Gallus hat geschrieben:Raphael hat geschrieben:
Oha, mittlerweile wird also durch die neu-deutsche Kirche schon der Dekalog ergänzt.
Hier ist das komplette Interview im Wortlaut:
http://www.fr-online.de/politik/praelat ... 3463.html.
Ist ja nicht einmal falsch. "Zu Hause" fühlen kann ich mich als Christ in gar keiner politischen Partei, das ist immer nur eine Frage des kleineren Übels. Die von Jüsten kritisierten Reaktionen aus dem AfD-Umfeld auf den Berliner Terroranschlag waren auch wirklich teils haarsträubend. Und da ich sehr dafür bin, wenn die Kirche sich auch politisch einmischt, finde ich das Interview an und für sich schon in Ordnung.
Das Problem ist nur, daß ich so etwas ähnliches von Prälat Jüsten auch mal über die Programme der anderen Parteien hören müßte. Wenn er die dämlichen Reaktionen auf den Anschlag kritisiert, wieso dann nicht auch einmal mit gleicher Münze die Pöbel-Tweets von Ralf Stegner (SPD), oder Grünen-Abgeordnete, die Bomber Harris hochleben lassen?
Wenn Prälat Jüsten sich als politischer Vertreter der Kirche in Berlin einmischt, dann bitte auch richtig und konsequent. Wieso sagt er nicht mal, daß die Grünen mit ihrer Gesellschaftspolitik für einen Christen kein Zuhause sein können? Genauso wenig wie die SPD mit ihrer Sozialpolitik, die der katholischen Soziallehre widerspricht. Aber wenn er mal gegen das Establishment keilen müßte – wenn er sich mal mit denen anlegen müßte, mit denen er bei Berliner Sektempfängen angeregten Smalltalk hält – dann ist's mit dem Bekennermut der Jüstens in unserer Kirche halt nie weit her.
Dass gerade die Kirchen sich mit der gerade stattfindenden politischen Zeitenwende in der deutschen Politik mit der Eröffnung einer rechts-konservativen Flanke unsagbar schwer tun, kann ich mir in Wahrheit nicht erklären. Denn im Prinzip sind die Motive und Werte, die nicht nur programmatisch die
AfD, sondern auch z.B. der
"Berliner Kreis" der
CDU (neben Leuten wie
Bosbach etc.) und die
CSU vertreten, Kernpunkte einer Gesellschaft, wie sie die Soziallehre der Kirche über Jahrzehnte hinweg mit der Sozialen Marktwirtschaft vertreten hat: Familie, Bildung, Arbeit und Soziales (CSU-Slogan:
"Sozial ist, was Arbeit schafft"). In dem Maße, in welchem der Staat mit einer seit Ende der 9-er-Jahr um sich greifenden Privatisierung in allen Sektoren sich seiner ureigensten Aufgaben entledigt, in diesem Maße haben beide Kirchen die Begleitmusik dazu gespielt: Eigenverantwortung geht nun über Gemeinwohl, Eigeninitiative geht nun über Subsidiarität und Solidarität. Nicht erst den ersten Akt sang dazu die
"Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen" der DBK unter Kardinal
Marx, welche die Solidargemeinschaft mitsamt dem Generationenvertrag der Sozialen Marktwirtschaft in
"Das Soziale neu denken" (23) auf
"Verteilungspolitik" reduzierte. Damit betrieb sie aktiv die Spaltung der deutschen Gesellschaft, die sie nun fälschlicherweise neuen Parteien wie der
AfD und den konservativen Rändern zuschreibt, dabei ist es offenkundig, dass solche Strömungen
Symptom sind,
nicht Ursache, wie sie meinen. Allerdings muss gerechterweise gesagt werden, dass nicht alle hierarchischen Glieder der Kirche sich so verhalten, wie das ausgerechnet der Sozialethiker
Marx tat. Dass nämlich ein ausgewiesener Sozialethiker in der Tradition von
Oswald von Nell-Breuning und Kardinal
Joseph Höffner wie Prof.
Wolfgang Ockenfels von der Universität Trier nicht in der
"Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen" der DBK sitzt, dürfte kein Zufall sein. Er,
Ockenfels, passt nicht in den
Marx'schen Mainstream der zumindest geduldeten Neoliberalisierung und singt auch nicht
"Das hohe C der Blockflöte".
Ich glaube gar nicht, dass
Marx ein überzeugter
"Schwarz-Grüner" ist, der also der Illusion anhängt, der konservative Markenkern einer ehemals großen Volkspartei könnte eine Liaison mit der zum orientierungslosen Hedonismus degenerierten ehemaligen Öko- (und jetzt "gender"-) Partei der Grünen unbeschadet überstehen; wenn er aber inhaltlich ganz offensichtlich Parallelen zwischen den (heutigen!) Grünen und der Kirche sieht,
können sie nicht gesellschaftspolitischer oder sozialer Natur sein (denn hier, wie die ganze übrige ehemalige westdeutsche politische
"Linke", ist, was sich offiziell noch
"links" geriert, längst
neoliberal). Er meint wahrscheinlich, wie die Merkel-Anhänger der CDU womöglich immer noch, den
"sicheren Hafen" des Bestehenden, in welchem man sich mit neuen politischen Strömungen nicht auseinandersetzen muss. Und das ist ziemlich naiv oder zumindest eingeschränkt, deckt sich aber mit Äußerungen über Sozial- und Wirtschaftspolitik an kirchlich allerhöchster hierarchischer Ebene, die man selbst wohlwollend als mindestens problematisch bezeichnen muss:
Lothar Roos hat geschrieben:"Generell entsteht der Eindruck, daß die Enzyklika durchweg aus bestimmten, selbst dort nicht überall zutreffenden lateinamerikanischen Erfahrungen argumentiert, während die Wirtschaftsordnungen der westlichen Demokratien ausgeblendet bleiben." L. Roos über die Enzyklika "Evangelii gaudium", speziell über wirtschaftspolitische Thesen von Papst Franziskus über die Vorzüge von "Stamokap"
Ich fürchte, das ist - in beiden Fällen - Orientierungslosigkeit; geradezu ein Prinzip - und eine Geißel - der Politik und hier auch in Teilen der Kirche.
Prälat Karl Jüsten hat geschrieben:"Welche Parteien 217 in den Bundestag einziehen, entscheidet immer noch der Wähler – und zwar voraussichtlich im September nächsten Jahres. Bis dahin kann vieles passieren. Was die AfD angeht, so sprechen viele Gründe vom Parteiprogramm über Äußerungen der Parteifunktionäre bis hin zu deren Verhalten dafür, dass ein Christ dort nicht zu Hause sein kann. Gleichwohl ist die AfD eine zugelassene Partei und hat das Recht, in diesem Land zu Wahlen anzutreten. Es ist die Verantwortung jedes einzelnen, ob er dieser Partei seine Stimme gibt oder nicht."
Fazit: Als wählender Christ und Bürger bleibt momentan nur übrig, entweder in die CDU einzutreten, sich gegen schwarz-grün und die derzeitige Parteiführung mit allen Kräften einzusetzen, sich als Exot in der Linkspartei zu engagieren und die dort unbewältigte Vergangenheit in Kauf zu nehmen oder die AfD wählen und/oder beitreten und mitgestalten. Die Wahl einer Partei allein scheint mir nicht mehr zu genügen. In diesen Zeiten braucht es Engagement. Der Merkel-CDU-Flügel, die SPD, die Grünen, die FDP aber, sie müssten für einen Christen tatsächlich ausscheiden, nicht weil sie "antichristlich" wären - sie stehen einfach buchstäblich für nichts.