Ja - aber nur so lange, wie man der Versuchung widersteht, daraus "Fakten" heraus zu destillieren, die dann in logischen Ketten vermeintlich widerspruchsfrei weiterverarbeitet und zur Grundlage überkomplizierter Begriffssysteme und neuer "Fakten" gemacht werden.overkott hat geschrieben:Wenn man sich mit der Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorien beschäftigt, ist der traditionelle Unterschied zwischen wörtlichem und bildlichem Verständnis zu beachten.
Wichtig dabei ist zu bedenken, dass zunächst einmal jede Geschichte und Theorie wörtlich genommen wird, wenn auch nicht als wörtliches Abbild der Wirklichkeit. Wörtlich fragen wir also zunächst: Was steht da? Bildlich fragen wir: Was bedeutet das?
Im Hinblick auf die Ursünde und Erbschuld kann man zunächst feststellen, dass bei Freunden traditioneller Theologie heute nicht selten eine begriffliche Konfusion besteht. Tatsächlich spricht Augustinus nicht von einer Erbsünde. Was sollte das auch sein? Eine Sünde ist ein freies Abweichen von der Regel. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob originatum mit der Vorsilbe Erb- geschickt übersetzt ist. Während Erbschuld eindeutig als rechtlicher Begriff erkennbar ist, haben früher manche Dogmatiker in eine biologistische Richtung gedacht. Der falsche Begriff der Erbsünde legte die Vorstellung eines genetischen Defekts nahe und die Seelenlehre ließ die Seele als Organ vermuten. Die absichtlich oder versehentlich provozierten Missverständnisse führten zu Spannungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, die durch die traditionell bildliche Lesung der Bibel erheblich gemindert werden. Als theologisch-weisheitliche Erzählung interpretiert, ist die Schöpfungsgeschichte über die Kindheit der Welt und des Menschen alles andere als naiv, sondern zeugt von einem hohen Reflexionsniveau, das Grundwahrheiten zeitlos gültig zum Ausdruck bringt.
Da kann der Westen, wenn schon nicht mehr für die Vergangenheit, so doch für die Zukunft, einiges von dem ganz anderen Denkansatz der Kirchen des Ostens lernen. Aber das ist ein alter Streit, der sich durch die ganze Kirchengeschichte zieht.
Als meinen abschließenden Beitrag zur Diskussion über die katholischen Entwicklungslehren zitiere ich hier den Hymnus des Breviers zur Vesper am Donnerstag, den die Tradition keinem Geringeren zuschreibt als dem heiligen Papst Gregor. Unser Thema betreffen in erster Linie die beiden ersten Strophen, aber inhaltlich bildet das ganze natürlich eine Einheit:
Das ist die einigermaßen brauchbare offizielle Übersetzung nach dem deutschen Brevier. Die lateinische Urfassung (mit den angemerkten Änderungen der Kommission Urbans VIII.) hat preces-latinae.O Gott, in deiner großen Macht
hast du, was aus den Wassern kam,
teils in die Flut zurückgesandt,
teils hoch erhoben in die Luft.
Die Fische tauchtest du ins Meer,
die Vögel warfst du hoch ins Blau,
und was dem gleichen Schoß entsprang,
ist nun getrennt nach Art und Ort.
O Herr, wir sind in Jesu Tod
wie in die Flut hineingetaucht:
Steh gnädig deinen Dienern bei,
die Wasser tauft und Blut entsühnt.
Gib, dass uns Kleinmut nicht erdrückt,
nicht Hochmut überheblich macht.
Zerbrich nicht das gebeugte Herz,
das stolze schütze vor dem Sturz.
Dies schenk uns, Vater voller Macht,
und du, sein Sohn und Ebenbild,
die ihr in Einheit mit dem Geist
die Schöpfung zur Vollendung führt
Bemerkenswert ist an den beiden ersten Strophen, wie zwanglos sie eine (wie wir heute sagen würden) "evolutionistische" Anschauung (qui ex aquis ortum genus) mit dem "kreationistischen" direkten Eingriff Gottes (partim remittis gurgiti, partim levas in aera) verbinden, ohne darin einen Widerspruch zu sehen.
Noch bemerkenswerter finde ich freilich die Übereinstimmung mit der landläufigen Evolutionsvorstellung, für die das Leben aus dem Meer hervorgeht und sich dann in getrennten Zweigen über und unter der Wasseroberfläche weiterentwickelt. Zwölfhundert Jahre vor Darwin für Gregor kein Problem: Wer zutiefst davon überzeugt ist, daß die Schöpfung von Anfang an Gottes Plan und Werk ist, muß nicht unentwegt seinen Scharfsinn bemühen, um die Einzelheiten dieser Enwicklung , die uns doch in keiner Weise geoffenbart sind und deren Offenbarung auch definitiv nicht der Zweck des Schöpfungsberichtes war (hier bin ich mit Overkott voll einig) wissenschaftsgestützt oder wissenschaftskritisch mit dem biblischen Bericht zu korrelieren.