Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Aha. Jetzt weiß ich erst recht nicht, was ich denken soll.
Neulich haben wir den Mithridatesbrief im Lateinunterricht übersetzt. Als ich da diesen Satz zum ersten Mal gelesen habe,
habe ich ihn so verstanden, wie unter a) beschrieben. Der Lehrer hat mich dann korrigiert, was mich zwar nur mäßig beeindruckt hätte;
heute habe ich aber einen Dozenten am Institut für Klassische Philologie, bei dem ich eine Übersetzungsübung hatte, gefragt,
der auch b) als wahrscheinlicher ansieht.![]()





Ich hatte ja gerade erst so eine Auseinandersetzung, wo ich mit der Wortstellung argumentierte, was einige nicht recht einsehen wollten. – Das ist so eine Sache mit der berühmten freien Wortstellung im Lateinischen, von welcher wir in den höheren Klassen lernen. Das ist generell richtig und hat seinen Grund in der Vielfalt synthetischer Formen, welche die Bezüge auch bei welchselnder Wortstellung oft eindeutig bleiben läßt, viel mehr jedenfalls als bei analytischer Flexion oder analytischer Syntax bei Mangel jeglicher Flexion.
Doch oft ist nicht immer. In komplexen Phrasen wird trotz des Formenreichtums der Bezug schnell mehrdeutig, wenn man mit dem Satzbau allzu frei verfährt. Darum muß man sich in scheinbaren Zweifelsfällen unbedingt am Satzbau orientieren, und dazu möchte ich zwei Faustregeln formulieren:
1. Was dichter beieinander steht, gehört wahrscheinlich zusammen.
2. Der Leser oder Hörer rezipiert und versteht portionsweise, also nacheinander, wie die Satzteile im Text stehen. Entsprechend schreibt wahrscheinlich auch der Autor.
Dazu kommt ein drittes: Auf Latein kann man eindeutig schreiben. Bei einem guten Autor müssen wir voraussetzen, daß er das kann. Das heißt: Unklare Bezüge sind nicht wirklich unklar, sondern nur uns noch nicht klar. Es wird uns aber klar, sobald wir aufhören, Latein wie ein Puzzle oder wie eine mathematische Gleichung zu behandeln, sondern uns bemühen, uns wie ein Sprecher der Sprache in sie hineinzufühlen.
Das fällt uns zwar nicht leicht, weil wir fast alle mangels Gelegenheit keine echten Sprecher sind, aber meine beiden obigen Faustregeln können dazu, meine ich, helfen, denn sie nehmen nicht an der Theorie Maß, sondern an der Sprache, als Sprechakt verstanden, was wir bei „Muttersprachlern“ (im Gegensatz zu uns) immer als im Hintergrund vorhandene Kontrollinstanz voraussetzen müssen, auch wenn sie ihre Texte rein schriftlich konzipieren.
So. Nun müßte ich bloß noch einmal überprüfen, ob ich meine eigenen Regeln richtig angewandt habe. Ich schau’s mir noch mal an.