Angst und Ängste

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Benutzeravatar
pierre10
cum angelis psallat Domino
Beiträge: 2297
Registriert: Sonntag 4. September 2005, 06:23

Angst und Ängste

Beitrag von pierre10 »

Angst ist heute das Gegenteil von allem Konstruktivem. Zunächst in der Evolution gedacht um uns vor Schaden zu schützen, haben wir diese Möglichkeit pervertiert und daraus ein System entwickelt um uns an allem und vielem zu hindern.

Natürlich habe ich auch Ängste, aber ich versuche sie so einzugrenzen, dass sie mein Leben so wenig wie möglich einschränken. Dabei sind die meisten Ängste ganz irrational, und können, das ist das perverse an der Angst, die Situation erst hervorrufen.

In Lyon (F) wurde eine Untersuchung gemacht bei Menschen, die in dieser Großstadt auf der Strasse überfallen wurden. Mehr als 90% der Überfallenen hatten vorher immer Angst vor solch einer Situation, vielleicht macht Angst den Verbrecher erst auf das Opfer aufmerksam??????

Vielleicht werden uns Ängste auch eingeredet, von den Eltern, die aus Angst um ihre Kinder diesen ihre eigenen Ängste mitgeben, von den Kirchen, die durch Ängste auch Macht ausüben wollen. Sollen wir wirklich Angst vor Gott haben? Ist das nicht das ganze Gegenteil der göttlichen Liebe?

Pierre
Grenzen im Kopf sind sehr hinderlich

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

Angst ist heute das Gegenteil von allem Konstruktivem
und wie wars früher?
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

ad_hoc
Beiträge: 4877
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 12:14

Beitrag von ad_hoc »

Was muß man unter Angst verstehen, wenn man mögliche Interpretationen wie Sorgen, Befürchtungen, Vorstellungen hypothetischer Folgen eines bestimmten Handelns oder Verhaltens und/oder allgemeine negative Erwartungshaltungen unberücksichtigt läßt?

Die Fragestellung allein ist schon unprofessionell. Allein die Aussage, wonach Angst heute das Gegenteil von allem Konstruktiven ist, ist Unsinn. Destruktivität allein ist schon Angst?
Angst kann höchstens eine Möglichkeit unter mehreren Vorstellungen sein, sie kann also verschiedene Ursachen haben und ist alles andere, als eine feststehende Folge von irgendwas.

Gruß, ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26022
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Re: Angst und Ängste

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Pierre hat geschrieben:Zunächst in der Evolution gedacht
Wer ist denn der denkende Evolutionär? ;D

Im übrigen kommt Angst (im Gegensatz zu Furcht oder gar Sorge) immer vom Teufel.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Maya
Beiträge: 225
Registriert: Samstag 19. Mai 2007, 18:46
Wohnort: Stumm

Beitrag von Maya »

Nach dem "Zusammenbruch" der DDR stiegen die Angsterkrankungen dort um ca. 6% an (warum?)

Angst im wissenschaftlichen Sinn beschützt immer noch (es gibt Menschen ohne Angst, dies ist das gleichgroße Problem wie keine Schmerzen empfinden zu können).
Angst wird von Ängstlichkeit (als Disposition) unterschieden, beide zeigen sich in unterschiedlichsten "Gesichtern"

Allgemein werden Emotionen als Informationsträger gesehen, die eine Motivation beinhalten und bestimmtes Verhalten (z.B. Flucht) "nahelegen".

Z.B. verhindert die Emotion Ekel, dass giftige Substanzen in den Körper gelangen usw.

ad_hoc
Beiträge: 4877
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 12:14

Beitrag von ad_hoc »

Nach dem "Zusammenbruch" der DDR stiegen die Angsterkrankungen dort um ca. 6% an (warum?)
Andere dort nutzten die Gelegenheit Karriere in der alten DDR oder im Westen zu machen. Warum?
Angst im wissenschaftlichen Sinn beschützt immer noch
Angst bewirkt in der Regel die Unfähigkeit zu sinnvollem Verhalten.
Z.B. verhindert die Emotion Ekel, dass giftige Substanzen in den Körper gelangen usw.
Kein korrekter Vergleich, nicht alle giftige Substanzen sind ekelerregend.

Gruß, ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

ad_hoc hat geschrieben:
Z.B. verhindert die Emotion Ekel, dass giftige Substanzen in den Körper gelangen usw.
Kein korrekter Vergleich, nicht alle giftige Substanzen sind ekelerregend.
Stimmt. Mittelburgeländischer Rotwein etwa. Höchst bekömmlich. Bloß teilweise astronomischer Alkoholgehalt.
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

ad_hoc
Beiträge: 4877
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 12:14

Beitrag von ad_hoc »

Bloß teilweise astronomischer Alkoholgehalt
Damit soll doch nur die Qualität des Weins etwas kaschiert werden, bzw. vielleicht ist er gerade deshalb bekömmlich. :mrgreen:

Gruß, ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

Benutzeravatar
Peregrin
Beiträge: 5422
Registriert: Donnerstag 12. Oktober 2006, 16:49

Re: Angst und Ängste

Beitrag von Peregrin »

Pierre hat geschrieben: In Lyon (F) wurde eine Untersuchung gemacht bei Menschen, die in dieser Großstadt auf der Strasse überfallen wurden. Mehr als 90% der Überfallenen hatten vorher immer Angst vor solch einer Situation, vielleicht macht Angst den Verbrecher erst auf das Opfer aufmerksam??????
Klar, die Opfer sind selber schuld, hätten sie halt keine Angst gehabt. :roll:

Vielleicht hatten sie ja vorher schon Angst, weil sie gewußt haben, daß sowas in ihrer Gegend immer wieder passiert?

