D. Hattrup im Artikel 'Karl Rahner zum Hundertsten" in ThGl 94 (2004) 551-555 hat geschrieben:1. Karl Rahner erblicke das Licht der Welt vor hundert Jahren, am 5. März 1904 in Freiburg. Rahner war ein Schicksal für die Theologie im 20. Jahrhundert, in Deutschland und darüber hinaus. Er hat eine versäumte Moderne nachgeholt und Großes geleistet, wofür ihn die Vorsehung mit tüchtigen Werkzeugen des Geistes ausgerüstet hatte. Er war unbestritten der fähigste spekulative Kopf des vorigen Jahrhunderts, was selbst der frühe Weggenosse und späte Gegenspieler Hans Urs von Balthasar fast neidlos eingestanden hat. Rahner war uneitel bis zur Selbstvergessenheit und schier unerschöpflich in seiner Produktion, auch wenn sich die Gedanken und Texte später wiederholten.
Einen Erdrutsch in der theologischen Landschaft hat er ausgelöst, weil er zur rechten Zeit an der rechten Stelle war. Doch Erdrutsche bewegen nicht nur, sie verschütten auch. In der Rahnerschen Theologie herrscht eine Doppeldeutigkeit, die es zu besichtigen gilt. Natürlich ist alles ambivalent in dieser Welt, und wo Licht ist, fällt auch Schatten. Ich meine nur, dieser Schatten ist hier stärker, als es von Natur dem Lichte zukommt.
2. Aber zuerst leuchtet zweifellos das Licht! Von Rahners früher Theologie strahlt eine Frische und Zuversicht aus, die mitreißt. Der frühe Rahner läßt spüren, daß Glaube, Kirche und Theologie auch in Zukunft etwas zu sagen haben werden. Dafür gebürt ihm Anerkennung, dafür darf er an seinem Geburtstag postum unseren Dank erwarten. Ich will mich dem Chor der Gratulanten anschließen: Ich bin dankbar, seine Stimme in der Jugendzeit gehört zu haben. Mit Wehmut streiche ich heute über die kleinen Herder-Bändchen, die ich damals verschlungen habe. 'Vom Glauben inmitten der Welt' und 'Gnade als Freiheit' sind mir 1967 und 1968 in die Hand gekommen, wie das Exlibris sagt. Sie haben mir im Jugendalter den Mut gegeben, den ich brauchte. Rahner leistete, was sonst niemand zu leisten vermochte: Er konnte Gott und Welt verbinden, Glaube und Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft. Weder Eltern noch Pfarrer, weder Lehrer noch Theologen schienen mir dazu in der Lage zu sein. Ich brauchte einen vollwertig Glaubenden und einen, der keine Abstriche mit der Welt machte, der also vollwertig auf der einen wie auf der anderen Seite war. Das war die Not meinen frühen Tage: Entweder wurde ich modern, dann mußte ich den Glauben aufgeben, oder ich wurde gläubig, dann mußte ich meine modernen Freunde aufgeben. Der Name Rahner war das Versprechen, daß beides zusammengehen kann, ohne wählen zu müssen. Hat der Name das Versprechen gehalten?
3. Ja würde ich sagen. Zunächst jedenfalls. Ich weiß nicht, ob ich ohne Rahner die Brücke zwischen Gott und Welt gefunden hätte. Vielleicht hätte ich ohne ihn die Brücke verfehlt und wäre irgendwo angeschwemmt worden. Als ich mit der Theologie in Münster begann, war Karl Rahner gerade da. Er las seinen bekannten 'Grundkurs des Glaubens'. Ich verstand zwar nichts, war aber tief befriedigt. Der kleine Mann da vorne am Pult im riesigen Audimax, der von Woche zu Woche leerer wurde, versöhnte Welt und Kirche, das war für mich ausgemacht, und mehr war nicht nötig. Ich konnte weiter gehen in der Spur von Glaube, Theologie und Priestertum. Da ich fleißig in den 'Schriften zur Theologie' las, verstand ich ihn bald besser und konnte auch bald so reden wie er: Gott war das absolute Geheimnis des Menschen, das Wovonher und Woraufhin seiner Existenz, er war ihm über das übernatürliche Existential zugänglich, das aus der grauen Potentia oboedientialis der Neuscholastik einen lebensvollen Begriff gemacht hatte, damit die möglicherweise ergangene Botschaft des Heils einen Hörer des Wortes finde, dessen Lage transzendentaltheologisch zu erkunden ist, damit er das Angebot der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus in Freiheit annehmen und in jedem Menschen, der seinem Gewissen folgt, den anonymen Christen als Bruder erkennen kann.
So die wichtigsten Eintragungen in der Rahnerschen Wörterliste! Dem Jugendlichen waren sie eine Wonne. Können sie es dem erwachsenen Manne auch sein? Wir schauen uns einige Themen der Theologie in der Fassung Rahners an.
4. In der Spriritualität....
5. In der Gnadenlehre....
6. Für zentral bei Rahner in der Anthropologie....
7. In der Schöpfungslehre lehrt Rahner: "Theologie und Naturwissenschaft können grundsätzlich nicht in einen Widerspruch untereinander geraten, weil beide sich von vornherein in ihrem Gegenstandsbereich und ihrer Methode unterscheiden." (Schriften XV, 26). Auch hier müssen wir mit einem Lob beginnen. Der Streit mit den Natur- und Humanwissenschaften in der Neuzeit, mit Galilei, Darwin und Freud, hat der Kirche schwer geschadet. Nach allgemeiner Auffassung haben die Wissenschaften auf jeden Fall recht und die Religion höchstens dann, wenn sie mit den Wissenschaften nicht in Widerspruch steht. Da ist Rahners grundsätzliche Unterscheidung zwischen beiden Bereichen nützlich. Wenn wir nach seiner Ansicht verfahren, kann man Theologie und Glaube nicht mehr den Vorwurf machen, sie stünden mit den Naturwissenschaften in Konflikt. Sie haben nach Rahners Schiedsspruch einfach nichts miteinander zu tun. Sie müssen sich nur immer wieder ihren Unterschied in Inhalt und Methode vor Augen führen.
An dieser Stelle, glaube ich, war es, als ich vor zwei Jahrzehnten die Wege Rahners verlassen haben. Aus der Wonne wurde das Stutzen und aus dem Stutzen das Unbehagen. Plötzlich drangen andere Stimmen an mein Ohr: "Und ich habe schon wor langer Zeit gesagt, es führt eine schnurgerade Straße von Galilei zur Atombombe. Der Kardinal Bellarmin, der Galilei daran hindern wollte, die Kopernikanische Lehre zu verbreiten, wußte wovon er sprach." (Tragweite der Wissenschaft, 472) Das war eine kritische Stimme gegen die Wissenschaft mitten aus der Wissenschaft. Sollten diese doch nicht so außerhalb allen Zweifels stehen? Hat auch die Wissenschaft ihre Grenzen? Vielleicht, dachte ich, sollte ich mir lieber den kritischen C. F. von Weizsäcker zum Lehrer nehmen anstatt den weltfreudigen und etwas naiven Rahner, der die Autonomie der Wissenschaft für unantastbar erklärt hat.
Nun plötzlich sah ich, daß überall diese Autonomie bei ihm herrschte, nicht nur in der Schöpfungslehre. War nicht die Anthropologie, die Gnadenlehre, die Spiritualität autonom aufgebaut? Von Gottes Handeln war eigentlich immer weniger die Rede, deshalb auch immer weniger von der Bekehrung des Menschen. Das heißt, es war schon die Rede davon, denn Offenbarung heißt bei Rahner die Selbstmitteilung Gottes. Aber sie war ausgegossen über die ganze Geschichte, daß die spezielle Offenbarung, die kategoriale, wie es hieß, nichts besonders Heilbringendes mehr an sich hatte. Jetzt verstand ich: Der anonyme Christ war die logische Folge. Jeder Mensch durfte bleiben wie er ist, da ihm die besonderer Offenbarung in Christus nichts Besonderes mehr zu bieten hatte.
8. Ist mir der Förderer des Glaubens zum Hindernis geworden? ...
9. Ich brauchte eine andere Grundlage für das Denken. Der Glaube darf nicht erzittern vor der Welt, vor den Erfolgen der Wissenschaft, vor der Autonomie. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, alles bleibt endlich, auch wenn die Erfolge zunehmen. Die wurde meine Grundlage: "Das Streben nach absoluter Gewißheit war der Versuch, den Glauben überflüssig zu machen. Dies hat sich als unmöglich erwiesen." (Weizsäcker: Zeit und Wissen, 1992, 51) Es gibt eine Säkularisierung, die entgleist ist, und mit Rahner kann man den Zug nicht wieder aufs Gleis heben.
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Auf der Grundlage des Rahnerschen Denkens, stellte ich betrübt fest, es gibt keinen Weg in die Zukunft. Rahner ist ein Stück des notwendigen Weges gegangen, aber wenn wir auf seinem Weg bleiben, landen wir in der Sackgasse. Wir müssen die Welt fragen können, ob sie sich ihres Weges sicher ist.