Linus hat geschrieben:Weil er wieder einen Rückschritt hinter das Christentum macht
aha und in welcher weiße. Ich würde sogar behaupten, das der Islam dem Judenchristentum näher steht, also so manch späte christologie.
Ich behaupte man das es einen prinzipiellen Gegensatz zwischen Islam und Christentum so gar nicht gibt. Man muss beachten, wo und wann der Islam bzw. der Koran entstanden ist. Denn zur zeit Muhammads gab es nirgendwo in Arabien oder Syrien eine allgemein anerkannte christliche Christologie, sondern lediglich verschiedene, im christologischen Dauerstreit befindliche regionale und nationale Kirchentümer und Sekten, die zum teil recht unterschiedliche Formen von Christologie verfochten. Deswegen kann man auch nicht behaupten, der Koran würde z.b DER christlichen Auffassung von Trinität entgegenstehen. Denn die Trennlinie hat sich damals nicht zwischen Islam und Christentum gezogen, sondern durch das Christentum selbst. Es gab Richtungen, die dem Jesus Bild des Koran durchaus näher waren als ihren Christlichen widersachern. Denn der Koran vertrit, wie das Judenchristentum, eine prophetisch akzentuierte Christologie.
Schon Tabari, ein früher Islam-gelehrter, merkte an, das der Widerspruch zur göttlichkeit Jesu in Sure 5,72 sich speziell gegen den Christuskult der monophysitischen Jakobiten (Ya'qubiya) richte.
Das Gottesbild der Christen, das dem Koran vor Augen steht und dem er direkt widerspricht, ist ein art
"Familiärer Drei-Götter-Glaube", der aus der
"Dreiheit" (tatlit) von Gott, dem Vater, Maria, seiner göttlichen Gefährtin, und aus Jesus als ihrem gemeinsam göttlichen Sohn besteht. Hierzu Sure 5,116.
Es ist doch so, seit dem 5.Jh befand sich die Christenheit im Dauerstreit um die dogmatische Beschreibung der naturen Jesu. Gegenüber der für orthodox erklärten chalcedonensichen Zwei-Naturenlehre sprach die anti-chalcedonensische Bewegung von der einen Natur (gr. mia physis) des inkarnierten gott-logos. Wort-führer der Monophysiten im 6.Jh. war Severus, Patriarch von Antiochien. Er vertritt eine konsequente Christologie
"von oben", in welcher die menschliche Wahrnehmung der Jesu Person, gar nicht in den blick kommt.
Und in dieser Zeit war im orientalischen Christentum zudem ein tritheistischer Streit entbrannt. Ein bekannter Verfechter des Tritheismus war Johannes Grammaticus Philoponus (gest. um 575), der in der Christologie ebenfalls monophysitisch dachte. Ihm galt die Einheit Gottes als reine Abstraktion des menschlichen Verstandes, darum sprach er von einer substantiellen Götter-dreiheit:
"so ist einer Gott Vater, einer Gott Sohn un einer Gott Heiliger Geist".
Man muss bedenken, zur Zeit Muhammads wurden die Monophysiten und Tritheisten im byzantinischen Reich unterdrückt, zeitweise sogar verfolgt. Und diese Tatsache von den tritheistischen und christologischen Streitigkeiten der Christen war bis nach Arabien und zu Muhammad gedrungen, wie der Koran mehrfach erkennen lässt, wenn er wiederholt von der christlichen
"uneinigkeit" (ihtilaf) spricht (Sure 3,55;4,157;19,37;43,65)
Zur Erklärung dafür, warum der Koran eine christliche Gottes-vorstellung so wiedergibt, wie er es tut, ist darüber hinaus die Volksfrömmigkeit der orientalischen christen insbesondere aus dem syrischen, ägyptischen, äthiopischen und arabischen Raum, mit denen Muhammad es zu tun hatte, zu berücksichtigen. Die orientalisch-christliche Frömmigkeit zeichnete sich durch dreierlei aus:
1. sie neigte von Anfang an zu einer mehr
"tritheistischen" als monotheistischen Gottesauffassung, was sich für die Christen in Ägypten und Äthiopien aufgrund der dort immer noch gegenwärtigen altägyptischen Vorstellung von Götter-triaden erklären lässt.
2. dieselben Christen bekannten sich zugleich zu einnem
"monophysitischen" verständnis der Person Christi, das sich seinerseits
3. mit einer besonderen Marienverehrung verband, die sich in der Volksfrömmigkeit, mit fließenden Übergängen, bis hin zum Marienkult und einer mehr oder weniger göttlichen Verehrung Marias steigern konnte. Cyrill, der Bischof von Jerusalem
(gest. 386), war wohl der erste Theologe, der Maria
"Muttergottes" bzw.
"Gottesgebärerein" (gr.parthenos he theotokos) nannte.
Schon im 17.Jh. haben christliche Theologen bei der Auslegung des Korans auf die
"kollyridianer(innnen)" hingewiesen, die von Epiphanius von Salamis (gest. 402) erwähnt werden. So bezeichnete dieser einer Gruppe trakischer Frauen, die nach Arabien ausgewandert waren und der Muttergottes
(arab. umm allah oder al-sayyidah) göttliche Verehrung erwiesen. Analog zum rituellen Genuß des Leibes Jesu im Abendmahl brachten sie Maria besondere (brot-)kuchen
(gr. kollyrides) dar. Noch im 6.Jh. muss diese Gruppe, die sich selber wohl als
"philomarianiten" bezeichnete, existent oder doch allgemein bekannt gewesen sein, wie ihre Erwähnung bei Leontius von Byzan (gest. 543)zeigt.
Dies wird bestätigt durch die Existenz weiterer Gruppierungen im Orient, deren tritheistische Gottesvorstellung bekannt war. Der armenische Bischof Maruta (gest. 419) berichtet von einem Zweig der Montanisten:
"Diese nenne die selige maria Göttin und sagen, ein Archon (himmelwesen) habe sich ihr verbunden und es sei von ihr der sohn gottes geboren worden."
(Theodor Klauser: Art. Gottesgebärerin, in: RAC (Reallexikon für Antike und Christentum)11, 1981, 1071-1103)
Eutychius, Patriarch von Alexandrien, erwähnt in seinen Annales die Montanistengruppe, die auch
"marianiten" genannt wurden. Sie hätten sogar delegierte zum Konzil von Nizäa entsandt,
"die bekräftigten, das christus und selbst maria zwei götter neben Gott seien".
Angesichts der Fülle und Vielfalt von dogmatischen-theologischen und volksreligiösen Auffassungen und Spekulationen, die es im orientalischen Christentum bezüglich des Wesens Gottes und der Person Jesu und Marias gab, ist es nicht angebraucht zu sagen oder anzudeuten, der Islam bzw. Koran (oder Muhammad) hätte
"die christliche" trinitätslehre, christologie oder mariologie falsch verstanden.
Das Nein des Korans zur triadisch-christlichen Gottesauffassung ist mit Sicherheit durch das monotheistische credo, wie es Sure 112 zum Ausdruck bringt, motiviert. Möglicherweise ist es zugleich ein Echo der nestorianischen Kritik am Christus- und Marienkult. Nestorius, der Bischof von Konstantinopel, hatte die Bezeichnung Marisa als der
"Gottesgebärerin" abgelehntund sein
"christotokos" dagegengesetzt, aus Sorgen, dass man in den Augen der Volkes Maria mit diesem Titel zur Göttin mache. Das nestorianische Christentum, das sich im Laufe des 5.Jh. von der römischen Reichskirche gelöst hatte und eine christologie Vertrat, die primär das Vorbildhafte Menschsein Jesu in seiner Verbundenheit mit Gott betonte
(synode von beth lapad 484), breitete sich von Süd-Arabien seit seit dessen Eroberung durch die Perser (597) auch über die arabische Halbinsel aus. Zur Zeit Muhammads waren Nestorianismus und Monophysitismus die in Syrien und Arabien am weitesten verbreiteten Formen des Christentums.
Also kann man sagen, das der Koran nicht pauschal DIE christliche Gottesauffassung zurückweist, sondern ganz gezielt die triadisch-tritheistischen Gottesvorstellungen der orientalisch-christlichen Volksförmigkeit, mithin eine übersteigerte Christus-und Marienverehrung, die starke Tendenzen zur Vergottung Jesu und Marias beinhaltete. Daraus darf freilich keine anti-häretische Gesinnungs-genossenschaft mti dem sich als Orthodox bezeichnenden westlichen Christentum gefolgert werden. Der Koran lehnt nicht nur einen familiären Tritheismus, sondern auch, wie übrigens schon die älteste Form des Christentums, das Judenchristentum, JEDE mögliche Form eines trinitarischen Gottesbildes ab, gelte sie christlicherseits nun als orthodox oder als häretisch.
Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen. - Kurt Tucholsky