Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Was machte das 'reformatorische Bekenntnis' so attraktiv, daß sich Fürsten, Ritter und Bürger in nicht geringer Zahl, wenn auch vornehmlich in Norddeutschland/Nordeuropa diesem anschlossen, und wie kommt es, daß es die lutherischen und reformierten Kirchen noch heute gibt (und die unierten, deren Existenzberechtigung ich nun gar nicht erkennen kann)?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Ich hab die Geistlichen in der Aufzählung vergessen.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Paul Heliosch
Beiträge: 1615
Registriert: Samstag 15. Dezember 2007, 11:52

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Paul Heliosch »

Die Anziehungskraft des Protestantismus möchte ich zunächst anhand einer Gesetzmässigkeit aus der Physik deuten: "Gegensätze ziehen sich an."

Deutlich wird die Gültigkeit dieses Gesetzes beispielsweise bei
- Magneten (...ich erinnere mich an die Sache mit dem Plus- und Minusdings...)
- Blümchen und Bienchen (die einen feststehend und wartend, die anderen umherschwirrend und suchend).
- und so weiter...

Vertreter der Ideologie eines - wie auch immer gearteten - Protestantismus definieren sich analog zur Physik über den Widerstand gegen das Objekt gegen welches sie meinen protestieren zu müssen, obgleich (weil?) sie sich darüber im klaren sind, dass sich die Kraft Ihrer Identität aus genau jenem Objekt des begehrten Widerstandes speist.

...Einige Beispiele:
A - Der Protestant gegen die Blockade der Anarchie;
B - Der Protestant gegen Bier in Plastikflaschen;
C - Der Protestant gegen die Lehre der Kirche;

Die o.g. unterschiedlichen Protestbewegungen unterscheiden sich u.a. erheblich in ihrer Organisation:
- Der Protestant zu A wird in unregelmässigen Abständen auf öffentlichen Plätzen in Kleingruppen (mit manchmal auffälligen Kleidungsvorlieben und Verhaltensanomalien) vorgefunden.
- Der Protestant zu B ist nicht organisiert, solange er mittels Paulaners Weissbier im klassischen Braunglas abgefüllt wird.
- Der Protestant zu C wird in stark meinungsdifferierenden Regionalgruppen zum höflichen, aber bestimmten Widerstand gegen vermeintliche Irrlehren der allumfassenden "Geschwisterkirche" konditioniert.

Aber die eigentliche Anziehungskraft des Protestantismus besteht in der Möglichkeit, im "Quasistaatsdienst" lebenslänglich dafür bezahlt zu werden, beruflich gegen kirchliche
Glaubenswahrheiten sozusagen als "Berufsprotestant" zu protestieren.

Seit einiger Zeit wird sogar von einigen Leuten behauptet "Berufsprotestanten" identifiziert zu haben,
die das Kunststück fertigbringen, als Mitglied der Kirche teils nach Art von Maulwürfen gegen Lehre, Amt und Tradition zu protestieren und sich gleichzeitig von ihr dafür bezahlen zu lassen - inclusive
lebenslanger Rentenansprüche - ganz ähnlich der Kollegen im Geschwisterprotestantismus...
...Wie dem auch sei - mein Plädoyer für den Protest gegen einen Protestantismus, welcher Kraft und Identität aus einem berufsmässig standardisierten Protest gegen die Lehre der Kirche generiert, möchte ich beenden mit dem Hinweis, dass es auch Protestanten gibt, die keine Berufsprotestanten sind, sondern die irgendwie anders (vielleicht sogar unentgeltlich) gegen die Kirche protestieren,
weil das halt vielleicht so üblich sei und weil die Oma sonst stinkig ist...oder, "weil" halt...

Aber auch für diese hält die Kirche ihre Türen offen und die besten Plätze frei, ebenso für nach langem Protest vom Wunsch nach Heimat beseelte Heimkehrer, denn Heimat ist dort, wo Du verstanden wirst!

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von overkott »

Das Franziskanische macht den Protestantismus so anziehend, wo er denn franziskanisch ist: Jesus ernst nehmen, seine Worte hören, auf ihn hören, den Nächsten lieben, den Papst lieben.

Bischof
Beiträge: 313
Registriert: Mittwoch 28. Februar 2007, 18:06

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Bischof »

Vielleicht sollte man diesen Strang ins Refektorium verschieben. Mir scheint, dass er hier fehl am Platze ist.

Ebenso könnte man ja noch ein Umfrage draus machen.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Pilgerer »

"Protestantismus" ist ja eher ein Schimpfwort, das von außen benutzt wird. Von innen aus betrachtet ist jede protestantische Gemeinde ein Teil in der einen christlichen (=katholischen) Kirche, die von Gott gegründet ist und in der Reformation bestimmte Teile des Evangeliums neu entdeckt hat, die zuvor im Dunkeln geblieben waren. Was die frommen Protestanten eint, ist die unmittelbare Bezogenheit des einzelnen Christen auf Jesus Christus, die kirchliche Autoritäten relativiert und faktisch den Herrn Jesus zum Dauerapostel der Gemeinde macht. Nach meinem Eindruck geschah mit der Reformation zugleich eine Verlagerung des kirchlichen Geschehens in die innerliche Dimension, ganz im Sinn von: "Das Reich Gottes ist inwändig in euch" (Luthers Übersetzung von Lukas 17,21). Das schließt den Vorgang der Kommunion mit ein, der immer mehr in den Bereich des Glaubens überwechselt, wie im Heidelberger Katechismus zu beobachten ist:
Frage 32 Warum wirst aber du ein Christ genannt? Weil ich durch den Glauben [Apg 2, 17; 11, 26] ein Glied Christi bin [1. Joh 2, 27]
Frage 55 Was verstehst du unter der »Gemeinschaft der Heiligen«? Erstens: Alle Glaubenden haben als Glieder Gemeinschaft an dem Herrn Christus [1. Joh 1, 3; 1. Kor 1, 9] und an allen seinen Schätzen und Gaben. [Röm 8, 32]
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
Pit
Beiträge: 8120
Registriert: Freitag 23. April 2004, 17:57

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Pit »

Pilgerer hat geschrieben:"Protestantismus" ist ja eher ein Schimpfwort, das von außen benutzt wird.
...
Und zwar bezogen auf die Protestnote, die sie dem Kaiser vorlegten.
Und sie protestierten nicht gegen, sondern für etwas.
carpe diem - Nutze den Tag !

Benutzeravatar
Galilei
Beiträge: 1144
Registriert: Freitag 8. Januar 2010, 18:21
Wohnort: Bistum Münster

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Galilei »

Paul Heliosch hat geschrieben: - Magneten (...ich erinnere mich an die Sache mit dem Plus- und Minusdings...)
Plus und minus gibt es nur bei elektrischen Ladungen. Bei Magneten gibt es Nord- und Südpol. Das sind unterschiedliche Dinge.
ad-fontes hat geschrieben:Was machte das 'reformatorische Bekenntnis' so attraktiv, daß sich Fürsten, Ritter und Bürger in nicht geringer Zahl, wenn auch vornehmlich in Norddeutschland/Nordeuropa diesem anschlossen, und wie kommt es, daß es die lutherischen und reformierten Kirchen noch heute gibt (und die unierten, deren Existenzberechtigung ich nun gar nicht erkennen kann)?
Historisch attraktiv war sicherlich die Tatsache, dass man sich der Unterordnung unter den Papst entziehen konnte. Der protestantische Landesherr braucht keine Exkommunikation aus Rom zu fürchten und nicht nach Canossa zu gehen.

Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..


..und ebnete dadurch den Weg zur Rentenkasse.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Benutzeravatar
ChrisCross
Beiträge: 2645
Registriert: Freitag 22. April 2011, 23:28

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ChrisCross »

ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..


..und ebnete dadurch den Weg zur Rentenkasse.
Bist du bei Breiti in die Lehre gegangen?
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Hier einmal etwas Fachlicheres zu diesem Thema:

[quote="C. Taylor, "Ein säkulares Zeitalter", Suhrkamp, 134ff"]
Bei diesen frühen Häretikern [Anm.: Waldenser, Lollarden, Hussiten etc. pp.] werden die Angst vor der Magie und die Angst vor der Macht der Hierarchie zusammen umgekehrt. Das ist die Triebkraft, aus der sich im Mittelalter die einschneidendste Herausforderung für die Volksfrömmigkeit speist. Hier geht die Tendenz in Richtung einer ganz anderen Form der Liturgie und des kirchlichen Lebens, in dessen Rahmen die Sakramente eher rein symbolisch aufgefaßt werden, währen die Autorität der Hierarchie entgleitet und wieder in der Heiligen Schrift angesiedelt wird. Jetzt wird die sichtbare Kirche sehr viel schärfer von der wahren Gemeinschaft der Erlösten unterschieden.
Man hat beinahe den Eindruck, daß nun alles für die Reformation vorbereitet war. Tatsächlich sind diese frühen Bewegungen als protoreformatorische Bestrebungen gedeutet worden. […] Aber ein gewichtiges Element fehlte noch, nämlich die Lehre von der Erlösung durch den Glauben. Diese Lehre paßt gut zu der Leugnung der kirchlichen Magie und der Rückkehr zur Autorität der Bibel, aber es war keineswegs notwendig, daß sich dieses Element mit den anderen beiden verband. Man kann sich sogar eine andere Kette der Ereignisse vorstellen, derzufolge zumindest einige wichtige Bestandteile der Reformation nicht aus der katholischen Kirche hätten herausgelöst werden müssen: Es bestand keine Notwendigkeit, die Sakramente zu leugnen (wozu Luther selbst nicht bereit war) oder den Wert der Tradition zu bestreiten (gegen die Luther an und für sich nichts einzuwenden hatte). Doch dazu hätte es eines völlig anderen – eines sehr viel weniger von seinem Machtwahn besessenen – Roms bedurft, als es sich in den letzten Jahrhunderten tendenziell präsentiert hatte.
Ausschlaggebend ist jedoch, daß Luther mit seiner These von der Erlösung durch den Glauben den neuralgischen Punkt seiner Zeit traf, nämlich jenes zentrale Anliegen und jene Angst, die das religiöse Leben vieler Laien bestimmte und den ganzen Ablaßschwindel in Gang hielt: die Problematik des Gerichts, der Verdammnis und der Erlösung. Indem Luther in dieser Frage höhere Maßstäbe setzte, berührte er ein Thema, das – anders als die humanistische Kritik der Volksreligion oder die Ablehnung des Heiligen – dazu angetan war, sehr viele Menschen zu bewegen. […] Der Ablaßhandel wurde durch die Furcht vor Bestrafung in Gang gehalten. Doch Luthers Botschaft lautete, wir alle seien Sünder und verdienten Bestrafung. Erlösung beinhaltet, daß man sich diesem Faktum stellt und es zur Gänze akzeptiert. Nur in dem wir uns der eigenen Sündigkeit stellen, können wir uns der Barmherzigkeit Gottes ausliefern, der einzigen Möglichkeit, uns von der Sündenschuld zu befreien. »Wer die Hölle fürchtet, läuft auf sie zu.« Wir müssen den eignen Ängsten trotzen, und das verwandelt sie in Vertrauen auf die Erlösungsmacht Gottes. […]
Es gab also starke Motive für eine religiöse Erneuerung, und zwar zumindest entlang der drei Achsen, die ich bereits beschrieben habe: Hinwendung zu einer stärker innerlichen und intensiveren Form der Verehrung; größeres Unbehagen angesichts der Sakramentalien und der von der Kirche gesteuerten Magie; und schließlich die neue, begeisternde Idee der Erlösung durch den Glauben, die in eine Welt hineinplatzte, die von Angst vor dem Gericht und dem Gefühl der Unwürdigkeit zerrissen war.
[/quote]

Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Wie kommst du denn auf so eine Idee? :neinfreu:
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

ChrisCross hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..


..und ebnete dadurch den Weg zur Rentenkasse.
Bist du bei Breiti in die Lehre gegangen?
Ganz unrecht hat @ad-fontes damit nicht, vor allem in letzter Konsequenz nicht ...

Benutzeravatar
ChrisCross
Beiträge: 2645
Registriert: Freitag 22. April 2011, 23:28

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ChrisCross »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
ChrisCross hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..


..und ebnete dadurch den Weg zur Rentenkasse.
Bist du bei Breiti in die Lehre gegangen?
Ganz unrecht hat @ad-fontes damit nicht, vor allem in letzter Konsequenz nicht ...
Weiß ich doch. Nur der Stil ist hier im Forum von rb wohlbekannt.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Linus »

:kugel:
ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..


..und ebnete dadurch den Weg zur Rentenkasse.

"Max Weber Kurzgefasst" :kugel:
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Wie schön es doch ist, sich einmal verstanden zu fühlen. :hüpf:
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Benutzeravatar
ad-fontes
Beiträge: 9523
Registriert: Sonntag 28. Juni 2009, 12:34

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ad-fontes »

Danke, Thomas_de_Austria für das Zitat.


