Gewaltaufrufe in Bibel und Koran?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Dioskurides
Beiträge: 3
Registriert: Sonntag 30. April 2006, 10:18

Gewaltaufrufe in Bibel und Koran?

Beitrag von Dioskurides »

Hallo,
es ist ja allgemein und besonders im Moment ein viel diskutiertes Thema, daß es sowohl in der Bibel als auch im Koran Gewaltaufrufe gegen Andersgläubige zuhauf gibt. Im Koran z.B. die 9. Sure, in der Bibel fallen mir jetzt allerdings nur Stellen aus dem AT ein. Mich würde interessieren, ob vielleicht jemand hier dazu mal interessehalber Stellen gesammelt hat (die Stellenangaben reichen, zitiert werden muß nicht) oder auf einen guten Link oder Aufsatz diesbezüglich verweisen kann. Zu den entsprechenden Stichwörtern findet man im Internet alles Mögliche; ist ziemlich aufwendig, da die Spreu vom Weizen zu trennen, wenn man keine anhaltspunkte hat...

Liebe Grüße
Dioskurides

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Die historischen Bücher der Heiligen Schrift schildern zahllose Gewalt-
taten, doch sie rufen nicht zur Gewalttat auf.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
sca
Beiträge: 58
Registriert: Montag 21. August 2006, 16:50
Wohnort: Wien

@ Koran:

Beitrag von sca »

Sure 4:89: "Sie wünschen, daß ihr ungläubig werdet, wie sie ungläubig sind, so daß ihr alle gleich werdet. Nehmt euch daher keine Beschützer von ihnen, solange sie nicht auf Allahs Weg wandern. Und wenn sie sich abwenden, dann ergreift sie und tötet sie, wo immer ihr sie auffindet; und nehmt euch keinen von ihnen zum Beschützer oder zum Helfer."

Benutzeravatar
Walter
Moderator
Beiträge: 1506
Registriert: Mittwoch 25. Januar 2006, 13:56

Beitrag von Walter »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Die historischen Bücher der Heiligen Schrift schildern zahllose Gewalt-
taten, doch sie rufen nicht zur Gewalttat auf.
Mose hat geschrieben:Deuteronomium, Kapitel 13

7
Wenn dein Bruder, der Sohn deiner Mutter, oder dein Sohn, oder deine Tochter, oder das Weib deines Busens, oder dein Freund, der dir wie deine Seele ist, dich heimlich anreizt und spricht: Laß uns gehen und anderen Göttern dienen (die du nicht gekannt hast, du noch deine Väter,
8 von den Göttern der Völker, die rings um euch her sind, nahe bei dir oder fern von dir, von einem Ende der Erde bis zum anderen Ende der Erde),
9 so sollst du ihm nicht zu Willen sein und nicht auf ihn hören; und dein Auge soll seiner nicht schonen, und du sollst dich seiner nicht erbarmen noch ihn verbergen;
10 sondern du sollst ihn gewißlich töten. Deine Hand soll zuerst an ihm sein, ihn zu töten, und danach die Hand des ganzen Volkes;
11 und du sollst ihn steinigen, daß er sterbe. Denn er hat gesucht, dich abzuleiten von Jahwe, deinem Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Lande Ägypten, aus dem Hause der Knechtschaft.
12 Und ganz Israel soll es hören und sich fürchten, damit man nicht mehr eine solche Übeltat in deiner Mitte begehe.
γενηθήτω το θέλημά σου·

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Dies ist keine Handlungsanweisung für die Gläubigen der Kirche,
sondern ein Gebot Israels zu einer gewissen Zeit seiner Geschichte.
Übrigens begegnen wir solchen vom mosaischen Gesetz her bestimm-
ten Vorstellungen immer wieder im Islam.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
thaddaeus06
Beiträge: 109
Registriert: Donnerstag 6. Juli 2006, 18:55
Wohnort: Duderstadt
Kontaktdaten:

Beitrag von thaddaeus06 »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Übrigens begegnen wir solchen vom mosaischen Gesetz her bestimm-
ten Vorstellungen immer wieder im Islam.[/align]
...was daran liegt, dass der Islam das Religiöse wieder auf das Niveau des Alten Testamtentes zurück führt.

Die Geschichte Gottes mit Israel ist eben eine Geschichte, ein Prozess des Werdens und Lernens. Jesu "Ich aber sage Euch" hatte seine Zeit, in der es - von Ewigkeit her - gesprochen werden sollte.

Mohammed führt das Religiöse wieder vor Christus zurück, um es dort zu zementieren. Daher ist der Islam vor allem Gesetz-Religion.

Gruß Johannes
Zuletzt geändert von thaddaeus06 am Freitag 22. September 2006, 09:27, insgesamt 1-mal geändert.

MonaLisa
Beiträge: 75
Registriert: Donnerstag 18. Mai 2006, 16:03

Beitrag von MonaLisa »

thaddaeus06 hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Übrigens begegnen wir solchen vom mosaischen Gesetz her bestimm-
ten Vorstellungen immer wieder im Islam.[/align]
...was daran liegt, dass der Islam
Na, was denn?

Benutzeravatar
thaddaeus06
Beiträge: 109
Registriert: Donnerstag 6. Juli 2006, 18:55
Wohnort: Duderstadt
Kontaktdaten:

sorry,

Beitrag von thaddaeus06 »

sorry, hatte mich vertippt....

Benutzeravatar
Walter
Moderator
Beiträge: 1506
Registriert: Mittwoch 25. Januar 2006, 13:56

Beitrag von Walter »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Dies ist keine Handlungsanweisung für die Gläubigen der Kirche,
sondern ein Gebot Israels zu einer gewissen Zeit seiner Geschichte.
Das lehrt uns aber erst die Tradition der Kirche (nur teilweise werden die mosaischen explizit von Jesus selbst aufgehoben). Auch ein radikales "Sola scriptura"-Christentum als Staatskirche könnte sie womöglich wieder zu geltendem Gesetz machen.

Das gleiche gälte für einen extremistischen Judenstaat (was der Staat Israel in keinster Weise ist), denn die mosaischen Gesetze wurden nicht durch einen vorchristlichen Propheten wieder aufgehoben.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Übrigens begegnen wir solchen vom mosaischen Gesetz her bestimm-
ten Vorstellungen immer wieder im Islam.
Mohammed konnte weder lesen noch schreiben. Zudem gab ist um das Jahr 600 noch keine arabische Übersetzung der Bibel. Der Koran ist in erster Linie eine (z.T. widersprüchliche) Zusammenfassung der durch mündliche Überlieferung bekannten biblischen Schriften. Mohammed ließ nur weg, was er persönlich nicht verstand und so für falsch hielt (die Dreieinigkeit Gottes und so auch die Göttlichkeit des Sohnes, die Bergpredigt) oder für ihn eine Schmähung Gottes bedeuteten, die sein (mosaischer) Gott nie geduldet hätte, etwa der Kreuzestod Christi.

Auch im Islam gab es gemäßigte Traditionen, die aber in Zeiten der Konfrontation und Bedrängung durch den "ungläubigen" Westen immer weniger Gehör finden. Auf jeden Fall ist es ein Irrtum, jedem gläubigen Moslem Gewaltbereitschaft zur Verteidigung seines Glaubens zu unterstellen.
γενηθήτω το θέλημά σου·

Benutzeravatar
nemesis
Beiträge: 262
Registriert: Montag 4. Juli 2005, 04:35

Beitrag von nemesis »

Da kann ich auf diesen Text verweisen (pdf):

-Gewalt und Gewaltverzicht im Koran. Liste der Belege
Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. - Kurt Tucholsky

Benutzeravatar
Peregrin
Beiträge: 5422
Registriert: Donnerstag 12. Oktober 2006, 16:49

Beitrag von Peregrin »

Walter hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Dies ist keine Handlungsanweisung für die Gläubigen der Kirche,
sondern ein Gebot Israels zu einer gewissen Zeit seiner Geschichte.
Das lehrt uns aber erst die Tradition der Kirche (nur teilweise werden die mosaischen explizit von Jesus selbst aufgehoben). Auch ein radikales "Sola scriptura"-Christentum als Staatskirche könnte sie womöglich wieder zu geltendem Gesetz machen.
Es ist trotzdem keine allgemeine Anweisung "Ungläubige" zu töten, sondern belegt einen konkreten Tatbestand "Verleitung zur Apostasie" mit der Todesstrafe. Das ist nicht ganz das Gleiche.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Walter hat geschrieben:Mohammed konnte weder lesen noch schreiben.
Gibt es für diese Behauptung eine Quelle?
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
nemesis
Beiträge: 262
Registriert: Montag 4. Juli 2005, 04:35

Beitrag von nemesis »

Die ganze Hadithliteratur ist voll davon. Es ist aber nicht auszuschließen ist das er rudimentär lesen konnte, zumindest gelernt hat. Wobei das nichts an der These ändert, denn es gibt für diese Zeit keine arabischen Übersetzungen der Schriften.

Als gute Quelle kann ich das hier empfehlen:

Heribert Busse, Die theologischen Beziehungen des Islam zu Judentum und Christentum
Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. - Kurt Tucholsky

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Danke, das wußte ich nicht. Allerdings erscheint mir das sonderbar. Nach seiner einträglichen Heirat war Mohammed ja als Kaufmann tätig. Schwer vorstellbar, daß er da des Lesens und Schreibens unkundig gewesen sein sollte.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
nemesis
Beiträge: 262
Registriert: Montag 4. Juli 2005, 04:35

Beitrag von nemesis »

Man muß bedenken, das das Arabisch damals im Entwickeln war. Außerdem hat die damalige Gesellschaft mehr Gewicht auf "Mündlichkeit" gelegt. Dichtkunst und das Aufsagen waren sehr verbreitet.

Und da er Kaufmann war ist es wahrscheinlich, das er rudimentäre Kenntnisse hatte.
Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. - Kurt Tucholsky

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Danke, das wußte ich nicht. Allerdings erscheint mir das sonderbar. Nach seiner einträglichen Heirat war Mohammed ja als Kaufmann tätig. Schwer vorstellbar, daß er da des Lesens und Schreibens unkundig gewesen sein sollte.
Vielleicht genügte ja, das er Rechnen konnte. (Nichts anderes war die Einführung der österreichischen Schulpflicht: es sollte die Uhrzeit und das Rechnen erlernt werden, Lesen und Schreiben auch, aber das war nur zweitrangig)
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
nemesis
Beiträge: 262
Registriert: Montag 4. Juli 2005, 04:35

Beitrag von nemesis »

Es ist anachronistische von der heutigen Schriftkultur auf damals zu schließen. Literalität spielt heute eine große Rolle, damals war es die Oralität.
Da sieht man schon daran, das die damaligen Koran-Exemplare eher die Funktion einer Gedächtnisstütze hatten. Das Rezitieren hat eine viel gewichtigere Stellung gehabt.
Erst mit dem zeitlichen Abstand gewann der Mushaf (also die schriftlich-materialisierte Form des Koran), sozusagen der "Datenträger", eine viel größere Rollen. Wegen der Konservierung und als Aufhänger für juristische Hermeneutik und Theologie.

Das gilt auch im großen und ganzen für "profanere" Schriften. Da die Heiligen Schriften (Bibel etc.) damals nicht ins arabische übersetzt waren, gab es auch nichts zu lesen. Die Christen und Juden der damaligen Zeit auf der arabischen Halbinsel hatten auch ganz andere Ansichten als ihre "orthodoxen" Brüder im nördlicheren Teil der Halbkugel.
Alles eine interessante Sache.
Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. - Kurt Tucholsky

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema