Peter hat geschrieben:Und dennoch: Es gibt kein Privateigentum, keine «ausschließlichen Nutzungsrechte» an Verbrechen. Verbrechen geschehen immer auch der ganzen Menschheit.
Lieber Peter,
ich bin mir nicht sicher, deinen Text richtig verstanden zu haben. Was meinst du mit "Privateigentum"?
Vor ein paar Jahren gingen die Wogen hoch, weil Karmelitinnen sich mitten in Auschwitz festgesetzt hatten, um zu beten. Es wurde auch ein riesiges Kreuz errichtet, das von weither sichtbar war. Alles recht und gut: Nichts gegen Karmelitinnen, die in Auschwitz beten, nichts auch gegen ein Kreuz. Und trotzdem: taktlos. Auschwitz ist nun mal DIE Holocaust-Gedenkstätte DER Juden in aller Welt, und man sollte sie ihnen lassen, d.h. sie sich nicht solchen gut gemeinten und aus christlicher Sicht ja nicht falschen Bekundungen "aneignen" wollen. Letztlich hat Papst Johannes Paul II. den Konflikt entschärft, indem er die Karmelitinnen dazu bewegte, sich am Rand von Auschwitz und nicht mitten im Zentrum anzusiedeln. Der Konflikt um das alles überragende Kruzifix dauerte noch ein bisschen länger und nahm bedauerlicherweise durch das engstirnige und auch gegenüber den vermittelnden Bischöfen völlig uneinsichtiges Verhalten mancher Christen ausgesprochen antisemitische Züge und Töne aus den Reihen weniger christlicher Fanatiker an. Ich wundere mich nicht, dass diese Aktionen von jüdischer Seite als Aneignung des jüdischen Leids begriffen wurde, die leider auch auf die besonnener handelnden Christen zurückfiel.
Im vergangenen Jahr nahm ich in der Nähe von Lyon an einer Gedenkveranstaltung für die Kinder von Izieu teil. Es jährte sich zum 60. Mal, dass ausgerechnet am Gründonnerstag 1944 ein SS-Kommando unter dem Befehl von Klaus Barbie ein abseits gelegenes Kinderheim "ausgehoben" hatte, während bereits mit Hilfe von Christen, u.a. des Erzbischofs von Lyon, alle Maßnahmen getroffen waren, um die mehr als 40 Kinder in anderen Einrichtungen in Sicherheit zu bringen. Das SS-Kommando war ihnen um ein oder zwei Tage zuvor gekommen, bei denen, die sich um die Rettung der Kinder bemühten ist das, soweit sie noch leben, bis heute ein Trauma geblieben, das sie auch im letzten Jahr in Tränen ausbrechen ließ (viele dieser Kinder stammten übrigens aus Deutschland, vier davon aus Mannheim).
Ich fand es beeindruckend, mit welchem Takt die Leiter unserer Gruppe die Gedenkfeier geplant hatten. Es wurde das Kaddisch für die Kinder gesagt, streng nach den Regeln des Judentums (d.h. es waren mindestens 10 jüdische Männer anwesend), die anwesenden Christen - auch diejenigen, die damals ihr Leben riskierten und dafür später hohe Auszeichnungen erhalten haben, hielten sich im Hintergrund. Es hinderte uns ja nichts daran, die Kaddisch-Worte aus tiefstem Worten stumm mitzusagen.
Hinterher fielen sich dann viele, Christen und Juden, weinend in die Arme.
Zwei oder drei Stunden später kam eine deutsche christliche Gruppe dahergelatscht, die sich während der Osterferien auf einer Frankreichrundreise befand und die Gelegenheit wahrnahm, in Izieu anzuhalten. Es ist sicher auch kein böser, sondern ausgesprochen guter Wille gewesen, dass plötzlich jemand Blätter verteilte und sie alle gemeinsam anfingen, das Kaddisch abzulesen. Aber ich habe fast einen Schreikrampf deswegen bekommen. Verflixt nochmal, konnten die nicht den Schnabel halten und ganz still und trotzdem gemeinsam ein stummes Vaterunser beten?
Für mich ist das einfach nicht eine Frage des Anspruchs, schon gar nicht "des Rechts", sondern einfach eine des Takts.
Welch tiefe Wunden der Holocaust bei den Nachkommen der Opfer und allen Juden hinterlassen hat, wissen wir doch. Warum können wir das denn nicht einfach taktvoll zur Kenntnis nehmen und ab und zu mal den Hinweis auf den Holocaust (auch wenn er noch so richtig sein mag) runterschlucken.
Es gibt "christliche" Themen, die mir persönlich so nahe liegen, dass ich auch in die Luft gehe, wenn jemand anderer, der persönlich nicht in diesem Maße davon berührt ist, sie dazu benutzt, irgendetwas anderes damit zu untermauern. Dann empfinde ich das im ersten Augenblick auch als eine Relativierung dessen, was mich schmerzlich betrifft.
Ob ich damit die Intention deines Postings erfasst habe, weiss ich allerdings auch nicht.
Franziska