Maurus hat geschrieben:Caviteño hat geschrieben:Maurus hat geschrieben:Ein Wutbürgerprogramm, das aus dem Ärger über das politische System heraus durchaus verständlich sein dürfte. Bei Lichte betrachtet, sind viele der Punkte aber nicht klug und zeugen nicht gerade von politischer Weitsicht.
Insbesondere seine Vorschläge für Abgeordnete dürften die Korruption noch weiter aufblühen lassen ‒ und natürlich den Dilettantismus. Denn allzu viele verständige Leute wird man unter diesen Bedingungen kaum überreden können, den Job zu machen.
Ein Wutbürgerprogramm?
Dann scheinst Du Dir den Rest wohl nicht durchgelesen zu haben.
Habe ich auch nicht. Und? Wenn Punkt 1 des Wahlprogramms »Umsturz des politischen Systems« lautet, dann können in Punkt 2ff auch noch ein paar Ideen zur Energiepolitik stehen, es ändert nichts. Das Programm ist dann revolutionär.
Wo wird denn da der "Umsturz des politischen Systems" gefordert?
In der Zusammenlegung der Provinzen oder Gemeinden? In einer Begrenzung der Dauer der Abgeordnetentätigkeit und dem Verbot der Doppelfunktion? Oder in der Einführung von Bürgerbegehren?
Und bzgl. der Entschädigung für Abgeordnete:
Die ital. Abgeordneten verdienen mit 16. €/mtl
doppelt soviel wie Bundestagsabgeordnete. Hier eine Kürzung vorzunehmen ist ebenso notwendig wie bei Parlamentsstenographen, die
mehr als die deutsche Bundeskanzlerin "verdienen".
Maurus hat geschrieben:
Ja, natürlich. Selbst mit einer 66%-igen Mehrheit könnte diese Partei das nicht durchsetzen. Und nur mal als Verständnisfrage: Hast du hier nicht immer marktliberale Ideen vertreten? Das Programm dieser Partei liest sich eher wie eine umfassende Steuerung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Abläufe.
Ich habe doch nirgendwo geschrieben, daß ich das Parteiprogramm "gut finde" oder die Auffassungen/Forderungen teile.
Ich habe immer nur darauf hingewiesen, daß Grillo in den deutschen Medien als "Clown" bezeichnet wird. Liest man sich sein Parteiprogramm durch, sind es eben keine "Clownereien", die dort gefordert werden. Man gewinnt vielmehr einen Eindruck, was alles in dem Land im Argen liegt. Viele der Forderungen finden sich auch in den Programmen deutscher Parteien - werden in Italien Trittin oder Gabriel als "Clown" bezeichnet.
Ich ärgere mich über die manipulative Berichterstattung hier, die einfach übernommen wird. Differenzierte Kommentare sind die Ausnahme, wie dieser in der FAZ, der die Hintergründe des Erfolges von Berlusconi beleuchtet:
Warum wieder Berlusconi? Nicht nur mit Clownerien, sondern auch mit seinem Verständnis vom Staat nimmt er viele Italiener für sich ein: Wer wenig bekommt, kann wenig verschwenden.
(...)
Während der Komiker Beppe Grillo auf seine Art die Partizipation an der Demokratie propagiere, stehe Berlusconi klar für das liberale Modell mit einem Staat, der sich nicht in das Leben der Bürger einmische, sagt Orsina. Seine Gegnern würfen ihm Begünstigung von Steuerhinterziehern vor. Doch seine Wähler teilten die Ideologie, möglichst wenig an einen Staat zahlen zu wollen, der die Gelder nur verschwende. In Italien gehört es zu den gängigen politischen Analysen, dass Berlusconi sein Versprechen von Steuersenkungen zwar selbst im Fall eines noch größeren Wahlerfolgs zwar kaum hätte einlösen können, dass er damit aber den Italienern in Erinnerung gerufen habe, dass er in seiner Regierungszeit immer Steuererhöhungen vermieden habe und im Vergleich zu allen anderen Kandidaten von den Bürgern am wenigsten verlangen werde.
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausl ... 9794.html
Die europäischen Völker sind in ihren Mentalitäten, Erfahrungen und Prioritäten unterschiedlich - deswegen wird auch kein europäischer Bundesstaat (mit einer Währung) lange funktionieren. Das wird bei aller Europa-Besoffenheit der politischen Eliten leider immer vergessen.
Maurus hat geschrieben:
Herr Grillo lehnt eine Beteiligung an dieser Staatsführung aber ab. Er will also gar nicht in eine Lage geraten, in der er seine Forderungen auch umsetzen könnte. Ergo handelt es sich um eine Partei der Forderer und Kritisierer ‒ um »Wutbürger« also.
Die neuen Gesichter haben aber offenbar kein Interesse an Übernahme der Macht. Und das Beispiel der Piratenpartei zeigt, dass sich solche neuen Gesichter auch relativ schnell auf dem Boden der Tatsachen wiederfinden. Der Glaube, dass die Parteien und ihre Kreaturen nur aus purer Bosheit und Egomanie so sind, wie sie sind, ist nämlich ein Irrglaube. In Wirklichkeit ist es das vom Bürger unterstützte System, das ihm genau die Politiker einbrockt, die er haben will ‒ auch wenn er das nicht wahrhaben will. Sobald der Bürger mal kapiert, dass Politik kein Wunschkonzert ist, sondern Einsicht in das Mögliche ist auch wieder ernstzunehmende Politik möglich, die sich nicht alle Ritt vor einem aufgebrachten, »empörten« Haufen rechtfertigen muss.
Und was möglich ist, bestimmen die "politischen Eliten". Wie häufig haben die sich denn schon geirrt?
Ein gutes Beispiel ist doch die Abstimmung vor zwanzig Jahren in der Schweiz hinsichtlich ihres Beitritts zum EWR (nicht EU!). Natürlich waren die "politische Elite", die Medien und die aufgeklärten Bürger dafür. Er wurde dann gestoppt und heute sieht man, wie weise die Volks(!)Entscheidung war - eine Erinnerung von Roger Klöppel:
Die Schweiz war das endgültige Auslaufmodell, eine Staatsleiche aus dem Kalten Krieg, der nach dem Einsturz der Berliner Mauer der wundervollen Aussicht auf den ewigen Frieden ohne Nationen, ohne Grenzen und ohne Armeen gewichen war. Aus intellektueller Sicht war die Schweiz eine geranienverzierte Lebenslüge, an die nicht einmal mehr die Bürgerlichen glaubten. Wie hatte es anlässlich der 7-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft der granitfreisinnige Unternehmensführer Ueli Bremi formuliert? Die Schweiz müsse sich Europa öffnen, sonst werde der Sonderfall zum Sonderling. Wenn der höchste Freisinnige so sprach, konnten wir nicht falsch liegen. Es war so unglaublich provinziell, kleinkariert und peinlich, Schweizer zu sein.
(...)
Und heute? Älter geworden und besser informiert, muss man den Bünzlis und Treichelschwingern, den angeblichen Primitivschweizern und Hinterwäldern dankbar sein, dass sie den Weitblick und den Realitätssinn hatten, den Weg der Schweiz ins europäische «Trainingslager» abzublocken. Sie sahen besser und klarer als die Klugen und Differenzierten, von denen sie belächelt wurden, dass diese EU mitsamt ihrem EWR eine kopfgeborene Fehlkonstruktion war, eine Kriegserklärung an den gesunden Menschenverstand und eine Absage an die jahrhundertealte Tradition der Demokratie in der Schweiz.
http://www.weltwoche.ch/ausgaben/212-4 ... 8212.html
Ich könnte jetzt auch andere Entscheidungen bringen, die bei einem Referendum in D. durchgefallen wären - von der Euro-Einführung bis zur Mitgliedschaft von Rumänien und Bulgarien, deren Folgen durch die einsetzende "Armutseinwanderung" jetzt sichtbar werden.
Maurus hat geschrieben:
Soweit ich weiß wurde der Austritt Griechenlands oder Italiens aus dem Euro immer damit plausibel gemacht, dass diese Regierungen dann einfach ihre Währung abwerten könnten, um wieder wettbewerbsfähig zu werden. Wenn aber die Währung abgewertet wird, was ist dann mit den Ersparnissen?
Mit welchen? Den deutschen oder den griech. bzw. italienischen?
Die deutschen würden unverändert in € denominiert und im Verhältnis zu Drachme und Lira aufwerten. GR und Italien sind für ihre Bürger verantwortlich. Oder meinst Du, der deutsche Steuerzahler sollte dem ital. oder gr. Staatsbürger die Verluste ersetzen. Das wäre vielleicht gerechtfertigt - wenn der deutsche Steuerzahler Einfluß auf die dortige Gesetzgebung hätte. Jeder ist nun einmal für sein Tun selbst verantwortlich und die Kredite wurden den Staaten auch nicht mit Waffengewalt aufgedrängt - soweit ich mich entsinnen kann.
