Reform des Rechtsstaats

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overkott
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Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Der Rechtsstaat muss reformiert werden. Das zeigen aktuelle Fehlentwicklungen in der Rechtssprechung. Dazu gehört die Kompentenzüberschreitung von Gerichten. Diese erfolgt überall dort, wo untere Instanzen ausführende Gesetze nicht anwenden, sondern missachten. Dies geschieht, wo sich diese Instanzen auf höhere Prinzipien berufen, für deren Auslegung sie nicht zuständig sind. Vor allem könnte der politische Wildwuchs in den Gerichten dazu führen, dass Amtsrichter mit Berufung auf das Persönlichkeitsrecht Freiheiten nach eigenem Ermessen beliebig verteilen.

Soweit der Streit den Gesetzgeber erreicht, sollte er zunächst einmal die Beachtung ausführender Gesetze durchsetzen, bevor er neue schafft. Deregulierung fängt also mit Rechtstreue an. Darüber hinaus sollten die Abgeordneten sich selbst einmal über die Systematik der Gesetzgebung informieren und durch aktuelle Recherche in die bestehende Gesetzeslage einlesen. Dem Prinzip des gleichen Rechts für alle ist am ehesten dadurch gedient, Ausnahme- und Einzelfallregelungen zu vermeiden.

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Palmesel
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von Palmesel »

Welches Urteil hat zuletzt diesen Deinen Eindruck genährt? Nicht, dass ich grundsätzlich widersprechen würde - dazu ist meine Meinung von Richtern ganz allgemein viel zu schlecht.

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Edi
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von Edi »

Vor allem aber sollten schlampig gemachte Gesetze geändert werden und neue Gesetze präziser erstellt werden. Die Bürokraten, die oft nur Stroh im Kopf haben und nicht unterscheiden können, brauchen präzise Vorgaben, sonst pauschalieren sie nur. Der Bundestag ist oft nicht in der Lage, da er sich nicht immer die nötige Fachkompetenz holt, sauber gestrickte Gesetz zu machen. Das ist dann auch mit ein Grund, warum viele Dinge erst von Gerichten geklärt werden müssen und ob die Gerichte das dann immer richtig machen, ist auch die Frage.

Im übrigen hält sich der Gesetzgeber wie die sog. Eurorettung belegt, selber nicht an die Gesetze, denn die Maastricht-Kriterien lassen es nicht zu, daß ein Land für die Schulden eines anderen haftet. Diejenigen Behörden, darunter auch die Polizei, die die Gesetze beachten sollten, brechen sie immer wieder, die Polizei vor allem dann, wenn sie etwas ermitteln wollen.
Es lebt der Mensch im alten Wahn.
Wenn tausend Gründe auch dagegen sprechen,
der Irrtum findet immer freie Bahn,
die Wahrheit aber muss die Bahn sich brechen.

Die meisten Leute werden immer schmutziger je älter sie werden, weil sie sich nie waschen.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Palmesel hat geschrieben:Welches Urteil hat zuletzt diesen Deinen Eindruck genährt? Nicht, dass ich grundsätzlich widersprechen würde - dazu ist meine Meinung von Richtern ganz allgemein viel zu schlecht.
Ein Verwaltungsgericht hat eine Regelung einer Ärztekammer gekegelt mit der Begründung, der klagende Arzt dürfe seine Gewissensfreiheit in Anspruch nehmen. Das Gericht setzte sich damit über ausführendes Recht hinweg, auf dessen Geltung es beim Urteil hinweisen sollte, von höchstrichterlicher Rechtsprechung einmal abgesehen, weil man zur Begründung im konkreten Fall nicht immer gleich das Grundgesetz und die Europäischen Menschenrechtskonvention abschreiben muss.

In einem anderen Fall hat ein Landgericht religiös motivierte Beschneidung verbieten wollen mit einem nicht existierenden Strafparagraphen und einer eigenwilligen Anmaßung höchstrichterlicher Rechtsprechung.

Leitgedanke der Reform des Rechtsstaats ist subsidiare Konfliktlösung ( steht übrigens schon im Evangelium ). Das bedeutet: 1. Recht beachten, 2. außergerichtliche Einigung bevorzugen, 3. Disziplin der Instanzen.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Ein weiteres Beispiel ist die Einschränkung bürgerlicher Verantwortung. Dabei geht es um die Zugangsberechtigung zu Gaststätten. Ein Amtsgericht etwa verklagte einen Betreiber auf Schadenersatz wegen der Abweisung eines Gastes. Die Begründung stützte sich auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Darin geht es auch um den Zugang zu Dienstleistungen für die Öffentlichkeit.

Die Entscheidung ist unbegründet. Durch einen Türsteher ist die Veranstaltung nicht öffentlich. Durch Auswahl der Gäste sorgt er für einen friedlichen Ablauf. Das Urteil liegt in seinem Ermessen. Ein Interessent hat kein Recht auf Begründung. Ein Vertrag zwischen Türsteher und Interessent ist nicht zustande gekommen. Von daher liegt auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und damit keine Diskriminierung vor.

Die Landesregierung Niedersachsen will die Türsteher trotz fehlender Vertragsgrundlage zur Begründung ihrer Entscheidung zwingen. Damit könnten sich Männer auch Zugang zum Frauenhaus verschaffen. Ein absurdes Ansinnen.

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Yeti
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von Yeti »

Wenn ich "Reform des Rechtsstaats" höre, muss ich zuerst an die notwendige Föderalismusreform denken. Wenn's nach mir ginge, zwar keine Abschaffung desselben (wir wollen ja keine französischen und britischen Zustände), aber zumindest eine Verlagerung einiger Kompetenzen ausschließlich an den Bund (Bildungspolitik, Verkehrspolitik, im Grunde die Abschaffung eines Teils des Föderalismusprinzips, dass es für einen Bereich gleich zuständiges Landes- und Bundesrecht gibt, was im Übrigen auch die Gerichte entlasten würde), außerdem eine dringendst notwendige Reform des Länderfinanzausgleichs, der sich bei seinen Leistungen auf die Sicherstellung der bundesweit einheitlich geregelten Erfüllung der landesrechtlichen Verpflichtungen beschränkt (und nicht auf Wahlgeschenke), dann eine Reform des Bundesrats: erstens seine Abschaffung in dieser Zusammensetzung aus Deputierten und Ministerpräsidenten der Länder, stattdessen bei zustimmungspflichtigen Gesetzen eine Volksbefragung (die Zahl der in Frage kommenden Befragungen wäre überschaubar), zweitens eine Kompetenzerweiterung auf Gesetze, die nicht zwingend in die Befugnisse der Länder eingreifen oder diesen Kosten verursachen, sondern auch auf Beschlüsse, für welche die Regierung bislang lediglich parlamentarische Zustimmung benötigte: Außenpolitik (z.B. Entsendung von Truppen), Übertragung von Befugnissen nach Brüssel und Gesetzesreformen (z.B. Arbeits-, Sozial- und Strafrecht). Zuletzt nicht nur aus Sparsamkeitsgründen: Zusammenlegungen von Bundesländern (Bremen zu Niedersachsen, Hamburg zu Schleswig-Holstein, Saarland zu Baden-Württemberg, Trennung des Landes Rheinland-Pfalz: Die Pfalz zu Baden-Württemberg, der rheinische Teil davon zu Hessen, Sachsen-Anhalt zu Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern zu Brandenburg und Berlin als Bundeshauptstadt unter bundesunmittelbarer Regierung: OB-Wahl ja, aber Regierungsdeputierter mit Veto-Recht, besonders in Haushaltsfragen).
#gottmensch statt #gutmensch

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Neben einer Reform des Rechtsstaats steht sicher einer Reform des Bundesstaats an.

Die vier Themen Kompetenzverlagerung, Länderfinanzausgleich, Reform des Bundesrats und Zusammenlegung von Bundesländern sind sicherlich dicke Bretter, also komplexe Strukturfragen, die nicht einfach zu lösen sind.

Reduktion von Komplexität ist ein Ziel von Subsidiarität. Statt dass also der Gesetzgeber alles regelt, delegiert er an die kleineren Einheiten die Lösung ihrer eigenen Probleme und überlässt den Bürgern weitgehend Freiheit. Das gilt auch für die rechtsstaatliche Konfliktregelung auf niedrigstem Niveau.

Eine Kompetenzverlagerung auf den Bund, Ersatz des Länderfinanzausgleichs durch Bundesmittel für bundesweite Aufgaben, Ersatz des Bundesrats durch Volksbefragungen ( die ohne Volksentscheid wirkungslos wären ) und eine Gebietsreform mit Aufsplitterung von Ländern sowie Schaffung einer eigenen Kommune unter Bundesaufsicht laufen der Reduktion von Komplexität und damit dem Subsidiaritätsprinzip entgegen. Eine solche Föderalismusreform würde im Rechtsstaat die oberen Instanzen noch stärker überlasten. Vor allem ist sie auf mittlere Sicht illusorisch.

Nicht illusorisch ist jedoch eine Refom des Rechtsstaats, die zunächst einmal beim Bewusstsein anfängt. Natürlich gibt es die Dauerfalschparker in der Nachbarschaft, die sich über den Rechtsstaat lustig machen. Aber man sollte sich nicht zu lange bei den Ausnahmen aufhalten, sondern die größere Gruppe der Vernünftigen erweitern.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Skizze zur Reform des Länderfinanzausgleichs

Die Länder finanzieren ihre Landesaufgaben. Der Bund finanziert seine Bundesaufgaben. Europa finanziert die Europaaufgaben. Soweit die Länder Bundesaufgaben übernehmen, leistet der Bund den über den Landesnutzen hinausgehenden Anteil. Soweit der Bund Europaaufgaben übernimmt, refinanziert er den europäischen Anteil aus europäischen Mitteln.

Der Bund gewährleistet durch den Länderfinanzausgleich in den Ländern gleichwertige Lebensverhältnisse. Diese werden finanziell bemessen durch einen Pro-Kopf-Durchschnitt der Einnahmen. Ziel des Länderfinanzausgleichs ist, in jedem Land gleichwertige Pro-Kopf-Einnahmen zu haben.

Die Einnahmen der Länder ergeben sich aus den Landessteuern, Bundeszuweisungen und aus der Kreditaufnahme. Bei der Einbeziehung der Kredite in die Berechnung der Lebensverhältnisse geht es um die tatsächlichen Einnahmen, die sich in einem ausgeglichenen Haushalt widerspiegeln. Ziel der Einbeziehung der Kredite ist die Regulierung der Haushaltsdisziplin über den Länderfinanzausgleich.

Normalerweise finanziert das Land nur so viele Aufgaben, wie es sich leisten kann. Das kann allerdings zu unterschiedlichen Lebensverhältnissen führen. Die Lücke zum Pro-Kopf-Bundesdurchschnitt wird durch den Länderfinanzausgleich gefüllt, wenn das Land die Möglichkeiten der eigenen Besteuerung ausgeschöpft hat. Nimmt das Land weitere Schulden auf, lebt es über seine Verhältnisse. Der Länderfinanzausgleich wird um diesen Anteil gekürzt, um den Bundesdurchschnitt wiederherzustellen. Sinken die Einnahmen eines Landes aufgrund einer regionalen Krisensituation, wird die Lücke durch den Länderfinanzausgleich bis zum Bundesdurchschnitt gefüllt. Bleiben die Länder im Bundesdurchschnitt mit ihren Pro-Kopf-Einnahmen, können sie diese subsidiar nach Belieben ausgeben.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Gleichwertige Lebensverhältnisse sind eine Vorgabe des Grundgesetzes. Diese lassen sich an den Pro-Kopf-Ausgaben ermessen. Im ausgeglichenen Haushalt entsprechen sie den Einnahmen. Die Einnahmen waren bisher relevant für den Länderfinanzausgleich. Künftig sollen die Gesamteinnahmen relevant sein. Diese entsprechen den Ausgaben. Stichprobenartig die Pro-Kopf-Ausgaben der Länder:

NRW 3595 Euro pro Kopf
Bayern 4112
Berlin 4324
Hessen 5593
Sachsen 4250
Bremen 20370

Es fällt auf, welches Land künftig keine Mittel aus dem Länderfinanzausgleich bekommt, bis zur Sanierung des Haushalts.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Zur Neugliederung der Bundesländer

Nach Art. 29 ist eine Neugliederung der Bundesländer möglich. Dafür ist ein Volksentscheid erforderlich. Der macht die Neugliederung kompliziert. Die Souveränität der Bundesländer gilt jedoch nur für den Kernbestand.

Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs können den Ländern Auflagen gemacht werden. Sie können zum Beispiel verpflichtet werden, sich mit den Nachbarländern abzustimmen: Berlin mit Brandenburg, Hamburg mit Schleswig-Holstein, Bremen mit Niedersachen. Die Nachbarschaftsverträge können zum Beispiel das Pendlerproblem durch finanzielle Ausgleichszahlungen lösen. Auch können kommissarisch Verwaltungsaufgaben übertragen werden.

Statt eine Neugliederung vorzunehmen, ist also eine niederschwellige Lösung anzustreben, zu der kein Volksentscheid erforderlich ist. Die pragmatische Lösung erfolgt bilateral auf Regierungsebene.

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overkott
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Re: Reform des Rechtsstaats

Beitrag von overkott »

Der grundsätzliche Reformansatz ist: so einfach, wie möglich.

Das bedeutet: Die richtige Einstellung kann formale Änderungen im Recht überflüssig machen. Politische Vereinbarungen können Gerichtsentscheidungen überflüssig machen. Gordische Knoten können durch höchstrichterliche Entscheidungen gelöst werden. Höchstrichterliche Entscheidungen sind möglichst zu vermeiden.

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