Was macht das 'reformatorische Bekenntnis' in der Gegenwart so anziehend und warum 'legt keiner seiner Anhänger hier Zeugnis ab' (um den Titel eines anderen Strangs aufzugreifen)?
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

ad-fontes hat geschrieben:Was macht das 'reformatorische Bekenntnis' in der Gegenwart so anziehend ...
Dazu wird man sich wohl die Gegebenheiten in Gebieten ansehen müssen, in denen das "reformatorische Bekenntnis" noch "so anziehend" ist. Vor allem Südamerika bietet sich hierfür an.
ad-fontes hat geschrieben:... und warum 'legt keiner seiner Anhänger hier Zeugnis ab' (um den Titel eines anderen Strangs aufzugreifen)?
Möchtest Du das denn wirklich?

Benutzeravatar
asderrix
Moderator
Beiträge: 3520
Registriert: Montag 21. Februar 2005, 17:15

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von asderrix »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:... und warum 'legt keiner seiner Anhänger hier Zeugnis ab' (um den Titel eines anderen Strangs aufzugreifen)?
Möchtest Du das denn wirklich?
Wenn ja, dann schau doch mal hier rein:

http://www.moga.at/Glaubensthemen-Predigten29.phtml

8.2.29 Was darf es kosten?
Sepp Enzenberger

,bin ich grad beim Suchen drauf gestoßen und dachte dass es dir vielleicht eine Antwort sein könnte.
Jedes Gedächtnismahl sagt: Das Beste kommt noch!

Benutzeravatar
Galilei
Beiträge: 1144
Registriert: Freitag 8. Januar 2010, 18:21
Wohnort: Bistum Münster

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Galilei »

ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..
Genau. Kürzlich erfuhr ich bei einer Stadtführung in Lüneburg, dass seit der Reformation die Armenhäuser von der Stadt bezahlt werden mussten, während es vorher fromme Stifter gab, die das übernahmen. Seit der Reformation war „das Seelenheil nicht mehr käuflich“, wie der Stadtführer es ausdrückte; darum investierte niemand mehr dahinein.

Benutzeravatar
Protasius
Moderator
Beiträge: 7122
Registriert: Samstag 19. Juni 2010, 19:13

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Protasius »

Galilei hat geschrieben:
ad-fontes hat geschrieben:Nur so ein Gedankensplitter, der hier vielleicht ganz gut rein paßt:

Der Protestantismus befreite den Menschen von der Jenseitsvorsorge..
Genau. Kürzlich erfuhr ich bei einer Stadtführung in Lüneburg, dass seit der Reformation die Armenhäuser von der Stadt bezahlt werden mussten, während es vorher fromme Stifter gab, die das übernahmen. Seit der Reformation war „das Seelenheil nicht mehr käuflich“, wie der Stadtführer es ausdrückte; darum investierte niemand mehr dahinein.
Mag sein, daß ich mich da irre, aber Spenden oder Stiftungen für die Armen sind doch ein leibliches Werk der Barmherzigkeit, das sich auf das Seelenheil positiv auswirken sollte, oder etwa nicht? Wenn man nicht gerade in hartnäckiger Sünde verharrt, sollte das doch eigentlich eine lohnende Investition sein.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009

Benutzeravatar
Galilei
Beiträge: 1144
Registriert: Freitag 8. Januar 2010, 18:21
Wohnort: Bistum Münster

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Galilei »

Protasius hat geschrieben:Mag sein, daß ich mich da irre, aber Spenden oder Stiftungen für die Armen sind doch ein leibliches Werk der Barmherzigkeit, das sich auf das Seelenheil positiv auswirken sollte, oder etwa nicht? Wenn man nicht gerade in hartnäckiger Sünde verharrt, sollte das doch eigentlich eine lohnende Investition sein.
Nicht, wenn man dem reformatorischen Prinzip sola fide folgt.

Benutzeravatar
Clemens
Beiträge: 3581
Registriert: Dienstag 2. Oktober 2007, 18:16
Wohnort: Bayern

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Clemens »

Ich vermute, dass da etwas verwechselt wurde:
Diese Art stätische Spitäler, die vor der Ref. auf Stipendien/Stiftungen beruhten, wurden durch die Reformatoren zumeist zugunsten der "öffentlichen Hand" enteignet. Die damit verbundenen sozialen Verpflichtungen mussten dadurch natürlich auch vom neuen Besitzer übernommen wurden, denn die Armen und Kranken wurden durch die Ref. ja nicht jung und gesund.

