Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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ottaviani
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Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von ottaviani »

Gamaliel hat geschrieben:Und zum Modernismusvorwurf gegenüber Kaplan Dr. Joseph Ratzinger ist die Geschichte ja ohnehin bekannt:
30 Tage hat geschrieben:Ratzinger berichtet in seiner Autobiographie, daß dann etwas schiefzulaufen begann...

LÄPPLE: Im Herbst 1955 gab Ratzinger seine Habilitationsschrift über Bonaventura ab. Söhngen nahm sie mit Begeisterung auf – nicht aber Professor Schmaus, der Mediävist der Theologischen Fakultät. Schmaus sagte zu Söhngen: „Das ist Modernismus, diese Arbeit kann ich nicht annehmen.“ So mußte Söhngen Ratzinger mitteilen, daß die Arbeit nicht durchgehen würde, weil sie Schmaus für modernistisch hielt. Schmaus war wohl der Meinung, daß gewisse Passagen auf eine gefährliche Subjektivierung des Offenbarungsbegriffes hinausliefen.


Die Habilitationsschrift des zukünftigen Papstes wurde dann aber – trotz des Verdachts des Modernismus – doch nicht abgelehnt…

LÄPPLE: Nein. Der Fakultätsrat beschloß, die Arbeit nicht abzulehnen, sondern zur Verbesserung zurückzugeben. Was zu verbessern war, sollte aus den von Schmaus in sein Exemplar eingetragenen Randbemerkungen ersichtlich sein.


Eine Umarbeitung, die einen jahrelangen Arbeitsaufwand bedeutet hätte. Doch dann kam Ratzinger der rettende Einfall…

LÄPPLE: Der letzte Teil von Ratzingers Arbeit befaßte sich mit der Geschichtstheologie Bonaventuras, im Vergleich zu der von Joachim von Fiore – und daran hatte Schmaus keine Kritik geübt. Es war ein eigenständiger Teil, der sich ohne große Schwierigkeiten zu einem geschlossenen Ganzen umgestalten ließ. Auch Söhngen war mit Ratzingers Plan einverstanden, den ersten, so unerbittlich beanstandeten Teil einfach herauszunehmen und nur den letzten vorzulegen…
und der gute Professor Schmaus hatte recht

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Berolinensis
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Berolinensis »

ottaviani hat geschrieben:und der gute Professor Schmaus hatte recht
Ja? Hast du die entsprechenden, damals ja nicht veröffentlichten Passagen gelesen?

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Berolinensis hat geschrieben:
ottaviani hat geschrieben:und der gute Professor Schmaus hatte recht
Ja? Hast du die entsprechenden, damals ja nicht veröffentlichten Passagen gelesen?
( Um kurzfristige Antwort unter Angabe der litterarischen Quelle wird dringend gebeten ;) )

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ottaviani
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von ottaviani »

nein aber ich vertraue da Schmaus voll und ganz und ich weiß was Joseph Ratzinger am und unmittelbar nach dem Konzil von sich gegeben hat
er hat sich übrigens nie davon distanziert

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Robert Ketelhohn
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Robert Ketelhohn »

ottaviani hat geschrieben:nein aber ich vertraue da Schmaus voll und ganz
Ich nicht.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Paul Heliosch
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Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
ottaviani hat geschrieben:nein aber ich vertraue da Schmaus voll und ganz
Ich nicht.
...und ich auch nicht.

@ottaviani: Ich glaube es lohnt sich herauszufinden, warum wohl der ehrwürdige Prof. Schmaus einen Großteil der Habilitationsschrift mit roter Farbe "würdigte":
Die damals eingereichte komplette Habilitationsschrift - incl. des von Schmaus zurückgewiesenen Textes ist erst vor kurzem im Originaltext ( ohne roter Farbe ) bei Herder erschienen unter dem Titel ==> Offenbarungsverständnis und Geschichtstheologie Bonaventuras /J. Ratzinger - Gesammelte Werke

Der junge H.H. Josef Ratzinger hat in den abgelehnten Kapiteln seiner Habilitation wissenschaftlich stringent den Knackpunkt des Begriffs der "Offenbarung" in der damals üblichen Sichtweise (und Handhabung) herausgefunden und ich denke, er hatte damit - ohne es zu ahnen - eine Lunte angesteckt, die Schmaus damals unmöglich weiterbrennen lassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß sein eigenes Fell in Gefahr war abgezogen zu werden...

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ottaviani
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von ottaviani »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
ottaviani hat geschrieben:nein aber ich vertraue da Schmaus voll und ganz
Ich nicht.
In der Frage kann man Prof Schmaus durchaus vertrauen denke ich

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Torsten
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Torsten »

Paul Heliosch hat geschrieben:Der junge H.H. Josef Ratzinger hat in den abgelehnten Kapiteln seiner Habilitation wissenschaftlich stringent den Knackpunkt des Begriffs der "Offenbarung" in der damals üblichen Sichtweise (und Handhabung) herausgefunden und ich denke, er hatte damit - ohne es zu ahnen - eine Lunte angesteckt, die Schmaus damals unmöglich weiterbrennen lassen konnte, ohne befürchten zu müssen, daß sein eigenes Fell in Gefahr war abgezogen zu werden...
Kurz in zwei, drei Sätzen bitte. Wo liegt dieser Knackpunkt?

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Der Knackpunkt liegt darin, daß der Begriff "Offenbarung" bis dato statisch gesehen wurde - kulminiert in dem Begriff "sola scriptura".

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Torsten
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Torsten »

Paul Heliosch hat geschrieben:Der Knackpunkt liegt darin, daß der Begriff "Offenbarung" bis dato statisch gesehen wurde - kulminiert in dem Begriff "sola scriptura".
Ich anerkenne Deinen Versuch einer Antwort. Aber fragen wir nochmal in die Runde. Was ist das Modernistische in der Habilitationsschrift des jetzigen Papstes, welches abgelehnt wurde? Kurz und knapp. (Ich weiss es nicht.)

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Torsten hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Der Knackpunkt liegt darin, daß der Begriff "Offenbarung" bis dato statisch gesehen wurde - kulminiert in dem Begriff "sola scriptura".
Ich anerkenne Deinen Versuch einer Antwort. Aber fragen wir nochmal in die Runde. Was ist das Modernistische in der Habilitationsschrift des jetzigen Papstes, welches abgelehnt wurde? Kurz und knapp. (Ich weiss es nicht.)
Dein erfolgloses Ringen um Verstehen in allen Ehren, deshalb noch ein Einschub: Unter Traditionalisten wird es sicher schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein eine statische Sichtweise von Offenbarung als modernistisch anzusehen... damit sage ich einerseits aus, daß jemand, der eine andere als eine statische Sichtweise von Offenbarung beweist, von einem Traditionalisten zwingend als Modernist gesehen werden muss, andererseits outet sich derjenige, der den Beweis entgegen aller Wissenschaftlichkeit nicht gelten lässt, als Anhänger einer Ideologie - hier des Traditionalismus. ...Also, was meiner Meinung nach Prof. Schmaus Schwarz auf Weiß vorlag, war der Beweis für die Unhaltbarkeit eines ausschliesslich lehrmässig standardisierten, in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriffs...
Ich hoffe, hiermit hinreichend "knapp" geblieben zu sein.

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Unter Traditionalisten wird es sicher schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein eine statische Sichtweise von Offenbarung als modernistisch anzusehen... damit sage ich einerseits aus, daß jemand, der eine andere als eine statische Sichtweise von Offenbarung beweist, von einem Traditionalisten zwingend als Modernist gesehen werden muss, andererseits outet sich derjenige, der den Beweis entgegen aller Wissenschaftlichkeit nicht gelten lässt, als Anhänger einer Ideologie - hier des Traditionalismus. ...Also, was meiner Meinung nach Prof. Schmaus Schwarz auf Weiß vorlag, war der Beweis für die Unhaltbarkeit eines ausschliesslich lehrmässig standardisierten, in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriffs...
Danke für die Zusammenfassung. Ich würde mich über noch ein paar Zeilen freuen, die erklärten, welche nicht-statische Sichtweise von Offenbarung H.H. Ratzinger vorgelegt hat.

Gehe ich recht in der Annahme, dass sich die Formulierung "in sola scriptura betonierter Offenbarungsbegriff" zumindest sinngemäß so bei Ratzinger findet?

Verhält es sich so, dass Ratzinger damals für das rechte Verständnis der verbindlichen kirchlichen Lehre eine "Hermeneutik der modernen Philosophie" vorschlägt?

Wie spezifiziert Ratzinger seine nicht-statische Sichtweise?

Gruß
Sempre
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Paul Heliosch hat geschrieben:
Torsten hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Der Knackpunkt liegt darin, daß der Begriff "Offenbarung" bis dato statisch gesehen wurde - kulminiert in dem Begriff "sola scriptura".
Ich anerkenne Deinen Versuch einer Antwort. Aber fragen wir nochmal in die Runde. Was ist das Modernistische in der Habilitationsschrift des jetzigen Papstes, welches abgelehnt wurde? Kurz und knapp. (Ich weiss es nicht.)
Dein erfolgloses Ringen um Verstehen in allen Ehren, deshalb noch ein Einschub: Unter Traditionalisten wird es sicher schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein eine statische Sichtweise von Offenbarung als modernistisch anzusehen... damit sage ich einerseits aus, daß jemand, der eine andere als eine statische Sichtweise von Offenbarung beweist, von einem Traditionalisten zwingend als Modernist gesehen werden muss, andererseits outet sich derjenige, der den Beweis entgegen aller Wissenschaftlichkeit nicht gelten lässt, als Anhänger einer Ideologie - hier des Traditionalismus. ...Also, was meiner Meinung nach Prof. Schmaus Schwarz auf Weiß vorlag, war der Beweis für die Unhaltbarkeit eines ausschliesslich lehrmässig standardisierten, in sola scriptura betonierten Offenbarungsbegriffs...
Ich hoffe, hiermit hinreichend "knapp" geblieben zu sein.
Mmmmh, so ganz verstehe ich das nicht, allerdings habe ich auch den zuvor zurückgehaltenen und jetzt veröffentlichten Teil der päpstlichen Habilitationsschrift auch (noch) nicht (selber) gelesen! :hmm:

Nach meiner unbescheidenen Meinung kann ich mir jedoch einen anderen begrifflichen Inhalt für »Offenbarung« denken, die vom jetzigen Papst in diesem seinen Habilitationstext entwickelt worden war und diese meine Meinung ist selbstverständlich für jegliche Korrekturanmerkungen offen.

Dieses Denken meinerseits beruht auf einer Interpolation aus den mir bekannten Schriften von Papst Benedikt XVI.:
Möglicherweise hält der Papst die Heilsgeschichte selber für eine »Offenbarung Gottes« an die Menschen. Dies würde einerseits eine einseitige Lesart von »Offenbarung« wie sola scriptura als absurd entlarven und andererseits eine "Heiligung des Materiellen", wie sie beispielsweise bei Teilhard de Chardin vorgedacht worden ist, in den Bereich des Möglichen rücken.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre und Raphael
Vielen Dank für diese beiden Reaktionen! :daumen-rauf:
Sempre hat geschrieben: Gehe ich recht in der Annahme, dass sich die Formulierung "in sola scriptura betonierter Offenbarungsbegriff" zumindest sinngemäß so bei Ratzinger findet?
Sinngemäss, da "Kürze" gefordert war, womit selbstverständlich die Gefahr (seltener auch Chance) subjektiven Deutungsspielraumes gegeben ist. Ich betone nochmals, daß es sich hierbei um meine Meinung (Re-Sonanz) handelt.
Sempre hat geschrieben: Verhält es sich so, dass Ratzinger damals für das rechte Verständnis der verbindlichen kirchlichen Lehre eine "Hermeneutik der modernen Philosophie" vorschlägt?
Das weiß ich nicht, ...aber nach allem, was ich bisher meine verstanden zu haben, wäre das m.E. ein interessanter Vorschlag.
Sempre hat geschrieben: Wie spezifiziert Ratzinger seine nicht-statische Sichtweise?
Hierzu möchte ich im Verlauf dieses Threads gerne etwas beisteuern.

Soviel vorneweg: Je länger ich mich mit dem vormals zensierten und nunmehr aufgrund Anordnung von höchster Stelle (päpstlich) rehabilitierten Text rund um den Offenbarungsbegriff beschäftige umso klarer werden m. E. die vom Heiligen Vater geprägten Begriffe "Hermeneutik des Bruchs" und "Hermeneutik der Kontinuität" im Kontext der kirchlichen Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen.

