommen haben oder die postbaptismale Salbung zur Firmsalbung gemacht haben. Im Hinblick auf die Eucharistie heißt das: die Offertoriumsgebete (außer der Sekret) sind verzichtbar, der Kanon nicht. Der Kanon ist, so wie er ist, vollgenügsam, aber bei einer Übertragung ins Deutsche kann - wie an einem Diamanten - weiter geschliffen werden. Dies muß äußerst behutsam und mit großer Sachkenntnis erfolgen, sonst springt der Stein.
*Ad-fontes als romantische Sehnsucht nach Wiederherstellung der Urkirche in freier Anwandlung an die Zustände der Gegenwart (alt-katholisch = zeitgemäß katholisch). Hier vermischt sich dann bunt Selbstgestricktes mit Versatzstücken von hier und dort. Die heutigen Protagonisten der AKK setzen leider auf dieses Pferd. So ist aber die Utrechter Erklärung in meinen Augen nicht zu verstehen.