Weltkrieg: Wer war schuld?

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al-Muschrik
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von al-Muschrik »

Wenn man die lange Vorgeschichte betrachtet:
Frankreich, der mit weitem Abstand kriegerischste Staat der Christenheit!
Kein einziger der beteiligten Staaten hat diesen Krieg so ersehnt und so lange gezielt darauf hingearbeitet. Und keiner hat klarere Kriegsziele gehabt als das revanchistische Frankreich, nämlich die Wiederherstellung der an Deutschland verlorenen Vorherrschaft in Europa. (Verbunden mit der völligen Zerstückelung Deutschlands durch Annektionen an fast alle Nachbarn.) Bismarck hat es für möglich gehalten, daß um diese Frage noch drei Kriege geführt werden könnten. In den Friedensverhandlungen von 1871 hat er übrigens durchaus erwogen gegen den ausdrücklichen Wunsch seines Königs durchzusetzen, daß Elsaß und Lothringen nicht annektiert werden. Er hat dies schließlich verworfen, da er dafür keine hinreichende Kompensation erlangen zu können glaubte: “Was sie uns nie verzeihen werden, ist unser Sieg.”
Eine unfreiwillige Bestätigung dieses Sachverhaltes ist Punkt 8 von Wilsons 14-Punkte-Plan. Ihm zufolge mußten gegen das “Selbstbestimmungsrecht der Völker” Elsaß und Lothringen an Frankreich zurückgegeben werden, da sie der Anlaß für die Spannungen gewesen wären, die schließlich zum Weltkrieg führten.
Durch die Nach- und Vorkriegsordnung zugleich, deren Frieden man zu recht eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln nannte, wurde Frankreich, auf das sie wesentlich zurückging, auch zu einer der notwendigen Ursachen des zweiten Weltkriegs. Trotz des Defätismus, der es in den 30er Jahren beherrschte und völlig lähmte.
San Marco hat geschrieben:Man lese Fritz Fischer. Dann ist alles klar. Wer sich zudem aller politischen Optionen beraubt, keinerlei Alternativen im militärischen Planungssinne erarbeiten kann und bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein reinigendes Gewitter herbeiredet.................ja, der ist schuld an einem Weltkrieg.

Demnach hatte das Deutsche Reich eine erhebliche Schuld an diesem Krieg. Zudem sprach die kaiserliche Regierung Kriegserklärungen gegen Frankreich und Russland aus, um den einzigen militärischen Plan durchführen zu können.

Der Historiker Heinrich August Winkler zog zur "Fischer-Kontroverse" vor wenigen Jahren Bilanz:

"Das Ziel, mit dem die deutschen Eliten in den Ersten Weltkrieg gezogen waren, hieß Hegemonie in Europa und Aufstieg zur Weltmacht. Am Ende stand ein Friedensvertrag, den die Deutschen als schreiendes Unrecht empfanden, obwohl er das Reich bestehen ließ und ihm die Möglichkeit einräumte, wieder zur Großmacht zu werden. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kriegsschuld fand nicht statt, obschon bereits im April 1919 eine interne Aktensammlung vorlag, die keinen Zweifel daran ließ, dass die Reichsleitung im Juli 1914 alles getan hatte, die internationale Krise zu verschärfen. In Abwehr der alliierten These, Deutschland und seine Verbündeten trügen die alleinige Verantwortung für den Kriegsausbruch, entstand eine Kriegsunschuldlegende, die ebenso viel Unheil stiftete wie ihre Zwillingsschwester die Dolchstoßlegende“

Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich möchte hinzufügen, daß die Äußerungen des Herrn Winkler von einer Frechheit, Verlogenheit und Charakterlosigkeit zeugen, die nur in Deutschland, wo sich die tapferen Besieger der Besiegten besonders fest eingerichtet haben, möglich ist.
Um die Hegemonie in Europa zu gewinnen, brauchten die Deutschen keinen Krieg anzuzetteln, genausowenig wie um Elsaß und Lothringen. Sie hatten dies alles nämlich schon inne. Frankreich jedoch, konnte all dies und einige weitere Kleinigkeiten, wie die linksrheinischen Gebiete, sowie weitere Zerstückelungen zugunsten anderer Nachbarn Deutschlands (z.B. Preußen an Rußland etc.), nur durch Krieg erreichen.
Gemäß dem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" und dem 14-Punkte-Plan, aufgrunddessen der Waffenstillstand geschlossen wurde, konnten und mußten die Deutschen den Versailler Vertrag als Betrug und Vertragsbruch auffassen (Sudeten, Memelland, Schlesien, Elsaß, Eupen und Malmedy, Österreich).
Entschärft wurde die Krise von keiner einzigen der beteiligten Seiten. Die deutsche Haltung war dabei vor allem situativ begründet: "besser jetzt als später." und von der zutreffenden Überzeugung genährt, daß Frankreich den Krieg auf jeden Fall will und früher oder später auch anzettelt.
Daß ein Bündnis wie das französisch-russische eine ungeheure Bedrohung war, die einen Präventivschlag geradezu herausforderte, war auch schon vorher vielen klar.
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Yeti
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Yeti »

al-Muschrik hat geschrieben:Wenn man die lange Vorgeschichte betrachtet:
Frankreich, der mit weitem Abstand kriegerischste Staat der Christenheit!
Kein einziger der beteiligten Staaten hat diesen Krieg so ersehnt und so lange gezielt darauf hingearbeitet. Und keiner hat klarere Kriegsziele gehabt als das revanchistische Frankreich, nämlich die Wiederherstellung der an Deutschland verlorenen Vorherrschaft in Europa. (Verbunden mit der völligen Zerstückelung Deutschlands durch Annektionen an fast alle Nachbarn.) Bismarck hat es für möglich gehalten, daß um diese Frage noch drei Kriege geführt werden könnten. In den Friedensverhandlungen von 1871 hat er übrigens durchaus erwogen gegen den ausdrücklichen Wunsch seines Königs durchzusetzen, daß Elsaß und Lothringen nicht annektiert werden. Er hat dies schließlich verworfen, da er dafür keine hinreichende Kompensation erlangen zu können glaubte: “Was sie uns nie verzeihen werden, ist unser Sieg.”
Eine unfreiwillige Bestätigung dieses Sachverhaltes ist Punkt 8 von Wilsons 14-Punkte-Plan. Ihm zufolge mußten gegen das “Selbstbestimmungsrecht der Völker” Elsaß und Lothringen an Frankreich zurückgegeben werden, da sie der Anlaß für die Spannungen gewesen wären, die schließlich zum Weltkrieg führten.
Durch die Nach- und Vorkriegsordnung zugleich, deren Frieden man zu recht eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln nannte, wurde Frankreich, auf das sie wesentlich zurückging, auch zu einer der notwendigen Ursachen des zweiten Weltkriegs. Trotz des Defätismus, der es in den 30er Jahren beherrschte und völlig lähmte.
San Marco hat geschrieben:Man lese Fritz Fischer. Dann ist alles klar. Wer sich zudem aller politischen Optionen beraubt, keinerlei Alternativen im militärischen Planungssinne erarbeiten kann und bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein reinigendes Gewitter herbeiredet.................ja, der ist schuld an einem Weltkrieg.

Demnach hatte das Deutsche Reich eine erhebliche Schuld an diesem Krieg. Zudem sprach die kaiserliche Regierung Kriegserklärungen gegen Frankreich und Russland aus, um den einzigen militärischen Plan durchführen zu können.

Der Historiker Heinrich August Winkler zog zur "Fischer-Kontroverse" vor wenigen Jahren Bilanz:

"Das Ziel, mit dem die deutschen Eliten in den Ersten Weltkrieg gezogen waren, hieß Hegemonie in Europa und Aufstieg zur Weltmacht. Am Ende stand ein Friedensvertrag, den die Deutschen als schreiendes Unrecht empfanden, obwohl er das Reich bestehen ließ und ihm die Möglichkeit einräumte, wieder zur Großmacht zu werden. Eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kriegsschuld fand nicht statt, obschon bereits im April 1919 eine interne Aktensammlung vorlag, die keinen Zweifel daran ließ, dass die Reichsleitung im Juli 1914 alles getan hatte, die internationale Krise zu verschärfen. In Abwehr der alliierten These, Deutschland und seine Verbündeten trügen die alleinige Verantwortung für den Kriegsausbruch, entstand eine Kriegsunschuldlegende, die ebenso viel Unheil stiftete wie ihre Zwillingsschwester die Dolchstoßlegende“

Dem ist nichts hinzuzufügen.
Ich möchte hinzufügen, daß die Äußerungen des Herrn Winkler von einer Frechheit, Verlogenheit und Charakterlosigkeit zeugen, die nur in Deutschland, wo sich die tapferen Besieger der Besiegten besonders fest eingerichtet haben, möglich ist.
Um die Hegemonie in Europa zu gewinnen, brauchten die Deutschen keinen Krieg anzuzetteln, genausowenig wie um Elsaß und Lothringen. Sie hatten dies alles nämlich schon inne. Frankreich jedoch, konnte all dies und einige weitere Kleinigkeiten, wie die linksrheinischen Gebiete, sowie weitere Zerstückelungen zugunsten anderer Nachbarn Deutschlands (z.B. Preußen an Rußland etc.), nur durch Krieg erreichen.
Gemäß dem "Selbstbestimmungsrecht der Völker" und dem 14-Punkte-Plan, aufgrunddessen der Waffenstillstand geschlossen wurde, konnten und mußten die Deutschen den Versailler Vertrag als Betrug und Vertragsbruch auffassen (Sudeten, Memelland, Schlesien, Elsaß, Eupen und Malmedy, Österreich).
Entschärft wurde die Krise von keiner einzigen der beteiligten Seiten. Die deutsche Haltung war dabei vor allem situativ begründet: "besser jetzt als später." und von der zutreffenden Überzeugung genährt, daß Frankreich den Krieg auf jeden Fall will und früher oder später auch anzettelt.
Daß ein Bündnis wie das französisch-russische eine ungeheure Bedrohung war, die einen Präventivschlag geradezu herausforderte, war auch schon vorher vielen klar.
Das stimmt wohl, Frankreich hatte ein sehr vitales Interesse an einer Auseinandersetzung. Seit dem 16. Jahrhundert hat Frankreich niemals den Rhein als Ostgrenze seines Reichsgebiets anerkannt. Und was das Elsass betrifft: der elsässer Dialekt hat es bis heute sehr schwer. Radio- oder Fernsehsender, die auf elsässisch senden wollen, bekommen seit Jahrzehnten einen Maulkorb aus Paris - entgegen aller europäischen Abkommen über Selbstbestimmung etc. Kann sein, dass man in Paris damit Sezessionsbestrebungen auf Korsika o.ä. entgegen wirken will, aber das ist auch eben der Fluch der bösen Tat in der eigenen Geschichte der zusammengeraubten Gebiete, ähnlich wie in "Groß"-britannien.
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Nassos
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Nassos »

Hallo Yeti,

vielen Dank für Deinen Beitrag.
Also, ich bin kein Anhänger des Panslawismus. Was mit “Pan“ anfängt, macht mich nervös. Und ja, die Balkankriege sind auch ein Puzzleteil (2012 war ja das 100. Jahr der Befreiung Mazedoniens und Thrakiens sowie der norägäischen Inseln, unter anderem auch Samothrakis vom osmanischen Reich) und im Interessenbereich der Mächte.
Dass es kein schwarz-weiß gibt oder besser gesagt keine Heiligen, erwähnte ich ja und genau das wollte ich damit ausdrücken.
Das Decken der Sympatrioten ist ja kein Einzelfall.

Ich sehe - vielleicht naiv, vielleicht unpassend - solche Fragen auch im christlichen Kontext. Wenn ich zur Sünde versucht werde, und ich gehe darauf ein, bin ich dann nicht verantwortlich (schuld), weil ich mich dafür entschieden habe? Und ein Verteidigungskrieg war das ja nicht.

Aber ich freue mich schon jetzt auf die kommende Literatur und hoffe lange genug zu leben, um die 100-Jahre-Literatur des 2. Weltkriegs auch zu erleben.

Möge uns Gott stets das geben, um was wir in den Ektenien bitten: Frieden für die Welt und ein christliches Ende. Pan<wasauchimmer>smus gehört sicher nicht dazu.

Gruß,
Nassos
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Raphael

Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Raphael »

Nassos hat geschrieben:Was mit “Pan“ anfängt, macht mich nervös.
Der Pantokrator aber hoffentlich nicht, oder? :hmm:

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Nassos
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Nassos »

Natürlich nicht. Fängt ja auch mit "Pant-" an.
Pantokrator, Pantanassa, Panteleimon,...

Aber da, wo es absolut zutreffen ist, natürlich nicht: Panhagia (Allheilige).

Panta xenos ;) ,
Nassos
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Peregrin
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Peregrin »

al-Muschrik hat geschrieben: Frankreich, der mit weitem Abstand kriegerischste Staat der Christenheit!
Wieweit das Frankreich von Clemenceau & Co. ein "Staat der Christenheit" war, bleibe einmal dahingestellt.
Ich möchte hinzufügen, daß die Äußerungen des Herrn Winkler von einer Frechheit, Verlogenheit und Charakterlosigkeit zeugen, die nur in Deutschland, wo sich die tapferen Besieger der Besiegten besonders fest eingerichtet haben, möglich ist.
Der Mann hat halt immer gewußt, wer die Herren im Land sind.
Ich bin der Kaiser und ich will Knödel.

al-Muschrik
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von al-Muschrik »

Peregrin hat geschrieben:
al-Muschrik hat geschrieben: Frankreich, der mit weitem Abstand kriegerischste Staat der Christenheit!
Wieweit das Frankreich von Clemenceau & Co. ein "Staat der Christenheit" war, bleibe einmal dahingestellt.
Gut, daß Du darauf zu sprechen kommst. Das nehme ich jetzt zum Anlaß eine damit zusammenhängende Frage, die ich mir bisher verkniffen habe, doch noch zu stellen. Auch wenn ich Dir zustimme, daß der Staat Clemenceaus sicherlich nicht sonderlich christlich oder katholisch war. Es bleibt dabei, daß Frankreich doch einmal einer der katholischsten Staaten war, la fille ainée de l'eglise und zugleich der kriegerischste Staat des Christentums, vielleicht sogar der Welt. Dabei gehe ich das durchaus nicht ganz naiv an, ich bin kein Pazifist, d.h. ich halte Feigheit nicht für eine Tugend. Die Kreuzzüge waren meines Erachtens eine gute Sache, die man leider nicht nachhaltig genug betrieben hat, die Inquisition war eine wichtige und großartige Einrichtung und auch die Hexenverbrennungen (nur die katholischen) würde ich in Teilen verteidigen. Aber das Christentum steht nun einmal zwischen Bellizismus und Pazifismus oder vielleicht besser: jenseits davon. Und zur französischen Geschichte paßt das doch nicht recht gut. Weißt Du oder sonst jemand eine Auflösung für diese Charade?
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Niels
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Niels »

al-Muschrik hat geschrieben:Die Kreuzzüge waren meines Erachtens eine gute Sache, die man leider nicht nachhaltig genug betrieben hat, die Inquisition war eine wichtige und großartige Einrichtung und auch die Hexenverbrennungen (nur die katholischen) würde ich in Teilen verteidigen. Aber das Christentum steht nun einmal zwischen Bellizismus und Pazifismus oder vielleicht besser: jenseits davon.
Literaturhinweis: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=655374#p655374
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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

Du meine Güte...

Pilgerer
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Pilgerer »

al-Muschrik hat geschrieben:Frankreich, der mit weitem Abstand kriegerischste Staat der Christenheit!
Im Mittelalter war das nicht der Fall. Da dominierte noch die karolingisch-christliche Vernunft. Erst mit Ludwig XIV, dem Sonnenkönig, begann die aggressive französische Ostexpansion, die bis Napoleon III die französische Politik dominierte. Durch viele Kriege verlagerte sich unter Ludwig XIV die Ostgrenze von etwa der Rhone bis zum Rhein. Darunter waren Massaker in der Pfalz, die fast Genozid-Charakter hatten. Hier ist eine Karte von 1648, die den Zustand vor Ludwig XIV zeigt: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/c ... R_1648.png
Unter Napoleon erreichte die französische Ostexpansion ihren Höhepunkt, als Frankreich 1811 kurzzeitig bis zur Ostsee (Lübeck) ging. http://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9par ... e_l%27Elbe
Napoleon III versuchte in den Jahren vor dem Krieg 187 unablässig, Frankreich zu vergrößern: entweder auf kosten von Belgien, von Luxemburg oder den süddeutschen Staaten.

Eine vergleichbare Art von Aggressivität scheint in Deutschland ab 189 unter Kaiser Wilhelm II entstanden zu sein. War Europa, insbesondere England, gegenüber den Fehltritten Deutschland intoleranter als gegenüber anderen Staaten? Tat es sich schwer damit, einen neuen großen Mitspieler 1871 zu bekommen? Schon 1848 hatten die europäischen Staaten die deutsche Einigung verhintert.
Zugleich scheint mir jedoch die wilhelminische Zeit eine Zeit der nationalistischen Ersatzreligion zu sein, als der "Allerhöchste" Kaiser und die heilige Nation an die Stelle des christlichen Gottes traten. Man war zwar noch christlich, aber zuerst deutsch. Die Nationalromantik des 19. Jahrhunderts ist tatsächlich verführerisch - aber letztlich unchristlich.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

In meinen Augen ist es wirklich ziemlich müßig darüber zu streiten, welche der europäischen Großmächte im 2. Jt. aggressiver was als die anderen. Alle Mächte haben ihre territorialen und wirtschaftlichen Vorstellungen ohne Bedenken mit der Waffe durchzusetzen versucht, ob das nun die Kaiser des Reiches waren, die französischen Könige, die Spanier (das waren ja später auch die Habsburger), die italienischen Stadtrepubliken, die Briten, sogar die Portugiesen. Da sticht in meinen Augen keiner hervor. Frieden machen bedeutete vom Mittelalter bis in die Neuzeit hauptsächlich, kein Geld zum Kriegführen mehr zu haben.
In der ersten Hälfte des 20. Jh. aber sticht das "zu spät gekommene" Deutsche Reich zumindest in Europa hervor, was aggressive Politik angeht. In den Kolonialgebieten sah das natürlich auch schon wieder anders aus, genauso wie in Amerika. Die USA haben ihren Imperialismus zwar hauptsächlich mit Dollars geführt, aber falls notwendig auch mit der Waffe (was allerdings teurer ist, als einfach einen Staat zu kaufen). Deren Kriege waren aber auch zum Wohl des Westens. Wenn die Amerikaner wirklich mit Fracking ihren Ölverbrauch aus heimischen Quellen decken können, dann wird die 5. Flotte wohl vom Golf verschwinden. Mal sehen, was die Europäer dann machen.

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Yeti
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Yeti »

Maurus hat geschrieben:In meinen Augen ist es wirklich ziemlich müßig darüber zu streiten, welche der europäischen Großmächte im 2. Jt. aggressiver was als die anderen.


Müßig nennt man das, wenn man aus irgendwelchen Gründen ein lebhaftes Interesse daran haben, dass darüber nicht diskutiert wird. Deutschland wird nach wie vor bei den antideutsch eingestellten Staaten wegen dieser beiden Weltkriege historisch völlig über einen Kamm geschoren, so als hätte es vor Erstem und Zweiten Weltkrieg keine deutsche Geschichte gegeben. Da ist es schon wichtig, dass man die historischen Fakten gerade rückt.
Maurus hat geschrieben:In der ersten Hälfte des 20. Jh. aber sticht das "zu spät gekommene" Deutsche Reich zumindest in Europa hervor, was aggressive Politik angeht.
Das ist eine These ohne Beleg und daher auch kein Argument, sondern eine Behauptung. Nur weil gestern der 27. Januar war, muss man sich nicht im Schulti-Kulti-Wahn wälzen, ist sowieso wohlfeil, weil's immer bequem ist, wenn solch ein Abstraktum wie "das Volk" die Schuld tragen soll.
Maurus hat geschrieben:Die USA haben ihren Imperialismus zwar hauptsächlich mit Dollars geführt, aber falls notwendig auch mit der Waffe (was allerdings teurer ist, als einfach einen Staat zu kaufen).


Gerade den Einsatz von Geld halte ich persönlich für ganz besonders ehrlos, aber typisch für diesen kulturlosen Staat. Gewissermaßen ist es deshalb konsequent, wenn sie nun selbst pleite sind.
Maurus hat geschrieben:Deren Kriege waren aber auch zum Wohl des Westens.
Sie waren vor allem zum Wohl der amerikanischen Wirtschaft.
Maurus hat geschrieben:Wenn die Amerikaner wirklich mit Fracking ihren Ölverbrauch aus heimischen Quellen decken können, dann wird die 5. Flotte wohl vom Golf verschwinden. Mal sehen, was die Europäer dann machen.
Wie ich die Amis einschätze, werden sie (wenn es überhaupt soviel abwirft) so lange weitermachen, bis der ganze mittlere Westen eine einzige Doline sein wird.
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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:In meinen Augen ist es wirklich ziemlich müßig darüber zu streiten, welche der europäischen Großmächte im 2. Jt. aggressiver was als die anderen.


Müßig nennt man das, wenn man aus irgendwelchen Gründen ein lebhaftes Interesse daran haben, dass darüber nicht diskutiert wird.
Ich für meinen Teil glaube bloß, dass dabei nichts herauskommen kann, außer der Aufzählung der jeweils von den anderen begangenen Grausamkeiten.
Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:In der ersten Hälfte des 20. Jh. aber sticht das "zu spät gekommene" Deutsche Reich zumindest in Europa hervor, was aggressive Politik angeht.
Das ist eine These ohne Beleg und daher auch kein Argument, sondern eine Behauptung. Nur weil gestern der 27. Januar war, muss man sich nicht im Schulti-Kulti-Wahn wälzen, ist sowieso wohlfeil, weil's immer bequem ist, wenn solch ein Abstraktum wie "das Volk" die Schuld tragen soll.
Vom Volk steht da nichts. Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Yeti hat geschrieben:Sie waren vor allem zum Wohl der amerikanischen Wirtschaft.
Tja, Win-Win-Situation nennt das der Amerikaner sicher. Bauen die ihr Rüstungszeug eigentlich noch selbst zusammen oder haben sie das auch nach China ausgelagert? So wie die neuesten chinesischen Kampfflugzeuge aussehen, könnte man das fast vermuten.
Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:Wenn die Amerikaner wirklich mit Fracking ihren Ölverbrauch aus heimischen Quellen decken können, dann wird die 5. Flotte wohl vom Golf verschwinden. Mal sehen, was die Europäer dann machen.
Wie ich die Amis einschätze, werden sie (wenn es überhaupt soviel abwirft) so lange weitermachen, bis der ganze mittlere Westen eine einzige Doline sein wird.
Joa, denkbar.

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Nassos
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Nassos »

Maurus hat geschrieben:Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Genau so sehe ich das auch.
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Yeti
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Yeti »

Maurus hat geschrieben:Vom Volk steht da nichts. Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Sie war vielleicht aggressiv, aber nicht aggressiver als andere, auch als Politik ein Kind der Zeit. Ich kasteie mich auch nicht, im Gegenteil. Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. Dieses Land hat eine Geschichte, die länger ist als die zwölf Jahre, die immer wieder vorgenudelt werden.
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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:Vom Volk steht da nichts. Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Sie war vielleicht aggressiv, aber nicht aggressiver als andere
Die Kriege gingen vom deutschen Boden aus. Und gerade weil das Land eine längere Geschichte hat, habe ich kein Problem damit, das einzuräumen. Ich war immer ein Gegner der Instrumentalisierung historischer Vorgänge. Daraus entstehen ja erst Revanchismus und Revisionismus. An der Kriegsschuldfrage ist ja letztlich auch die Weimarer Republik zugrunde gegangen. Hätten die europäischen Staaten damals die Größe gehabt einzuräumen, dass sie ein idiotisches und höchst feuergefährliches Bündnissystem geschaffen hatten und völlig naiv in den Krieg gegangen seien, dann wäre uns viel erspart geblieben. Angesichts der vielen Toten und der Verheerungen in Frankreich war das aber nicht drin. Nach dem II. WK hat man es ja besser gemacht, allerdings war die Schuldfrage auch eindeutiger, außerdem brauchte man Deutschland in der Blockfrage. Dennoch: Westbindung und dt.-frz. Aussöhnung waren keine selbstverständlichen Gesten. Mit Robert Schuman und Konrad Adenauer waren zwei gläubige Katholiken maßgeblich daran beteiligt.

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Yeti »

Maurus hat geschrieben:
Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:Vom Volk steht da nichts. Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Sie war vielleicht aggressiv, aber nicht aggressiver als andere
Die Kriege gingen vom deutschen Boden aus. Und gerade weil das Land eine längere Geschichte hat, habe ich kein Problem damit, das einzuräumen. Ich war immer ein Gegner der Instrumentalisierung historischer Vorgänge. Daraus entstehen ja erst Revanchismus und Revisionismus. An der Kriegsschuldfrage ist ja letztlich auch die Weimarer Republik zugrunde gegangen. Hätten die europäischen Staaten damals die Größe gehabt einzuräumen, dass sie ein idiotisches und höchst feuergefährliches Bündnissystem geschaffen hatten und völlig naiv in den Krieg gegangen seien, dann wäre uns viel erspart geblieben. Angesichts der vielen Toten und der Verheerungen in Frankreich war das aber nicht drin. Nach dem II. WK hat man es ja besser gemacht, allerdings war die Schuldfrage auch eindeutiger, außerdem brauchte man Deutschland in der Blockfrage. Dennoch: Westbindung und dt.-frz. Aussöhnung waren keine selbstverständlichen Gesten. Mit Robert Schuman und Konrad Adenauer waren zwei gläubige Katholiken maßgeblich daran beteiligt.
Die Kriegsschuldfrage kann beim I. WK auch nicht durch Behauptung den Deutschen zugeschoben werden. Und beim II. WK ist es sogar auch kniffelig...GB und F erklärten ja D den Krieg, dadurch wurde er erst zum WK. Und wenn man diese Feinheiten weg- oder außer acht lässt, öffnet es den zahlreichen deutschfeindlichen Revanchisten vor allem im angelsächsischen Bereich Tür und Tor.

Ich bin übrigens nicht durchweg glücklich über die Entwicklung nach dem II WK. Die unbedingte Anbindung Adenauers und die Missachtung beider Stalinnoten in den 50ern halte ich für eine verpasste Chance. Eine "Schweizer" Lösung für D nach dem Krieg hätte ich bevorzugt. Und im Ganzen hätte es auch mehr der deutschen Geschichte entsprochen, die immer ein Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West war.
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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:
Yeti hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:Vom Volk steht da nichts. Dass die Außenpolitik Wilhelms II. ("Platz an der Sonne") und erst recht die Hitlers aggressiv war, ist offensichtlich. Im übrigen nehme ich für mich in Anspruch, mich dafür nicht zu kasteien. Ich kann nichts für Hitlers oder Willems Hirngespinste. Aber nüchtern betrachtet ist das eben das passende Urteil. Ich leite daraus auch kein Recht für andere ab.
Sie war vielleicht aggressiv, aber nicht aggressiver als andere
Die Kriege gingen vom deutschen Boden aus. Und gerade weil das Land eine längere Geschichte hat, habe ich kein Problem damit, das einzuräumen. Ich war immer ein Gegner der Instrumentalisierung historischer Vorgänge. Daraus entstehen ja erst Revanchismus und Revisionismus. An der Kriegsschuldfrage ist ja letztlich auch die Weimarer Republik zugrunde gegangen. Hätten die europäischen Staaten damals die Größe gehabt einzuräumen, dass sie ein idiotisches und höchst feuergefährliches Bündnissystem geschaffen hatten und völlig naiv in den Krieg gegangen seien, dann wäre uns viel erspart geblieben. Angesichts der vielen Toten und der Verheerungen in Frankreich war das aber nicht drin. Nach dem II. WK hat man es ja besser gemacht, allerdings war die Schuldfrage auch eindeutiger, außerdem brauchte man Deutschland in der Blockfrage. Dennoch: Westbindung und dt.-frz. Aussöhnung waren keine selbstverständlichen Gesten. Mit Robert Schuman und Konrad Adenauer waren zwei gläubige Katholiken maßgeblich daran beteiligt.
Die Kriegsschuldfrage kann beim I. WK auch nicht durch Behauptung den Deutschen zugeschoben werden.
Bei diesen Behauptungen ist man ja auch längst vorsichtiger geworden. Wie gesagt: Ich bin mal gespannt, was im nächsten Jahr dazu noch an Büchern erscheinen wird.
Yeti hat geschrieben:Und beim II. WK ist es sogar auch kniffelig...GB und F erklärten ja D den Krieg, dadurch wurde er erst zum WK. Und wenn man diese Feinheiten weg- oder außer acht lässt, öffnet es den zahlreichen deutschfeindlichen Revanchisten vor allem im angelsächsischen Bereich Tür und Tor.
Naja, die Vorgeschichte dieser Kriegserklärungen müsste schon auch beachtet werden. Beachtlich ist auch, dass die Kriegserklärungen ja schon am 3. September 1939 erfolgten. Die Kampfhandlungen mit Frankreich begannen aber erst am 10. Mai 1940: Durch einen deutschen Angriff. Den Polenfeldzug hat man das Reich in aller Seelenruhe zu Ende führen lassen. Auch danach geschah erstmal gar nichts. Wenn du mich fragst, hatten Briten und Franzosen keine Lust, für Polen einzustehen ("Mourir pour Danzig?"). Eine aggressive Entente hätte doch den Überfall auf Polen genutzt, um sofort ins Rheinland zu fahren. Stattdessen haben sie dabei zugesehen, wie das Reich seinen Rüstungsnachteil Monat für Monat egalisiert. Von 1933 haben Briten und Franzosen Hitler völlig freie Hand gelassen, er durfte sich alles nehmen, was er wollte, Rheinland militarisieren, Österreich anschließen, Sudetenland, Austritt aus dem Völkerbund. Wer behaupten will, dass die anderen Mächte sich gegenüber dem Reich aggressiv gezeigt hätten, der muss diese Tatenlosigkeit erstmla plausibel erklären. Ich finde da keine.
Yeti hat geschrieben:Ich bin übrigens nicht durchweg glücklich über die Entwicklung nach dem II WK. Die unbedingte Anbindung Adenauers und die Missachtung beider Stalinnoten in den 50ern halte ich für eine verpasste Chance. Eine "Schweizer" Lösung für D nach dem Krieg hätte ich bevorzugt. Und im Ganzen hätte es auch mehr der deutschen Geschichte entsprochen, die immer ein Dreh- und Angelpunkt zwischen Ost und West war.
Ein blockfreies Deutschland hätte meiner Ansicht nach unter dem Pantoffel der Sowjets gestanden. Die Rote Armee ist nach dem Krieg nicht demobilisiert worden. 20 sowjetische Panzerkorps an der Ostgrenze hätte man kaum ignorieren können.

Caviteño
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Caviteño »

Maurus hat geschrieben:Die Kampfhandlungen mit Frankreich begannen aber erst am 10. Mai 1940: Durch einen deutschen Angriff. Den Polenfeldzug hat man das Reich in aller Seelenruhe zu Ende führen lassen. Auch danach geschah erstmal gar nichts. Wenn du mich fragst, hatten Briten und Franzosen keine Lust, für Polen einzustehen ("Mourir pour Danzig?"). Eine aggressive Entente hätte doch den Überfall auf Polen genutzt, um sofort ins Rheinland zu fahren. Stattdessen haben sie dabei zugesehen, wie das Reich seinen Rüstungsnachteil Monat für Monat egalisiert.
Nur zur Ergänzung:
In Norwegen kam die Wehrmacht entsprechenden britischen Verbänden nur um wenige Stunden bei der Besetzung Narviks zuvor. Also spätestens im Frühjahr 1940 hatte sich zumindest für England die Einstellung wohl gewandelt und sie haben/hätten die Neutralität Norwegens ebensowenig respektiert wie Hitler.

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Maurus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Maurus »

Caviteño hat geschrieben:
Maurus hat geschrieben:Die Kampfhandlungen mit Frankreich begannen aber erst am 10. Mai 1940: Durch einen deutschen Angriff. Den Polenfeldzug hat man das Reich in aller Seelenruhe zu Ende führen lassen. Auch danach geschah erstmal gar nichts. Wenn du mich fragst, hatten Briten und Franzosen keine Lust, für Polen einzustehen ("Mourir pour Danzig?"). Eine aggressive Entente hätte doch den Überfall auf Polen genutzt, um sofort ins Rheinland zu fahren. Stattdessen haben sie dabei zugesehen, wie das Reich seinen Rüstungsnachteil Monat für Monat egalisiert.
Nur zur Ergänzung:
In Norwegen kam die Wehrmacht entsprechenden britischen Verbänden nur um wenige Stunden bei der Besetzung Narviks zuvor. Also spätestens im Frühjahr 1940 hatte sich zumindest für England die Einstellung wohl gewandelt und sie haben/hätten die Neutralität Norwegens ebensowenig respektiert wie Hitler.
Deswegen mochten die Norweger die Briten anschließend auch nicht so besonders.

Tritonus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Tritonus »

Pilgerer hat geschrieben:Wie war es wirklich? Wer hatte eurer Meinung nach die meiste Schuld am Weltkrieg?
Die Hauptschuld tragen m.E. die Nationalisten und Großmachtsphantasten sowie die Bündnis- und Kolonialstrategen der beteiligten Staaten. Unschuldig waren neben Pazifisten auch Anarchisten und sonstige vaterlandslose Gesellen.
:breitgrins:

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von al-Muschrik »

Niels hat geschrieben:
al-Muschrik hat geschrieben:Die Kreuzzüge waren meines Erachtens eine gute Sache, die man leider nicht nachhaltig genug betrieben hat, die Inquisition war eine wichtige und großartige Einrichtung und auch die Hexenverbrennungen (nur die katholischen) würde ich in Teilen verteidigen. Aber das Christentum steht nun einmal zwischen Bellizismus und Pazifismus oder vielleicht besser: jenseits davon.
Literaturhinweis: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=655374#p655374
Danke für den Literaturhinweis. Daß es solche gegenaufklärerische Literatur gibt, in der die Geschichtslügen der Aufklärung zurückgewiesen werden, halte ich für sehr wichtig, und Angenendt macht das ja auch sehr überzeugend und seriös. Für die Modernisten und Halb-, Neo- oder Pseudokonservativen ist diese Lektüre eigentlich ein Muß.
Für einen Reaktionär wie mich ist das alles allerdings kalter Kaffe, ich bin darüber schon längst hinaus. So empfinde ich ein lebhaftes Bedauern darüber, daß man nicht mehr Kreuzzüge geführt hat und daß die Inquisition so zurückhaltend mit den Ketzern umgegangen ist. Eine Wiedereinführung von beidem (und mit Einschränkungen auch der Hexenverfolgung) wäre ein Segen für die Christenheit.
Wenn es z.B. im 16. Jhd. eine deutsche Inquisition gegeben hätte, die Luther, Zwingli, Calvin und ein paar tausend andere Ketzer verbrannt, aber auch ungeeignete, unzüchtige oder sich bereichernde Kleriker aus dem Verkehr gezogen und damit den Häretikern Argumente genommen hätte, wäre es wahrscheinlich nie zum 3-jährigen Krieg mit seinen 1 Millionen Toten gekommen.
níĝ-ge-na-da a-ba in-da-sá nam-ti ì-ù-tu
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πᾶν γὰρ ἑρπετὸν πληγῇ νέμεται
ad hoc sacramentum adacti sumus, ferre mortalia nec perturbari iis quae vitare non est nostrae potestatis. In regno nati sumus: deo parere libertas est.

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von al-Muschrik »

Tritonus hat geschrieben:
Pilgerer hat geschrieben:Wie war es wirklich? Wer hatte eurer Meinung nach die meiste Schuld am Weltkrieg?
Die Hauptschuld tragen m.E. die Nationalisten und Großmachtsphantasten sowie die Bündnis- und Kolonialstrategen der beteiligten Staaten. Unschuldig waren neben Pazifisten auch Anarchisten und sonstige vaterlandslose Gesellen.
:breitgrins:
Die schäbigsten und ekelhaftesten aller Kriegstreiber sind, noch vor Anarchisten und anderen Vaterlandsverrätern, die Pazifisten.
Welch ein Trost, daß ihnen in der Bibel der sichere Aufenthalt in der Hölle versprochen wird:
Rev 21:8 Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod.
Denn mit "Feiglinge" und "Lügner" sind sie ja eindeutig und zweifelsfrei identifiziert.
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Florianklaus »

al-Muschrik hat geschrieben: Eine Wiedereinführung von beidem (und mit Einschränkungen auch der Hexenverfolgung) wäre ein Segen für die Christenheit.
Wie stellst Du Dir denn eine zeitgemäße Hexenverfolgung vor? Welche Personen und welche Tatbestände sollten wie bestraft werden?

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Florianklaus »

al-Muschrik hat geschrieben:Die schäbigsten und ekelhaftesten aller Kriegstreiber sind, noch vor Anarchisten und anderen Vaterlandsverrätern, die Pazifisten.
Welch ein Trost, daß ihnen in der Bibel der sichere Aufenthalt in der Hölle versprochen wird:
Rev 21:8 Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod.
Denn mit "Feiglinge" und "Lügner" sind sie ja eindeutig und zweifelsfrei identifiziert.
Kannst Du näher erläutern, wieso Pazifisten grundsätzlich Kriegstreiber, Feiglinge und Lügner sein sollen? Trifft Dein Verdikt auch die sog. "Bausoldaten" in der früheren Ostzone?

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Robert Ketelhohn
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Peregrin hat geschrieben:
Protasius hat geschrieben: Wir müssen dabei bedenken, daß nur ein paar Jahrzehnte zuvor Bismarck einen kleinen Krieg als willkommene Ablenkung und Hilfe bei der Einigung des Deutschen Reiches eingesetzt hat.
Ja, vollkommen unprovoziert ist der Bösewicht über den armen Napoleon III. hergefallen. :D
Jedenfalls hat er die willkommene Gelegenheit genutzt, sein großpreußisches Pseudokaisertum abzurunden und zu vollenden, nachdem der Weg durchs Hinauskriegen Österreichs schon wohl bereitet war. Ein würdiger Genosse Friedrichs II. von Hohenzollern und des Napoleone Buonaparte im Werk des Zerstörung der alteuropäischen Ordnung.
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Protasius hat geschrieben:
iustus hat geschrieben:Ich weiß nur noch, dass ich in der Oberstufe der Meinung war, dass Österreich schuld war. Ich weiß aber nicht mehr warum, habe mich seither nicht mehr damit beschäftigt.
Österreich hat den Krieg (mit einem deutschen Blankoscheck im übertragenen Sinne) angefangen, weil sie Serbien wegen der Ermordung des Thronfolgers in Sarajevo angegriffen haben. Das ist aber mehr ein Auslöser denn eine entscheidende Ursache gewesen.
Dahinter standen natürlich Albions Geheimdienste. Das altbekannte Divide et impera.
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Peregrin hat geschrieben:Daß Frankreich eine von dezidiert antikatholischem Affekt getragene Einkreisungspolitik gegen die Donaumonarchie betrieben hat
Belege? (Ansonsten halte ich das für groben Quark.)
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Maurus hat geschrieben:Man kann das ja bei Ernst Jünger, aber auch bei vielen anderen nachlesen, dass man sich irgendwie nach einem Abenteuer gesehnt hat. Da kam der Krieg gerade recht.
Der Gott der Stadt

Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn.

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
Die großen Städte knieen um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.


Die Dämonen der Stadt

Sie wandern durch die Nacht der Städte hin,
Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.
Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn
Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.

Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer
Und löscht der Straßen Lichterreihen aus.
Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer
Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus.

Den einen Fuß auf einen Platz gestellt,
Den anderen gekniet auf einen Turm,
Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt,
Panspfeifen blasend in den Wolkensturm.

Um ihre Füße kreist das Ritornell
Des Städtemeers mit trauriger Musik,
Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell
Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg.

Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit
Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt
Von den Laternen, in die Dunkelheit
Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.

Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand
Und stecken ihre Hände in den Schwarm
Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand
Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.

Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt
Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht,
Die sich wie Blei vom finstern Himmel senkt,
Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht.

Der Städte Schultern knacken. Und es birst
Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.
Breitbeinig sitzen sie auf seinem First
Und schrein wie Katzen auf zum Firmament.

In einer Stube voll von Finsternissen
Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn.
Ihr starker Leib ragt riesig aus den Kissen,
Um den herum die großen Teufel stehn.

Sie hält sich zitternd an der Wehebank.
Das Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,
Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang
Und blutend reißt er von der Frucht entzwei.

Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.
Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält
Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen
Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.

Doch die Dämonen wachsen riesengroß.
Ihr Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.
Erdbeben donnert durch der Städte Schoß
Um ihren Huf, den Feuer überloht.


Der Krieg I

Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne <wimmert> ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.

Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.


Der Krieg II

Hingeworfen weit in das brennende Land
Über Schluchten und Hügel die Leiber gemäht
In verlassener Felder Furchen gesät
Unter regnenden Himmeln und dunkelndem Brand,

Fernen Abends über den Winden kalt,
Der leuchtet in ihr zerschlagenes Haus,
Sie zittern noch einmal und strecken sich aus,
Ihre Augen werden sonderbar alt.

Die Nebel in frierende Bäume zerstreut,
In herbstlichen Wäldern irren die Seelen allein
Tief in die Wildnis und kühles Dunkel hinein,
Sich zu verbergen vor dem Lebenden weit.

Aber riesig schreitet über dem Untergang
Blutiger Tage groß wie ein Schatten der Tod,
Und feurig tönet aus fernen Ebenen rot
Noch der Sterbenden Schreien und Lobgesang.
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Tritonus
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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Tritonus »

al Muschrik hat geschrieben:Die schäbigsten und ekelhaftesten aller Kriegstreiber sind ... die Pazifisten.
Ich nehme an, dass Du das auch belegen oder zumindest an einigen Beispielen verdeutlichen kannst. (Selbstverständlich an Beispielen, die das Threadthema, d.h. den ersten Weltkrieg, betreffen.) Also: Welche Pazifisten waren es denn konkret, die den ersten Weltkrieg provoziert/ausgelöst/verursacht/erklärt/getrieben haben?
al Muschrik hat geschrieben:... und anderen Vaterlandsverrätern ...
Dieser und ähnliche Begriffe sagen wenig aus, denn wann immer beispielsweise auch Katholiken einem Nationalstaat in die Quere kamen, wurden auch ihnen diese Attribute verpasst.
Eduard Hüsgen schrieb 1907 in seiner Windthorst-Biographie: "Katholik und Reichsfeind, katholisch und vaterlandslos, ultramontan und vaterlandsfeindlich, Zentrumsanhänger und Gegner jeder Kulturbestrebung waren nach landläufiger Auffassung gleichwerte Begriffe.")

Es erstaunt mich immer wieder, wie viel schwülstig-hurrapatriotischer Ideologiebrei des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sich in den Köpfen mancher heutiger Katholiken findet, die sich selbst ironischerweise dann auch noch für besonders konservativ halten. Echte Katholiken der damaligen Zeit hingegen besaßen anscheinend ein weit geringeres Maß an rührend-naivem Vertrauen in den säkularen Nationalstaat als die heutigen pseudokonservativen Nostalgiker und Kitschsammler, die in ihren Spuren zu wandeln glauben. Und sie verwechselten vor allem auch säkulare Machtspielchen und die Inhalte nationalstaatlicher Propaganda nicht mit Vaterlandsliebe, und bestimmte Glaubensüberzeugungen nicht mit Vaterlandsverrat, sonst wäre wohl beispielsweise Bismarcks so genannter Kulturkampf in den 1870ern gegen die Kirche ziemlich überflüssig gewesen.
al Muschrik hat geschrieben:Welch ein Trost, daß ihnen in der Bibel der sichere Aufenthalt in der Hölle versprochen wird:
Rev 21:8 Aber die Feiglinge und Treulosen, die Befleckten, die Mörder und Unzüchtigen, die Zauberer, Götzendiener und alle Lügner - ihr Los wird der See von brennendem Schwefel sein. Dies ist der zweite Tod.
Denn mit "Feiglinge" und "Lügner" sind sie ja eindeutig und zweifelsfrei identifiziert.
Deine "eindeutige und zweifelsfreie Identifizierung" erscheint mir ... ääh sorry ... im besten Fall einfach als totaler Unsinn, den Du mal eben auf die Schnelle hingeworfen hast, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, im schlechteren Fall als absichtlicher Schriftmissbrauch, den Du betreibst, um Deine Privatideologie hübsch fromm darin einzuwickeln. Die pauschale Identifizierung von Pazifisten mit den im Schriftvers erwähnten Feiglingen und Lügnern halte ich für mindestens genauso abseitig und voll daneben wie beispielsweise eine pauschale Identifizierung von Soldaten mit den im selben Schriftvers erwähnten Mördern und Götzendienern.

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Florianklaus »

Tritonus hat geschrieben:Es erstaunt mich immer wieder, wie viel schwülstig-hurrapatriotischer Ideologiebrei des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts sich in den Köpfen mancher heutiger Katholiken findet, die sich selbst ironischerweise dann auch noch für besonders konservativ halten. Echte Katholiken der damaligen Zeit hingegen besaßen anscheinend ein weit geringeres Maß an rührend-naivem Vertrauen in den säkularen Nationalstaat als die heutigen pseudokonservativen Nostalgiker und Kitschsammler, die in ihren Spuren zu wandeln glauben. Und sie verwechselten vor allem auch säkulare Machtspielchen und die Inhalte nationalstaatlicher Propaganda nicht mit Vaterlandsliebe, und bestimmte Glaubensüberzeugungen nicht mit Vaterlandsverrat, sonst wäre wohl beispielsweise Bismarcks so genannter Kulturkampf in den 1870ern gegen die Kirche ziemlich überflüssig gewesen.
:klatsch: Mich auch!

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Re: 1. Weltkrieg: Wer war schuld?

Beitrag von Robert Ketelhohn »

al-Muschrik hat geschrieben:
Niels hat geschrieben:
al-Muschrik hat geschrieben:Die Kreuzzüge waren meines Erachtens eine gute Sache, die man leider nicht nachhaltig genug betrieben hat, die Inquisition war eine wichtige und großartige Einrichtung und auch die Hexenverbrennungen (nur die katholischen) würde ich in Teilen verteidigen. Aber das Christentum steht nun einmal zwischen Bellizismus und Pazifismus oder vielleicht besser: jenseits davon.
Literaturhinweis: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=655374#p655374
Danke für den Literaturhinweis. Daß es solche gegenaufklärerische Literatur gibt, in der die Geschichtslügen der Aufklärung zurückgewiesen werden, halte ich für sehr wichtig, und Angenendt macht das ja auch sehr überzeugend und seriös. Für die Modernisten und Halb-, Neo- oder Pseudokonservativen ist diese Lektüre eigentlich ein Muß.
Für einen Reaktionär wie mich ist das alles allerdings kalter Kaffe, ich bin darüber schon längst hinaus. So empfinde ich ein lebhaftes Bedauern darüber, daß man nicht mehr Kreuzzüge geführt hat und daß die Inquisition so zurückhaltend mit den Ketzern umgegangen ist. Eine Wiedereinführung von beidem (und mit Einschränkungen auch der Hexenverfolgung) wäre ein Segen für die Christenheit.
Wenn es z.B. im 16. Jhd. eine deutsche Inquisition gegeben hätte, die Luther, Zwingli, Calvin und ein paar tausend andere Ketzer verbrannt, aber auch ungeeignete, unzüchtige oder sich bereichernde Kleriker aus dem Verkehr gezogen und damit den Häretikern Argumente genommen hätte, wäre es wahrscheinlich nie zum 3-jährigen Krieg mit seinen 1 Millionen Toten gekommen.
Ich halte das für eine Milchmädchenrechnung. O sancta simplicitas! könnte ich auch ausrufen. All die angerißnen Fragen sind hier nicht das Thema. Darum bloß dies: Es ist überaus richtig und wichtig, mit den Illuministenlegenden aufzuräumen und die Dinge historisch korrekt zu beschreiben und sachgerecht einzuordnen und zu beurteilen. Aber bitte ohne pauschale und haltlose Gegenlegenden. Als Duftmarke und Provokation mag das ja mal angehen, aber dann setze bitte der Verstand wieder ein und unterscheide.

Zur Geschichte der Kreuzzüge gehört, was daran gewaltig schiefgegangen ist. Die Geschichte der Verfolgung der Zauberei ebenso wie der reformatorischen Zersplitterung der Kirche gehört auch und gerade in einen ideen- und mentalitätsgeschichtlichen Kontext eingeordnet, wozu auch so heteromorphe Faktoren zählen wie der rinascimentale Anthropozentrismus, das humanistische Zeitenwendebewußtsein, die Brutalisierung des Strafvollzugs der „frühen Neuzeit“, die Pestumzüge und andere Seuchen, die allgemeine Verunsicherung des Lebens und die aufwuchernde Geldwirtschaft mit Bank- und Zinswesen.

Daß Zauberei verwerflich und strafwürdig ist, ist ja wahr. An die tausend Jahre abendländischer Geschichte hat das aber in der Strafrechtspraxis praktisch keine Rolle gespielt. Dann treten plötzlich Wellen hysterisch anmutender Verfolgung auf: Ist dir da nicht offensichtlich, das es sich um Symptome mutmaßlich ganz anderer, jedenfalls schwerwiegender gesellschaftlicher Probleme handelt?

Daß das Inquisitionsverfahren, als es das Akkusationsverfahren ablöste, nachdem es aus dem jahrhundertelang vergessenen römischen Recht erst theoretisch, dann praktisch restituiert worden war, aus Sicht der antikirchlichen „Moderne“ ebenso wie aus zeitgenössischer kirchlicher Sicht einen großen rechtspolitischen Fortschritt darstellt, ist auch offensichtlich und wird von keinem der Materie Kundigen bestritten werden. Daß man mit konsequenterer, schärferer – oder wie immer du’s nennen willst – Anwendung die Reformation(en) hätte unterbinden können, offenbart allerdings Klein-Fritzchen-Vorstellungen, die ich dir nicht zugetraut hätte und die zeigen, daß du trotz zahlreicher bemerkenswerter Einzelerkenntnisse noch nicht zu reifer Weltsicht und reifem Geschichtsurteil gelangt bist.

  • Administrativer Hinweis: Zu den angesprochenen Einzelfragen werden in diesem Strang keine weiteren Erörterungen geduldet. Bitte dafür die diversen schon bestehenden Themenstränge zu nutzen. Vielen Dank.
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