Enzyklika "Fratelli tutti"

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Skylark
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Skylark »

Trisagion hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 18:58
Skylark hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 18:34
1. Die Welt funktioniert aber nicht nach einem "Das wäre mir lieber!"
2. Nehme ich Dir "ich habe immer noch keine Ahnung ......." nicht ab!
:hae?: Aber gut, wie Du willst.
Herzlichen Dank für das Verständnis! :hutab:
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Lycobates
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Lycobates »

Trisagion hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 17:02
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 16:09
Ein päpstlicher Katechismus (in dem ex professo die Glaubens- und Sittenlehre dargelegt wird) ist per se Ausdruck des unfehlbaren universellen ordentlichen Lehramtes.
Das war aber nicht meine Frage. Wir sind hier ja leider in der unglücklichen Lage, die Autorität verschiedener päpstlicher Dokumente gegeneinander abzuwägen. Ist ein Katechismus also der Autorität halber mehr wie ein Apostolisches Schreiben, eine Enzyklika oder eine Apostolische Konstitution?
Hier muß doch ein Mißverständnis ausgeräumt werden.
Der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra lehrt, d.h. qua Papst, von Amts wegen, lehrt, und zwar jedesmal wenn er eine Wahrheit als von Gott geoffenbart alle zu glauben lehrt, oder umgekehrt einen Irrtum als der Offenbarung entgegengesetzt allen Gläubigen zu verwerfen vorhält. Das geschieht, bzw. geschah, in seiner ordentlichen Form, hunderte Male in einem Pontifikat, wie Papst Pius XI. (hier bereits zitiert, s. AAS 20/1928, 14) in Mortalium animos sagte: cotidie: täglich.
Um das zu tun, ist der Papst nicht an eine gewisse Form gebunden, er kann das in einer Predigt, in einem Brief, in einer Enzyklika, und natürlich in einem Katechismus. Es ist ein reiner Willensakt, der jedesmal dann gegeben ist, wenn nach dem Willen des Papstes ein Widerspruch nicht möglich ist und der betreffende Punkt auch Offenbarungsgut ist.
Nun bedeutet aber die Tatsache, daß eine päpstliche Äußerung nicht in diesem Sinne und unter diesen Auflagen geschieht, keineswegs, daß der Papst ansonsten, ohne die Gläubigen verpflichten zu wollen, etwa in einem Gespräch mit Kardinälen oder Journalisten, oder einem persönlichen Schreiben, das öffentlich wird, einfach Häresien verkünden kann und doch trotz Widerspruch Papst bleiben. Denn, im Gegensatz zu anderen Tugenden, die einem abgehen könnten, wenn das auch u.U. ein schweres Ärgernis wäre, ist die Tugend des übernatürlichen Glaubens strikt konstitutiv für die Amtsführung in der Ecclesia docens, zumal für den einen, der in der Kirche für alle Gläubigen die nähere Glaubensregel darstellt, und seine Brüder im Glauben festigen muß.

"Nicht unbedingt unfehlbar aussagen" ist also nicht gleichbedeutend mit "unter Umständen auch Häresien aussagen zu können".
Denn wenn ein Getaufter, also auch ein Papst, wissentlich und willentlich eine Häresie aussagt, und sich nicht durch Widerspruch davon abbringen läßt, also formell und öffentlich darauf beharrt, hört seine Kirchenmitgliedschaft von selbst auf. Dabei ist es seit Bellarmin (hier bereits öfter zitiert) die communior opinio, daß, wenn ein solcher Papst ist, er dann auch aufhört, Papst zu sein (quia non esset membrum Ecclesiae, ergo multo minus caput). Der Aquinate (ebenfalls hier schon öfter zitiert) hatte in diesem Zusammenhang allgemein schon festgestellt, daß die (ordentliche) Jurisdiktion in einem Häretiker (und Schismatiker) nicht erhalten bleibt und seine präsumptiven Jurisdiktionsakte von sich aus nichtig sind (S.Th. IIª-IIae q. 39 a. 3 co.).
Trisagion hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 17:02
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 16:09
Wenn also eine solche Lehrtätigkeit (sei es in ihrer außerordentlichen oder in ihrer ordentlichen tagtäglichen Ausprägung) doch zu irren scheint, handelt es sich entweder nicht um einen Irrtum (sondern das scheint nur so, und der Zweifel muß ausgeräumt werden), oder das Lehramt ist ein usurpiertes. Tertium non datur.
Das ist so nicht richtig, Du hast da schlicht das Kritierium der "einmütigen Verkündigung" ausgelassen. Das Dritte ist hier also, daß eine Lehrtätigkeit aus menschlichem Irrtum oder Sünde heraus zwar offiziell lanciert wird aber der "einmütigen Verkündigung" widerspricht. Daraus folgt nicht unbedingt, daß das Lehramt usurpiert wurde. Denn vom Spezialfall ex cathedra abgesehen kann jeder Mensch, auch ein Bischof oder Papst, irren und sündigen. Und dies kann auch im Amt geschehen - und dadurch wird zwar das Amt beschädigt, aber nicht einfach rückwirkend annuliert.
Die "einmütige Verkündigung" bezieht sich auf den Episkopat (ecclesia docens dispersa) im Verein mit dem Papst.
(Das Kriterium gilt z.B. a contrario für gewisse irrige Lehren des Vatikanum II und nachfolgende Reformen, die zwar einmütig weltweit verkündet und praktiziert werden, aber trotzdem irrig sind: damit hat sich dieser Episkopat als seines Amtes verfallen gerichtet.
Das gilt natürlich auch für den damaligen holländischen Episkopat, der trotz Proteste der Gläubigen und auch handfester fachlicher theologischer Kritik (man denke etwa an Pater van der Ploeg) "in einmütiger Verkündigung" auf seinem häretischen "Katechismus" beharrte.)


Ich hatte das Kriterium hier zum Schluß nicht mehr erwähnt, da es mir letztendlich in der Diskussion ging um den "päpstlichen" Katechismus und seine neuerliche Anpassung, bzw. um die Fußnote zum bellum justum in der letzten "Enzyklika". Der (legitime) Papst braucht keine einmütige Verkündigung für sein Lehramt, er kann für sich allein all das, was ein Gesamtkonzil und die Gesamtheit der Bischöfe weltweit, mit ihm vereint, können.
Der Mittelweg ist der einzige Weg, der nicht nach Rom führt (Arnold Schönberg)
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Bruder Donald

Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 17:49
Das Problem besteht also nicht darin, daß der Papst sagt Katholiken sollten (in unseren Zeiten) die Todesstrage ablehnen. Das Problem besteht darin, daß die Art und Weise wie dies präsentiert wird den Anschein erweckt, daß es Lehre der Kirche ist, daß die Todesstrafe unter allen Umständen ausgeschlossen ist. Das ist aber nicht der Fall, und der Papst hat keine Befugnis das zu behaupten.
Nun, offenbar doch. Aber nicht in dem Sinne, dass er die Lehre einfach umgeändert, sondern in Bezug auf das Lehramt seiner Vorgänger (und der grundsätzlichen Lehre der Kirche) weiterentwickelt hat. Er sagt "weiterentwickelt", andere sagen "Bruch mit gültiger Lehre". :achselzuck:
Wenn ich mir die offiziellen Schreiben zu dem Thema durchlese, dann kann ich mich deiner Interpretation nicht anschließen. Nicht, weil ich nicht will (mir persönlich wäre es lieber so wie du es darstellst), ich lese deine Ansicht aus den Texten einfach nicht heraus.
Ich verlinke nochmals:

Neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche bezüglich der Todesstrafe

Ansprache des Heiligen Vaters Papst Franziskus zum 25. Jahrestag der Veröffentlichung des Katechismus der Katholischen Kirche
(Welches ich hier stellenweise zitiert habe und bestimmte Passagen hervorgehoben habe)

und zusätzlich eine Erklärung/Erläuterung seitens der Glaubenskongregation zur Änderung der Nr. 2267, unterschrieben von Kardinal Ladaria. Hieraus möchte ich zitieren:
7. Die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche, die Papst Franziskus approbiert hat, liegt auf der Linie des vorausgehenden Lehramts und führt eine konsequente Entwicklung der katholische Lehre weiter.[12] Der neue Text folgt den Spuren der Lehre von Johannes Paul II. in Evangelium vitae und bekräftigt, dass die Unterdrückung des Lebens eines Verbrechers als Strafe für ein Vergehen unzulässig ist, weil sie gegen die Würde der Person verstößt, eine Würde, die auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat. Zu diesem Schluss gelangt man auch, wenn man die vom modernen Staat angewandten Strafsanktionen in Betracht zieht, die vor allem auf die Besserung und soziale Wiedereingliederung des Verbrechers abzielen müssen. Schließlich ist die Todesstrafe unter Berücksichtigung der wirksameren Haftsysteme der modernen Gesellschaft nicht notwendig, um das Leben unschuldiger Personen zu schützen. Selbstverständlich bleibt die Pflicht der öffentlichen Autorität bestehen, das Leben der Bürger zu verteidigen, wie das Lehramt immer bestätigt hat und wie der Katechismus der Katholischen Kirche in den Nummern 2265 und 2266 bekräftigt.
[...]
10. Die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche möchte, auch durch einen respektvollen Dialog mit den politischen Autoritäten, zu einem entschiedenen Einsatz dafür anspornen, dass eine Mentalität gefördert wird, welche die Würde jedes menschlichen Lebens anerkannt, und die Bedingungen entstehen können, um die Todesstrafe heute abzuschaffen, wo sie noch in Kraft ist.
Ja, man kann einwenden, dass die Schreiben doch eher von "fortgeschrittenen" Gesellschaften sprechen und "unmoderne" Gesellschaften (denen man noch die Möglichkeit der Praxis der Todesstrafe einräumt) gar nicht erwähnt werden, aber in meinen Augen ist die Argumentation glasklar: Auch ein Schwerverbrecher hat eine Würde, und diese ist unantastbar (ergo Todesstrafe nicht erlaubt, unter keinen Umständen). Punkt, Aus, Finito!
Im Schreiben der GK wird nochmals die Kontinuität der aktualisierten Form mit den päpstlichen Vorgängern sowie mit dem "Licht des Evangeliums" betont. Ob man nun dieser Argumentation folgen möchte und von einer "Hermeneutik der Kontinuität" ausgehen mag, oder eben nicht und von einer "Hermeneutik des Bruchs" spricht, muss dann jeder für sich selbst entscheiden.
Trisagion hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 17:49
Deine Interpretation ist von primärer Wichtigkeit, für Dich.
Wir sind hier nicht im Deutschleistungskurs und interpretieren ein Gedicht von Goethe, was er denn wohl gemeint haben mag.
Der Papst hat offenbar mir aller Autorität lehramtlich eine bestehende Lehre "geändert" (ob nun als Weiterentwicklung oder als Bruch sei mal dahingestellt) und ich kann doch erwarten, dass er seine Intention argumentativ begründet und darlegt. Dann kann ich mich dazu entscheiden bzw. positionieren.
Und wenn ich mir die offiziellen Dokumente dazu angucke, ist für mich die Sachlage klar und es gibt da nichts zu interpretieren: Er hat die Postionen der Kirche zur Todesstrafe in "unter gar keinen Umständen" geändert.

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
Der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra lehrt, d.h. qua Papst, von Amts wegen, lehrt, und zwar jedesmal wenn er eine Wahrheit als von Gott geoffenbart alle zu glauben lehrt, oder umgekehrt einen Irrtum als der Offenbarung entgegengesetzt allen Gläubigen zu verwerfen vorhält. Das geschieht, bzw. geschah, in seiner ordentlichen Form, hunderte Male in einem Pontifikat, wie Papst Pius XI. (hier bereits zitiert, s. AAS 20/1928, 14) in Mortalium animos sagte: cotidie: täglich.
Eine Lehre "ex cathedra" bedeutet nicht jede Lehräußerung des Papstes von Amts wegen, jedenfalls nicht im üblichen Sprachgebrauch. Es ist vielmehr eine historisch gesehen seltene Form bei der der Papst formal und explizit eine Lehre für die ganze Kirche als bindend definiert, und dabei der Unterstützung des Heiligen Geistes sicher ist. Es ist auch aus dem gewachsenen Verständnis und Tradition heraus inzwischen schlicht notwendig, daß dies eindeutig durch die verwendete Sprache von "normalen" Lehräußerungen des Papstes abgegrenzt wird. Beim Rückblick in die Geschichte kann man weniger formale Äußerungen des Papstes als "ex cathedra" annehmen, aber bei dem Blick auf den heutigen und zukünftige Päpste nicht. Da hat sich historisch die rechte Form für solche Dinge eben inzwischen herausgebildet.

Es ist auch richtig, daß das ordentliche Magisterium unfehlbar sein kann. Aber eben gerade nicht weil das nun ein bestimmter Papst sagt. Sondern weil das von vielen Päpsten, und Konzilen, und den Vätern, und allen möglichen Katholiken durch die Zeiten immer wieder gesagt und bestätigt wurde. Es ist der Chor der Stimmen durch die Zeit, nicht der Papst zu einer bestimmten Zeit, der hier die Unfehlbarkeit etabliert. Wenn ein Papst täglich im Einklang mit den Zeiten spricht, ist es richtig zu sagen, daß er täglich unfehlbar spricht. Aber eben nicht einfach aus seinem eigenen Amt zu dieser Zeit heraus, nicht unabhängig von dem Chor dem er seine Stimme hinzufügt.

Wo der Papst weder explizit "ex cathedra" lehrt in dem von mir angeführten Sinne, noch im Einklang mit der klaren Lehre durch die Zeiten spricht, da sind seine Lehren im Prinzip fehlbar. Man kann hoffen, daß er keine oder nur wenige Fehler macht. Aber eine Hoffnung bietet keine Sicherheit.
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
Um das zu tun, ist der Papst nicht an eine gewisse Form gebunden, er kann das in einer Predigt, in einem Brief, in einer Enzyklika, und natürlich in einem Katechismus. Es ist ein reiner Willensakt, der jedesmal dann gegeben ist, wenn nach dem Willen des Papstes ein Widerspruch nicht möglich ist und der betreffende Punkt auch Offenbarungsgut ist.
Ein diesbezüglicher Wille des Papstes muß eindeutig mitgeteilt werden, sonst ist kein Katholik daran gebunden. Katholiken sind weder Gedankenleser noch dazu verpflichtet den Willen des Papstes zu erraten. In der Praxis bedeutet dies, daß die Form der gewählten Worte essentiell ist um den Willen des Papstes den Gläubigen unmißverständlich zu vermitteln. Und Sprache ist nicht einfach der Willkür des Individuums unterworfen, selbst wenn wir von der Sprache in der Kirche und dem Papst reden. Es bestehen z.B. inzwischen Traditionen wie eine "ex cathedra" Definition auszusehen hat. Bricht ein Papst diese Tradition ohne Vorbereitung und Erklärung, dann ist es schlicht natürlich wenn das nicht verstanden wird. In diesem Fall verpufft sein Willen ineffektiv. Und obwohl es möglich ist für den Papst in jedem beliebigen Dokument eine Lehre jeder beliebigen Autorität vom Stapel zu lassen, ist das erstens unziemlich und zweitens wiederum ineffektiv. Es ist unziemlich, weil Gott Ehre gebührt, auch und gerade vom Papst, und er großen Lehräußerungen bzgl. Gottes Willen einen entsprechenden Rahmen geben sollte. Es ist ineffektiv weil die Gläubigen es vielleicht einfach nicht mitkriegen, wenn der Papst irgendwo in einer obskuren Rede eine Lehre definiert.
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
"Nicht unbedingt unfehlbar aussagen" ist also nicht gleichbedeutend mit "unter Umständen auch Häresien aussagen zu können".
Dem stimme ich zu. Ich habe ja auch schon erwähnt, daß ich im Falle von Papst F der Meinung bin, daß er nach Bellarmin et al. entweder bereits aufgehört hat Papst zu sein, oder wenigstens im kirchenrechtlichen "Limbo" bzgl. dieser Konsequenz verharrt. (Es ist klar, daß einem häretischen Papst die Chance gegeben werden muß sich zu korrigieren bevor er sein Amt verliert. Es ist auch klar, daß diese Chance nicht ewig währen kann. Was mir nicht klar ist, ist wie lange und unter welchen Umständen diese Chance zu geben ist. Insofern ist mir nicht klar, ob sich das alles bereits erledigt hat, oder nicht.)
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
Der (legitime) Papst braucht keine einmütige Verkündigung für sein Lehramt, er kann für sich allein all das, was ein Gesamtkonzil und die Gesamtheit der Bischöfe weltweit, mit ihm vereint, können.
Das stimmt, aber es ist eben nicht einfach alles was er lehrt automatisch auf dem Niveau eines Gesamtkonzils.

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 01:32
Aber nicht in dem Sinne, dass er die Lehre einfach umgeändert, sondern in Bezug auf das Lehramt seiner Vorgänger (und der grundsätzlichen Lehre der Kirche) weiterentwickelt hat. Er sagt "weiterentwickelt", andere sagen "Bruch mit gültiger Lehre". :achselzuck:
Eine solche Bewertung ist nicht willkürlich. Die Lehre der Kirche ist nachweisbar, daß die Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen zulässig ist. Und es wäre schlicht Geschichtsklitterung diese Bedingungen für praktisch unerfüllbar zu halten. Es steht historisch gesehen unzweifelhaft fest, daß die katholische Kirche in der Vergangenheit die praktische Anwendung der Todesstrafe in verschiedenen Ländern, Zeiten, Völkern und Gesellschaften erlaubt hat. Man kann das nicht "weiterentwickeln" zu einer kategorischen Aussage, daß die Todesstrafe unter keinen Bedingungen zulässig ist. Das ist unlogisch.

Wir reden hier ja auch nicht von Kleinigkeiten. Wenn die Todesstrafe unzulässig ist, dann ist die Ausführung der Todesstrafe schlicht Justizmord. Man sollte vorsichtig damit umgehen der katholischen Kirche die Absegnung von tausendfachem Justizmord durch die Zeiten in die Schuhe zu schieben.
Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 01:32
Wenn ich mir die offiziellen Schreiben zu dem Thema durchlese, dann kann ich mich deiner Interpretation nicht anschließen.
Dann bleibt Dir nichts anderes übrig, als diesen Papst als Häretiker zu identifizieren und seine Autorität fürderhin nicht nur in dieser Sache, sondern allgemein, abzulehnen bis er seine Irrlehre widerruft.

Ich habe Dir mit meiner Intepretation einfach eine Hilfestellung gegeben, wie Du diese Schlußfolgerung vielleicht doch noch vermeiden kannst. Wenn Du jetzt sagst, daß Du dem nicht folgen kannst, dann betrübt mich das nicht. Es bedeutet nur, daß Du meiner Meinung bist bzgl. Papst F.
Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 01:32
Ob man nun dieser Argumentation folgen möchte und von einer "Hermeneutik der Kontinuität" ausgehen mag, oder eben nicht und von einer "Hermeneutik des Bruchs" spricht, muss dann jeder für sich selbst entscheiden.
Elementare Logik ist nicht der der Entscheidung des Einzelnen überlassen. Ich habe Dir die "Hermeneutik der Kontinuität" ja vorgeführt. Falls man glauben will, daß Papst F hier nicht mit der Tradition bricht, dann muß man argumentieren, daß er nur sagt daß die Bedingungen für die Todesstrafe heutzutage in unseren Gesellschaften (weltweit...) nicht mehr gegenben sind. Nur unter diesen Umständen läßt sich ein Bruch mit der vorhergehenden Lehre vermeiden. Du hast das abgelehnt. Demnach glaubst Du an einen Bruch. Ist dieser Bruch statthaft? Nein. Welche Konsequenzen wirst Du nun also ziehen?
Bruder Donald hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 01:32
Der Papst hat offenbar mir aller Autorität lehramtlich eine bestehende Lehre "geändert" (ob nun als Weiterentwicklung oder als Bruch sei mal dahingestellt) und ich kann doch erwarten, dass er seine Intention argumentativ begründet und darlegt. Dann kann ich mich dazu entscheiden bzw. positionieren.
Genau. Mein Punkt war schlicht, daß es am Ende für Dich nur zählt wie Du Dich entscheidest bzw. positionierst. Das kann Dir niemand abnehmen, nicht ich, und auch nicht der Papst. Wenn Du jemandem Glauben schenkst, dann schenkst Du, nicht jemand anders.

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Lycobates
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Lycobates »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 02:49
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
Der Papst ist unfehlbar, wenn er ex cathedra lehrt, d.h. qua Papst, von Amts wegen, lehrt, und zwar jedesmal wenn er eine Wahrheit als von Gott geoffenbart alle zu glauben lehrt, oder umgekehrt einen Irrtum als der Offenbarung entgegengesetzt allen Gläubigen zu verwerfen vorhält. Das geschieht, bzw. geschah, in seiner ordentlichen Form, hunderte Male in einem Pontifikat, wie Papst Pius XI. (hier bereits zitiert, s. AAS 20/1928, 14) in Mortalium animos sagte: cotidie: täglich.
Eine Lehre "ex cathedra" bedeutet nicht jede Lehräußerung des Papstes von Amts wegen, jedenfalls nicht im üblichen Sprachgebrauch. Es ist vielmehr eine historisch gesehen seltene Form bei der der Papst formal und explizit eine Lehre für die ganze Kirche als bindend definiert, und dabei der Unterstützung des Heiligen Geistes sicher ist. Es ist auch aus dem gewachsenen Verständnis und Tradition heraus inzwischen schlicht notwendig, daß dies eindeutig durch die verwendete Sprache von "normalen" Lehräußerungen des Papstes abgegrenzt wird. Beim Rückblick in die Geschichte kann man weniger formale Äußerungen des Papstes als "ex cathedra" annehmen, aber bei dem Blick auf den heutigen und zukünftige Päpste nicht. Da hat sich historisch die rechte Form für solche Dinge eben inzwischen herausgebildet.
Das Mißverständnis ist ein hartnäckiges, auch und gerade in Tradikreisen (dazu: http://www.katolikus-honlap.hu/1502/holzer-lerin.pdf) und wohl auch der Tatsache zuzuschreiben, daß die einschlägigen Stellen des Vatikanums in zwei verschiedenen Konstitutionen stehen, ohne voll integriert zu sein, was dem Abbruch der Kirchenversammlung geschuldet ist.

Aber es ist nicht so, daß "ex cathedra" unbedingt bedeutet "feierlich", und somit "selten".
Im dritten Kapitel (von Diekamp s.u. zitiert und kommentiert) von Dei Filius haben die Konzilsväter verbindlich erklärt:
fide divina et catholica ea omnia credenda sunt, quae in verbo Dei scripto vel tradito continentur et ab Ecclesia sive solemni judicio sive ordinario et universali magisterio tamquam divinitus revelata credenda proponuntur.
Mit göttlichem und katholischen Glaubens ist all das zu glauben, was im schriftlichen oder überlieferten Wort Gottes enthalten ist und von der Kirche SEI ES in einem feierlichen Urteil, SEI ES durch das gewöhnliche und allgemeine (universelle) Lehramt als von Gott geoffenbart zu glauben vorgelegt wird.

Beider Gewicht ist das gleiche, solange es um Offenbarungsgut geht, das als solches vom Lehramt (sive ... sive .../ sei es ... sei es ... ) vorgelegt wird. Denn nur eine Offenbarungswahrheit, die von der Kirche als solche vorgelegt wird, kann "mit göttlichem und katholischem Glauben" geglaubt werden. Beide so (sive ... sive ...) vorgelegte Wahrheiten (oder u.U., negativ gesehen, verurteilte Irrtümer) haben unfehlbar als geoffenbart wahr (bzw. unfehlbar als offenbarungswidrig verurteilt) zu gelten. Ihre Leugnung ist Häresie.

Näheres führen die Kommentare und Dogmatiken aus, namentlich für unsere Frage Scheeben und Schultes.
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 02:49
Es ist auch richtig, daß das ordentliche Magisterium unfehlbar sein kann. Aber eben gerade nicht weil das nun ein bestimmter Papst sagt. Sondern weil das von vielen Päpsten, und Konzilen, und den Vätern, und allen möglichen Katholiken durch die Zeiten immer wieder gesagt und bestätigt wurde. Es ist der Chor der Stimmen durch die Zeit, nicht der Papst zu einer bestimmten Zeit, der hier die Unfehlbarkeit etabliert. Wenn ein Papst täglich im Einklang mit den Zeiten spricht, ist es richtig zu sagen, daß er täglich unfehlbar spricht. Aber eben nicht einfach aus seinem eigenen Amt zu dieser Zeit heraus, nicht unabhängig von dem Chor dem er seine Stimme hinzufügt.
Ja und nein.
Siehe Holzer im pdf oben verlinkt.
Auch der individuelle jeweils (legitim) regierende Papst ist für sich unfehlbar, zwar nicht "gegen den Chor", aber sehr wohl unabhängig.
Das ist er z.B. jedesmal dann, wenn er eine Heiligsprechung vornimmt, für die kein "Einklang mit den Zeiten" gegeben sein kann. Das ist übrigens "außerordentlich", weil hier tatsächlich "feierlich" und "selten".
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 02:49
Lycobates hat geschrieben:
Freitag 9. Oktober 2020, 23:33
Um das zu tun, ist der Papst nicht an eine gewisse Form gebunden, er kann das in einer Predigt, in einem Brief, in einer Enzyklika, und natürlich in einem Katechismus. Es ist ein reiner Willensakt, der jedesmal dann gegeben ist, wenn nach dem Willen des Papstes ein Widerspruch nicht möglich ist und der betreffende Punkt auch Offenbarungsgut ist.
Ein diesbezüglicher Wille des Papstes muß eindeutig mitgeteilt werden, sonst ist kein Katholik daran gebunden. Katholiken sind weder Gedankenleser noch dazu verpflichtet den Willen des Papstes zu erraten. [...]
Das ist allerdings richtig.
Der Papst muß seinen Willen, endgültig zu entscheiden, klar kundgeben. Dazu braucht er aber keine vorgeschriebene Form. Es genügt eine klare Aussage, daß etwas in Glaubens- und Sittenfragen geoffenbart ist und von allen geglaubt werden muß, bzw. offenbarungswidrig ist, und von allen verworfen werden muß.
Der Mittelweg ist der einzige Weg, der nicht nach Rom führt (Arnold Schönberg)
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Bruder Donald

Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 03:34
Und es wäre schlicht Geschichtsklitterung diese Bedingungen für praktisch unerfüllbar zu halten. Es steht historisch gesehen unzweifelhaft fest, daß die katholische Kirche in der Vergangenheit die praktische Anwendung der Todesstrafe in verschiedenen Ländern, Zeiten, Völkern und Gesellschaften erlaubt hat.
Ja, und PF schreibt, dass das nicht richtig war. So jedenfalls verstehe ich folgende Worte (aus der Ansprache), wenn auch nicht diese meine Interpretation eindeutig formuliert wird:
Papst Franziskus hat geschrieben:Anbetracht mangelnder Instrumente zur Verteidigung und einer noch nicht so weit entwickelten gesellschaftlichen Reife, schien die Todesstrafe in vergangenen Jahrhunderten die logische Konsequenz, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Leider wurde auch im Kirchenstaat auf dieses extreme und unmenschliche Mittel zurückgegriffen, und man hat dabei den Primat der Barmherzigkeit über die Gerechtigkeit vernachlässigt. Wir übernehmen die Verantwortung für die Vergangenheit und bekennen, dass diese Methoden mehr von einer legalistischen als von einer christlichen Haltung bestimmt wurden. Die Sorge um Machterhalt und materiellen Reichtum haben zu einer Überbewertung des Gesetzes geführt und ein tiefes Verständnis des Evangeliums verhindert. Gerade deswegen können wir heute, angesichts einer neuen Notwendigkeit, die Würde des Menschen zu betonen, nicht gleichgültig bleiben. Wir würden uns noch mehr schuldig machen.
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 03:34
Man kann das nicht "weiterentwickeln" zu einer kategorischen Aussage, daß die Todesstrafe unter keinen Bedingungen zulässig ist. Das ist unlogisch.
Das sehen PF und Ladaria wohl anders:
Papst Franziskus hat geschrieben:Wir stehen hier vor keinerlei Widerspruch zu früheren Lehraussagen, denn die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod hat in der kirchlichen Lehre stets eine eindeutige und maßgebende Stimme gefunden. Die harmonische Entwicklung der kirchlichen Lehre gebietet es, Positionen zu vermeiden, die an Argumenten festhalten, die längst eindeutig einem neuen Verständnis der christlichen Wahrheit widersprechen. [...] Darum ist es notwendig zu betonen, dass, egal wie schwer das begangene Verbrechen auch war, die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt.
Card. Ladaria hat geschrieben:7. Die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus der Katholischen Kirche, die Papst Franziskus approbiert hat, liegt auf der Linie des vorausgehenden Lehramts und führt eine konsequente Entwicklung der katholische Lehre weiter.[12] Der neue Text folgt den Spuren der Lehre von Johannes Paul II. in Evangelium vitae und bekräftigt, dass die Unterdrückung des Lebens eines Verbrechers als Strafe für ein Vergehen unzulässig ist, weil sie gegen die Würde der Person verstößt, eine Würde, die auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat. [...]
Allerdings, als sog. "Hintertürchen" könnte der nachfolgende Punkt verstanden wissen:
Card. Ladaria hat geschrieben:8. All das zeigt, dass die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus eine authentische Entwicklung der Lehre ausdrückt, die nicht im Widerspruch zu früheren Aussagen des Lehramts steht. Diese [früheren] Aussagen können nämlich im Licht der vorrangigen Verantwortung der öffentlichen Autorität für die Wahrung des Gemeinwohls in einem sozialen Umfeld verstanden werden, in dem die Strafsanktionen eine andere Bedeutung hatten und in einem Milieu erfolgten, in dem es schwerer war zu garantieren, dass der Verbrecher sein Vergehen nicht mehr wiederholen kann.
Was nun, wenn wir wieder in ein "vorheriges Milieu" fallen? Ist dann die Todesstrafe für die Kirche okay? Was würden der Papst dann sagen? Wenn unter Umständen die TS doch erlaubt sein sollte, wozu dann den KKK ändern und großspurig auf "Licht des Evangeliums" oder die Würde eines jeden Menschen verweisen?
Trisagion hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 03:34
Dann bleibt Dir nichts anderes übrig, als diesen Papst als Häretiker zu identifizieren und seine Autorität fürderhin nicht nur in dieser Sache, sondern allgemein, abzulehnen bis er seine Irrlehre widerruft.
Sehe ich nicht so. Ich kann der obrigen Argumentation folgen und darauf vertrauen, dass das Dulden der Todesstrafe immer dem Glauben und den Prinzipien der Kirche (Würde des Menschen, Lebensschutz von Anfang bis Ende) widersprach, aber nun diese Position konsequent und entsprechend formuliert und gesetzt wurde.

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Hieronymus Burgmeister
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

In diesem Lichte ist sämtliche Lehre der katholischen Kirche dem aktuellen Milieu (wohl gewählt um nicht Zeitgeist sagen zu müssen) anpassbar.

Im besten Falle verwirrt es, im schlechten ist es Häresie.

Ich vermute, dass bald noch andere Formulierungen des KKK (und weitere) dem Milieu zum Opfer fallen werden. Diese ist nichts weiter, als einen Versuchsballon zu starten, um zu sehen, wie die Gemeinschaft reagiert.

Und Franziskus ist sicher bestätigt, seinen Weg, den er eingeschlagen hat, weiter zu gehen.

Beten wir zum heiligen Erzengel Michael für Franziskus.
"Wenn es einen Kampf geben muss, dann lass ihn zu meiner Zeit sein, damit meine Kinder Frieden haben." - Thomas Paine

Caviteño
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Caviteño »

Alexander Kissler zur Rolle der Kirchen und der Enzyklika "Fratelli tutti"
«Fratelli Tutti» markiert den bisherigen Höhepunkt eines christlichen Missverständnisses: Die Kirchen sehen sich vermehrt als politische Akteure mit linker Agenda. So verleugnen sie ihren Auftrag, verspielen Glaubwürdigkeit und halten nur schlechten Traditionen die Treue.
Der Zettelkastencharakter der Enzyklika, in der Papst Franziskus eigene Zitate montiert und ergänzt hat, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Kirchen ernst ist mit ihrer Verwandlung in eine weltliche Nichtregierungsorganisation.
Die Politisierung der Kirchen schadet diesen selbst am meisten

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Lycobates hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 23:52
Das Mißverständnis ist ein hartnäckiges, auch und gerade in Tradikreisen...
Das hat mit Tradis nichts zu tun. Was ich gesagt habe folgt aus Pastor aeternus (Kapitel 4, Paragraph 9 - "ex cathedra"; die Unfehlbarkeit der Kirche wird dort in einem Nebensatz vorausgesetzt). Ich nehme an, Du hast den Ott "Grundriss der Dogmatik" zur Verfügung. Ich habe die 10. Auflage, dort findet sich das im Zweiten Teil "Die Lehre von der Kirche", in Paragraph 8 "Der päpstliche Lehrprimat oder die päpstliche Unfehlbarkeit" und Paragraph 13 "Die Unfehlbarkeit der Kirche". Meine Diskussion bzgl. "ex cathedra" bezieht sich auf Ersteres, bzgl. der (Möglichkeit) der Unfehlbarkeit des ordentlichen Magisteriums auf Letzteres. Ich werde jetzt nicht seitenweise Material abtippen. Es sei hier nur mit Ott gesagt
Dazu ist erforderlich ... daß er die Absicht hat, eine Glaubens- oder Sittenlehre endgültig zu entscheiden, so daß sie von allen Gläubigen festzuhalten ist. Ohne diese Absicht, die aus der Formulierung oder aus den Umständen deutlich erkennbar sein muß, kommt eine Kathedralentscheidung nicht zustande. Die meisten Lehräußerungen der Päpste in ihren Enzykliken sind keine Kathedralentscheidungen.
Abgesehen davon ist basiert die gesamte Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen großen (und engagierten) Seiten - Liberale, Neo-Konservative, Tradis - um die Unfehlbarkeit gewisser Lehrmeinungen genau auf den von mit angeführten Möglichkeiten der Unfehlbarkeit. Die verschiedenen Seiten interpretieren das jeweils so, daß ihre Überzeugung bzgl. irgendeiner Lehre unterstüzt wird. Offensichtlich müssen da viele dieser Interpretationen falsch sein, weil sie einander widersprechen. Aber sie unterscheiden sich eben nicht in diesen Grundsatzannahmen, nur in deren Anwendung. Sie streiten sich ob etwas wirklich formal genug definiert wurde von einem Papst um als "ex cathedra" zu gelten, oder sie streiten sich darum ob etwas eindeutig genug, lange genug und einig genug durch die Kirche (insbesondere Papst und Bischöfe) gesagt wurde um als unfehlbarer Teil des ordentliche Magisteriums zu gelten. Aber sie streiten sich nicht darum, daß diese Kriterien zu erfüllen sind. Die Ansicht, daß der Papst quasi ununterbrochen unfehlbar spricht in seinem Lehramt vertritt in diesen Diskussionen schlicht niemand. Es ist unvorstellbar, daß eine solche "Wahrheit" in diesen Diskussion nie erwähnt wird trotz der Hitze dieser Gefechte. Das wäre als ob sich die Leute sich im Krieg mit Steinen beschmeissen obwohl sie Kanonen zur Verfügung haben...

Und zum Abschluß lasse ich da mal Papst Benedikt XVI zu Worte kommen:
... aber ich möchte auch sagen, daß der Papst kein Orakel und - wie wir wissen - nur in den seltensten Fällen unfehlbar ist. (Quelle)
Genau! Und noch dazu führt dieser Satz zu einem wunderbaren Paradox, falls man annimmt, daß der Papst in allen Lehräußerungen unfehlbar ist.

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 06:03
Allerdings, als sog. "Hintertürchen" könnte der nachfolgende Punkt verstanden wissen:
Card. Ladaria hat geschrieben:8. All das zeigt, dass die neue Formulierung der Nr. 2267 des Katechismus eine authentische Entwicklung der Lehre ausdrückt, die nicht im Widerspruch zu früheren Aussagen des Lehramts steht. Diese [früheren] Aussagen können nämlich im Licht der vorrangigen Verantwortung der öffentlichen Autorität für die Wahrung des Gemeinwohls in einem sozialen Umfeld verstanden werden, in dem die Strafsanktionen eine andere Bedeutung hatten und in einem Milieu erfolgten, in dem es schwerer war zu garantieren, dass der Verbrecher sein Vergehen nicht mehr wiederholen kann.
Was nun, wenn wir wieder in ein "vorheriges Milieu" fallen? Ist dann die Todesstrafe für die Kirche okay? Was würden der Papst dann sagen? Wenn unter Umständen die TS doch erlaubt sein sollte, wozu dann den KKK ändern und großspurig auf "Licht des Evangeliums" oder die Würde eines jeden Menschen verweisen?
Weil dieser Papst es für wichtiger hält seine Meinung durchzudrücken als die Lehre der Kirche verständlich zu bewahren. Du hast es ja selber gesagt, 99% der Katholiken werden den KKK nun lesen und denken die Kirche wäre kategorisch gegen die Todesstrafe. 1% der Katholiken weiß genug über Lehre und Geschichte der Kirche um zu sehen, daß das unmöglich der Fall sein kann. Der Papst und Vatikanschranzen die seine Texte polieren wissen auch, daß die 1% ein echtes Problem werden könnten, wenn man da nun wirklich absolut eindeutig formuliert. Also wird gerade soviel Spiel gelassen, daß "plausible deniablity" (wie der Engländer sagt, also "glaubhafte Abstreitbarkeit") bestehen bleibt. Wenn die 1% versuchen hier eine echte Fehllehre nachzuweisen, kann man ausweichen. Aber damit auch noch nicht genug... was Ladaria da tut ist zu versuchen auch noch die 1% zu spalten, indem er von "authentischer Entwicklung der Lehre" faselt. Denn es ist ja legitim, die Lehre zu entwickeln, also sollte man hier vielleicht doch dem Papst folgen? Aber Du hast die rhetorische Trickserei hier ja selber durchschaut, genau wie Du sagst: was wenn die Umstände wieder so werden, oder, möchte ich hinzufügen, vielleicht garnicht überall auf der Welt gleichermaßen verschwunden sind? Tja. Wenn wir dann immer noch bei Papst F bleiben, dann haben wir eben doch die vorherige Lehre der Kirche als echt falsch verworfen, und die katholische Kirche hat Beihilfe zu tausendfachem Justizmord geleistet. Und wenn wir es nicht tun, dann müssen wir entweder die Lehre von Papst F als häretisch verwerfen, oder wenigstens sagen, daß er hier ganz furchtbar mißverständlich formuliert mit potentiell katastrophalen Konsequenzen. Auf jeden Fall aber können wir festhalten, daß das Gefasel von einer "authentischen Entwicklung" dumme Rhetorik ist. Hier hat sich rein garnichts entwickelt: entweder es gab hier einen echten Bruch, oder es ist die alte Lehre grottig formuliert und mit Tagespolitik vermischt.
Bruder Donald hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 06:03
Sehe ich nicht so. Ich kann der obrigen Argumentation folgen und darauf vertrauen, dass das Dulden der Todesstrafe immer dem Glauben und den Prinzipien der Kirche (Würde des Menschen, Lebensschutz von Anfang bis Ende) widersprach, aber nun diese Position konsequent und entsprechend formuliert und gesetzt wurde.
Prima. Nach demselben Prinzip kann ich nun jede von Dir vertretene Position bzgl. Moral und Glaube angreifen, in der Du Dich bislang von der Kirche bestätigt siehst. Der einzige Unterschied ist, daß die Kirche in all diesen anderen Fällen bisher noch nicht zur Erkenntnis gelangt ist, daß sie in ihren Lehren und Taten falsch lag. Genau Deine Argumente ziehen auch für Scheidung, Frauenpriester, Kommunion für alle, homosexuelle Ehe... Für Abtreibung und Euthanisie übrigens auch. Da hast Du (genau wie die Kirche) einfach bisher falsch verstanden, wann ein würdiges Menschenleben anfängt und aufhört. Ich kann Dein eigenes Argument gegen jede Deiner derzeitigen Positionen wenden, problemlos. Wenn der Damm einmal gebrochen ist, läßt sich die Flutwelle nicht mehr aufhalten.

Du hast Dich hier jetzt schlicht auf das liberale Prinzip zurückgezogen. Ein klein bißchen liberal ist aber wie ein klein bißchen schwanger. Vermutlich ist das, was Papst F Dir hier angetan hat, der eigentliche Plan des Teufels bei dem Ganzen. Es geht nicht wirklich um die Todesstrafe, die ist nur ein sehr praktisches Mittel weil die meisten Leute (mich eingeschlossen) spontan vor der Tötung eines Menschen zurückschrecken und somit prädisponiert sind. Es geht um die Etablierung des liberalen Prinzips in offiziellen Verlautbarungen. Es geht darum, daß Lehramt selber ein klein bißchen schwanger damit zu machen. Denn wir alle wissen, daß man dann nicht solange warten muß, bis etwas Neues geboren wird... süße kleine Hörnchen, duzi, duzi, du.

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Hieronymus Burgmeister
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:55
Genau Deine Argumente ziehen auch für Scheidung, Frauenpriester, Kommunion für alle, homosexuelle Ehe... Für Abtreibung und Euthanisie übrigens auch. Da hast Du (genau wie die Kirche) einfach bisher falsch verstanden, wann ein würdiges Menschenleben anfängt und aufhört. Ich kann Dein eigenes Argument gegen jede Deiner derzeitigen Positionen wenden, problemlos. Wenn der Damm einmal gebrochen ist, läßt sich die Flutwelle nicht mehr aufhalten.

....Vermutlich ist das, was Papst F Dir hier angetan hat, der eigentliche Plan des Teufels bei dem Ganzen. Es geht nicht wirklich um die Todesstrafe, die ist nur ein sehr praktisches Mittel weil die meisten Leute (mich eingeschlossen) spontan vor der Tötung eines Menschen zurückschrecken und somit prädisponiert sind. Es geht um die Etablierung des liberalen Prinzips in offiziellen Verlautbarungen.
Genau.

Die Kirche und der Glaube soll dieser Welt untertan werden. Aus Lüge soll Wahrheit werden, aus Frieden Krieg.

Diese Enzyklika zeigt den Weg auf.
"Wenn es einen Kampf geben muss, dann lass ihn zu meiner Zeit sein, damit meine Kinder Frieden haben." - Thomas Paine

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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von RomanesEuntDomus »

Ich verstehe das Problem nicht, das viele mit dieser Enzyklika haben. Einzelne Päpste haben im Lauf der Geschichte schon so einiges "unfehlbar" :blinker: verkündet.

https://de.wikipedia.org/wiki/P%C3%A4pstliche_Bulle
Am 18. Juni 1452 legitimierte Nikolaus V. mit der Bulle Dum diversas den Sklavenhandel, ...

Am 5. Dezember 1484 veröffentlichte Innozenz VIII. den Erlass Summis desiderantes affectibus, auch Hexenbulle genannt, mit der der Papst die Obrigkeit aufforderte, zwei Inquisitoren bei der Hexenjagd zu unterstützen. ...

Am 14. Juli 1555 erließ Paul IV. die päpstliche Bulle Cum nimis absurdum, mit der die Juden im Kirchenstaat, die er als Christusmörder bezeichnete, angewiesen wurden: ihren Besitz zu verkaufen, in bestimmte, für sie errichtete Ghettos zu ziehen, bestimmte, sie als Juden kennzeichnende Kleidung zu tragen, nicht mit Christen zu spielen, essen oder zu fraternisieren, keinen Handel außer dem Lumpensammeln zu betreiben etc.
Und ab und zu hat die Kirche (je nachdem, wie es gerade zur politischen Großwetterlage und zum Zeitgeist passte) auch mal ihre Meinung geändert. Zum Beispiel zur Frage, ob die Versklavung von Völkern zulässig ist. Erst hieß es:

https://de.wikipedia.org/wiki/Dum_diversas
Dum diversas ist eine päpstliche Bulle, mit der Papst Nikolaus V. am 18. Juni 1452 König Alfons V. von Portugal die Erlaubnis erteilte, Länder der „Ungläubigen“ zu erobern. Papst Nikolaus ermächtigte den portugiesischen König, Länder in Westafrika zu erobern, Sarazenen und Heiden zu unterwerfen und zu versklaven. Er kündigte für die Teilnehmer an den Expeditionen gegen die Ungläubigen einen Ablass an.

Im Jahre 1441 waren die Portugiesen auf ihren Entdeckungsreisen am Kap Blanco (Westafrika) zum ersten Mal auf indigene Bewohner gestoßen. Mit dieser Bulle erhielten sie nun von höchster Stelle des Heiligen Stuhls die Erlaubnis, diese Menschen zu versklaven. Diese Praxis war bereits seit 1441 üblich, wurde nun aber von Papst Nikolaus sanktioniert.
Dann, 85 Jahre später, kommt einem der Nachfolger plötzlich die Erleuchtung, deshalb Kommando zurück:

https://de.wikipedia.org/wiki/Sublimis_Deus
Sublimis Deus (benannt nach den lateinischen Anfangsworten: Der erhabene Gott) ist eine päpstliche Bulle, die von Papst Paul III. am
2. Juni 1537 verkündet wurde. Sie verbot die Versklavung der indianischen Ureinwohner von Amerika und aller anderen Menschen.

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Hieronymus Burgmeister
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

Ich verstehe das Problem auch nicht.

Wir beten nur für die kommende Erleuchtung.
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Juergen
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Juergen »

Statt "Fratelli tutti" sind mir Fatalii lieber. :tuete:
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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RomanesEuntDomus
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von RomanesEuntDomus »

Hieronymus Burgmeister hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 07:04
...Beten wir zum heiligen Erzengel Michael für Franziskus.
Hieronymus Burgmeister hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 21:42
... Wir beten nur für die kommende Erleuchtung.
Apropos Erleuchtung:

"(8) Und ich, Johannes, bin der, welcher diese Dinge hörte und sah, und als ich (sie) hörte und sah, fiel ich nieder um anzubeten vor den Füßen des Engels, der mir diese Dinge zeigte. (9) Und er spricht zu mir: Siehe zu, (tu es) nicht! Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, der Propheten, und derer, welche die Worte dieses Buches bewahren. Bete Gott an! "
(Offb 22, Hervorhebungen von mir)

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Lycobates
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Lycobates »

Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:04
Lycobates hat geschrieben:
Samstag 10. Oktober 2020, 23:52
Das Mißverständnis ist ein hartnäckiges, auch und gerade in Tradikreisen...
Das hat mit Tradis nichts zu tun. Was ich gesagt habe folgt aus Pastor aeternus (Kapitel 4, Paragraph 9 - "ex cathedra"; die Unfehlbarkeit der Kirche wird dort in einem Nebensatz vorausgesetzt). Ich nehme an, Du hast den Ott "Grundriss der Dogmatik" zur Verfügung. Ich habe die 10. Auflage, dort findet sich das im Zweiten Teil "Die Lehre von der Kirche", in Paragraph 8 "Der päpstliche Lehrprimat oder die päpstliche Unfehlbarkeit" und Paragraph 13 "Die Unfehlbarkeit der Kirche". Meine Diskussion bzgl. "ex cathedra" bezieht sich auf Ersteres, bzgl. der (Möglichkeit) der Unfehlbarkeit des ordentlichen Magisteriums auf Letzteres. Ich werde jetzt nicht seitenweise Material abtippen. Es sei hier nur mit Ott gesagt
Dazu ist erforderlich ... daß er die Absicht hat, eine Glaubens- oder Sittenlehre endgültig zu entscheiden, so daß sie von allen Gläubigen festzuhalten ist. Ohne diese Absicht, die aus der Formulierung oder aus den Umständen deutlich erkennbar sein muß, kommt eine Kathedralentscheidung nicht zustande. Die meisten Lehräußerungen der Päpste in ihren Enzykliken sind keine Kathedralentscheidungen.
Abgesehen davon ist basiert die gesamte Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen großen (und engagierten) Seiten - Liberale, Neo-Konservative, Tradis - um die Unfehlbarkeit gewisser Lehrmeinungen genau auf den von mit angeführten Möglichkeiten der Unfehlbarkeit. Die verschiedenen Seiten interpretieren das jeweils so, daß ihre Überzeugung bzgl. irgendeiner Lehre unterstüzt wird. Offensichtlich müssen da viele dieser Interpretationen falsch sein, weil sie einander widersprechen. Aber sie unterscheiden sich eben nicht in diesen Grundsatzannahmen, nur in deren Anwendung. Sie streiten sich ob etwas wirklich formal genug definiert wurde von einem Papst um als "ex cathedra" zu gelten, oder sie streiten sich darum ob etwas eindeutig genug, lange genug und einig genug durch die Kirche (insbesondere Papst und Bischöfe) gesagt wurde um als unfehlbarer Teil des ordentliche Magisteriums zu gelten. Aber sie streiten sich nicht darum, daß diese Kriterien zu erfüllen sind. Die Ansicht, daß der Papst quasi ununterbrochen unfehlbar spricht in seinem Lehramt vertritt in diesen Diskussionen schlicht niemand. Es ist unvorstellbar, daß eine solche "Wahrheit" in diesen Diskussion nie erwähnt wird trotz der Hitze dieser Gefechte. Das wäre als ob sich die Leute sich im Krieg mit Steinen beschmeissen obwohl sie Kanonen zur Verfügung haben...

Und zum Abschluß lasse ich da mal Papst Benedikt XVI zu Worte kommen:
... aber ich möchte auch sagen, daß der Papst kein Orakel und - wie wir wissen - nur in den seltensten Fällen unfehlbar ist. (Quelle)
Genau! Und noch dazu führt dieser Satz zu einem wunderbaren Paradox, falls man annimmt, daß der Papst in allen Lehräußerungen unfehlbar ist.
Mir scheint, wir drehen uns im Kreis. :achselzuck:
Ich kann nur raten, den Artikel von Holzer, von mir erneut verlinkt, zu lesen.

Zu Ott habe ich mich hier schon geäußert
(https://www.kreuzgang.org/viewtopic.php ... 3A#p807493 und die nachfolgende Diskussion).
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Lycobates
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Lycobates »

Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:04
[...] falls man annimmt, daß der Papst in allen Lehräußerungen unfehlbar ist.
Das nimmt keiner an.
Ich auch nicht.
Ich schrieb:
Der Papst muß seinen Willen, endgültig zu entscheiden, klar kundgeben. Dazu braucht er aber keine vorgeschriebene Form. Es genügt eine klare Aussage, daß etwas in Glaubens- und Sittenfragen geoffenbart ist und von allen geglaubt werden muß, bzw. offenbarungswidrig ist, und von allen verworfen werden muß.
Das aber geschieht nicht selten, sondern sehr oft, u.U. cotidie (Papst Pius XI.).
In Humani generis sagt Papst Pius XII. (allerdings, wie es leider seine Unart war, mit Umschweifen, darum blieb Humani generis auch letztlich kontraproduktiv) grundsätzlich dasselbe.
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

@Lycobates, Deine Zitate von Heinrich und Premm im Deinem Link contra Ott widersprechen meinen Aussagen (und auch Ott, soweit von mir ins Feld geführt) nicht. Insbesondere Heinrich sagt exakt dasselbe, Premm auch, ist aber leider etwas schwammig.

Holzer sagt sehr viel, das habe ich jetzt nur kurz überflogen. Er scheint mir schlicht beim Verständnis was eine "Definition" ist fehlzugehen. Irgendwie kommt er zu der Meinung, daß jede Lehräußerung quasi durch das Lehren an sich zu einer "Definition" des Glaubens wird. Aber es besteht ein Unterschied zwischen der Lehräußerung "Jesus war ein guter Mann." und der Definition "Ich verkünde Kraft meines Amtes, daß alle glauben müssen, daß Jesus ein guter Mann war." Die formelle Sprache und der äußere große Rahmen der "ex cathedra" Dokumente sind zwar theoretisch unnötig, aber praktisch wichtig. Denn das Problem ist es herauszufinden wann eine Definition - als verschieden von einer normalen Lehräußerung - gegeben ist, und es ist natürlich daß sich hier Konventionen ansammeln um das sicherzustellen. Gleichfalls ist es im Prinzip korrekt, daß das "ordentliche Lehramt" auch unfehlbar sein könnte ohne auf einer "immer und überall" wiederholten Lehre zu beruhen. Das Problem ist aber, daß man ohne ein Konzil die Bischöfe weltweit nicht dazu kriegt, koordiniert eine Definition im obigen Sinne zu verfassen und lehren. Die Idee des "immer und überall" ist schlicht, daß diese Wiederholung und weite Verbreitung an Stelle der expliziten Definition treten kann. Wir wissen, daß etwa für den Glauben definiert ist, entweder weil das explizit so gesagt wird von den Autoritäten, oder weil und das alle Autoritäten immer und immer wieder eingetrichtert haben.

Am Ende ist es mir allerdings ehrlich gesagt nicht so wichtig, wo jetzt genau Holzer seine Fehler macht. Wenn er behauptet, daß der Papst in praktisch allen Lehraussagen unfehlbar ist, dann widerspricht er u.a. Papst Benedikt XVI in seiner Lehraussage zum Thema. Nicht nur traue ich Benedikt mehr als Holzer, noch dazu wird hier Holzers Meinung schlicht paradox und kann darum nicht die katholische Wahrheit sein.

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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Lycobates hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 00:08
Der Papst muß seinen Willen, endgültig zu entscheiden, klar kundgeben. Dazu braucht er aber keine vorgeschriebene Form. Es genügt eine klare Aussage, daß etwas in Glaubens- und Sittenfragen geoffenbart ist und von allen geglaubt werden muß, bzw. offenbarungswidrig ist, und von allen verworfen werden muß.
Das aber geschieht nicht selten, sondern sehr oft, u.U. cotidie (Papst Pius XI.).
Dem zitierten Paragraphen stimme ich zu, daß die "sehr oft" geschieht nicht. Ich stimme Papst Benedikt XVI zu, daß das sehr selten geschieht. Es ist komplett möglich, daß ein Papst überhaupt nie so spricht (auch wenn er viele Jahre im Amt bleibt).

Im übrigen zitierst Du das Mortalium animos (Papst Pius XI) in unzulässiger Weise. Eine Deutsche Übersetzug habe ich nicht auf die Schnelle gefunden, hier also Latein und Englisch:
Etenim Ecclesiae magisterium – quod divino consilio in terris constitutum est ut revelatae doctrinae cum incolumes ad perpetuitatem consisterent, tum ad cognitionem hominum facile tutoque traducerentur – quamquam per Romanum Pontificem et Episcopos cum eo communionem habentes cotidie exercetur, id tamen complectitur muneris, ut, si quando aut haereticorum erroribus acque oppugnationibus obsisti efficacius aut elarius subtiliusque explicata sacrae doctrinae capita in fidelium mentibus imprimi oporteat, ad aliquid tum sollemnibus ritibus decretisque definiendum opportune procedat.

For the teaching authority of the Church, which in the divine wisdom was constituted on earth in order that revealed doctrines might remain intact for ever, and that they might be brought with ease and security to the knowledge of men, and which is daily exercised through the Roman Pontiff and the Bishops who are in communion with him, has also the office of defining, when it sees fit, any truth with solemn rites and decrees, whenever this is necessary either to oppose the errors or the attacks of heretics, or more clearly and in greater detail to stamp the minds of the faithful with the articles of sacred doctrine which have been explained.
Es steht hier klar unterschieden die tägliche Ausübung der Lehre, aber die gelegentliche Ausübung des Definierens. Es steht hier nicht, daß täglich definiert wird!

Bruder Donald

Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:55
Auf jeden Fall aber können wir festhalten, daß das Gefasel von einer "authentischen Entwicklung" dumme Rhetorik ist.
Mir fehlt hier eine stringente Argumentation. Du beurteilst es das ganze, nennst aber keine logischen Argumente, warum überhaupt hier ein Bruch bzw. "dumme Formulierung" vorliegen soll. Es klingt nur nach: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf".
Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:55
Es geht um die Etablierung des liberalen Prinzips in offiziellen Verlautbarungen.
Mit "liberal" meinst du hier eher "willkürlich"? Ja, dieses Prinzip kann man wohl auf alle Themen ausweiten, die du so aufgezählt hast. Wird ja von modernistischer Seite ja auch gemacht. Warum soll das Prinzip bei der Todesstrafe gelten, bei den anderen aber (noch?) nicht? #willkürlich
Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:55
Nach demselben Prinzip kann ich nun jede von Dir vertretene Position bzgl. Moral und Glaube angreifen, in der Du Dich bislang von der Kirche bestätigt siehst.
Natürlich kannst und könntest du auch, aber das "Problem" liegt hier nicht an den Argumenten und Positionen die du oder ich vermeintlich vertreten, sondern dass der Papst eine Position zur aktuellen Lehre machen kann. Was also tun, wenn der Papst eine Lehre verkündet, die einem nicht passt? Gut, bei dir ist weniger der Inhalt das Problem, sondern die Art und Weise.
Trisagion hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 13:55
Wenn wir dann immer noch bei Papst F bleiben, dann haben wir eben doch die vorherige Lehre der Kirche als echt falsch verworfen, und die katholische Kirche hat Beihilfe zu tausendfachem Justizmord geleistet.
Ich sehe das nicht so drastisch, aber hat die Kirche immer alles richtig gemacht? Sollen wir die Kirche jetzt auch verurteilen, weil sie z. B. beim Karl d. Großen das Konkubinat geduldet hat, statt energisch für monogame Ehe einzutreten?

Eine Frage habe ich aber: Wie wurde denn bisher bezüglich der Todesstrafe argumentiert? Was waren denn die Gründe dafür, sie unter Umständen zu erlauben? Waren es überhaupt theologische Gründe oder doch nicht einfach nur weltliche Gründe? Wenn es nur weltliche waren, warum soll mich dann sowas überhaupt "kratzen"?
Wenn ich denn KKK 1997 (Druckversion, das rote Ding)* dazu befrage sagt er dazu aus:
KKK 1997 hat geschrieben:2267. Unter der Voraussetzung, daß die Identität und die Verantwortung des Schuldigen mit ganzer Sicherheit feststeht, schließt die überlieferte Lehre der Kirche den Rückgriff auf die Todesstrafe nicht aus, wenn dies der einzig gangbare Weg wäre, um das Leben von Menschen wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen.
Wenn aber unblutige Mittel hinreichen, um die Sicherheit der Personen gegen den Angreifer zu verteidigen und zu schützen, hat sich die Autorität an diese Mittel zu halten, denn sie entsprechen besser der konkreten Bedingungen des Gemeinwohls und sind der Menschenwürde angemessener.
Infolge der Möglichkeit, über die der Staat verfügt, um das Verbrechen wirksam zu unterdrücken und den Täter unschädlich zu machen, ohne ihn endgültig die Möglichkeit der Besserung zu nehmen, sind jedoch heute die Fälle, in denen die Beseitigung der Schuldigen absolut notwendig ist, "schon sehr selten oder praktisch überhaupt nicht mehr gegeben" (EV 56).
Todesstrafe, als Mittel zum Zweck, wird hier noch toleriert, aber der Schwerpunkt liegt hier schon ganz klar darin, die Todesstrafe zu vermeiden.
Was ist eine Strafe, was soll mit einer Strafe erreicht werden? Das steht schon in der Nr. 2267, aber nehmen wir noch Nr. 2266 hinzu:
KKK 1997 hat geschrieben:2266. [...] Schließlich hat die Strafe, über die Verteidigung der öffentlichen Ordnung und die Sicherheit der Personen hinaus, eine heilende Wirkung: sie soll möglichst dazu beitragen, daß sich der Schuldige bessert.
Wie sagte mal ein Klassenkamerad so schön: Er sei für die Todesstrafe, weil es für den Täter eine gute Lektion fürs nächste Mal sei. ;D
Erfüllt die Todesstrafe die Möglichkeit, dass der Täter sich bessert? Nein. Und ich spreche vom Vollzug der Strafe, nicht von der bloßen Androhung.
In meinen Augen argumentiert die alte Version rein weltlich: Es wird akzeptiert, dass eine jede Gesellschaft für Recht und Ordnung sorgen darf/muss und dass unter Umständen die Todesstrafe das letzte mögliche Mittel ist. Und? Inwiefern ist das Weltliche für einen Katholiken maßgebend, vor allem, wenn er denn KKK in die Hand nimmt?
Und was hat PF gemacht? Im Grunde hat er hier Kirche und Staat getrennt und mit christlichen Prinzipien argumentiert, ihnen den Vorrang gegeben: Würde eine jeden Menschen (auch eines Straftäters) sowie Lebensprinzip. Somit sind alle (katholischen) Betroffenen nun dazu verpflichtet, sich (aus christlich-katholischer Perspektive) gegen die Todesstrafe stark zu machen.
Tatsächlich sagt die Neufassung nichts über die staatliche Perspektive zu dem Thema aus, aber, was hat diese auch im KKK verloren? Somit kann man eigentlich immer noch geltend machen, dass die kath. Kirche unter Umständen, wenn sich ein Staat/eine Gesellschaft nicht anders zu helfen weiß, die Todesstrafe toleriert. Aber sowohl in der alten wie auch in der neuen Fassung wird deutlich, dass die kath. Kirche die Todesstrafe ablehnt. Papst Franziskus hat mMn diese Position jetzt einfach nur noch deutlicher/konsequenter formuliert (und theologisch begründet).

*Die vatikanische Webseite scheint mir arg hinterher. Ich finde in Deutsch offenbar noch die Version von 1992/93, obwohl da 1997 steht? Finde ich verwirrend, daher hier aus der Druckversion zitiert.

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 01:51
Mir fehlt hier eine stringente Argumentation. Du beurteilst es das ganze, nennst aber keine logischen Argumente, warum überhaupt hier ein Bruch bzw. "dumme Formulierung" vorliegen soll. Es klingt nur nach: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf".
Im Gegenteil, ich habe das sehr präzise erklärt. Die Aussage von Papst F kann in exakt zwei Weisen gelesen werden (wenn Du meinst es gäbe eine dritte, dann heraus damit). 1. Entweder er sagt, das die Todesstrafe kategorisch abzulehnen, egal unter welchen Bedingungen. Wobei dann die vorhergehende Praxis der Kirche die Todesstrafe unter gewissen Bedingungen zuzulassen ein historischer Fehler war. 2. Oder er sagt, daß die Todesstrafe zwar unter bestimmten Bedingungen ein erlaubtes Mittel ist, diese Bedingungen aber in der heutigen Welt nicht mehr gegeben sind, nirgendwo, und auch in vorhersehbarer Zukunft nicht mehr auftreten werden. Dann ist die Todesstrafe nicht kategorisch abzulehnen, allerdings praktisch heutzutage schon.

Die Lehre der Kirche war, daß die Todesstrafe unter gewissen Bedingungen erlaubt ist. Wenn Papst F also die 1. Option vertritt, dann ist das offensichtlich ein Bruch. Denn wenn etwas kategorisch abzulehnen ist, egal unter welchen Bedingungen, dann kann es nicht unter gewissen Bedingungen erlaubt sein. Das ist ein logischer Widerspruch. Wenn Papst F hingegen die 2. Option vertritt, dann sagt er überhaupt nichts neues bzgl. der Lehre an sich! Die einzige Neuheit ist die Behauptung, daß diese Bedingungen sowohl komplett verschwunden sind als auch nicht mehr auftreten werden (jedenfalls nicht in dem Zeitrahmen in dem der jetzige KKK gelesen werden wird). Das nachweisbare Problem seiner Änderung des KKK besteht nun eben darin, daß er zwar die 2. Option vertritt (das nehmen wir jetzt ja an, der andere Fall ist bereits abgehandelt), sich sein Text aber ganz so liest als ob die 1. Option der Fall wäre. Und das ist ja auch Deine eigene Meinung: der Text liest sich so, als ob die Todesstrafe kategorisch verboten ist, und die vorhergehende Erlaubnis ein historischer Fehler war. Das ist also schlicht irreführend (irreführend nicht bzgl. der Konsequenz "keine Todesstrafe", irreführend warum das heute so ist).

Und es ist ja auch so, daß der KKK vor der Änderung die 2. Option erläuterte, nur halt ohne irrezuführen. JPII war ja auch schon gegen die Todesstrafe, und der KKK war dementsprechend aufgestellt. Er erläuterte die katholische Lehre (Todesstrafe möglich unter gewissen Bedingungen), und fuhr dann fort mit der Aussage daß diese Bedingungen in modernen Staaten praktisch nicht mehr gegeben sind. Es gab hier absolut null Bedarf für irgendeine Änderung, wenn man die 2. Option vertritt. Wenn die Änderung dann auch noch so klingt, als würde sie die 1. Option vertreten, dann ist das entweder der Bruch oder es ist eine große Dummheit eine solche schlechtere Formulierung ohne jede Not in den KKK zu zwängen.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 01:51
Natürlich kannst und könntest du auch, aber das "Problem" liegt hier nicht an den Argumenten und Positionen die du oder ich vermeintlich vertreten, sondern dass der Papst eine Position zur aktuellen Lehre machen kann. Was also tun, wenn der Papst eine Lehre verkündet, die einem nicht passt? Gut, bei dir ist weniger der Inhalt das Problem, sondern die Art und Weise.
Die Art und Weise ist aber enorm wichtig. Du hast das ja selber gesehen. Kann man sich vorstellen, daß irgendwann und irgendwo wieder Bedingungen auftreten, unter denen die Todesstrafe erlaubt ist? Oder kann man sich das nicht mehr vorstellen, weil wir hier einen Fehler überwunden haben? Die Antwort hierauf kann ganz praktisch den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

Lies Dir mal den Brief von Papst F zum Thema, hier. Ich denke der ist eindeutiger als der KKK. Ein richtiger Schenkelklopfer ist dies hier:
Wir stehen hier vor keinerlei Widerspruch zu früheren Lehraussagen, denn die Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod hat in der kirchlichen Lehre stets eine eindeutige und maßgebende Stimme gefunden.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 01:51
Ich sehe das nicht so drastisch, aber hat die Kirche immer alles richtig gemacht? Sollen wir die Kirche jetzt auch verurteilen, weil sie z. B. beim Karl d. Großen das Konkubinat geduldet hat, statt energisch für monogame Ehe einzutreten?
Es besteht ein großer Unterschied zwischen eine Sünde willentlich zu übersehen / zu verschweigen (aus welchen Gründen auch immer) und die Lehre zu ändern so daß die Sünde angeblich keine Sünde mehr ist. Beides ist ein Fehler, aber Letzteres ist viel schlimmer.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 01:51
Eine Frage habe ich aber: Wie wurde denn bisher bezüglich der Todesstrafe argumentiert? Was waren denn die Gründe dafür, sie unter Umständen zu erlauben? Waren es überhaupt theologische Gründe oder doch nicht einfach nur weltliche Gründe? Wenn es nur weltliche waren, warum soll mich dann sowas überhaupt "kratzen"?
Eine Zusammenfassung findest Du hier (Englisch) von "Capital punishment in the ordinary papal magisterium" an. Die Grundlage ist einerseits, daß nach Römer 13 die staatliche Macht echt über dem Individuum steht und Gottes Gericht vertritt, inklusive in der Strafvollstreckung mit dem Schwert. Und andererseits, daß eben der Staat dann auch gerechte Strafe austeilen muß (auch im Sinne göttlicher Vergeltung) und das Gemeinwohl aber insbesondere die Schwachen und Unschuldigen schützen muß. Die Behauptung, daß die "Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens" (oben verlinkter Brief des Papst F) die Todesstrafe ausschließt wird dabei von lehramtlichen Dokumenten mehrfach explizit verworfen, in der Tat zumindestens indirekt als häretisch identifiziert (durch die Waldenser).
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 01:51
Aber sowohl in der alten wie auch in der neuen Fassung wird deutlich, dass die kath. Kirche die Todesstrafe ablehnt. Papst Franziskus hat mMn diese Position jetzt einfach nur noch deutlicher/konsequenter formuliert (und theologisch begründet).
Wie gesagt, man kann Papst F so lesen, daß er nur anders sagt, was der KKK auch früher schon gesagt hat. Wenn dem so ist, dann handelt es sich m.E. um eine Verschlimmbesserung, die Klarheit und eindeutige Kompatibilität mit vorangegangener Lehre unnötig opfert.

Und wie gesagt, ich rede hier schweren Herzens gegen meine eigene Überzeugung in der Sachfrage. Ich denke es ist durchaus richtig zu sagen, daß unsere Gesellschaften es sich leisten können und sollten, keine Todesstrafe mehr zu vollstrecken. Aber ich kann den Schindluder mir der Lehre der Kirche nicht ab. Man muß hier einfach vorsichtig und genau argumentieren, so wie der KKK es vor Papst F tat.

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Hieronymus Burgmeister
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

RomanesEuntDomus hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 22:10
Hieronymus Burgmeister hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 07:04
...Beten wir zum heiligen Erzengel Michael für Franziskus.
Hieronymus Burgmeister hat geschrieben:
Sonntag 11. Oktober 2020, 21:42
... Wir beten nur für die kommende Erleuchtung.
Apropos Erleuchtung:

"(8) Und ich, Johannes, bin der, welcher diese Dinge hörte und sah, und als ich (sie) hörte und sah, fiel ich nieder um anzubeten vor den Füßen des Engels, der mir diese Dinge zeigte. (9) Und er spricht zu mir: Siehe zu, (tu es) nicht! Ich bin dein Mitknecht und der deiner Brüder, der Propheten, und derer, welche die Worte dieses Buches bewahren. Bete Gott an! "
(Offb 22, Hervorhebungen von mir)
Danke für deine Sorge um meine Seele.

Als Papst Leo XIII zu seinem leonidischen Gebet inspiriert wurde und den Christen empfohlen hat, dies regelmässig an den heiligen Erzengel Michael zu richten, war er sich, so vertraue ich, dieser Stelle in der Offenbarung bewusst.

Gewiss kann die Kirche und gerade die Kurie in Rom diesen Schutz gut gebrauchen. Und ich vermute, dass auch Franziskus um Erleuchtung ringt und ihm hoffentlich das Gebet von Pius XII dabei behilflich sein wird.
"Wenn es einen Kampf geben muss, dann lass ihn zu meiner Zeit sein, damit meine Kinder Frieden haben." - Thomas Paine

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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von RomanesEuntDomus »

Hieronymus Burgmeister hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 06:33
... Als Papst Leo XIII zu seinem leonidischen Gebet inspiriert wurde und den Christen empfohlen hat, dies regelmässig an den heiligen Erzengel Michael zu richten, war er sich, so vertraue ich, dieser Stelle in der Offenbarung bewusst. ...
Vielen Dank für die Info. Das wusste ich bisher nicht und hielt diese Form der Abgötterei immer für eine Form von "Volksfrömmigkeit", wie sie in vielen Ländern existiert, z.B.:
Die Voodoo-Anhänger glauben an eine Vielzahl von göttlichen Wesen, die Loa, Orixa, Anges (französisch Engel) oder Saints (französisch Heilige) genannt werden. Diese Wesen aus der afrikanischen Vorstellungswelt sind auf synkretistische Weise mit katholischen Heiligen verschmolzen.
(Aus universal_lexikon.deacademic.com, Hervorhebungen von mir)

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Dum diversas in Latein hier und in englischer Übersetzung hier erlaubte keineswegs den allgemeinen Sklavenhandel. Die Bulle bezieht sich auf einen Krieg des König Alfonso von Portugal gegen islamische Herrscher in Nordafrika, und erlaubt die zeitlich unbegrenzte Zwangsarbeit der dabei gemachten Kriegsgefangenen. (Es gibt aber auch die Interpretation, daß hier schlicht im Rahmen der Feudalherrschaft von einer vollen Übernahme der Macht geredet wird, also Hörigkeit der Eroberten im feudalen Sinne! Ich wähle hier also bewußt bereits die problematischere Interpretation.) Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen oder Gefängnisinsassen ist aber etwas anderes als Zwangsarbeit ohne jede Rechtfertigung rein aus ökonomischen Interesse. Letzteres ist was wir mit Sklavenhandel meinen. Man kann aus heutiger Sicht sicherlich diese Bulle problematisch finden, wenn nicht wegen der Zwangsarbeit an sich dann wegen der zeitlichen Unbegrenztheit. Waren das nicht ein zu hoher Preis für die Kriegsgegnerschaft, selbst in einem religiösen Krieg? Aber man kann nicht behaupten, daß der Papst hier den Sklavenhandel wie er später aufkommt absegnet.

Man bedenke hier auch, daß die Bulle Sicut dudum von Eugene IV in 1435 - also 17 Jahre vorher - die Portugiesen genau wegen echtem Sklavenhandel (nämlich Überfall und Verschleppung kanarischer Ureinwohner zum Zwecke der Versklavung) verdammt, und sie mit der Exkommunikation bedroht wenn sie diese Sklaven nicht ohne finanzielle Kompensation innerhalb von 15 Tagen frei lassen.

Bruder Donald

Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
1. Entweder er sagt, das die Todesstrafe kategorisch abzulehnen, egal unter welchen Bedingungen. Wobei dann die vorhergehende Praxis der Kirche die Todesstrafe unter gewissen Bedingungen zuzulassen ein historischer Fehler war.
Ich gehe davon aus, dass genau dies Papst Franziskus' Intention war und er das mit der Änderung aussagen wollte. Wie gesagt, gefühlt 99% aller Interessenten werden diese Passage nun so lesen und verstehen.
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
Und es ist ja auch so, daß der KKK vor der Änderung die 2. Option erläuterte, nur halt ohne irrezuführen. JPII war ja auch schon gegen die Todesstrafe, und der KKK war dementsprechend aufgestellt. Er erläuterte die katholische Lehre (Todesstrafe möglich unter gewissen Bedingungen), und fuhr dann fort mit der Aussage daß diese Bedingungen in modernen Staaten praktisch nicht mehr gegeben sind. Es gab hier absolut null Bedarf für irgendeine Änderung, wenn man die 2. Option vertritt.
Ich finde die alte Version ausgewogener, "pragmatischer".
Das ist eben der "Stil" von PF: eine ausgewogene Auseinandersetzung mit einem Thema findet nicht statt, es wird (gefühlt) stets einseitig argumentiert und Position bezogen.
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
Kann man sich vorstellen, daß irgendwann und irgendwo wieder Bedingungen auftreten, unter denen die Todesstrafe erlaubt ist? Oder kann man sich das nicht mehr vorstellen, weil wir hier einen Fehler überwunden haben? Die Antwort hierauf kann ganz praktisch den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.
Wenn ich der Argumentation von PF nun folge dann stellt sich mir die Frage: Wenn wir jetzt wieder in unzivilisiertere Umstände zurückfallen sollten, gelten die naturrechtlichen Prinzipien, auf die sich PF bezieht, immer noch (sind sie gewichtiger), oder akzeptiert die Kirche die Schwäche der Gesellschaft, die sich einfach nicht anders zu helfen weiß, Verbrechen im Zaun zu halten, und toleriert/akzeptiert die Todesstrafe? :hmm:
Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass diese naturrechtlichen Prinzipien unter anderen Umständen auf einmal nicht mehr gelten.
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
Die Behauptung, daß die "Verteidigung der Würde des menschlichen Lebens" (oben verlinkter Brief des Papst F) die Todesstrafe ausschließt wird dabei von lehramtlichen Dokumenten mehrfach explizit verworfen, in der Tat zumindestens indirekt als häretisch identifiziert (durch die Waldenser).
Wenn die Argumentation also bereits falsch ist, dann ist das Ergebnis ja umso ernster falsch.
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
Eine Zusammenfassung findest Du hier (Englisch) von "Capital punishment in the ordinary papal magisterium" an. Die Grundlage ist einerseits, daß nach Römer 13 die staatliche Macht echt über dem Individuum steht und Gottes Gericht vertritt, inklusive in der Strafvollstreckung mit dem Schwert. Und andererseits, daß eben der Staat dann auch gerechte Strafe austeilen muß (auch im Sinne göttlicher Vergeltung) und das Gemeinwohl aber insbesondere die Schwachen und Unschuldigen schützen muß.
Das mag ja alles sein, aber das ist ja das, was ich als "staatliche Perspektive" benannte. In der alten Version (zumindest) fehlt ja eine theologische Begründung. Aus dem von dir verlinkten Bericht steht schön formuliert:
Commentators routinely emphasize that the pope was opposed to capital punishment in practice, but they too often ignore the fact that even John Paul II did not reverse, but indeed reaffirmed, the traditional teaching that the Gospel does not rule out capital punishment in an absolute way. And he did so in documents having a high degree of authority.
Und jetzt stell dir mal vor, in der alten Fassung hätte so etwas wie "die Todesstrafe an sich widerspricht nicht dem Licht des Evangeliums" gestanden. Tat es aber nicht. Da wurde nur auf die Umstände verwiesen, rein weltlich also. Und PF hat die weltliche Perspektive gestrichen und theologisch argumentiert "Licht des Evangeliums, Würde des Menschen, etc. pp.".
Und wir können uns weiter dumm und dämlich über dieses Thema unterhalten, unsere Punkte wiederholen, es wird nichts ändern: PF hat mit seiner Umformulierung quasi einen Meilenstein gesetzt. Alle nachfolgenden Generationen werden seine Formulierung und Argumentation lesen und diese Ansicht als truly katholisch übernehmen. Wer wird sich schon die Mühe machen, da tief zu graben um darauf zu kommen, was du z. B. hier darlegst?
Aber vor allem: Welchen praktischen unterschied macht es, ob ich der alten Fassung folge oder der neuen? Im Grunde gar keine. Mit der alten Version konnte man sich noch eine Art "Notfallregelung" in der Tasche halten, dass die Kirche nicht per se gegen die TS ist, aber praktisch (für unsere Zeit und Umstände) gesehen, konnte man sich eine mögliche Pro-TS-Position sonstwohin stecken, da unsere Umstände sowieso keine TS erlauben.
Aber gut, es geht ja nicht um die Praxis, sondern ums Prinzip: bis 2018 hat die Kirche gelehrt, dass die TS erlaubt sei, PF hat das (offenbar) kassiert und für grundsätzlich nicht vereinbar mit der katholischen Lehre formuliert.
Ich bezweifle, dass das ein Nachfolger je wieder korrigieren wird.

PS:
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 04:09
Eine Zusammenfassung findest Du hier (Englisch) von "Capital punishment in the ordinary papal magisterium" an.
Interessanter Artikel. :daumen-rauf: Jetzt wird mich einiges klarer, was du meinst.