Richtig ist aber sicher, daß Verbrecher ihre Opfer üblicherweise taxieren, bevor sie sich an sie heranwagen, und es vorzugsweise bei Unterlegenen probieren. Ängstlichkeit des ins Auge gefaßten Ziels macht den Verbrecher zwar nicht "erst aufmerksam", aber sie ermutigt ihn, den geplanten Angriff auch tatsächlich durchzuführen.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

Benutzeravatar
Maya
Beiträge: 225
Registriert: Samstag 19. Mai 2007, 18:46
Wohnort: Stumm

Beitrag von Maya »

maya hat geschrieben:Z.B. verhindert die Emotion Ekel, dass giftige Substanzen in den Körper gelangen usw.
ad-hoc hat geschrieben:...kein korrekter Vergleich, nicht alle giftige Substanzen sind ekelerregend. Gruß, ad_hoc.
Der Vergleich ist sehr wohl (wissenschaftlich) korrekt - für den Körper ist es eine sehr schwierige Aufgabe Gifte zu erkennen - er erkennt deshalb nicht alle Gifte, aber nur z.B. was passiert wenn ein Kind ein Zigarrete raucht? - daran erkennt man auch, dass es biologische Mechanismen gibt Gifte wieder "loszuwerden".

"... kein korrekter Vergleich ..." - keine korrekte Schlussfolgerung ...

Benutzeravatar
Maya
Beiträge: 225
Registriert: Samstag 19. Mai 2007, 18:46
Wohnort: Stumm

Beitrag von Maya »

... außerdem ist es kein Vergleich, sondern eine Erkenntis.

Benutzeravatar
Maya
Beiträge: 225
Registriert: Samstag 19. Mai 2007, 18:46
Wohnort: Stumm

Re: Angst und Ängste

Beitrag von Maya »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Pierre hat geschrieben:Zunächst in der Evolution gedacht
Wer ist denn der denkende Evolutionär? ;D

Im übrigen kommt Angst (im Gegensatz zu Furcht oder gar Sorge) immer vom Teufel.
1. Gott
2. Damit habe ich ein (rein) sprachliches Problem, - gibt es diesbezüglich eine "Definition" von Angst (evtl. theologischer Art) - insoferne ist das ein Konnex zum (kritisierten) Wittgenstein.

ad_hoc
Beiträge: 4877
Registriert: Mittwoch 14. Januar 2004, 12:14

Beitrag von ad_hoc »

...gecancelt, weil unnötig. ad_hoc
quidquid cognoscitur, ad modum cognoscentis cognoscitur (n. Thomas v. Aquin)

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26022
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Re: Angst und Ängste

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Maya hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Pierre hat geschrieben:Zunächst in der Evolution gedacht
Wer ist denn der denkende Evolutionär? ;D

Im übrigen kommt Angst (im Gegensatz zu Furcht oder gar Sorge) immer vom Teufel.
1. Gott
2. Damit habe ich ein (rein) sprachliches Problem, - gibt es diesbezüglich eine "Definition" von Angst (evtl. theologischer Art) - insoferne ist das ein Konnex zum (kritisierten) Wittgenstein.
ad 1: Genau. – Ich wollte darauf hinweisen, weil ich immer wieder bemerke – wie hier im Falle Pierres –, daß mehr oder weniger darwinistische Evolutionsanhänger dazu neigen, ihre so fest geglaubte Zufallsevolution begrifflich zu personifizieren.

ad 2: Das sprachliche Problem. – Im Wissen, daß die Begriffe sich in der tatsächlich verwendeten Sprache überlappen, will ich dennoch eine (meine) Definition geben. Klare Begriffsbestimmungen sind der Verständigung förderlich. (Verzeih, wenn ich das zunächst durch die entsprechenden lateinischen Begriffe tue. Latein ist fürs Abendland nun einmal das sprachliche Urmeter.)

Angst:              angor
Ängstlichkeit:  anxietas
Furcht:             timor
Sorge:               cura
Besorgnis:        sollicitudo
Schrecken:       terror
Entsetzen:        horror

Wie gesagt, die Begriffe sind in der Praxis natürlich nicht so scharf zu sondern, auch im Lateinischen nicht; den metus mußte ich beispielshalber ganz außen vor lassen, weil er begrifflich allzu unscharf ist. – Die Angst erklärt sich bereits etymologisch recht gut, auch im Lateinischen übrigens. Deutsch wie lateinisch ist die Wurzel „eng“ (lat. angustus). Angst hat also mit Beengung zu tun, mit dem Gefühl der Beklemmung, Ohnmacht, Blindheit (Angst im Dunkeln!). Angst ist immer vollständig irrational. Aber auch kein bloßer Reflex der Instinkte, sondern der Reflex schlägt sich aufs Gemüt und ruft eine emotionale Verfassung hervor, die rational zunächst nicht steuerbar ist. (Man kann sie natürlich erkennen und bekämpfen. Aber wenn es gelingt, das ist eben die „Angst besiegt“.)

Furcht ist dagegen sehr viel rationaler. Natürlich kann sie ihren Ursprung auch in instinktiven Reflexen haben. Aber sie ist der Vernunft zugänglich, auch willkürlich evozierbar. Auch Ehrfurcht und Gottesfurcht sind Furcht. Ebenso wie die Furcht, an der roten Ampel geblitzt zu werden.

Furcht ist sozusagen transitiv: Ich fürchte etwas oder jemanden. Dagegen ist die Angst intransitiv (oder reflexiv): Ich ängste mich. Die Angst hat kein Objekt. Die Sorge dagegen hat auch ein Objekt (grammatisch freilich bloß im Lateinischen, aber sachlich auch im Deutschen). Doch im Gegensatz zur Furcht ist das Objekt der Sorge der oder dasjenige, worum oder wofür ich Sorge hege. Das kann ich sogar selber sein: in curanda cute sorge ich mich ums eigene Fell.

Ängstlichkeit wiederum ist die Eigenschaft, zum Empfinden von Angst zu neigen; Besorgnis der Zustand, um etwas besorgt zu sein. Schrecken und Entsetzen sind spontane Reaktionen auf konkrete Ereignisse oder Eindrücke. Sie sind hinsichtlich ihrer rationalen Zugänglichkeit neutral. Sie können Angst hervorrufen, aber im nächsten Augenblick auch vergangen und vergessen sein. Oder rational verarbeitet werden und Furcht oder Sorge begründen.

Dieser Definition zufolge sind also Furcht und Sorge potentiell positiv, was sie natürlich nicht vor der Möglichkeit schützt, auch irrig aufs falsche Objekt gerichtet oder übertrieben zu werden oder überhaupt unbegründet zu sein. Angst dagegen bestimmt mich und mein Handeln grundsätzlich immer auf vernunftlose oder vernunftwidrige Weise. Darum ist sie schlecht, und hinter allem Schlechten – also Unwahren –, was uns eingegeben wird, steht direkt oder indirekt der »Vater der Lüge«.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Peregrin
Beiträge: 5422
Registriert: Donnerstag 12. Oktober 2006, 16:49

Re: Angst und Ängste

Beitrag von Peregrin »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Angst hat also mit Beengung zu tun, mit dem Gefühl der Beklemmung, Ohnmacht, Blindheit (Angst im Dunkeln!). Angst ist immer vollständig irrational. Aber auch kein bloßer Reflex der Instinkte, sondern der Reflex schlägt sich aufs Gemüt und ruft eine emotionale Verfassung hervor, die rational zunächst nicht steuerbar ist.

...

Angst ... bestimmt mich und mein Handeln grundsätzlich immer auf vernunftlose oder vernunftwidrige Weise.
Angst ist "irrational", insofern sie an der Vernunft vorbei wirkt, soweit stimme ich zu. Aber sie ist deshalb nicht sinnlos.

Der Grund für Angst - für den von Dir beschriebenen Komplex - ist das Fehlen von Information über die Vorgänge in der Umgebung, im Gegensatz zur Furcht, wo das Wissen um eine bestimmte Gefahr die Anspannung hervorruft. (So befällt etwa die erwähnte "Angst im Dunkeln" vornehmlich jene, die gewohnt sind, sich auf ihren Gesichtssinn verlassen zu können. Vgl. auch den Ursprung des Wortes "Panik".)

Ihre Wirkung besteht grundsätzlich im Hervorrufen einer ungerichteten Fluchtreaktion, dh "einfach raus" aus dem dunklen Wald, dem Spukhaus, dem schlecht beleuchteten Park etc. Der Sinn dieser Reaktion besteht im Herstellen von Distanz zur unüberschaubaren Situation, was im Fall, daß keine tatsächliche Gefahr besteht, meistens wenig schadet, im anderen Fall aber sehr viel nützt.

Daß hierbei die Vernunft umgangen werden muß, ist klar - die Informationen, die eine Analyse der Situation ermöglichten, fehlen ja eben. Sie zu sammeln würde Zeit kosten und ein Verweilen in der möglichen Gefahrenzone erfordern: Einem Hinterhalt wird man zB meistens nicht entkommen, indem man auf das "Bauchgefühl", das "was nicht stimmt", sich hinsetzt, tief durchatmet, und einmal in Ruhe überlegt, was einen eigentlich nervös gemacht hat.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema