TillSchilling hat geschrieben:
Andererseits wäre er der einzige der gegenüber den "Schwarze-Null"-Fetischisten in Berlin durchsetzen könnte, dass die Deutschen endlich die einmalig niedrigen Zinsen nutzen um ihre Infrastruktur zu erneuen und der europäischen Wirtschaft zu helfen.
Das versteh ich nicht und bitte um Erläuterung.
Wenn D. weitere Schulden macht, um seine Infrastruktur zu erneuern - was hilft das den Südländern (einschl. F)?
Vermutlich werden zum allergrößten Teil deutsche Firmen die Arbeiten an Autobahnen, Gleisen und Brücken ausführen (beim schnellen Internet vielleicht noch US-Firmen) - trotz der notwendigen europ. Ausschreibung. Evtl. ist auch die eine oder andere franz. Gesellschaft dabei, aber die Vergabe an griechische, portugiesische oder ital. Gesellschaften dürfte wohl kaum stattfinden. Insofern profitieren deutsche Bauunternehmen davon.
Bei den Beschäftigten sieht es kaum anders aus. Neben den deutschen (sowohl Staatsangehörigen als auch hier wohnenden) Arbeitnehmer würden vielleicht über Subunternehmen noch (Süd)Ost-Europäer beteiligt sein. In der Vergangenheit wurden bei solchen Vorhaben Spanier, Portugiesen oder Italiener beschäftigt. Diese Zeiten sind seit dem Beitritt der (süd)osteuropäischen Länder vorbei - den seit der Euro-Einführung gestiegenen Löhnen in den südeuropäischen Ländern sei Dank. Früher wurde auch in diesem Bereich die Wettbewerbsfähigkeit durch eine Abwertung der Landeswährungen (Lira, Peseta, Drachme, Escudo) hergestellt. Das funktioniert nicht mehr.
Wie wird nun der "europäischen" Wirtschaft geholfen? Die Gelder bleiben überwiegend in D., gehen vielleicht noch zum Bau des eigenen Hauses nach (Süd)Osteuropa, wenn der Arbeitnehmer hier beschäftigt ist. Sie landen aber kaum in die Länder, denen "geholfen" werden soll. Ob die von den zusätzlichen Bauaufträgen profitierenden Arbeitnehmer mehr Feta-Käse, mehr viño verde oder mehr Oliven kaufen - das kann man bezweifeln. Vielleicht verbringen sie ihren Urlaub dann am Mittelmeer - oder in der Karibik..... - denn die ist auch preisgünstig.
Die Annahme, daß durch zusätzliche Investitionsausgaben in D. die Wirtschaft in den Krisenländern geboostet würde, ist genauso widersinnig wie die Hoffnung, durch Wassersparen in D. ließe sich das Wasserproblem in der Sahelzone lösen.
Ein weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen.
Die deutschen Zahlungsbilanzüberschüsse sind überwiegend in den Südstaaten investiert worden und haben dort einen Immobilienboom (Spanien) bzw. viel zu hohe Konsumausgaben (z.B. Griechenland) ermöglicht. Ob man hier von einer Mitschuld oder einer Dummheit der deutschen Banken (und damit letztendlich der Sparer) reden soll, darüber kann man streiten. Man kann aber auf jeden Fall zwei Lehren ziehen:
1. Kredite führen zu keinem nachhaltigem Wachstum, irgendwann muß man sie zurückzahlen. Das kann zwar durch neue Kredite geschehen, aber auch dafür muß man einen Kreditgeber finden, der - trotz der wachsenden Schulden - noch Vertrauen hat. Natürlich kann dann die Zentralbank einspringen (Maastrichtvertrag hin oder her) - nur wie sieht das Ende aus?
2. Wenn die Preise zu hoch sind (und das gilt auch für die Löhne) ist ein Land/ein Unternehmen/ein Arbeitnehmer nicht wettbewerbsfähig und die Produkte werden nicht mehr gekauft. Das gilt/galt z.B. für den Zusammenbruch des Immobilienmarktes in Spanien, wo die exorbitanten Preissteigerungen sich nicht dauerhaft fortsetzten oder bei den Löhnen in Griechenland, die z.B. auch massiv gekürzt werden mußten, um Beschäftigung zu erhalten (vgl.
meine Ausführungen zur Lohnkürzung von > 6% der Hafenarbeiter in Piräus).
Zusätzliche Schulden bringen dann kein zusätzliches Wachstum mehr, wie man am Beispiel GR besonders schön sehen kann. Dort liegt der Schuldenstand inzwischen wieder über dem Stand vor dem Schuldenschnitt vor 2,5 Jahren. Nach reiner angelsächsischer Lehre müßte die Wirtschaft dort brummen - warum tut sie es nicht?
Gegenbeispiel ist die Schweiz. Von 27 bis 211 sank die
Schuldenquote von knapp 42% auf 35%; das Bruttoinlandsprodukt ist gestiegen.
Selbst wenn in D. die Notwendigkeit bestehen sollte, mehr in die Infrastruktur zu investieren, dürften diese (ggfs. kreditfinanzierten) Mehrausgaben keine meßbaren Auswirkungen auf die übrigen Euroländer haben. Insofern ist der - meist von us-amerikanischen Ökonomen vertretene - Ansatz nicht schlüssig. Außerdem sollte man berücksichtigen, daß eine erheblich verbesserte Infrastruktur auch die Wettbewerbsfähigkeit des Landes verbessern würde. Wie sollen dann die südeurop. Länder, die bereits jetzt schon Schwierigkeiten haben, in der Zukunft mithalten bzw. wieder aufschließen können, wenn D. aufgrund besserer Infrastruktur bei Schiene, Straße, Internet davon bzw. zusätzliche Firmen aus dem Ausland anzieht? Die investieren nämlich dort, wo die Infrastruktur modern ist, der Rechtsstaat funktioniert und die politischen Rahmenbedingungen passen.
Wahrscheinlich ist der niedrige und weiter fallende Ölpreis für die betroffenen Länder ein besseres Konjunkturprogramm als jede kreditfinanzierte Investition in die deutsche Infrastruktur. Auch das sollte einmal gesagt werden.
Was die Reformfähigkeit Frankreichs - auch unter einem möglichen Präsidenten Sarkozy - anbetrifft: Du hoffst, ich habe ganz erhebliche Zweifel.
Die Franzosen hatten der Einführung des Euros in einem Referendum in 1992 nur
mit knapper Mehrheit (51%) zugestimmt. Ob sie bereit sind, zusätzliche Opfer auf sich zu nehmen, um den Euro zu halten, ist zweifelhaft - die Stärke der FN spricht nicht unbedingt für diese Annahme.
Sie sind es - wie die übrigen südeuropäischen Länder - gewohnt ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsabwertungen zu halten. Das ist nichts ehrenrühriges, sondern wirtschaftshistorische Erfahrung, die bei den den Völkern nun einmal unterschiedlich ist. Warum sollten sie sich einem Diktat aus Brüssel (= Berlin) beugen - wie Schäuble es beabsichtigt, der sogar das Königsrecht des Parlaments an die Eurokraten abtreten will:
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist bereit, über eine weitgehende Europäisierung der nationalen Finanzpolitik innerhalb der Eurozone zu verhandeln. Schäuble war von der Onlineausgabe der "Financial Times" gefragt worden, ob er sich vorstellen könne, dass der Deutsche Bundestag sein Budgetrecht an die EU abtreten würde. Und der Finanzminister antwortete darauf ungewohnt eindeutig: "Wenn Sie heute um eine Abstimmung bitten würden, bekämen Sie kein Ja als Antwort", sagte Schäuble. "Wenn Sie uns aber einige Monate geben, um daran zu arbeiten, wenn Sie uns auch die Hoffnung geben, dass andere EU-Mitgliedsstaaten dem zustimmen, dann sehe ich eine Chance dafür." Gerade die Deutschen würden nach dem verlorenen Krieg und der Chance für einen Neuanfang zutiefst die Notwendigkeit der europäischen Einigung verstehen. "Nationale Souveränität allein ist nicht das Instrument für das 21. Jahrhundert."
http://www.welt.de/wirtschaft/article11 ... reten.html
Insofern beneide ich die Franzosen - solchen Schwachsinn hört man dort nicht.