Ist Gott vom Menschen abhängig?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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overkott
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Re: Ist Gott vom Menschen abhängig?

Beitrag von overkott »

offertorium hat geschrieben:Hallo!

Derzeit beschäftige ich mich mit einem Problem, wo ich noch nicht Recht weitergekommen bin. Ich versuche es kurz zu umreißen:

Wenn Gott Vorherwissen über die menschlichen Handlungen hat und diese Handlungen nicht determiniert sind, dann ist das Wissen Gottes über diese Handlungen ja das Ergebnis eben dieser Handlungen. Gott beeinflusst die menschlichen Handlungen nicht, sondern er kennt sie, weil sie passieren.

Wird damit nicht das Wissen Gottes vom Menschen abhängig ?

Da hänge ich schon einige Tage dran. Hat jemand eine Idee?

Gruss,
o
Wenn wir etwas von Gott wissen wollen, dann sollten wir einmal sein Wort in der Bibel lesen. Man muss das dicke Dinge nicht an einem Tag wälzen. Man kann beliebig einsteigen. Aber nur der Dieb kommt von hinten. Jesus hat von vorne gelesen, wie Gottes Wort in die Welt gekommen ist durch die beiden ersten Geschichten. Wären sie identisch, hätte man eine davon weglassen können. Tatsächlich erzählen sie die Erschaffung der Welt aus zwei verschiedenen Perspektiven. Gott erscheint bereits am Anfang der Bibel unterschiedlich.

Wie kommen wir mit diesem Widerspruch klar?

Gibt es Gott nur so, wie wir uns ihn zurechtlegen? Oder ist Gott anders?

Die ersten Schöpfunsgtheologen haben trotz aller Unterschiede nicht völlig aneinander vorbeigeredet: Sie haben nicht nur ein gemeinsames Thema gehabt - Gottes Erschaffung der Welt und des Menschen als Mann und Frau, sondern sie ergänzen sich auch in zeitlicher Abfolge. Die zweite Geschichte treibt die erste ein Stück weiter voran dadurch, dass Mann und Frau nicht nur schalten und walten dürfen, wie es Gott gefällt, sondern dadurch dass etwas passiert, indem sie ihrem Auftrag ( mandatum ) nicht gerecht werden, sondern versagen ( peccato ).

Der Redakteur der Bibel, der die beiden Geschichten ausgewählt hat, hat sie sinnvoll hintereinander angeordnet, auch wenn in jüngster Zeit Spekulationen über das Alter der Geschichten aufkamen und die zweite als älter eingeschätzt wurde. Der Redakteur war also kein Archivar, der Texte nach Eingangsdatum in den Aktenschrank gestellt hat, sondern ein Geistlicher, der Gottes Wort verstanden und eingeordnet hat. Damit hat er einen Hinweis gegeben, dass wir den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen sollten.

Die erste Schöpfungsgeschichte erzählt zunächst die Erschaffung der Zeit, dann erst die Erschaffung der Welt: Im Anfang... - so geht die Bibel los - schuf Gott mit dem Licht die Zeit als den Unterschied zwischen Tag und Nacht ( Gen 1,5 ). Damit erscheint Gott als Ewiger über der Zeit und später auch konsequent über die Zeiten hinweg. Aus dieser Überordnung ist Gott nicht der Nachgeordnete oder Untergebene, der sein Wissen wie ein Mensch empirisch sammelt.

Doch, sagt die zweite Schöpfungsgeschichte als Gegenthese. Gott ist Empiriker. Er erschafft den Menschen und baut um ihn herum die Welt nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum: ein Garten genügt dem Menschen nicht, Tiere genügen dem Menschen nicht und nachdem Gott für den Menschen alles getan hat, fällt der Idiot auch noch von ihm ab.

Der Widerspruch der beiden Schöpfungsgeschichten ist ein Hinweis auf die theologische Debatte und ihre Einheit in Vielfalt. Tatsächlich sind im theologischen Gespräch mehr Meinungen von Gott möglich als nur eine. Dieses wichtige Strukturmerkmal am Anfang der Bibel wird sich auch später im neuen Testament widerspiegeln. Gottes eine Familie besteht aus vielen Glieder mit vielen Talenten und Meinungen wie ein Körper mit Köpfchen, aber auch mit Hand und Fuß. Diese Einheit in Freiheit funktioniert natürlich nur so lange, wie diese Spannung nicht zu einer Seite - totale Einheit oder totale Freiheit - hin aufgelöst wird.

Von daher kann man sagen, dass Gottes Wissen aus ewiger Perspektive menschlichem Wissen vorausgeht, dass sein Wissen aus zeitlicher Perspektive jedoch begrenzt sein muss, weil Gott immer wieder lernt, was der Mensch braucht, bis er aus dem Paradies vertrieben wird.

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