Natürlich wäre es wirklich erfreulich, wenn die litterarische Grundlage von allen Diskussionsteilnehmern dieselbe wäre, was jedoch unrealistisch ist. Daher möchte ich zunächst die Geschichte erzählen, wie ich selbst zu dem "alten" Ratzingerwerk gekommen bin...

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Im April d. J. las ich zufällig in den Erinnerungen (1927-1977) Joseph Kardinal Ratzingers und blieb mehrfach bei den darin aufgeführten Begriffen „Offenbarung“ und „Kirche“ stehen. Dabei dachte ich mir, dies sei evident für die aktuelle Situation der Kirche des Jahres 2010 speziell vor dem Hintergrund der sogenannten „Mißbrauchsfälle“ - das Wort „MissbrauchsFALLE“ lag mir zuerst im Sinn -, die seit einigen Wochen schlagartig und nach Art eines Trommelfeuers von den Medien zum Anlass genommen werden, den gesamten deutschen Klerus mitsamt Papst Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger) in Sippenhaft zu nehmen, in Tateinheit mit der übelsten öffentlichen Häme über unseren ehrwürdigen Heiligen Vater, die in Ihrer herabwürdigenden Offensichtlichkeit deutlicher nicht aufzuzeigen vermag, wessen Geistes Kindern es plötzlich erlaubt wurde sich in aller Öffentlichkeit auszutoben.

Da ich damals ein bisschen mehr als sonst Zeit hatte las ich parallel zu dem obigen Werk seit einigen Tagen auch die weiter unten aufgelisteten Bücher immer wieder abschnittsweise in kleinen Häppchen, wobei ich immer wieder erstaunt war, wie aktuell und deckungsggleich der meinerseits gerade soeben gelesene Abschnitt des einen Buches mit dem soeben gelesenen Abschnitt des anderen und darüberhinaus mit meinem eigenen konkreten Erleben in meiner Situation hier vor Ort war:
==> Dr. Ludwig Weimer „Wo ist das Christentum?“
==> Br. Ephraim - „Der Weg der Wolken“
==> Loren Cunningham “Bist Du es, Herr?“ - Die Entstehungsgeschichte von „Youth with a mission

Gerade der im obigen Buch „Erinnerungen“ erwähnte Verlauf der Habilitation Joseph Ratzingers sowie seine persönlichen Anmerkungen zu den Begriffen „Offenbarung“, „Kirche“ und „Erfolg“ haben mich wirklich in meinem Innersten angerührt. Rein erkenntnistheoretisch war mir natürlich schon immer bewusst, daß nicht das, was rein menschlich als Erfolg bewertet wird, auch als „Erfolg“ bei Gott zu bewerten ist und warum vieles auch in den Augen von uns Gläubigen als Mißerfolg erlebt wird, was vor Gott eigentlich als Erfolg zu bezeichnen wäre.

Was mich eigentlich dazu antrieb, die Erinnerungen Kardinal Joseph Ratzingers mehr zu verinnerlichen als einfach nur zu lesen, war u.a. die gleichermassen verständliche wie ausserordentlich diskrete Sprache, mit welcher er seine Lebensstationen und ganz besonders den eigentlichen Inhalt seiner Habilitation zusammenfasste, und wie es ihm damit gelang, mir anhand des Begriffs „Offenbarung“ die grundstürzende Einsicht zu verdeutlichen, daß „sich im Umgang mit der Liturgie das Geschick von Glaube und Kirche entscheidet“.

Auch bemerkte ich im Verlauf der Lektüre seiner Erinnerungen, wie statisch sich bei mir bisher der Begriff Offenbarung in meinem Denken eingenistet hatte und ich kann nicht sagen, wie genau es vor sich ging, daß sich mir die Unterscheidung zwischen „statischer Offenbarung“ und „dynamisierender Offenbarung“ vor meinen Augen darzubieten begann.

Innerhalb kürzester Zeit erhellte sich in mir die Erkenntnis, daß der Schlüssel bzw. der Hebel zur Bewältigung der aktuellen Probleme der Una Sancta in der ursprünglichen, ersten Habilitationsschrift Joseph Ratzingers zu suchen sei.

