Ich habe mich auch schon nach Deutungen dazu umgeschaut. Im Kern begegnen einem drei Typen von Erklärungen:So spricht der HERR der Heerscharen: [...] Darum zieh jetzt in den Kampf und schlag Amalek! Ihr werdet an allem, was ihm gehört, den Bann vollziehen! Schone es nicht, sondern töte Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel!
1. Klassische Interpretation: Gott verfügt über Leben und Tod und kann jedem Menschen eine Lebensspanne festsetzen. Er hat daher das Recht, auch Säuglingen das Leben zu nehmen und kann sich dabei auch anderer Menschen bedienen, die das dann für ihn ausführen
2. Allegorische Interpretation: Der Text ist ausschließlich geistig zu verstehen und es geht hier um die Ausrottung aller bösen Gedanken und Laster etc.
3. Historisch-kritische Interpretation: Gott hat das nicht gesagt, sondern der spätere menschliche Autor hat es so geschrieben um damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Israeliten nichts mit den Heiden zu tun haben sollten, die Landnahme hat in dieser Form auch sowieso gar nicht stattgefunden.
Grundsätzlich bin ich immer geneigt, klassischen Positionen den Vorrang zu geben, tue mich hier aber sehr schwer:
Natürlich hat Gott das Recht, leben zu geben und zu nehmen, wie er es will - soweit gehe ich vollkommen mit. Gott könnte sich dabei auch insofern eines Menschen bedienen, als er es zulässt, dass dieser einen Mord begeht (der Mord selber wäre aber immer noch etwas schlechtes.) Auch da würde ich noch mitgehen. Was ich aber nicht nachvollziehen kann wäre, dass Gott diesen Mord aktiv befiehlt. Das scheint dem Wesen Gottes zu widersprechen. Das Ermorden eines unschuldigen Kindes ist eine intrinsisch schlechte Tat. Der christliche Glaube verbietet es aber nach meinem Verständnis anzunehmen, dass Gott intrinsisch schlechte Taten befiehlt.
Nun scheinen manche zu argumentieren, dass die Tat dadurch gut wäre, weil sie von Gott angeordnet ist.
Daraus ergeben sich für mich zwei Probleme:
1. Nach meinem Verständnis ist etwas nicht deshalb gut, weil Gott es sagt, sondern Gott sagt es, weil es gut ist, d.h. seinem göttlichen Wesen entspricht, welches unwandelbar ist. Gott kann daher nicht an einem Tag sagen, dass Säuglinge töten gut ist und am anderen, dass es schlecht ist, es sei denn, man würde eben annehmen, dass sich das Wesen Gottes ändert
2. Woher wissen wir, dass eine Offenbarung von Gott ist? Was sind die Maßstäbe, anhand derer wir eine vermeintliche Offenbarung beurteilen? Wenn heute ein Mann im Supermarkt plötzlich meint eine göttliche Eingebung zu haben, die ihm befiehlt, ein Kind zu ermorden, stecken wir so eine Person (zurecht) in die Psychatrie und würden diese "Rechtfertigung" keine Sekunde gelten lassen. Wenn ich mir vorstelle, dass ein Mann zu mir sagt: "Gott hat zu mir gesprochen: Tötet alle Säuglinge!" würde ich ihm keinen Gehorsam leisten wollen, auch wenn es Samuel ist, da ich nicht sehe, wie dieser Befehl mit dem übereinstimmen soll, was wir sonst von Gott wissen.
Teilweise wird noch argumentiert, der Mord an Säuglingen wäre für die Säuglinge gut, weil sie schlechte Eltern hatten und es ihnen in der Ewigkeit mit Gott besser gehen würde als wenn sie von ihren Eltern im Heidentum erzogen werden würden. Dieses Argument halte ich für sehr schwach, es mag zwar objektiv seine Richtigkeit haben, dass es ggf. besser ist ohne persönliche Sünde zu sterben als später in einer sündigen Umgebung aufzuwachsen (und dann vermutlich ebenfalls zu sündigen), aber damit lässt sich nie die Tötung eines Menschen legitimieren (ansonsten wäre Abtreibung ja auch eine Wohltat für das Kind).
Wie ich es auch betrachte, ich sehe hier keine Möglichkeit, die klassische Interpretation zu retten, ohne dass das katastrophale Auswirkungen auf das Gottesverständnis hat.
Eine allegorische Deutung kommt vllt. als zusätzliche Deutungsebene in Betracht, aber sicher nicht als alleinige. Ich sehe mich hier (man könnte sagen: schweren Herzens) das erste mal in der Situation, der historisch-kritischen Perspektive den Vorzug geben zu müssen.
Wie sehr ihr das?