Protasius hat geschrieben:Welche Aufgaben blieben denn noch übrig, für die ein vereintes Europa sinnvoll ist?
Das Sinnvolle (z.B. Binnenmarkt, Schengen) ist ja in vielen Fällen bereits erreicht und damit könnte man sich zufrieden geben. Allerdings gibt es für die hard-core Europäer noch sehr viel zu "vergemeinschaften" und sie meinen sogar, es sogar auch "begründen" zu können:
1. gemeinsames Strafrecht
Es bestehen in einigen Ländern Straftatbestände, die in anderen Ländern straffrei sind. Der Unionsbürger muß davor geschützt werden ggfs. unbeabsichtigt im Ausland eine Straftat zu begehen - ich erinnere an die
"Zungenkußproblematik", die anläßlich der Verhandlung über den europ. Haftbefehl beim BVerfG erörtert wurde....
2. gemeinsames Zivilrecht
Kaufverträge, Ehescheidungen usw. sollten europaweit einheitlich geregelt sein
3. gemeinsame Sozialversicherung
Die Schaffung einer einheitl. Arbeitslosenversicherung wurde bereits gefordert. Begründung ist der europ. Arbeitsmarkt, der natürlich nur bei einer gemeinsamen (und einheitlichen) Arbeitslosenunterstützung funktionieren kann....
Auf die Schwierigkeiten der Rentenbeantragung in anderen Ländern wurde hier auch bereits hingewiesen, D. macht hier eine Ausnahme, wie ich oben dargelegt habe.
Kann es denn sein, daß die med. Versorgung in D. besser ist als z.B. in GR, die Bewohner GR also benachteiligt werden, weil sie keinen Zugriff auf modernste Untersuchungsmethoden haben und/oder ggfs. höhere Zuzahlungen für die gleichen Medikamente leisten müssen?
Also vergemeinschaften!
4. gemeinsames Steuerrecht
Um Steuerflucht zu verhindern sind einheitliche, für alle EU-Länder gleiche Vorschriften zu Gewinnermittlung und zu den Steuersätzen bei Einkommen- und z.B. Erbschaftsteuer notwendig - damit man z.B. nicht noch kurz vor dem Ableben seinen Wohnsitz in ein günstigeres EU-Land verlegen kann und den bisherigen Wohnsitzstaat um seine Erträge aus der Erbschaftsteuer bringt.....
An diesen Beispielen werden auch die Schwierigkeiten von Lisieux's "Europa der Regionen" deutlich. Sollen diese Dinge durch die (hundert, zweihundert??) europäischen Regionen geregelt werden, würden sich die Vorschriften vervielfachen. Die Regionen hätten die Gesetzgebungshoheit (z.B. beim Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht oder im allgemeinen Recht) und würden diese natürlich auch ausfüllen. Selbst wenn die "alten" Vorschriften (BGB, StGB, EStG) z.B. in den deutschen Regionen übernommen würden, könnte man diese nach einigen Jahren nicht mehr wiedererkennen, weil jede Abgeordnetenkammer durch Ergänzungen, Streichungen usw. ihre Existenzberechtigung nachweisen will. Das Gleiche gilt natürlich auch für Frankreich oder Spanien. Zwischen den Regionen (z.B. Andalusien und dem Elsaß) wären Doppelbesteuerungs- und Sozialabkommen notwendig - eine beängstigende Vorstellung.
Es würde alles viel, viel komplizierter, die Verwaltungen würden aufgebläht - ohne wesentlichen Gewinn für den Bürger.
Werden die obigen Punkte einheitlich durch die EU geregelt, stoßen sie auf den Widerstand der Bevölkerung. Strafrecht, Zivilrecht oder auch die Sozialversicherung (und ihre Finanzierung) - um einige Beispiele zu nennen - sind historisch in den EU-Staaten gewachsen, die Völker haben sich an ihr Modell gewöhnt und sperren sich natürlich gegen eine "Vergemeinschaftung" oder "Vereinheitlichung". Es gibt Rechtskonstrukte, die nur in bestimmten EU-Ländern bestehen. Sollen sie jetzt europaweit eingeführt werden?
Welche Vorteile sollte eine EU-einheitliche Regelung in vielen Fällen auch haben, wenn die Fragen durch zweiseitige Verträge geregelt werden können?
Die Frage ist doch, was man unter einem "vereinten" Europa versteht. Fast jeder will keine "Vereinigten Staaten von Europa", aber wo liegen die Grenzen? Das Zauberwort "Subsidiarität" hilft hier nicht weiter, sonst würden für den Binnenmarkt weder Glühlampen noch Olivenkännchen einheitlich geregelt werden müssen.
Wahrscheinlich kann man sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß es auch zum Rückbau einiger EU-Zuständigkeiten kommen muß, wenn man die gegenwärtige Europamüdigkeit (um es positiv auszudrücken) beenden will. LePen hat es ähnlich formuliert wie Cameron:
„Man kann sich vorstellen, dass ganze Gebiete der nationalen Souveränität wiederhergestellt werden", sagt Le Pen. „Was in eine Richtung geht, geht auch in die andere."
http://www.wsj.de/article/SB1142452 ... ernational
Wer allerdings die Fehlerbehebung (z.B. eine Rückabwicklung des Euros, Eingrenzung des Sozialhilfebezugs für Immigranten, um aktuelle Ereignisse aufzugreifen) als Gefahr künftiger Kriege (vergleichbar WK I und II) in Europa hochpusht, sollte zumindest berücksichtigen, daß allein durch die beiden Atommächte GB und F die "Kriegsgefahr" zwischen europ. Ländern deutlich vermindert wurde. Ein Atomkrieg in Europa ist nicht vorstellbar.
Durch eine engere "Zusammenarbeit", "Vergemeinschaftung" oder "Vereinheitlichung" in Europa wächst aber die Aversion der Völker gegeneinander. Das wird spätestens seit der "Euro-Rettung" deutlich.
Lisieux hat geschrieben:
Wenn Du aber doch eine, wie auch immer gestaltete gemeinsame europäische Union möchstest dann warte ich immer noch auf Deine Antwort, Dein Modell wie Du die Aufgaben einer gemeinsamen Regierung/Verwaltung und Institutionen finanzieren willst. Sollen die Bürger mit nationalen Währungen jedes Jahr unterschiedliche Steuern/Abgaben nach Europa abführen. Und wären dann nicht gerade die Bürger mit starker Währung benachteiligt?
Die Frage ist ganz einfach zu beantworten:
Da ich kein engeres Europa wünsche, reicht die gegenwärtige Form der Finanzierung aus. Die EU hat einen Haushalt, der von den Mitgliedsstaaten genehmigt wird und erhält von diesen die entsprechenden Beträge überwiesen. Warum sollte daran etwas geändert werden?
Eine eigene Steuerhoheit der EU lehne ich definitiv ab. Es würde nur zu weiteren Steuererhöhungen kommen (oder glaubst Du, daß die Nationalstaaten ihre Steuern im Ausmaß der dann eingesparten EU-Zahlungen senken würden
) - ganz davon abgesehen, daß sich dann auch folgende Fragen stellen:
a) um welche Steuern (Gewinn-, Verkehrs- oder Verbrauchssteuern) soll es sich handeln?
b) wer soll diese Steuern erheben?
Man muß nicht immer etwas Neues machen, um als sich guter "Europäer" zu zeigen. Häufig geht der Schuß nach hinten los - siehe Euro und eine eigene Steuerhoheit der EU hätte das Potential, das Entfremden der europ. Völker noch zu verstärken. Die Gelder würden - überwiegend - im Norden kassiert und - überwiegend - im Süden verausgabt. Glaubst Du, daß die "Solidarität" der europ. Völker soweit reicht?