Glaubst Du im Ernst, falls D. so gewirtschaftet hätte wie die Südstaaten, daß entsprechende "Hilfsprogramme" und "Rettungsschirme" von den Peripherieländern geschnürrt bzw. geöffnet würden?
Maurus hat geschrieben:
Des Weiteren: Auch wenn Italien kein Euro-Staat mehr ist, wird das Land neue Schulden machen müssen. Das geht nicht endlos so weiter, spätestens wenn die Tilgungsrate die Staatseinnahmen überschreitet, ist mathematisch gesehen Schluss (wirtschaftlich natürlich schon viel früher).
Wenn aus dieser Schuldenmacherei kein Risiko für andere Staaten entstehen soll, dann muss man unterbinden, dass Banken und Zentralbanken in Zukunft italienische Papiere aufkaufen. Damit wäre Italien vom internationalen Währungsverkehr abgeschnitten. Ob das denn italienischen Wohlstand mehrt, darf bezweifelt werden, denn in diesem Fall müsste die italienische Zentralbank ihre Notenpresse anwerfen, was zweifellos in einer Hyperinflation münden würde.
Da stimme ich Dir zu und verweise auf folgende Punkte des Grillo-Programms:
•
Reduzierung der Staatsschulden durch starke Sparmaßnahmen und Reduzierung der Verschwendungen des Staates durch Einführung neuer Technologien
•
Genehmigung eines Gesetzes nur bei vollständiger finanzieller Deckung
Was für uns in D. selbstverständlich ist, scheint es in Italien noch lange nicht zu sein.
Was den Ankauf ital. Staatsanleihen betrifft, der wurde doch von dem
ital. Notenbankchef eingeführt, obwohl
Italien die Vorgaben der EZB nicht erfüllte. Inzwischen hat die EZB für über 1 Mrden € diese (Schrott-)Papiere im Portfolio (
fast 4% des Gesamtbestandes an "Schrott"-Anleihen). Jetzt ist man natürlich in der Zwickmühle: Die Zinsen müßten steigen, weil Italien "unsicher" wird. Steigende Zinsen kann der ital. Staatshaushalt nicht finanzieren - also muß wieder die EZB Vorzugskonditionen gewähren und selbst die Anleihen kaufen oder eine entsprechende Rückkauf-Garantie abgeben.
s.a.
http://diepresse.com/home/wirtschaft/eu ... e/index.do
Wenn Italien (oder GR) zu ihrer nationalen Währung zurückkehren, ist es ziemlich egal, ob sie weiterhin Schulden machen. Wenn sie Schulden machen müssen sie höhere Zinsen bieten (bei dann Fremdwährungskrediten in € oder USD aber geringere als bei Lira-Anleihen). Jedem Investor wäre bewußt, daß er neben einem Zahlungsausfall ggfs. auch mit einer drastischen Währungsabwertung (bei Lira-Anleihen) am Ende der Laufzeit rechnen müßte und er wird sich dieses Risiko bezahlen lassen. Das war doch bis zur Euro-Einführung nie ein Thema, ich verstehe da die Probleme nicht.
Bei den Verträgen zur Euro-Einführung wurde berücksichtigt, daß ein Land durch falsches wirtschaften dem anderen nicht schaden soll/kann. Aus diesem Grunde wurden verschiedene Sicherungsmechanismen (no bail-out, keine Staatsfinanzierung durch die EZB) eingebaut - damals eine Voraussetzung für die Zustimmung Deutschlands. Leider hat die Kanzlerin diese Vereinbarungen gebrochen bzw. durch neue ersetzt - zum Schaden Deutschlands.
Maurus hat geschrieben:
Das Staatsschuldenproblem hat eben nichts mit dem Euro zu tun, sondern mit dem Wirtschaftssystem, in dem wir leben. Es zeigt sich eben erst jetzt und gerade jetzt verschärft, nachdem die Staaten ihre Banksektoren mit Unsummen stützen mussten.
Natürlich muß man Staatschulden und Europroblematik getrennt sehen, obwohl da durchaus Zusammenhänge bestehen. Bei einer nationalen Währung und Geldpolitik in den EU-Ländern würde das Staatsschuldenproblem in GR, in IT oder PT die Deutschen wenig interessieren. Hat hier der Zusammenbruch der isländischen Banken oder der Bankrott Argentiniens viel Staub aufgewirbelt? Eine Wahl in anderen EU(ro)-Ländern würde ohne den Euro hier wenig Interesse hervorrufen, s. die alte Volksweisheit: Mitgegangen - mitgefangen - mitgehangen, die dann nicht greifen würde.
Man hätte über die ital. "Operetten"-Regierung seine Witze gemacht, aber die Auswirkungen auf die deutsche Politik wären marginal geblieben. Heute fiebert man, welche Partei in XX an die Macht kommt, ob sie Reformen durchführt bzw. durchführen kann oder sich zum (verdeckten) Griff (über ESM oä) in den deutschen Bundeshaushalt entschließt.
Im übrigen haben die Staaten doch selbst bestimmt, daß die Banken für Staatsanleihen aus dem Euro-Raum kein Eigenkapital vorhalten müssen (weil sie "sicher" sind
) und warum wohl?
Wenn die Banken für Staatsanleihen Eigenkapital vorhalten müssten, würde es für die Geldhäuser deutlich teurer und damit unattraktiver, solche Papiere zu erwerben. Das könnte wiederum Staaten die Kreditaufnahme erschweren.
http://www.welt.de/newsticker/news3/art ... chern.html
Es kann doch nicht sein, daß für gr. Staatsanleihen % Eigenkapital vorzuhalten sind und eine Industrieanleihe (z.B. von Nestlé oder CocaCola) mit Eigenkapital unterlegt werden muß.
Wenn man die Ankündigungen (und die veröffentlichten Taten) der Politiker mit der Wirklichkeit (und den eingebauten Hintertüren) vergleicht, kann man schon in's Grübeln kommen. Deswegen haben soviele Italiener vermutlich auch Grillo gewählt.
Noch ein abschließender Gedanke - auch zur Bundestagswahl:
Wollen wir wirklich, daß bei jeder Wahl im Euro-Raum - und sei das Land noch so unbedeutend - das Schicksal der "unserer" Währung (Duktus der Kanzlerin!) auf dem Spiel steht oder thematisiert wird.
Vor einigen Monaten GR, vor wenigen Tagen in Zypern, jetzt in Italien und im September in Österreich, wo sich der Eurogegner (vulgo: Populist) Stronach warm läuft. Sobald ein Staat nicht sparen kann/will (obwohl er sich dazu "verpflichtet" hat - was bedeutet das schon für südeuropäische Politiker
), wird darüber diskutiert, ob das Land aus dem Währungsverbund aussteigen wird/muß. Oder die Bevölkerung stimmt für einen Euro-Austritt - trotz aller "Warnungen" aus Berlin, Brüssel, Frankfurt oder von Herrn Schulz aus Straßburg.
Wollen wir wirklich das "Schicksal unserer Währung" von den Wahlergebnissen in anderen Ländern abhängig machen? Soll die Wählermehrheit in Italien, Spanien, Frankreich darüber entschieden, welchen Wert die Ersparnisse und Vermögenswerte in D. haben?
Und umgekehrt: Haben die Deutschen das Recht, den Italienern, Griechen, Franzosen das Schuldenmachen zu verbieten, wenn sie damit einen höheren Lebensstandard (auf Pump) finanzieren wollen?
Wie fragil die Lage ist, zeigt ein Buch des früheren französischen Landwirtschaftministers Bruno Le Maire, der dazu folgendes berichtet:
So schreibt Bruno Le Maire, dass Sarkozy sich Mitte November 211 ganz konkret mit der Frage beschäftigte, wo er denn Banknoten für Francs herbekommt, falls, womit er rechnete, der Euro in der folgenden Woche kollabiert. Damals hat das Sarkozy vehement dementiert. Le Maire resümiert die damalige Lage der Französischen Republik wie folgt: „Unser Schicksal entgleitet uns, es liegt nun allein in den Händen der deutschen Kanzlerin und des Präsidenten der EZB.“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/p ... 92975.html
Es ist doch keine verantwortungsvolle Politik bei dem vielleicht wichtigsten Thema einer Gesellschaft, wenn man Entscheidungen nur trifft, um Zeit zu gewinnen und zu hoffen, das alles gut wird, daß die Krise verschwindet und die "Kredite" zurückgezahlt werden. So agieren Hasadeure oder Spekulanten.
Geld lebt vom Vertrauen. Wie soll man einer Währung vertrauen, deren
Existenzfrage([Punkt]) sich künftig bei (fast) jeder Wahl in einem Mitgliedsland stellen wird