Wie explosiv das Thema werden würde, ahnte ich jedoch erst ab jenem Moment, als mir plötzlich in seinem Buch „Erinnerungen“ der Begriff „Sola Scriptura“ wieder völlig neu und zwar im Zusammenhang mit seinem neu gefundenen Offenbarungsbegriff klar wurde. Zunehmend wurden mir die damaligen Umstände deutlicher und es verwunderte mich nun nicht mehr im Geringsten, warum seine Habilitation damals behindert wurde – es handelte sich wohl um eine geistige Auseinandersetzung. Gott verfügte trotzdem die Veröffentlichung, allerdings mit aufschiebender Wirkung, und zwar für die heutige Zeit.

Leider fand ich aktuell nach eingehenden Recherchen keinerlei inhaltliche Information, aber immerhin den Hinweis, daß die Ur-Habilitationsschrift im zweiten Band der erst kürzlich im Herder Verlag erschienen gesammelten Ratzinger-Werke erschienen ist. Ich erzählte diese Begebenheit meinem Starez und zwei Tage später fand ich in der Post das Buch...

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

...es dauerte dann eine zeitlang, bis ich begriff, daß Kard. Ratzingers Erinnerungsband so etwas wie eine Summa jenes Offenbarungsverständnisses enthält, wie es in seiner (ursprünglich zurückgewiesenen) Habilitation bewiesen ist.

Zitat (Anm. v. mir, Auslassungen zur besseren Übersicht):

„Das Wort (Anm.: Offenbarung) bezeichnet den Akt, in dem Gott sich zeigt, nicht das objektivierte Ergebnis dieses Aktes.“

„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand, sondern (..) geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.“

„Offenbarung geht der Schrift voraus und schlägt sich in ihr nieder, ist aber nicht einfach mit ihr identisch. Das aber heißt (..), daß Offenbarung immer grösser ist, als das bloß Geschriebene.“

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

...und nun einleitend ein Zitat aus dem Werk selbst:

"... wenn relevatio Kundgabe von Gott her und damit göttliches Tun ist, so ist manifestatio Kundwerdung im Menschen, das menschliche Innesein der göttlichen Kunde.
Das bedeuted aber nun endgültig, dass relevatio ein Akt-Begriff ist, ein Begriff eines jeweils neuen göttlichen Tuns am menschlichen Subjekt und niemals eine Aussage über ein einstmals aktuales Geschehen, das aber dann zur Objektivität geronnen und nunmehr in dieser sozusagen 'greifbar' wäre. Es gibt, so viel ich sehe, keine Stelle, die einer solchen Auslegung ein ernsthaftes Recht sichern könnte. Der uns völlig geläufige Sprachgebrauch, die Bibel einfach kurz mit 'Offenbarung' zu benennen, ist Bonaventura ebenso völlig unbekannt. Relevatio erscheint bei ihm als Begriff eines göttlichen Tuns, nichts anderes. ..." (S. 102)

Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.

Stephen Dedalus
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Stephen Dedalus »

Danke, Paul!

Das paßt zu Ratzingers früher Prägung durch Newman (über Söhngen), der mit seinem Begriff der "Entwicklung" ja nicht unmaßgeblich zur Herausbildung eines "historistischen" Verständnisses beigetragen hat. Natürlich war Newman kein "Modernist", aber die Denkrichtung ist hier bereits angelegt, weshalb Newman auch in traditionalistischen Kreisen immer eher argwöhnisch beäugt wurde.

Wahrscheinlich ist auch der im Vatikan spätestens seit JP II vorherrschende Personalismus vom Prinzip her anti-traditionalistisch?
If only closed minds came with closed mouths.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Ich gebe zu, daß die Versuchung groß ist, Bewertungen vorzunehmen, wer wann inwieweit für wie lange gewissen Ismen (Ideologien) verfallen war - seien wir doch mal ehrlich: Wie oft stolpern wir selber drüber, bis wir den Anruf merken aufzustehen und weiterzugehen.

Zweifelsohne jedoch dienen häretische Äusserungen, egal ob modernistisch, traditionalistisch oder sonstwie -istisch geprägt, letztlich indirekt der Verdeutlichung der Wahrheit, wie die überaus reiche Geschichte der Kirche (und nicht zuletzt auch HUMANI GENERIS) beweist und wie uns offenbart ist, da es heisst, daß sich "jedes Knie beugen" wird vor unserem Herrn Jesus.

Thomas_de_Austria
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Thomas_de_Austria »

„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand, sondern (..) geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.“
Ich empfinde es ja als Ironie, dass gerade diese Aussage immer wieder von "Konservativen" (also extra nicht von Traditionalisten) als Rechtfertigung gegen ultraliberale Formen der Leugnung jeglicher Offenbarung auf der einen und gegen Protestanten auf der anderen Seite Verwendung findet.

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Sempre
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Sempre »

Paul Heliosch hat geschrieben:Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.
Offenbarung ist also demnach nicht der Pentateuch, sondern z.B. der Vorgang, in dem Gott durch den Dornbusch zu Moses spricht!?

Ist demnach etwa auch nicht der Text eines Dogmas des Vaticanum I Ausdruck des Heiligen Geistes, der die Kirche lehrt? Hatten die Konzilsväter ein Erlebnis mit dem Heiligen Geist, das wir korrekt als Akt Gottes bezeichnen, der eines Jemand (der Konzilsväter) bedarf? Ist der Text der Dogmen lebendiger Buchstabe, der einem heutigen Jemand eine andere Botschaft vermitteln mag als er damals den Konzilsvätern vermittelte?

Gruß
Sempre
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Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Sempre hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.
Offenbarung ist also demnach nicht der Pentateuch, sondern z.B. der Vorgang, in dem Gott durch den Dornbusch zu Moses spricht!?
Doch, der Pentateuch ist auch eine Offenbarung, aber wenn der Pentateuch nicht gelesen (und verstanden) wird, dann wird die Offenbarung nicht offenbar! :roll:

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Lioba
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Lioba »

Sicher? Da komme ich reichlich durcheinander. Wäre die Schrift nicht immer beides? Gott offenbart sich durch die Schrift, allein deren niederschreiben ist aber bereits Teil des menschlichen Erkennens und soweit darin lehrmässige Festlegungen geschehen eben auch Objektivierung. und wie geht es weiter? Ein immer weiteres Sichoffenbarung auch durch tieferes Verstehen der Schrift im aktuellen Zeitgeschehen also ein immer weitergehendes Wechselspiel?
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Lioba hat geschrieben:Sicher?
Ja! 8)
Lioba hat geschrieben:Da komme ich reichlich durcheinander.
Das ist bedauerlich, kann aber passieren. :roll:
Lioba hat geschrieben:Wäre die Schrift nicht immer beides?
Dies ist eben ein fundamentales Mißverständnis des Protestantismus! :huhu:
Die Offenbarung, soweit sie in der Hl. Schrift enthalten ist, legt sich eben nicht selber aus, sondern es bedarf der Kirche als DER Lehrmeisterin der Schriftauslegung.
Lioba hat geschrieben:Gott offenbart sich durch die Schrift, allein deren niederschreiben ist aber bereits Teil des menschlichen Erkennens und soweit darin lehrmässige Festlegungen geschehen eben auch Objektivierung. und wie geht es weiter? Ein immer weiteres Sichoffenbarung auch durch tieferes Verstehen der Schrift im aktuellen Zeitgeschehen also ein immer weitergehendes Wechselspiel?
Offenbarung ist ein Wechselspiel - um Deine Terminologie aufzugreifen - zwischen dem Einen und den Vielen. Die Allgemeine Offenbarung ist mit dem Tode des letzten Apostels als abgeschlossen anzusehen.
Die Hinführung des Einzelnen zu Gott ist jedoch auch Offenbarung und geschieht nachwievor durch den Hl. Geist. Die katholische Kirche versucht dabei, den Hl. Geist bspw. durch die Spendung der Sakramente, d.h. auftragsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen, zu unterstützen.

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Sempre hat geschrieben:
Paul Heliosch hat geschrieben:Zur Offenbarung gehört vom Begriff selbst her ein Jemand, der ihrer inne wird.
Offenbarung ist also demnach nicht der Pentateuch, sondern z.B. der Vorgang, in dem Gott durch den Dornbusch zu Moses spricht!? ...
...noch einen kleinen Schritt weiter, hin auf Moses zu:
Oder anders: Es geht nicht um den Offenbarungstext per se: Der Buchstabe per se ist tot!
Zuletzt geändert von Paul Heliosch am Mittwoch 11. August 2010, 12:50, insgesamt 2-mal geändert.

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Lioba
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Lioba »

Raphael, ich fürchte, du hast mich absolut nicht verstanden.
Mir ging es um die Dynamik zwischen dem sichoffenbarenden Gott und den Verfassern und Auslegern der Schrift. Ich lasse es besser.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
M. v. Ebner- Eschenbach

Raphael

Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Raphael »

Lioba hat geschrieben:Raphael, ich fürchte, du hast mich absolut nicht verstanden.
Mir ging es um die Dynamik zwischen dem sichoffenbarenden Gott und den Verfassern und Auslegern der Schrift. Ich lasse es besser.
Sorry, aber Du siehst: Mir kann das auch passieren! :blinker:

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incarnata
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von incarnata »

So ähnlich hat es schon Goethe in seinem Faust 1 formuliert,wo er Faust,bevor dieser anfängt mit seiner Bibelübersetzung sagen lässt : "Wir sehnen uns nach Offenbarung-die nirgends klarer und schöner brennt-als in dem Neuen Testament ". Er setzt also nicht die Schrift mit der Offenbarung gleich,sondern sagt nirgends manifestiert sich die Offenbarung so klar,wie in der Schrift-sie geht aber über diese hinaus.
Klar,Goethe war ja auch alles andere als ein Traditionalist-aber man sieht,solches Denken gab´s schon lange bevor es bei Ratzinger formuliert wurde.
Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende
Licht aus der Höhe.......(Lk1,76)

Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

@Sempre, Dein Beispiel mit der Begebenheit am Dornbusch finde ich sehr passend:
Die Re-Sonanz Mose hatte wohl eine gewisse Vorgeschichte, die m.E. verdeutlicht, daß es zur wirksamen Offenbarung einer gewissen Vorbereitung zur "Offenbarungsempfangsfähigkeit" bedarf (physikalisch ausgedrückt "Kalibrierung").
Den Dornbusch in seiner Eigenschaft als unmittelbares Offenbarungswerkzeug für den Adressaten Mose könnte man vielleicht auch als "Matrix" für Gottes unmittelbare Anrede bezeichnen.
Heute für uns, ist diese "Matrix" für Gottes Anrede die Hl. Schrift, aber nicht nur diese, sondern auch das Lehramt in seinen verbindlichen Texten sowie die leider sooft unerwähnte Tradition - eben die drei Säulen der Kirche -
...und dann, einigermassen hinreichende "Kalibrierung" anhand jener drei Säulen vorausgesetzt,
können wir befähigt werden, Gottes offenbarender, unmittelbarer Anrede auch heute (wieder) inne zu sein. Damit möchte ich jedoch keineswegs weitere "brennende Dornbüsche" für die Zeit nach Mose ausschliessen.
Zuletzt geändert von Paul Heliosch am Mittwoch 11. August 2010, 18:45, insgesamt 1-mal geändert.

Stephen Dedalus
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Stephen Dedalus »

incarnata hat geschrieben: Klar,Goethe war ja auch alles andere als ein Traditionalist-aber man sieht,solches Denken gab´s schon lange bevor es bei Ratzinger formuliert wurde.
Zum Beispiel bei Schleiermacher. Auch hierin zeigt sich, wie sehr Ratzinger durch die Romantik geprägt ist. Sehr sympathisch. :klatsch:
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Paul Heliosch
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Paul Heliosch »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
„Offenbarung (Anm.: ist) (..) nicht (..) einfach (..) Mitteilung an den Verstand, sondern (..) geschichtliches Handeln Gottes, in dem sich stufenweise Wahrheit enthüllt.“
Ich empfinde es ja als Ironie, dass gerade diese Aussage immer wieder von "Konservativen" (also extra nicht von Traditionalisten) als Rechtfertigung gegen ultraliberale Formen der Leugnung jeglicher Offenbarung auf der einen und gegen Protestanten auf der anderen Seite Verwendung findet.
Bitte, ich möchte das gerne verstehen: "Aussage von Konservativen als Rechtfertigung" ...für was?

Thomas_de_Austria
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Re: Ratzingers Offenbarungsbegriff und Bonaventura

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Der göttlichen Offenbarung und der Art, wie sie sich dann auch in der Kirche ("vermittelt" durch das Lehramt usw.) niedergeschlagen hat ...

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