Trisagion
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 12:11
Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass diese naturrechtlichen Prinzipien unter anderen Umständen auf einmal nicht mehr gelten.
Da stimme ich im Konjunktiv zu. Wenn es naturrechtliche Prinzipien gäbe die das hier entscheiden, dann würden die immer zutreffen.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 12:11
Wenn die Argumentation also bereits falsch ist, dann ist das Ergebnis ja umso ernster falsch.
Richtig, nur argumentiert Papst F ja nicht, er behauptet einfach nur. Anscheinend nimmt er an, daß es offensichtlich ist, daß alle vorhergehende Verlautbarungen der Kirche und Theologen schlicht falsch sind.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 12:11
Das mag ja alles sein, aber das ist ja das, was ich als "staatliche Perspektive" benannte. In der alten Version (zumindest) fehlt ja eine theologische Begründung.
Naja, das ist nicht ganz richtig. Nach Römer 13 ist der Staat eben in einer anderen Position als ein Individuum, theologisch gesehen. Die Staatsmacht hat andere Rechte und Pflichten vor Gott als Du. Insofern ist die "staatliche Perspektive" hier durchaus "theologisch", jedenfalls teilweise.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 12:11
PF hat mit seiner Umformulierung quasi einen Meilenstein gesetzt. Alle nachfolgenden Generationen werden seine Formulierung und Argumentation lesen und diese Ansicht als truly katholisch übernehmen. Wer wird sich schon die Mühe machen, da tief zu graben um darauf zu kommen, was du z. B. hier darlegst?
Abwarten und Tee trinken. Was im Katholizismus Sache ist, ist eine Frage von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten. Das Desinteresse und die Einfachheit der meisten Katholiken kann ja nicht nur Papst F ausnutzen. Es werden hier mindestens zwei Spiele parallel gespielt, und was das katholische hoi polloi sich so denkt ist nur selten entscheidend für den internen Kampf um die wahre Lehre.
Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 12:11
Ich bezweifle, dass das ein Nachfolger je wieder korrigieren wird.
Nun ist aber Papst Fs Geschreibsel gerade noch so eben kompatibel mit der vorhergehenden Lehre, in den offiziellen Verlautbarungen. Ich stimme Dir vollkommen zu, daß er eigentlich einen Bruch festschreiben wollte. Hat er aber nicht ganz. Insofern brauch ihm da in Zukunft niemand direkt zu widersprechen. In solchen Fällen lehrt man einfach etwas anderes, läßt das problematische Schriftstück unerwähnt im Staub versinken, und wenn es doch jemand mal ausgräbt sagt man eben, daß es "korrekt interpretierbar" sei. So wird das immer schon gemacht in der Kirche...

Außer Papst F schafft es doch noch, sich offiziell als Häretiker abstempeln zu lassen, möglicherweise posthum.

Bruder Donald

Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Bruder Donald »

Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 14:29
Nun ist aber Papst Fs Geschreibsel gerade noch so eben kompatibel mit der vorhergehenden Lehre, in den offiziellen Verlautbarungen.
Nun ja, man muss ich aber gefühlt sehr winden um eine Konformität zu interpretieren/herzustellen. :aergerlich:
Müsste es nicht eigentlich ein ausgewiesenes Lehrschreiben geben, dass sich mit der Thematik auseinandersetzt, hätte man den die überlieferte Lehre verwerfen wollen? Ich mein, man kann ja sagen, PF setzt die überlieferte Lehre ja gar nicht aus, weil er sich nur in einer Ansprache dazu äußert, wie autoritär bzw. verbindlich kann das schon sein? Auf dieser Basis kann man ja auch behaupten, es ginge PF nur darum, der Fahrkurs der Kirche zu diesem Thema klarer zu definieren. Weder in seiner Ansprache oder Ladaria's Erläuterung steht irgendetwas in direkter Art und Weise davon, dass die damals sich eben geirrt haben und das nun korrigiert wird. Es wird ja nur gesagt, dass die Regelung den damaligen Umständen entsprechend definiert war. Ein glasklarer Paradigmenwechsel wir nicht geäußert.

Es ist eine echte Unsitte, dass seit dem 2. Vaticanum immer wieder solche mehrdeutigen und unklaren Texte formuliert werden. Jeder nimmt sich dann das heraus, wie er es brauch. :aergerlich:
Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 14:29
Da stimme ich im Konjunktiv zu. Wenn es naturrechtliche Prinzipien gäbe die das hier entscheiden, dann würden die immer zutreffen.
Soweit ich es verstehe, stehen hier zwei Prinzipien im "Konflikt": das Naturrecht (Würde des Menschen) und, ich nenne es mal, "praktische Gründe" (Bewahrung der Ordnung, Schutz der Gesellschaft). PF setzt das naturrechtliche Prinzip als Maßstab an, dem sich als folgende unterordnen muss, so wie beim GG und StGB z. B. Deswegen können PF und Ladaria die Konformität mit der überlieferten Lehre behaupten. Sie mögen mit gängigen Einstellung zur Todesstrafe brechen, aber sie brechen nicht mit der "Verfassung". So verstehe ich ihre Argumentation.

Wenn man also folgende Ansicht als historische Tatsache akzeptiert,
Michael Sierck, die Todesstrafe - Bestandsaufnahme und Bewertung aus kirchlicher Sicht (Bonn 1995), S. 47
Michael Sierck hat geschrieben:Der geschichtliche Überblick zeigt, daß Pazifisierungund Humanisierung der menschlichen Gesellschaft zu den Grund-anliegen des Christentums gehören. Auch hinsichtlich der Todesstrafe gab es immer wieder Bestrebungen, diese Strafform abzuschaffen, zumindest aber ihre Auswirkungen zu lindern. Daß sich im Mittelalter eine Abschaffung der Todesstrafe nicht durchsetzen ließ, liegt nicht zuletzt an der bei der christlichen Mission vorgefundenen sozialen Struktur der germanischen Völkerschaften.
dann steht ja die Neuformulierung in bester katholischer bzw. kirchlicher Tradition.

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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

Trisagion hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 14:29
Außer Papst F schafft es doch noch, sich offiziell als Häretiker abstempeln zu lassen, möglicherweise posthum.
Ein nicht so abwegige Möglichkeit, zumindest wenn Franzisks weiter konsequent den Weg weitergeht, den er eingeschlagen hat. Er wäre meines Wissens der erste Papst, über den dieses Urteil gefällt würde (Honorius wurde wohl nicht als Häretiker bezeichnet" - eventuell ist es das (der erste sein), was den eitlen Franziskus sogar reizt.

Allerdings gibt es noch andere Möglichkeiten, wie die Texte und Aussagen von Franziskus die päpstliche Relevanz verlieren könnten.

Gelassenheit und Ruhe tut hier allen gut. Wie Trisagion sagt, solche Dinge brauchen Jahrzehnte/Jahrhunderte, bis sie sich in der Kirche lösen. Ich vertraue da der Zusage Jesus, dass die Kirche dem göttlichen Schutz untersteht; was uns natürlich nicht von unserer Pflicht als Christen entbindet, für die Kirche und deren Schutz intensiv zu beten.
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Hieronymus Burgmeister »

Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 17:14
Es ist eine echte Unsitte, dass seit dem 2. Vaticanum immer wieder solche mehrdeutigen und unklaren Texte formuliert werden. Jeder nimmt sich dann das heraus, wie er es brauch. :aergerlich:
In der Tat. Auch gerade die Liturgie hat darunter massiv gelitten. Und: Verwirrung zu säen ist ein bekanntes Mittel des Teufels.

Deswegen war die katholische Tradition so besessen darauf, klar und eindeutig zu sein und darum war gerade das 2. VK so eine Katastrophe - egal wer nun dahintersteht.
"Wenn es einen Kampf geben muss, dann lass ihn zu meiner Zeit sein, damit meine Kinder Frieden haben." - Thomas Paine

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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Trisagion »

Bruder Donald hat geschrieben:
Montag 12. Oktober 2020, 17:14
Soweit ich es verstehe, stehen hier zwei Prinzipien im "Konflikt": das Naturrecht (Würde des Menschen) und, ich nenne es mal, "praktische Gründe" (Bewahrung der Ordnung, Schutz der Gesellschaft). PF setzt das naturrechtliche Prinzip als Maßstab an, dem sich als folgende unterordnen muss, so wie beim GG und StGB z. B. Deswegen können PF und Ladaria die Konformität mit der überlieferten Lehre behaupten. Sie mögen mit gängigen Einstellung zur Todesstrafe brechen, aber sie brechen nicht mit der "Verfassung". So verstehe ich ihre Argumentation.
Erstens wäre zu klären, was hier überhaupt mit "Würde" gemeint ist. Warum kann ich Dich nicht "würdig" einen Kopf kürzer machen? Was spricht dagegen, welche relevanten Kriterien und Regeln verbergen sich hinter diesem Begriff? Zweitens wäre zu klären, welchen Stellenwert nun genau diese wie auch immer definierte "Würde" hat. Ist sie absolut, immer und ohne Einschränkungen komplett zu bewahren, oder ist das nicht der Fall? Warum? Oder ändert sich gar der Begriff der "Würde" mit der Situation? Wenn ja, wie? Dann müßte man sich Strafe im allgemeinen anschauen. Warum wird gestraft? Welche Grenzen und Regeln gibt es dafür? Wie passt dies mit dem soeben analysierten Begriff der "Würde" zusammen? Dabei werden wir zweifelsohne auf die Frage des Verhältnisses eines Indiviuduums zu der Gesellschaft in der er lebt kommen, denn für einen Menschen alleine auf einer Insel gibt es keine (menschliche) Strafe. Was können wir zu diesem Verhältnis sagen, welche Ansprüche habe sie einander gegenüber, welche Abmachungen sind zwischen ihnen implizit und explizit? Wer hat Vorrecht wann, wie und warum? Sicherlich wird man hierbei auf Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Verantwortung usw. zu sprechen kommen, die dann jeweils wieder mit dem Begriff der "Würde" abgeglichen werden muß. Und wenn man das alles beinander hat, dann kann man sich dem Spezialfall der Todesstrafe widmen. Ist sie Teil des Kontinuums an Strafen, oder etwas Besonderes? Wie passt sie in das ganze bis hierhin aufgebaute System von "Würde", Strafe, Gesellschaft, Gerechtigkeit, Gemeinwohl, Verantwortung, usw. hinein? Die eher abstrakten Überlegungen sollte man dann mit historischem Wissen unterfüttern und mit Fallbeispielen illustrieren.

Ich würde mal abschätzen, hundert Seiten DIN A4 Text ist ein Minimum um hier eine halbwegs akzeptable "naturrechtliche" Untersuchung abzuliefern. Ach so, und wenn man auch noch die katholische Religion mit reinbringen will, darf man den Umfang gleich nochmal verdoppeln, denn da ist dann jede dieser Überlegungen gegen Texte des Schrift und des Lehramts abzugleichen. Das sind sicherlich so zwei bis drei Jahre harte akademische Arbeit, Vollzeit - Doktorarbeit, ich hör Dich trapsen.

Es mag durchaus möglich sein, daß man das Ergebnis einer solchen Untersuchung mit einem netten Slogan zusammenfassen kann, wie z.B.: deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, dass „die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt“. Es hat ja nicht jeder die Zeit, Ausbildung oder den Grips für eine langwierige, hochgelehrte Diskussion. Nur einfach solch einen Slogan ohne die vorangegangene Diskussion in die Welt zu setzen, wie ist das zu nennen? Unverantwortlich, oder im religiösen Kontext, sündig.

Nun denn, welche umfassenden, genauen Studien von Natur und Religion werden denn nun im KKK zitiert um diesen traditionsbrechenden Slogan des Papst F zu motivieren? Nur eine einzige? Hammer, die muß dann ja geradezu überwältigend in Umfang und Qualität sein! Uhh?! :angewidert:

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Edi
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Re: Enzyklika "Fratelli tutti"

Beitrag von Edi »

Die Politisierung der Kirchen schadet diesen selbst am meisten

https://www.nzz.ch/international/die-po ... al=Twitter
Es lebt der Mensch im alten Wahn.
Wenn tausend Gründe auch dagegen sprechen,
der Irrtum findet immer freie Bahn,
die Wahrheit aber muss die Bahn sich brechen.

Die meisten Leute werden immer schmutziger je älter sie werden, weil sie sich nie waschen.

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