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Nominalismus - ein Unwort im Weinberg des Herrn?
Verfasst: Freitag 9. Dezember 2005, 20:31
von Tacitus

Abälardus und Heloise:
Universalia in rebus.
Der Nominalismus ist eine schiefe Ebene, das scheint unstrittig zu sein. Lautet der Gang der Dinge aber - wie von Mrnka postuliert - so: Nominalismus - Utilitarismus - Kannibalismus? Und weiter: Führt nominalistisches Denken unweigerlich in den Abgrund?
Könnte nicht Abälard den Weg weisen? In den frühscholastischen Auseinandersetzungen zwischen dem platonisch angehauchten Realismus (
Universalia ante res) und dem aristotelischen Nominalismus (
Universalia post res) setzte er auf
Universalia in rebus. Ein Bestreiten der Existenz der Einzeldinge ist für ihn absurd. Zugleich aber weisen die Einzeldinge über sich selbst hinaus auf ein ihnen vorausgehendes Allgemeines, letztlich auf Gott. Für den erkennenden Menschen sind die Universalia post res, für Gott ante res.
Als Glaubende sind wir Realisten, als Erkennende Nominalisten.
Und nochwas: Waren die Konzilsväter des Zweiten Vaticanums wirklich alle Nominalisten, wie von den Vorkonziliaren immer insinuiert wird? Die Protestanten sind's für die eh.
Verfasst: Samstag 10. Dezember 2005, 00:21
von Robert Ketelhohn
Bloß ganz kurz. Mir scheint zunächst, daß Abælard doch sehr klar die allgemeinen Begriffe als Abstraktionen des menschlichen Geistes ansieht. Ob man das nun Nominalismus nennt, Konzeptualismus oder sonstwie, ist eher unerheblich. Es bleiben für ihn reine Begriffe, die den Einzeldingen nicht vorausgehen, sondern nachfolgen.
Andererseits hat Abælard an der platonischen Ideenlehre grundsätzlich durchaus festhalten wollen. Ein Allgemeines als „Idee Gottes“ scheint er also nicht zu verwerfen.
Aber wie geht beides zusammen? – Mir scheint das unverbunden, ja unvereinbar nebeneinander zu stehen. Doch um das weiter auszuführen, müßten wir ein wenig über die Erkenntnislehre handeln. Wodurch erkennen wir? Ist es der intellectus agens, wie Thomas wollte – und ähnlich Abælard, auf aristotelischer Bahn –, oder eine illuminatio, wie Augustin in gewisser Anlehnung an Plato, aber unter Verwerfung der Wiedererinnerungslehre, vorgeschlagen hatte, und wie es auch Bonaventura vertrat?
Ich plaidiere nachdrücklich für die Illuminationslehre, und darum auch für den Universalienrealismus.
Verfasst: Samstag 10. Dezember 2005, 21:27
von Ewald Mrnka
@Tacitus
Ich mach es auch ganz kurz:
Der Nominalismus hat Technik und Aufklärung befördert. Er steht für die Moderne.
Wer kämpft noch weiterhin ernsthaft gegen den Nominalismus? Nur noch Don Quixote von la Mancha und ein paar katholische Traditionalisten. Sie stehen allesamt auf einem verlorenen Posten und das wissen sie selbst.
Wohin die Reise letzthin geht, lieber Tacitus, weiß nur Gott. Auf jeden Fall werden die Zeiten titanisch, hart und für unser Empfinden, das sich noch weitgehend am 18./19. Jahrhundert orientiert, barbarisch. Die Verhältnissse werden zoologisch. Im trostlosen 20. Jahrhundert ging es los: Hitler und Stalin waren Vorboten, Sturmvögel der "Postmoderne". Sie waren bezeichnenderweise als Ideologen ihrer Zeit zu weit voraus, sie wirkten anachronistisch; daher mußten sie zunächst scheinbar scheitern. Einige ihrer Ideen und Methoden erleben mittlerweile eine Renaissance - nunmehr unter "wissenschaftlichen" Vorzeichen, global und total. Abtreibung, Euthanasie, "Stammzellenforschung", ganz legale, erwünschte Ermordungen und Ausschlachtungen von Komapatentienten und dazu noch das gesamte Arsenal des Großen Bruders weisen in die eherne Richtung. Der Letzte Mensch muß und will diesen Weg gehen.
Der Nominalismus selbst ist lediglich ein vergleichsweiser harmloser philosophischer Reflex auf die Neigung des Menschen so sein zu wollen wie Gott. Der alten Schlange hörte man schon immer gerne zu.
Ich wünsche Dir einen gesegneten 3. Advent.
Verfasst: Sonntag 11. Dezember 2005, 21:39
von Dr. Dirk
Wie verhält sich eigentlich ein Bild des barmherzigen Jesus der Schwester Faustyna oder das Bild auf dem Turiner Grabtuch zum Nominalismus?
Re: Nominalismus - ein Unwort im Weinberg des Herrn?
Verfasst: Montag 12. Dezember 2005, 10:41
von Raphael
@ Tacitus
Tacitus hat geschrieben:Als Glaubende sind wir Realisten, als Erkennende Nominalisten.
Hier sollte IMHO zunächst zwischen dem Erkennen der Existenz des endlichen und des ewigen Seins einerseits und andererseits dem Erkennen der Eigenschaften des endlichen und des ewigen Seins unterschieden werden.
Der Glaube ist hierbei der "dunkle Weg" des Erkennens. Das endliche Sein und die schiere Existenz des ewigen Seins kann auch mit den Mitteln der natürlichen Vernunft sicher erkannt werden.
GsJC
Raphael
Verfasst: Montag 12. Dezember 2005, 12:06
von Pelikan
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Wodurch erkennen wir? Ist es der intellectus agens, wie Thomas wollte – und ähnlich Abælard, auf aristotelischer Bahn –, oder eine illuminatio, wie Augustin in gewisser Anlehnung an Plato, aber unter Verwerfung der Wiedererinnerungslehre, vorgeschlagen hatte, und wie es auch Bonaventura vertrat?
Da müßtest du zunächst einmal nachweisen, daß zwischen Thomas und Augustin wirklich ein solch essentieller Graben besteht. Mir scheint, daß auch für Thomas ein Erkennen ohne Illumination des Verstandes nicht denkbar ist. Er sagt z.B. sowas:
ST Iª q. 84 a. 5 co. hat geschrieben:Et sic necesse est dicere quod anima humana omnia cognoscat in rationibus aeternis, per quarum participationem omnia cognoscimus. Ipsum enim lumen intellectuale quod est in nobis, nihil est aliud quam quaedam participata similitudo luminis increati, in quo continentur rationes aeternae. Unde in Psalmo IV, dicitur, multi dicunt, quis ostendit nobis bona? Cui quaestioni Psalmista respondet, dicens, signatum est super nos lumen vultus tui, domine. Quasi dicat, per ipsam sigillationem divini luminis in nobis, omnia nobis demonstrantur.
Oder das hier:
De Veritate q. 11 a. 1 co. hat geschrieben:Huiusmodi autem rationis lumen, quo principia huiusmodi nobis sunt nota, est nobis a Deo inditum, quasi quaedam similitudo increatae veritatis in nobis resultans. Unde, cum omnis doctrina humana efficaciam habere non possit nisi ex virtute illius luminis; constat quod solus Deus est qui interius et principaliter docet.
(Den Zitaten anklickbare Verknüpfungen beigefügt. Robert Ketelhohn)
Re: Nominalismus - ein Unwort im Weinberg des Herrn?
Verfasst: Montag 12. Dezember 2005, 19:55
von Tacitus
Danke, Pelikan, für die Zitate, die zeigen, wie Thomas via antiqua und via moderna verbindet. Die einschlägigen Zitate hier zu lesen erfreut einen Protestanten schon allein deshalb, weil wir Thomas gemeinhin nur aus zweiter Hand kennen. Schließlich heißt unser Doctor angelicus Martinus Lutherus.
Raphael hat geschrieben:Das endliche Sein und die schiere Existenz des ewigen Seins kann auch mit den Mitteln der natürlichen Vernunft sicher erkannt werden.
Bei letzterem bin ich mir da eben nicht so sicher, Raphael. Wir können hypthetisch extrapolieren. Aber "sicher" erkennen? Hm.
Verfasst: Dienstag 13. Dezember 2005, 00:10
von Robert Ketelhohn
Dem Dank für die Zitate schließe ich mich an. Und wenn Pelikan und Thomas sich dem anschließen, was ich – Augustinus folgend – vertrat, dann kann ich mich ja doch bloß darob freuen. Dennoch zweifele ich, ob Thomas hier nicht doch bloß Augustins Redeweise sich adaptiere und in seinem Sinne umdeute. Die Lektüre des Kontexts scheint mir diesen Schluß nahezulegen.
Verfasst: Dienstag 13. Dezember 2005, 01:54
von Uwe Schmidt
Was ist denn so schlimm am Nominalismus? Etwa dass der Mensch die Dinge benennt und so nach seinem Gusto festlegt? Und was hat das mit Schwester Faustina zu tun???

Re: Nominalismus - ein Unwort im Weinberg des Herrn?
Verfasst: Dienstag 13. Dezember 2005, 08:22
von Raphael
@ Tacitus
Tacitus hat geschrieben:Raphael hat geschrieben:Das endliche Sein und die schiere Existenz des ewigen Seins kann auch mit den Mitteln der natürlichen Vernunft sicher erkannt werden.
Bei letzterem bin ich mir da eben nicht so sicher, Raphael. Wir können hypthetisch extrapolieren. Aber "sicher" erkennen? Hm.
Es ist kein Wunder, daß Du Dir nicht sicher sein kannst; gehört doch für die Protestanten zum Glaube der Zweifel wie das Gerechtfertigtsein zum Sündigen ............
Diese "schizophrene Denkweise" verhindert geradezu ein Sichersein!
Außerdem wird diese "schizophrene Denkweise" durch den Nominalismus gefördert (wenn er nicht sogar die Ursache ist?!?!), weil er eine Über
betonung (im Sinne von: Überbewertung) der Begriffe impliziert.
GsJC
Raphael
Verfasst: Dienstag 13. Dezember 2005, 18:49
von Tacitus
Glücklich, wer alles auf den Protestantismus wälzen kann.
Aber bedenke: wenn die "schiere Existenz ewigen Seins" vermöge der Vernunft sicher erkannt werden könnte, müsste jeder vernünftig Denkende überzeugbar sein. Dass dies nicht der Fall ist, liegt auf der Hand, womit die Anerkenntnis der Existenz ewigen Seins (auch) eine Sache des Glaubens sein muss.
Andererseits kann der Glaube durchaus die Vernunft illuminieren.
Verfasst: Donnerstag 15. Dezember 2005, 17:03
von Raphael
@ Tacitus
Tacitus hat geschrieben:Glücklich, wer alles auf den Protestantismus wälzen kann.
Es kann Dich doch nicht ernsthaft verwundern, daß eine deutliche Kritik am Nominalismus auch einen Kollateralschaden beim Protestantismus verursacht (und umgekehrt), nachdem diese beiden -ismen - zwischen uns beiden offenbar unstreitig - so eng miteinander verbandelt sind: Während der Nominalismus in eine bestimmte erkenntnistheoretisch-philosophische Sphäre einzuordnen ist, baut der Protestantismus seine religiösen Begründungen auf dieser Sphäre auf ...........
Tacitus hat geschrieben:Aber bedenke: wenn die "schiere Existenz ewigen Seins" vermöge der Vernunft sicher erkannt werden könnte, müsste jeder vernünftig Denkende überzeugbar sein.
Hältst Du Letzteres nur für unmöglich oder sogar für prinzipiell unmöglich?
Tacitus hat geschrieben:Dass dies nicht der Fall ist, liegt auf der Hand, womit die Anerkenntnis der Existenz ewigen Seins (auch) eine Sache des Glaubens sein muss.
Eben nicht nur ......
Aber Du hattest ja das "auch" in Klammern hinzugefügt!
Die Existenz Gottes ist auch mit Hilfe der natürlichen Vernunft erkennbar, sonst wäre das Christentum nur eine Spielart des Agnostizismus. Davon kannst Du doch nicht wirklich überzeugt sein, oder?
Wenn die Existenz Gottes
nur im Glauben erkennbar wäre, käme man zum Fideismus; auch keine wirkliche Lösung der Problems .........
Tacitus hat geschrieben:Andererseits kann der Glaube durchaus die Vernunft illuminieren.
Dieser Aussage kann ich zustimmen. Details hierzu findet man in der Enzyklika "
Fides et Ratio". Prädikat: Sehr lesenswert!