Evangelischerseits gab und gibt es selbstverständlich auch Mildtätigkeit, die sich in teilweise hoch dotierten frommen Stiftungen ausdrückte. Aber das geschah, weil Mildtätigkeit auch für Protestanten Glaubenspflicht ist, nicht weil man meinte, dass man durch fromme Leistungen in den Himmel käme.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Pilgerer »

Nach meinem Empfinden gibt es in den meisten christlichen Konfessionen anziehende Inhalte, die sich oftmals oberflächlich widersprechen, aber dennoch - nur für Gott sichtbar - jeweils Verbindungen haben, die am jüngsten Tag sichtbar werden.

Was historisch und vermutlich auch gegenwärtig am Protestantismus anziehend ist, ist u.a. die Entmachtung des Klerus. Die Laien sind auf eine Stufe mit dem geistlichen Stand gestellt. Das bedeutet mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
ChrisCross
Beiträge: 2645
Registriert: Freitag 22. April 2011, 23:28

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von ChrisCross »

Pilgerer hat geschrieben:Nach meinem Empfinden gibt es in den meisten christlichen Konfessionen anziehende Inhalte, die sich oftmals oberflächlich widersprechen, aber dennoch - nur für Gott sichtbar - jeweils Verbindungen haben, die am jüngsten Tag sichtbar werden.

Was historisch und vermutlich auch gegenwärtig am Protestantismus anziehend ist, ist u.a. die Entmachtung des Klerus. Die Laien sind auf eine Stufe mit dem geistlichen Stand gestellt. Das bedeutet mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.
Verstehe ich dich richtig: Die Spaltungen sind sinnvoll, weil Gott in ihnen verwirklicht, was er noch nicht in der katholischen Kirche getan hat?

Diese ewige Gleichmacherei bedeutet vor allem eine Abkehr von der rechten lehre und Praxis, um den Menschen zu gefallen oder sich abseits der Kirche als Protestgruppe zu deklarieren. Was daran für jemanden, der sich ernsthaft mit der Schrift auseinadersetzt (und das wollen die Protestanten ja scheinbar), sinnvoll oder gar biblisch und somit tatsächlich anziehend sein soll, erschließt sich mir nicht. Wenn ich auf der Suche nach dem rechten Glauben bin, muss ich mir das doch nicht antun.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Pilgerer »

ChrisCross hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Nach meinem Empfinden gibt es in den meisten christlichen Konfessionen anziehende Inhalte, die sich oftmals oberflächlich widersprechen, aber dennoch - nur für Gott sichtbar - jeweils Verbindungen haben, die am jüngsten Tag sichtbar werden.

Was historisch und vermutlich auch gegenwärtig am Protestantismus anziehend ist, ist u.a. die Entmachtung des Klerus. Die Laien sind auf eine Stufe mit dem geistlichen Stand gestellt. Das bedeutet mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.
Verstehe ich dich richtig: Die Spaltungen sind sinnvoll, weil Gott in ihnen verwirklicht, was er noch nicht in der katholischen Kirche getan hat?

Diese ewige Gleichmacherei bedeutet vor allem eine Abkehr von der rechten lehre und Praxis, um den Menschen zu gefallen oder sich abseits der Kirche als Protestgruppe zu deklarieren. Was daran für jemanden, der sich ernsthaft mit der Schrift auseinadersetzt (und das wollen die Protestanten ja scheinbar), sinnvoll oder gar biblisch und somit tatsächlich anziehend sein soll, erschließt sich mir nicht. Wenn ich auf der Suche nach dem rechten Glauben bin, muss ich mir das doch nicht antun.
Spaltungen können in der Kirche nicht sinnvoll und von Gott gewollt sein. Sie sind von Menschen gemacht, und eine ihrer wichtigsten Wurzeln ist Misstrauen. Die Spaltung der Reformation hatte schon im Mittelalter ihre Vorzeichen im wachsenden Misstrauen zwischen der Kirchenführung und dem Volk. Auf der einen Seite fürchtete die Kirchenführung die ständige Gefahr häretischer Bewegungen wie der Waldenser, und auf der anderen Seite sank in der Bevölkerung das Vertrauen in die Bischöfe und Priester als "gute Hirten". Die Reformation war hier nur die Explosion dieser grundsätzlichen Konfliktlage. Dabei wurde viel Gutes vom kirchlichen Erbe zerstört, aber es gab daneben auch einen Schritt hin zu mehr Vertrauen der (protestantischen) Kirchenführung in die Laien. Es wäre wichtig gewesen, dass die Gemeinden der Reformation wieder zum Vertrauen in den Papst und die katholische Kirche als Ganzes zurück gefunden hätten und dann allmählich die Spaltung überwinden. Doch dafür fehlt es uns Menschen leider an Geduld und Besonnenheit.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
Lutheraner
Beiträge: 3914
Registriert: Donnerstag 9. November 2006, 10:50

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Lutheraner »

ad-fontes hat geschrieben:Was machte das 'reformatorische Bekenntnis' so attraktiv, daß sich Fürsten, Ritter und Bürger in nicht geringer Zahl, wenn auch vornehmlich in Norddeutschland/Nordeuropa diesem anschlossen, und wie kommt es, daß es die lutherischen und reformierten Kirchen noch heute gibt (und die unierten, deren Existenzberechtigung ich nun gar nicht erkennen kann)?
Die Antwort ist einfach: Das Evangelium.
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

Benutzeravatar
Florianklaus
Beiträge: 3493
Registriert: Donnerstag 20. November 2008, 12:28
Wohnort: Bistum Münster

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Florianklaus »

Warum eigentlich war die Reformation in Nordeuropa um so vieles erfolgreicher als im Süden?

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Linus »

im Süden gabs so ein Herschergeschlecht, die irgendwie ihren Einfluß geltend gemacht haben. Wie hießen die gleich?








































Ah ja: Habsburger ;)
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
Lutheraner
Beiträge: 3914
Registriert: Donnerstag 9. November 2006, 10:50

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Lutheraner »

Florianklaus hat geschrieben:Warum eigentlich war die Reformation in Nordeuropa um so vieles erfolgreicher als im Süden?
Ich hatte hier im Forum vor einiger Zeit schon einmal geschrieben, dass die Grenze der Reformation sehr grob betrachtet am Limes entlang läuft. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Völker, die nicht zum unter römischer Herrschaft standen, sich am ehesten in der Reformation von der römischen Kirche abgewandt haben. Auch die Organisationsformen der protestantischen Kirchen und der römischen Kirche weisen Ähnlichkeiten zur Organisation der germanischen Stämme und des römischen Imperiums auf.
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

Benutzeravatar
lifestylekatholik
Beiträge: 8702
Registriert: Montag 6. Oktober 2008, 23:29

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von lifestylekatholik »

Lutheraner hat geschrieben:
Florianklaus hat geschrieben:Warum eigentlich war die Reformation in Nordeuropa um so vieles erfolgreicher als im Süden?
Ich hatte hier im Forum vor einiger Zeit schon einmal geschrieben, dass die Grenze der Reformation sehr grob betrachtet am Limes entlang läuft. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Völker, die nicht zum unter römischer Herrschaft standen, sich am ehesten in der Reformation von der römischen Kirche abgewandt haben. Auch die Organisationsformen der protestantischen Kirchen und der römischen Kirche weisen Ähnlichkeiten zur Organisation der germanischen Stämme und des römischen Imperiums auf.
Das hört sich für den Westen einigermaßen schlüssig an. Aber was ist im Osten mit Polen, Litauen, Lettland? Weiter südlich ist es wohl der habsburgische Einfluss?
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Benutzeravatar
Lutheraner
Beiträge: 3914
Registriert: Donnerstag 9. November 2006, 10:50

Re: Was macht(e) den Protestantismus so anziehend?

Beitrag von Lutheraner »

lifestylekatholik hat geschrieben:
Lutheraner hat geschrieben:
Florianklaus hat geschrieben:Warum eigentlich war die Reformation in Nordeuropa um so vieles erfolgreicher als im Süden?
Ich hatte hier im Forum vor einiger Zeit schon einmal geschrieben, dass die Grenze der Reformation sehr grob betrachtet am Limes entlang läuft. Ich halte es für keinen Zufall, dass die Völker, die nicht zum unter römischer Herrschaft standen, sich am ehesten in der Reformation von der römischen Kirche abgewandt haben. Auch die Organisationsformen der protestantischen Kirchen und der römischen Kirche weisen Ähnlichkeiten zur Organisation der germanischen Stämme und des römischen Imperiums auf.
Das hört sich für den Westen einigermaßen schlüssig an. Aber was ist im Osten mit Polen, Litauen, Lettland? Weiter südlich ist es wohl der habsburgische Einfluss?
Irland ist auch eine Ausnahme. Es ist nur eine Theorie für die mir die konkrete Begründung fehlt. Das römische imperium war zur Zeit der Reformation tot und vergessen. Vielleicht haben die nordischen Völkern eine stärkere Abneigung gegen Zentralismus und Fremdbestimmung bewahrt.
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema