TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Denkbar, dass die russische Armee in der Breite viel schlechter ausgerüstet ist. Darauf deutet aber wenig hin.
Darauf deutet im Gegenteil sehr viel hin. Selbst ein weitgehend gut organisiertes und reiches Land wie Deutschland hätte echte Probleme ein stehendes Herr von 1 Millionen gut auszurüsten und zu trainieren. Russland ist aus schwerer Wirtschaftskrise durch Rohstoffe nach oben gekommen. Aber dieser neue Reichtum verteilt sich nicht in der Gesellschaft sondern wird von den korrupten Eliten abgegriffen. Und die haben lieber Nummernkonten in der Schweiz und Fußballfeld-große Yachten als eine Vollfinanzierung des Heeres. Und obwohl es dazu selbstverständlich keine festen Daten gibt, habe ich schon lange vor dem Ukraine-Abenteuer gehört, daß die russischen Streitkräfte geradezu von Korruption unterhöhlt sind. Das ist halt das Problem von echten Bananenstaaten wie Russland. Es ist egal wieviel man in die Staatskasse reingießt, denn die ist löchrig und jeder der nur irgend kann hat sich sein Loch gebohrt.
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Und naja, ehrlich, dir als Physiker muss ich jetzt nicht die km und die durchschnittliche Geschwindigkeit von Transportmitteln wie Eisenbahn, Boot usw. vorrechnen!?
Transport in Kriegszeiten ist nicht wie Transport in Friedenszeiten. Eisenbahnen sind enorm verletzlich gegenüber Bombardierung und Artilleriebeschuss, und das gilt auch für Straßen wenn es über Brücken geht. Knotenpunkte sind auch tolle Ziele. Es ist auch sehr viel einfacher 20.000 Mann auf Truppentransportern (also: Lastwagen, denn genug armierten Transport für ein Millionenheer gibt es sicher nicht) in die Luft zu jagen als das im Feld zu tun. All diese Wege und all diese Transporte müssen schwer geschützt sein, sonst liefert man dem Feind nur Material und Menschen vor die Kanonen. Und selbst wenn es so wäre, daß die Flugabwehr das enorme Staatsgebiet Russlands und seine endlosen Grenzen komplett abgesichert hat und gegen alle Angriff gefeit ist (was bedeutet ständig unterwegs zu sein, wer stillsteht den holen die Drohnen und Marschflugkörper), dann würde eben spätestens beim Einmarsch ins Feindesgebiet, also etwa Polen, diese Rechnung nicht mehr aufgehen. Die einzige "Lösung" hier ist deutsch: Blitzkrieg, also schnell genug den Feind überrennen, daß der nicht die Zubringer abwürgen kann. Nur sind wir eben nicht mehr am Anfang des 20. Jahrhunderts. Niemand wird im geringsten überrascht sein wo die großen russischen Panzerverbände lang tuckern, im Zweifelsfall sehen die amerikanischen Spionagesatelliten die einzelnen Nummernschilder.
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Du schriebst davon, Russland führe einen "Angriffskrieg", was das offizielle und unsanktionierte Wort dafür im Westen zu sein scheint. Die Frage juckt mich jetzt schon: Ohne damit den Ukraine-Konflikt legitimieren zu wollen, aber was führte der Westen eigentlich im Irak, Afghanistan, Syrien, Libyen, Vietnam usw.?
Die meisten dieser Kriege waren von zweifelhafter Legitimität, sicher am Maßstab des "gerechten Krieges" gemessen, aber auch nach den weniger strikten Kriterien der Staatengemeinschaft. Wobei vieler dieser Namen ja auch zu entsprechend ungerechten Kriegen der Russen gehören. Ich erinnere mich nicht je für einen dieser Kriege Stimmung gemacht zu haben?! Was vielleicht sinnvoller ist als "Angriffskrieg" (wo immer die Frage im Raum steht, wer da nun wirklich zurückgeschossen hat) ist "Eroberungskrieg". Der Westen führt nur selten echte Eroberungskriege (in der Neuzeit), wo anschließend Teile des Staatsgebietes einfach übernommen werden. Kontrolle wird sicherlich etabliert, zur Not mit einer Marionettenregierung - aber das ist schon etwas anderes. Die Heimat meines Vaters etwa, Schlesien, verschwindet nun eben aus der Geschichte, ging den Deutschen echt verloren.
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Trotzdem schwiegen weitgehend alle, leider inklusive unserer Kirche, zur Zerstörung und Schändung teils über Tausend Jahre alter Kirchen und der Vertreibung christlicher Armenier.
Sicher. Bei der Realpolitik kommen gerne mal ganze Völker unter die Ränder, und die Türkei sind zwar nicht mehr die Ottomanen, aber eben immer noch enorm wichtig wegen ... ja, wegen wem wohl?
Aber das ist mit Verlaub ein dummes Spiel. Ja, wir können sicher Tausendundeine Sauerei in der Geopolitik der Vergangenheit finden. Aber das rechtfertigt die nächste Sauerei nicht, sondern macht sie nur wenig überraschend. Und vielleicht sind alle Sauereien gleich, aber manche Sauereien sind eben deutlich gleicher als andere. Es ist sicher nicht schön, und für manche schlicht tödlich, von einer Armee überrannt zu werden. Aber wenn ich die Wahl hätte zwischen "die Russen kommen" und "die Amis kommen", dann hätte ich nicht den Hauch eines Zweifels welches das kleinere Übel ist, und mir, den meinen, meiner Kultur und meinem Staat die besseren Überlebenschancen bietet.
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Ein afrikanischer Freund meinte kürzlich, die westliche "rule-based order" sei nur für den Rest der Welt "rule-based", für den Westen gelte immer ein anderes "rule-set", je nach Situation angepasst. So ganz unrecht hat er damit nicht, oder doch @Trisagion?
Wir leben im Zeitalter des unausgesprochenen amerikanischen Empires, und sicherlich sind dessen Regeln maßgebend. Das war schon immer so, denn wer die Welt regiert der drückt ihr seinen Stempel auf. Ich darf angesichts Deines Namens mal daran erinnern, daß die Römer ein absoluter Sauhaufen waren, in nahezu jeder Hinsicht. Und dennoch benutzt Du über Tausend Jahre später ihre tote Sprache... Warum? Weil ihr Imperium unsere Identität geprägt hat. Haben die Römer diesen Einfluß verdient? Weitgehend, nein. Sie haben ihn Europa schlicht eingebläut, über Jahrhunderte hinweg.
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Das soll sogar genau in dieser Form ein Tagesordnungspunkt des NATO-Summit in Madrid am 28.,29. und 30 Juni gewesen sein.
Die sollen darüber drei Tage geredet haben, und zwar öffentlich, so daß Du davon Wind kriegen kannst?
TeDeum hat geschrieben: ↑Dienstag 19. Juli 2022, 16:17
Und selbst wenn (sehr unwahrscheinlich) Russland diesen Konflikt verliert und zur westlichen Marionette wird, dürfte es so geschwächt sein, dass es kaum noch eine Hilfe wäre.
Leider sehe ich auch keinen realistischen Weg, wie Russland geholfen werden könnte (was m.E. wichtiger ist als die Frage, wie sehr es uns eine Hilfe ist).