ich habe zumindest so spezifisch kein bereits bestehendes Thema über die Rolle Jesu im heutigen Judentum und sein Verhältnis zum heutigen Christentum gefunden, speziell zur römisch-katholischen Kirche. Aus diesem Grund würde ich gerne hier über die geschilderte Problematik mit euch diskutieren. Kurz vor Ostern habe ich auf SWR 2 im Radio ein Gespräch mit einem Rabbiner gehört, der - kurz gesagt - folgende Behauptungen aufstellte: Jesus habe nichts anderes gelehrt, als fromme Juden zur damaligen Zeit ohnehin glaubten; die Gottessohnschaft habe er nie gepredigt und erst recht nicht die Dreieinigkeit. Leider kann ich die dazugehörige Sendung auf SWR 2 nicht mehr finden, es muss wohl am Mittwoch vor dem Gründonnerstag gewesen sein. Allerdings gibt es auch im Internet jüdische Quellen, deren Inhalt in dieselbe oder ähnliche Richtung gehen. Ich muss sagen, dass ich von dieser Behauptung zwar nicht zum ersten Mal höre, aber auch jedes Mal erneut über ihre Ungeheuerlichkeit (besonders angesichts meines Glaubens als Katholik) regelrecht fassungslos bin, denn im Prinzip ist das ja der Dreh- und Angelpunkt des Christentums. Es gibt allerdings eine jüdische Quelle zu diesen Behauptungen, die ich in relativ kurzer Zeit gefunden habe (sicherlich gibt es ähnliche oder gar ausführlichere Quellen anderswo und ich bin dankbar für Ergänzungen).
“Rabbi Jesus” (Predigt von Theodor Much von der liberalen (!) jüdischen Gemeinde "Or Chadasch" in Wien in der Reformierten Stadtkirche. Theodor Much ist Autor des Buches "Wer killte Rabbi Jesus?: Religiöse Wurzeln der Judenfeindschaft") Hier eine Kurzbiographie von Much:
In dieser Predigt bzw. Vortrag werden nun die oben genannten zentralen Thesen aufgeführt:Dr. med. Theodor Much, 1942 in Tel Aviv geboren. Medizinstudium in Wien, Ausbildung zum Facharzt für Dermatologie in Zürich. Der ehemalige Leiter der Hautambulanz im Hanusch-Krankenhaus Wien ist seit 1990 Präsident der jüdischen Reformgemeinde Or Chadasch („Neues Licht") und beteiligt sich seither aktiv am interreligiösen Dialog. Zahlreiche Buchpublikationen (u.a. „Noah & Co", satirische, antifundamentalistische Essays, „Zwischen Mythos und Realität . Judentum, wie es wirklich ist"); Veröffentlichungen und Vorträge zu Fragen des Interkonfessionellen Dialogs, zum Status der Frau in der Religion und zu religiösem Fundamentalismus.
Und weiter:Theodor Much hat geschrieben:Wer letztlich seinen [gemeint ist Jesu] Tod verschuldete, bleibt unklar. Sicherlich hatte er Feinde hauptsächlich unter den Sadduzäern und einzelnen Pharisäern, doch weswegen er letztlich von den Römern ermordet wurde, kann nur vermutet werden. Denn weder der Inhalt seiner Lehre, noch seine öffentlichen Reden standen im Gegensatz zum Judentum. Selbst wenn er sich als den Messias verstanden hätte, wäre diese Selbsteinschätzung kein ausreichender Grund für eine Hinrichtung (das beweist die lange jüdische Geschichte mit vielen gescheiterten Messiasanwärtern, die nie vor Gericht standen). Obwohl er sich nie dem Volk als Messias präsentierte (und seine Jünger davor warnte, öffentlich diese Behauptung aufzustellen), war er – wie dem Neuen Testament entnommen werden kann – ein beliebter und viel bewunderter Prediger.
Zu den mir sehr abstrus scheinenden Thesen in diesem Vortrag möchte ich jetzt gar nicht Stellung nehmen (z.B. sei die Todesstrafe im Judentum schon seit 2.000 Jahren abgeschafft [2011 wurde von einem rabbinischem Gericht in Israel sogar ein Hund zur Steinigung verurteiltTheodor Much hat geschrieben:Nicht das, was Jesus lehrte, trennt heute Juden und Christen, sondern die Theologie seiner Nachfolger. Denn sie führten den Begriff der Dreifaltigkeit ein (eine Vorstellung, die der jüdischen Gottesvorstellung von einem unsichtbaren, einzigen Gott, der nicht abgebildet werden darf und keinesfalls mit Menschenkindern Nachkommen zeugt, widerspricht) und sahen in Jesus den körperlichen Sohn Gottes und auch den Messias (dessen Wirken auf Erden mit den gängigen Messiasverständnis des Judentums sich nicht vereinbaren lässt).

Die Frage lautet also: Ist der Anspruch Jesu auf den Messiastitel und die Gottessohnschaft authentisch?
Während meines katholischen Theologiestudiums kam man in den Vorlesungen und Seminaren, natürlich vor allem in der Neutestamentlichen Exegese, immer wieder auf die Stellen in den Evangelien zu sprechen, wo die Beanspruchung des Messiastitels bzw. Gottessohnschaft Jesu geäußert wird. Nirgendwo und niemals wurden die Quellen für diese Stellen auch im Licht der historisch-kritischen Methode als unglaubwürdig tituliert. Dabei war die theologische Fakultät der Universität Freiburg i.Br. und besonders die exegetischen Abteilungen für ihre "Originalität" bei der Auslegung geradezu berüchtigt. Nun frage ich mich aber auch, welche Quellen die Gegenseite, also das Judentum, hier anführen könnte, um die genannten Ansprüche Jesu im Neuen Testament ad absurdum zu führen. Denn selbst der Zeitgenosse Jesu, der jüdische Historiker Flavius Josephus, schreibt in den Antiquitates Judaicae:
Diese Stelle wird zwar als unecht bezeichnet, bzw. entstand lt. der These durch Einfügungen christlicher Überlieferer, allerdings ist diese Bestreitung der Echtheit wenig fundiert (also eher von interessierter Seite lanciert worden). Aber gleichwohl: Diese Quellen sagen nichts darüber aus, inwieweit Jesus selbst seine Ansprüche als Gottessohn und Messias nicht wirklich selbst hervorgebracht haben könnte. Interessant ist ohnehin, dass jüdische Forschungen die Evangelien als schriftliche Quellen überhaupt nicht einmal in Erwägung ziehen (das ist interessant, weil es weitere schriftliche Quellen theologisch-inhaltlicher Art eigentlich nicht gibt, den Talmud selbst einmal ausgenommen, der bezüglich seiner Berichte über die Person Jesu viele unaufgelöste historische Widersprüche und Authentizitätsfragen aufwirft). Der Talmud selbst sagt dazu (Traktat Sanhedrin 43a):Flavius Josephus hat geschrieben:„Um diese Zeit lebte Jesus, ein weiser Mann, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er vollbrachte nämlich ganz unglaubliche Taten und war der Lehrer aller Menschen, die mit Lust die Wahrheit aufnahmen. So zog er viele Juden und auch viele Heiden an sich. Dieser war der Christus. Und obgleich ihn Pilatus auf Betreiben der Vornehmsten unseres Volkes zum Kreuzestod verurteilte, wurden doch seine früheren Anhänger ihm nicht untreu. Denn er erschien ihnen am dritten Tage wieder lebend, wie gottgesandte Propheten dies und tausend andere wunderbare Dinge von ihm vorhergesagt hatten. Und bis auf den heutigen Tag besteht das Volk der Christen, die sich nach ihm nennen, fort.“
Forscher datieren diese Notiz auf etwa 200-220 n.Chr., also weit später als die Evangelien, in quellenkritischer Hinsicht also nachrangiger. Wie sieht die Quellenlage also wirklich aus? Was meint ihr dazu? Wer nichts schreiben möchte, kann auch nur abstimmen. Ich weiß, die Wahrheit ist nicht demokratisierbar. Aber interessieren tut's mich schon. Deshalb bitte ich auch um Ergänzungen und gerne auch um Korrekturen und konstruktive Kritik. Auch Literaturempfehlungen dazu nehme ich gerne entgegen.Talmud hat geschrieben:„Am Vorabend des Passahfestes hängte man Jeschu. Vierzig Tage vorher hatte der Herold ausgerufen: Er wird zur Steinigung hinausgeführt, weil er Zauberei getrieben und Israel verführt und abtrünnig gemacht hat; wer etwas zu seiner Verteidigung zu sagen hat, der komme und sage es. Da aber nichts zu seiner Verteidigung vorgebracht wurde, so hängte man ihn am Vorabend des Passahfestes.“