GsJC
Raphael
Verfasst: Donnerstag 15. Dezember 2005, 17:41
von provobis
Wenn der Mensch in die Tiefe seines Wesens blickt, erfährt er die Wahrheit seiner Herkunft aus Gott und somit den Ursprung seiner Existenz als “Abbild Gottes” (Gen 1,26) geschaffenes Wesen, mit Leib und Seele. Der Mensch wurde also zur Unvergänglichkeit erschaffen (vgl. Weish 2,23; Sir 17,23) und hört auch nach der Sünde nicht auf, Ebenbild Gottes zu sein, auch wenn er dem Tod unterworfen ist. Er trägt in sich den Widerschein der Macht Gottes, die sich vor allem in den Gaben des Verstandes und des freien Willens offenbart. Der Mensch ist von Gott in Bezug auf seine Person hin, als “autonomes Subjekt” in seiner doppelten, leib-geistigen Dimension geschaffen, personal selbständig, wahrnehmend, denkend und willentlich; er selbst ist Quelle seiner Handlungen, auch wenn er die Merkmale seiner Abhängigkeit von Gott, seinem Schöpfer, an sich trägt. Das mit personaler Würde ausgestattete Geschöpf ist fähig, kraft der ihm innewohnenden vernunftbegabten Geistseele – und daher auch verpflichtet – Gott anzuerkennen. Mit der, dem Menschen gegebenen Willensfreiheit, hat Gott den Menschen “der Macht der eigenen Entscheidung überlassen” (Sir 15,14), damit er seinem Schöpfer in Freiheit anhangen kann.
Verfasst: Donnerstag 15. Dezember 2005, 18:21
von Nietenolaf
provobis hat geschrieben:Wenn der Mensch in die Tiefe seines Wesens blickt...
Danke! Das hatten wir aber schon
>hier und
> hier. Seit März nix neues mehr?
Verfasst: Donnerstag 15. Dezember 2005, 21:04
von Pelikan
Tacitus hat geschrieben:aristotelischen Nominalismus (Universalia post res)
wie Thomas via antiqua und via moderna verbindet
Hier müssen wir uns wohl doch mal über die Begriffe einig werden. Aristoteles ein Nominalist?! Wie wollen wir das "Unwort" Nominalismus denn eigentlich definieren, damit's nicht zur bloßen Verbalkeule verkommt?
Via moderna assoziiere ich auf jeden Fall einzig und allein mit den Innovationen von Ockham. Thomas wird üblicherweise weder als Nominalist noch als irgendwie gearteter Vertreter der
via moderna bezeichnet, sondern als moderater Realist. Über die prinzipielle Vereinbarkeit von Plato und Aristoteles war sich die scholastische
via antiqua weitestgehend einig.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Und wenn Pelikan und Thomas sich dem anschließen, was ich – Augustinus folgend – vertrat, dann kann ich mich ja doch bloß darob freuen.
Na, falls du vertreten wolltest, daß ein besonderer übernatürlicher Akt der Illumination der
einzige Weg ist, eine abstrahierte Spezies im Geist zu fassen, können Pelikan und Thomas natürlich
nicht zustimmen.

Allein schon die Tatsache, daß Heiden und Ketzer Universalien genauso erkennen wie Heilige steht dieser Schlußfolgerung im Weg. Ich halte also den natürlichen Intellekt sehr wohl für fähig, aktiv Konzepte zu formen, die real an der Natur des erkannten Dings partizipieren und ultimativ darauf zurückverweisen. Warum du den Dreischritt von der Idee Gottes über die Natur der Dinge zum Konzept im erkennenden Geist für unverbunden und unvereinbar hältst, habe ich nicht verstanden.
Dennoch zweifele ich, ob Thomas hier nicht doch bloß Augustins Redeweise sich adaptiere und in seinem Sinne umdeute. Die Lektüre des Kontexts scheint mir diesen Schluß nahezulegen.
Sicherlich spielt die Illumination für Thomas eine geringere Rolle als für Augustin. Unverzichtbar bleibt sie trotzdem, weil die logischen Prinzipien, die wir weder erlernen noch von Geburt an kennen, die Samen jeder Erkenntnis sind.
Und irgendwie
deuten wird man Augustin müssen, denn eine abgeschlossene Erkenntnistheorie hat er wohl kaum vorgelegt.
Verfasst: Sonntag 18. Dezember 2005, 14:53
von Raphael
@ Tacitus
Ein interessanter Kurzartikel über den heute wohl am häufigsten zitierten Vertreter des Nominalismus ("Ockham's Messer"):
1. Wilhelm von Ockham (um 1300-1350)
entstammt einem Burgflecken der Grafschaft Surrey. Ebenfalls Franziskaner und scotistisch gebildet, dann Lehrer zu Paris, trat er in dem damals entbrannten Kampfe zwischen Papsttum (Bonifaz XIII.) und weltlicher Gewalt entschieden für die letztere ein. Vom Papste verfolgt, fand er Zuflucht und Schutz bei Ludwig dem Baiern. »Verteidige du mich mit dem Schwerte, ich will dich mit der Feder verteidigen.« Er starb auch wahrscheinlich in München, vielleicht am »schwarzen Tod« (1349 oder 1350). Von seinen zahlreichen Schriften sind die wichtigsten: die Summa der ganzen Logik, der Kommentar zu den Sentenzen des Lombarden, die Expositio aurea super totam artem veterem und der kirchenpolitische Dialogus inter magistrum et discipulum de imperatorum et pontificum potestate. Eine Gesamtausgabe seiner Werke existiert noch nicht, ebensowenig eine zusammenhängende Monographie über ihn, den wegen seines Scharfsinns gefürchteten »Dr. invincibilis« Über seine und seiner Nachfolger Psychologie vgl. Siebeck, Zeitschr. f. Philos. 1897/8.
a) Als wichtigste philosophische Tat Ockhams wird in der Regel seine Erneuerung des Nominalismus bezeichnet. Im Gegensatz zu dem gemäßigten Realismus, den die Hauptführer der Scholastik (Anselm, Thomas, Scotus) vertreten hatten, lehrt er, entgegen diesen »Platonikern« an den »echten Aristoteles« sich anschließend: Nur die Einzeldinge sind das Wirkliche. Die allgemeinen Begriffe existieren nur im denkenden Geiste, d.h. objective, nicht substantiell oder subjective22. Unsere Begriffe sind keine wirklichen Abbilder der Dinge, sondern nur Zeichen (termini) für dieselben (der Nominalismus wird daher neuerdings oft auch als Terminismus bezeichnet), deren Behandlung der Logik, Ockhams Lieblingswissenschaft, zufällt. Es gibt kein Ding, z.B. keinen Menschen »an sichü; das wäre eine unnütze »Vervielfachung des Seienden«, entgegen dem Grundsatz unseres Scholastikers: entia praeter necessitatem non sunt multiplicanda. Der Satz »der Mensch ist sterblich« bedeutet nichts anderes als: alle einzelnen Menschen sind sterblich.
b) Dementsprechend fällt - und das ist für uns wichtiger als das bloße Schubfach des »Nominalismus« - das Hauptgewicht auf die der reinen Abstraktion gegenüber gestellte »intuitive « Erkenntnis, die (innere und äußere) Wahrnehmung und ihr Erzeugnis, die (innere und äußere) Erfahrung, sodaß zu einer induktiven Erforschung der äußeren Natur und der Seelenzustände wenigstens der Weg gebahnt wird. Der bereits bei Duns Scotus von uns konstatierte Zwiespalt zwischen Vernunftwissenschaft (Philosophie) und Offenbarung (Theologie) erreicht bei Ockham seinen Höhepunkt. In geradem Gegensatz zu Lull, der alles beweisen zu können vorgab, behauptet er: auch das Dasein Gottes und seine Eigenschaften können nicht von der Vernunft bewiesen, sondern höchstens durch Analogieschlüsse wahrscheinlich gemacht werden, und auch dies nicht »den Weltweisen und denen, die sich vorzugsweise auf die natürliche Vernunft stützen« Er selbst freilich folgert aus dieser unserer natürlichen Unwissenheit über die wichtigsten Probleme die Notwendigkeit der göttlichen Offenbarung und hält es für einen verdienstlichen Willensakt, das Unbeweisbare zu glauben. Die Theologie ist eben keine Wissenschaft; und Ockham selbst blieb Theologe. Auch ihm wie seinem Landsmanne Scotus erscheint die Willkür und Machtfülle Gottes unbeschränkt, was ihn mitunter zu wunderlichen, fast frivolen Absurditäten führt, wie z.B. der, daß Gott statt der menschlichen auch die Eselsnatur (natura asinina) hätte annehmen können!
c) In der Willenslehre und Psychologie überhaupt ist Ockhams Standpunkt echt englisch ein gesundempirischer. Wille und Verstand sind nur verschiedene Wirkungsweisen der in ihrem eigentlichen Wesen für uns unerkennbaren Seele. Des Willens Verflechtungen mit dem Gemütsleben und den Trieben werden untersucht. Auf der Erfahrung beruht auch die unumstößliche Tatsache der Willensfreiheit, die durch äußere Umstände nicht beeinflußt wird. Die Ethik steht dagegen bei O. und seiner Schule auf schwachen Füßen, weil sie auf jene Lehre von der absoluten Willkür Gottes gegründet wird. Es gibt kein Gutes und Schlechtes an sich, sondern nur durch den Willen Gottes. Gott kann die Sündenschuld ohne jede innere oder äußere Buße des Sünders erlassen, ebenso wie er einen, der nicht gesündigt hat, bestrafen kann. Außerordentlich häufig findet sich der Beisatz: Aliter tamen potuit deus ordinare, d. i. »Gott hätte auch eine andere Anordnung treffen können« Ja, eine lasterhafte Handlung ist keine Sünde, wenn sie zur Ehre Gottes geboten erscheint. Und doch stellt sich derselbe Ockham in dem seine Zeit mächtig bewegenden Streit zwischen Kirche und Staat, wie wir schon oben bemerkten, entschieden auf die Seite des letzteren. Das Gemeinwohl (bonum commune) zu schaffen, ist rein Sache des Staates, Verletzt der Fürst diese seine Pflicht, so hat das Volk das Recht, ihn abzusetzen, den Tyrannen zu töten: wie auch innerhalb der Kirche die Gesamtheit der Gläubigen über Papst, Konzil und Geistlichkeit steht. Er eifert gegen den Reichtum und die dadurch herbeigeführte Verweltlichung der Kirche. Das Ideal, der Status perfectissimus, bleibt dem gelehrten Bettelmönche schließlich doch die völlige Besitzlosigkeit.
(
Quelle)
Re: Nominalismus - ein Unwort im Weinberg des Herrn?
Verfasst: Sonntag 18. Dezember 2005, 19:32
von rabler
Pelikan hat geschrieben:Und irgendwie deuten wird man Augustin müssen, denn eine abgeschlossene Erkenntnistheorie hat er wohl kaum vorgelegt.
Doch, lieber Pelikan, hat er schon. Nur findet man bei Augustinus solches nicht an einem Ort, sondern in verschiedenen Schriften verstreut. Er war eben kein systematischer Denker, was ihn mir sehr sympathisch macht. Als Einstieg dazu kann aber seine Schrift „Über den Lehrer“ dienen. Hier erklärt er entschieden, dass Wörter bzw. Sprache nichts lehren können, sondern Wörter lediglich Zeichen sind, die ans Ohr klingen, während das erkennende Subjekt in der Seele, das worauf dieses Zeichen hinweist aus eigenen Mitteln sich vor dem geistigen Auge erstehen lässt. Die Erkenntnis dieser inneren „Sachen“ erfolgt im Licht des inneren Lehrers, dem Wort Gottes, dem Licht, das in die Welt kam um jeden Menschen zu erleuchten. (Vgl. Über den Lehrer ,10,33 - 14,45)
Weiter finden sich in De Trinitate XI, 1,1 eine Untersuchung des sinnlichen Erkennens. Das Subjekt ist die auf die Sinne gerichtete Geist-Seele des Menschen, die er kurz gefasst entsprechend ihrer Erkenntnisrichtung bei der Sinneserkenntnis mit „exterior homo“ bezeichnet. Dieser bedient sich mit Hilfe seines „sensus interior“ der fünf Sinne. „Bei einem solchen Akt des Sehens unterscheidet er 1. den Gegenstand (res), den wir sehen, 2. die Schau (visio), die dabei zustande kommt und 3. das Hintrachten der Geist-Seele (intentio animi), das den Gesichtssinn während des Sehens auf dem Gegenstand festhält.“ (Ebd. XI, 2,2) Der Gegenstand ist objektiv gegeben, die Schau erfolgt durch den Sinneseindruck (visio corporalis), d.h. durch das Einprägen des Gegenstandes in den Sinn und das Hinschauen des Schauenden. Der Leibessinn berühren sich eine körperliche (äußere) und eine seelische (innere) Seite, wobei die körperliche Seite passiv beeindruckt wird, während auf der seelischen Seite die aktive Nachbildung des Sinneseindruckes als geistiges Bild entsteht, das aus dem Inneren der Seele stammt. „Das Abbild des sinnlich wahrgenommenen Gegenstandes entsteht nämlich in der Seele nicht durch eine Einwirkung des Körpers auf die Seele, sondern wird von dieser in sich selbst mit wunderbarer Schnelligkeit gebildet; und zwar so, dass im selben Zeitpunkt, da der Gegenstand z.B. von den Augen gesehen worden ist, auch das Abbild in der Seele des Sehenden hervorgebracht wird. (vgl. De Gen. XII, 16, 33)“ (Franz Körner: Deus in homine videt. Das Subjekt des menschlichen Erkennens nach der Lehre Augustins. Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1964, S. 173) Der zitierte Artikel dazu ist wirklich lesenswert und gibt gründliche Aufschlüsse über die augustinische Erkenntnislehre mit vielen Zitaten zum eigenen Weiterstudium. Schon diese wenige zeigt aber, für Augustinus gibt es keine Abstraktion.
Raphael hat geschrieben: Das endliche Sein und die schiere Existenz des ewigen Seins kann auch mit den Mitteln der natürlichen Vernunft sicher erkannt werden.
Das dies katholischer Auffassung zu entsprechen scheint – ich sage dies vorsichtig, weil ich mich da nicht auskenne -, darauf weist folgendes Zitat von Augustinus: „Um die Wahrheit zu finden, gehe nicht nach draußen, sondern kehre bei dir selbst ein. Die Wahrheit wohnt nämlich im inneren Menschen. Wenn du [während dieser Suche] entdeckst, von welch unbeständiger Beschaffenheit du bist, dann überschreite auch noch dich selbst. Aber bedenke, während du dich selbst überschreitest, dass du die vernunftbewegte Seele überschreitest. Dorthin also strebe, wo das Licht der Vernunft entzündet wird. Denn wohin gelangt jeder gute Wahrheitssucher, wenn nicht zur Wahrheit? Wenn auch die Wahrheit getreu ihrer eigenen Maxime nicht ausschließlich durch die wahrheitsgemäße Bewegung der Vernunft erreicht wird, so ist ihr Finden doch das, was die Wahrheitssucher erstreben.“ (Über die wahre Religion 39,72)
Als Garant für die Richtigkeit der inneren Erkenntnis ewigen Seins, nennt er das ewige Licht selbst: „Alles, was ich bis jetzt über dieses Licht des Geistes [die Wahrheit] gesagt, hat sich mir in eben diesem Licht deutlich zu erkennen gegeben. In diesem Licht nämlich kann ich einsehen, ob das, was gesagt wird, wahr ist und andererseits erkenne ich durch dieses, dass ich [soeben etwas als wahr] eingesehen habe. Dieser Vorgang wiederholt sich immer wieder und setzt sich unendlich fort, sooft man einsieht, was man zu erkennen wünscht, einschließlich der Tatsache, dass man erkennt. Ich sehe auch nicht, dass ich mir Sinnesbilder hypostasiere oder mich in unbeständigen Phantasien ergehe. Ferner ist es mir nur möglich zu erkennen, was ich einsehe, weil ich lebe und ich erkenne, dass ich während ich etwas einsehe, vitaler werde. Und da ja die Vitalität des ewigen Lebens die am zeitlichen Leben gewonnene Vorstellung weit übersteigt, wüsste ich auch nicht, was Ewigkeit ist, wenn ich nicht - während ich ihrer inne werde - auf sie hinblicken könnte. Durch das Hinblicken des Geistes freilich unterscheide ich zwischen jedem Veränderlichen und der Ewigkeit. Denn ich erkenne in der Ewigkeit keine zeitlichen Abläufe, weil diese ja durch den Zusammenhang vergangener und zukünftiger Bewegungen der Dinge zustande kommen. Im Ewigen gibt es aber weder Vergangenes noch Zukünftiges, weil das, was vergangen ist, nicht mehr ist und das was zukünftig ist, noch nicht ist. Doch die Ewigkeit ist nur, weder war sie, so als sei sie jetzt nicht mehr, noch wird sie sein, so als sei sie bisher noch nicht gewesen. Nur aus diesem Grund kann sie uneingeschränkt zutreffend dem menschlichen Geist mitteilen: „Ich bin, der ich bin.“ Oder wie die Schrift über sie ebenso zutreffend sagt: „Der da ist, hat mich gesandt.“ (Ex. 3,14)“ (ebd. 49,97)
Die Schrift „Über die wahre Religion“ ist gut geeignet um die augustinische Ansicht über die Gotteserkenntnis mit Hilfe der Ratio (Ich verwende mit Bedacht das lateinische Wort, weil für Augustinus die Ratio noch mehr war, als für die heutige Vernunft.) einerseits und mit Hilfe des Glaubens andererseits kennen zu lernen.
rabler
Verfasst: Sonntag 18. Dezember 2005, 22:36
von Tacitus
Raphael hat geschrieben:Während der Nominalismus in eine bestimmte erkenntnistheoretisch-philosophische Sphäre einzuordnen ist, baut der Protestantismus seine religiösen Begründungen auf dieser Sphäre auf ...........
Achje, Protestantismus und Nominalismus – eine leider allzuoft verkannte Beziehung.
Luthers Brüder im Erfurter Augustinereremitenkloster waren meist Nominalisten, die wichtigsten – insofern sie den jungen Luther beeinflussten - wohl Johannes von Staupitz und Johannes von Paltz. Den Theologen der Augustinereremiten war freigestellt, via antiqua oder via moderna zu beschreiten.
Luther folgte Occam und dem Nominalismus in der strikten Trennung von Vernunft und Gnade, hielt aber im Gegensatz zu diesen auch die Vernunft für verderbt.
Ein weiterer zentraler Gegensatz bestand in der Gnadenlehre. Nach Occam begründet die Gnade einen neuen Zustand des Menschen („habitus infusus“). Die Gnade wird infundiert, wenn sich der Einzelne durch gute Werke für die Gnadeninfusion bereitmacht: homini faciendi quod in se est deus non denegat gratiam (Menschen, die tun, was in ihnen ist – d.h. was ihnen möglich ist -, verweigert Gott die Gnade nicht). Nach Luther hingegen kann Gnade und Vergebung nur empfangen, wer vor Gott nichts ist und nichts vorzuweisen hat, eben auch keine guten Werke.
Damit sind wir bereits mitten in der Rechtfertigungslehre, dem entscheidenden Motiv für die Reformation.
Mit der nominalistischen Position war stets die Frage virulent, ob der Einzelne genug getan habe, um sich für den habitus infusus würdig zu erweisen. Für Johannes von Paltz kam dem Sünder die Kirche zu Hilfe. Selbst die unvollkommene Reue des Sünders wird durch das gespendete Bußsakrament des Priesters zu vollkommener Reue gewandelt. Paltz konnte sagen: „Gott ist barmherziger und freigiebiger durch die Priester als durch sich selbst.“ Für Johannes von Staupitz, den Beichtvater und Freund Luthers, der der Vorgänger des Reformators auf dem Lehrstuhl für biblische Theologie (lectura in biblia) war, ist die kirchliche Institution bereits bedeutungslos geworden. Er spricht ausschließlich von der Beziehung der Seele zu Gott.
Luther verwirft beides und hält sich allein an Christus, dessen Erlösungswerk für den Sünder geschah.
Man kann also sagen, dass Luther zwar zunächst ein Gewächs spätmittelalterlicher nominalistischer Theologie war, diese aber dann mit dem Streit um gute Werke im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre weit hinter sich gelassen hat, ja in Gegensatz zu ihr getreten ist. Stellvertretend hierfür ein Auszug aus der von Melanchthon edierten Apologie der Konfession (1531). Über gute Werke, Wallfahrten, Rosenkränze etc. steht dort zu lesen:
Apologie der Konfession (Art. XII de poenitentia) hat geschrieben:Darum sind sie nicht nutze Gott zu versühnen, wie doch die Widersacher sagen, und dieselbigen Werk, als Wallfahrten, rühmen sie doch und achtens für große köstliche Werk, nennen es opera supererogationis, und das schändlicher ist, das noch gotteslästerischer ist, man gibt ihnen die Ehre, die Christi Tod und Blut allein gebühret, daß sie sollen das pretium, das ist, der Schatz sein, damit wir von dem ewigen Tod erlöset sein. Pfui des leidigen Teufels, der Christi heiligen und teuren Tod so schmähen darf! Also werden dieselben Wallfahrten fürgezogen den rechten Werken, so in den zehen Geboten sein ausgedrückt, und wird also zweierlei Weis Gottes Gesetz verdunkelt, erstlich, daß sie wähnen, sie haben dem Gesetz gnug getan, so sie die äußerlichen Werk getan haben, zum andern, daß sie die elenden Menschensatzungen höher achten denn die Werk, so Gott geboten hat.
Verfasst: Dienstag 20. Dezember 2005, 21:01
von Raphael
@ Tacitus
Tacitus hat geschrieben:Raphael hat geschrieben:Während der Nominalismus in eine bestimmte erkenntnistheoretisch-philosophische Sphäre einzuordnen ist, baut der Protestantismus seine religiösen Begründungen auf dieser Sphäre auf ...........
Achje, Protestantismus und Nominalismus – eine leider allzuoft verkannte Beziehung.
Da steht ein Buchstabe zuviel: Das "v"!
Tacitus hat geschrieben:Luthers Brüder im Erfurter Augustinereremitenkloster waren meist Nominalisten, die wichtigsten – insofern sie den jungen Luther beeinflussten - wohl Johannes von Staupitz und Johannes von Paltz. Den Theologen der Augustinereremiten war freigestellt, via antiqua oder via moderna zu beschreiten.
Luther folgte Occam und dem Nominalismus in der strikten Trennung von Vernunft und Gnade, hielt aber im Gegensatz zu diesen auch die Vernunft für verderbt.
Ein weiterer zentraler Gegensatz bestand in der Gnadenlehre. Nach Occam begründet die Gnade einen neuen Zustand des Menschen („habitus infusus“). Die Gnade wird infundiert, wenn sich der Einzelne durch gute Werke für die Gnadeninfusion bereitmacht: homini faciendi quod in se est deus non denegat gratiam (Menschen, die tun, was in ihnen ist – d.h. was ihnen möglich ist -, verweigert Gott die Gnade nicht). Nach Luther hingegen kann Gnade und Vergebung nur empfangen, wer vor Gott nichts ist und nichts vorzuweisen hat, eben auch keine guten Werke.
Damit sind wir bereits mitten in der Rechtfertigungslehre, dem entscheidenden Motiv für die Reformation.
Mit der nominalistischen Position war stets die Frage virulent, ob der Einzelne genug getan habe, um sich für den habitus infusus würdig zu erweisen. Für Johannes von Paltz kam dem Sünder die Kirche zu Hilfe. Selbst die unvollkommene Reue des Sünders wird durch das gespendete Bußsakrament des Priesters zu vollkommener Reue gewandelt. Paltz konnte sagen: „Gott ist barmherziger und freigiebiger durch die Priester als durch sich selbst.“ Für Johannes von Staupitz, den Beichtvater und Freund Luthers, der der Vorgänger des Reformators auf dem Lehrstuhl für biblische Theologie (lectura in biblia) war, ist die kirchliche Institution bereits bedeutungslos geworden. Er spricht ausschließlich von der Beziehung der Seele zu Gott.
Luther verwirft beides und hält sich allein an Christus, dessen Erlösungswerk für den Sünder geschah.
All dies bestätigt den unheilvollen nominalistischen Einfluß auf die reformatorischen Bestrebungen eines ML.
Und selbstverständlich geschah das Erlösungswerk Christ für den (die) Sünder; wer wollte das bestreiten?
Nichtsdestoweniger kann und darf der Christ sich nicht aus diesem SEINEM Erlösungswerke eine "religiöse Hängematte" bauen und damit die eigenen Werke vernachlässigen:
Willst du also einsehen, du unvernünftiger Mensch, dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? (Jakobus 2, 20)
"Sola fide" ist ein Irrweg!
Tacitus hat geschrieben:Man kann also sagen, dass Luther zwar zunächst ein Gewächs spätmittelalterlicher nominalistischer Theologie war, diese aber dann mit dem Streit um gute Werke im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre weit hinter sich gelassen hat, ja in Gegensatz zu ihr getreten ist. Stellvertretend hierfür ein Auszug aus der von Melanchthon edierten Apologie der Konfession (1531). Über gute Werke, Wallfahrten, Rosenkränze etc. steht dort zu lesen:
Apologie der Konfession (Art. XII de poenitentia) hat geschrieben:Darum sind sie nicht nutze Gott zu versühnen, wie doch die Widersacher sagen, und dieselbigen Werk, als Wallfahrten, rühmen sie doch und achtens für große köstliche Werk, nennen es opera supererogationis, und das schändlicher ist, das noch gotteslästerischer ist, man gibt ihnen die Ehre, die Christi Tod und Blut allein gebühret, daß sie sollen das pretium, das ist, der Schatz sein, damit wir von dem ewigen Tod erlöset sein. Pfui des leidigen Teufels, der Christi heiligen und teuren Tod so schmähen darf! Also werden dieselben Wallfahrten fürgezogen den rechten Werken, so in den zehen Geboten sein ausgedrückt, und wird also zweierlei Weis Gottes Gesetz verdunkelt, erstlich, daß sie wähnen, sie haben dem Gesetz gnug getan, so sie die äußerlichen Werk getan haben, zum andern, daß sie die elenden Menschensatzungen höher achten denn die Werk, so Gott geboten hat.
Bei diesem Zitat des Philipp Melanchton zeigt sich die Verblendung in Vollendung: Die gute Tat des Christen wird für überflüssig erklärt und damit abgetan, dabei gehören zur Nachfolge nicht nur Worte, sondern auch Taten:
.......... Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. (Matthäus 16, 24)
GsJC
Raphael
Verfasst: Dienstag 20. Dezember 2005, 23:51
von Tacitus
Du sagst es, Raphael, zur Nachfolge. Zur Erlösung gehören gute Werke nicht, das würde die Erlösungstat Christi für unvollkommen erklären. Hab ich im Forum irgendwann irgendwo schon mal erklärt. Da es im virtuellen Nirwana verschwunden ist sag ich's Dir eben nochmal.
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 08:47
von Uwe Schmidt
Kann mir mal jemand freundlicherweise erklären, wie der Nominalismus mit Luthers SOLA GRATIA zusammenhängt? Ich sehe da keinen Zusammenhang!
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 09:14
von Raphael
@ Tacitus, Du standfester Lutheraner
Tacitus hat geschrieben:Du sagst es, Raphael, zur Nachfolge. Zur Erlösung gehören gute Werke nicht, .......
Kannst Du mir 'mal bitte erklären, wie Erlösung (des einzelnen Gläubigen) ohne dessen Nachfolge gehen soll?
Tacitus hat geschrieben:.......... das würde die Erlösungstat Christi für unvollkommen erklären.
Warum?
Tacitus hat geschrieben:Hab ich im Forum irgendwann irgendwo schon mal erklärt. Da es im virtuellen Nirwana verschwunden ist sag ich's Dir eben nochmal.
"Sagen" reicht mir nicht; eine (kurze) Erklärung darf schon dabei sein!
GsJC
Raphael
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 09:30
von Raphael
@ Uwe Schmidt
Uwe Schmidt hat geschrieben:Kann mir mal jemand freundlicherweise erklären, wie der Nominalismus mit Luthers SOLA GRATIA zusammenhängt? Ich sehe da keinen Zusammenhang!
ML entwickelt sein reformatorisches Prinzip "Sola Gratia" auf der Grundlage einer nominalistischen Philosophie; anders gesagt: ML denkt in nominalistischen Denkstrukturen!
Das Prinzip "Sola Gratia" wird dann als religiöse Überhöhung dieser Philosophie zur "Theologie der Reformation". Ansonsten könnte ML - weil er eben im rein Nominalistischen verhaftet ist - keine "Verbindung" zur Übernatur der Schöpfung mehr herstellen ...........
In Kürze: Die Reformation ist ein "Projekt" zur Abschaffung der übernatürlichen Schöpfung!
GsJC
Raphael
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 13:55
von Robert Ketelhohn
Raphael hat geschrieben:ML entwickelt sein reformatorisches Prinzip "Sola Gratia" …
Ist ML nicht eher revolutionär und materialistisch?
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 14:44
von Raphael
@ Robert
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Raphael hat geschrieben:ML entwickelt sein reformatorisches Prinzip "Sola Gratia" …
Ist ML nicht eher revolutionär und materialistisch?
Wenn man "PD" d'ranhängt, ja!

Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 14:48
von Robert Ketelhohn
In unsern Gegenden heißt ML einfach: »Marxismus/Leninismus« …
Verfasst: Mittwoch 21. Dezember 2005, 21:24
von Raphael
Robert Ketelhohn hat geschrieben:In unsern Gegenden heißt ML einfach: »Marxismus/Leninismus« …
Du treibst Dich aber auch in Gegenden 'rum ..... :floet:
Verfasst: Donnerstag 22. Dezember 2005, 01:10
von Uwe Schmidt
Raphael hat geschrieben:@ Uwe Schmidt
Uwe Schmidt hat geschrieben:Kann mir mal jemand freundlicherweise erklären, wie der Nominalismus mit Luthers SOLA GRATIA zusammenhängt? Ich sehe da keinen Zusammenhang!
ML entwickelt sein reformatorisches Prinzip "Sola Gratia" auf der Grundlage einer nominalistischen Philosophie; anders gesagt: ML denkt in nominalistischen Denkstrukturen!
Das Prinzip "Sola Gratia" wird dann als religiöse Überhöhung dieser Philosophie zur "Theologie der Reformation". Ansonsten könnte ML - weil er eben im rein Nominalistischen verhaftet ist - keine "Verbindung" zur Übernatur der Schöpfung mehr herstellen ...........
In Kürze: Die Reformation ist ein "Projekt" zur Abschaffung der übernatürlichen Schöpfung!
GsJC
Raphael
Danke für deine Antwort, lieber Erzengel, aber Luther leugnet doch nicht die Übernatur! Gut, ich weiß, dass er den Menschen für völlig verdorben und halb tierisch (?) hält, was dann schon in Richtung "Materialismus" geht, wie Robert meint...ist es das, was du meinst?
Nominalismus heißt also, dass der Mensch sich die Welt durch eigenes Benennen erschließt, ganz ohne göttliche Illuminierung? Und das soll Luther geglaubt haben?
Verfasst: Freitag 23. Dezember 2005, 08:46
von Raphael
@ Uwe Schmidt
Uwe Schmidt hat geschrieben:Raphael hat geschrieben:@ Uwe Schmidt
Uwe Schmidt hat geschrieben:Kann mir mal jemand freundlicherweise erklären, wie der Nominalismus mit Luthers SOLA GRATIA zusammenhängt? Ich sehe da keinen Zusammenhang!
ML entwickelt sein reformatorisches Prinzip "Sola Gratia" auf der Grundlage einer nominalistischen Philosophie; anders gesagt: ML denkt in nominalistischen Denkstrukturen!
Das Prinzip "Sola Gratia" wird dann als religiöse Überhöhung dieser Philosophie zur "Theologie der Reformation". Ansonsten könnte ML - weil er eben im rein Nominalistischen verhaftet ist - keine "Verbindung" zur Übernatur der Schöpfung mehr herstellen ...........
In Kürze: Die Reformation ist ein "Projekt" zur Abschaffung der übernatürlichen Schöpfung!
GsJC
Raphael
Danke für deine Antwort, lieber Erzengel, aber Luther leugnet doch nicht die Übernatur!
Beim meinem Bezug auf den Nominalismus als zugrundezulegende Philosophie für den Protestantismus geht es mir mehr darum, die geistigen Wuzeln herauszuarbeiten und weniger die Leugnung oder Nicht-Leugnung einzelner Glaubensätze festzustellen.
Über den subjektiven Glauben (oder Unglauben) eines ML ist hier an dieser Stelle auch kein Urteil zu fällen; ja, ich glaube sogar, daß der größte Teil der reformatorischen Veränderungen, die der Protestantismus am katholischen Glaubenskern vorgenommen hat, von ML weder gutgeheißen noch gewollt war. Er war lediglich derjenige, welcher den ersten Stein einer Lawine lostrat ............
Uwe Schmidt hat geschrieben:Gut, ich weiß, dass er den Menschen für völlig verdorben und halb tierisch (?) hält, was dann schon in Richtung "Materialismus" geht, wie Robert meint...ist es das, was du meinst?
ML eine materialistische Denkweise unterzujubeln, würde ich für übertrieben halten. Was aber sehr wohl feststellbar ist, ist der Umstand, daß Luther dem "Wort an sich" einen anderen Stellenwert einräumt, als es ein Realist (im damaligen Sinne) tun würde.
Grob vereinfachend gesprochen, wird im Nominalismus die Verbindung zwischen dem Wort und dem Sein gekappt. Das "Wort" hat zwar noch ein Eigenleben, welches bei den
abstrakten Dingen jedoch nicht mehr das Sein bezeichnet, sondern lediglich als Abstraktum stehen bleibt. Für einen Realisten (im damaligen Sinne) spiegelt sich im "Wort" das Sein selber und hieraus ergibt sich auch die Brücke zur Illumination: Das mit dem Wort bezeichnete endliche Sein spiegelt gleichsam das Licht des ewigen Sein Gottes wider.
Uwe Schmidt hat geschrieben:Nominalismus heißt also, dass der Mensch sich die Welt durch eigenes Benennen erschließt, ganz ohne göttliche Illuminierung?
So könnte man es ausdrücken ......
Uwe Schmidt hat geschrieben:Und das soll Luther geglaubt haben?
Wie schon gesagt, geht es hier weniger um den subjektiven Glauben von ML!
GsJC
Raphael
Verfasst: Freitag 23. Dezember 2005, 10:20
von Ewald Mrnka
Uwe Schmidt hat geschrieben:
In Kürze: Die Reformation ist ein "Projekt" zur Abschaffung der übernatürlichen Schöpfung!
Als die Reformation begann, was das noch nicht abzusehen und es war sicher auch nicht beabsichtigt; die Reformatoren waren allesamt fromme Männer; sie konnten nicht ahnen,was sie in Bewegung gebracht hatten.
Doch Gedanken haben die Tendenz zu wuchern und sich zu verselbständigen. Aus Gedanken ergeben sich bisweilen Konsequenzen mit unbeabsichtigten, unvorhersehbaren, unkontrollierbaren Nebenwirkungen.
Teddy Adorno, alias Wiesengrund, hatte seinerzeit auch nicht geahnt, wie ihm sein elaboriertes Emanzipationsgequatsche die Restexistenz verbittern würde.
Fakt ist: Der Nominalismus hat die Moderne zumindest befördert und die Moderne steht für die Abschaffung Gottes, Kannibalismus und einer unumkehrbaren Fellachisierung der Welt.
Verfasst: Sonntag 25. Dezember 2005, 02:32
von Uwe Schmidt
Ewald Mrnka hat geschrieben:Uwe Schmidt hat geschrieben:
In Kürze: Die Reformation ist ein "Projekt" zur Abschaffung der übernatürlichen Schöpfung!
Als die Reformation begann, was das noch nicht abzusehen und es war sicher auch nicht beabsichtigt; die Reformatoren waren allesamt fromme Männer; sie konnten nicht ahnen,was sie in Bewegung gebracht hatten.
Doch Gedanken haben die Tendenz zu wuchern und sich zu verselbständigen. Aus Gedanken ergeben sich bisweilen Konsequenzen mit unbeabsichtigten, unvorhersehbaren, unkontrollierbaren Nebenwirkungen.
Teddy Adorno, alias Wiesengrund, hatte seinerzeit auch nicht geahnt, wie ihm sein elaboriertes Emanzipationsgequatsche die Restexistenz verbittern würde.
Fakt ist: Der Nominalismus hat die Moderne zumindest befördert und die Moderne steht für die Abschaffung Gottes, Kannibalismus und einer unumkehrbaren Fellachisierung der Welt.
Weil die Verbindung des menschlichen Verstandes zu Gott geknappt wurde?
Verfasst: Sonntag 25. Dezember 2005, 02:34
von Uwe Schmidt
Danke, Raphael, für deine erhellenden Worte! Ich sehe jetzt schon klarer: die Nominalisten stehen also den Realisten/Illuministen entgegen.