Zukunft von Währungsunion und Euro

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Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Man verschiebt die Probleme nur in die Zukunft und hofft darauf, daß sie dann verschwinden oder man selbst nicht mehr dafür verantwortlich gemacht wird.

Prof. Sinn: „Der Euro ist keine Erfolgsstory“
Selbst der größte Euro-Enthusiast muss zugeben, dass der Euro keine Erfolgsgeschichte war. Europa hat sich verhoben. Mit seiner Einschätzung „Die Währungsunion ist ein großer Irrtum, ein abenteuerliches, waghalsiges und verfehltes Ziel, das Europa nicht eint, sondern spaltet“ hatte der Ralf Dahrendorf leider recht.
Schwer zu sagen, wie es weitergeht. Mehr Schuldensozialisierung und Vergemeinschaftung von Risiken, sagen einige. Andere warnen, Europa fiele so noch tiefer in die Verantwortungslosigkeit und lädiere die Wirtschaft per Verfälschung des Kapitalmarkts weiter, was es sich angesichts des Wettbewerbs mit China sowie den USA und Russland nicht erlauben könne. Das dritte Jahrzehnt wird die Entscheidung bringen.
Der Wettbewerb mit den USA oder China ist doch schon verloren. Man schaue nur auf das Zukunftsfeld "Digitalisierung". Das wird beherrscht von den US-Firmen und nur die Chinesen sind in der Lage, hier etwas Ebenbürtiges zu schaffen.

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Italien will mehr Schulden machen und wundert sich, daß die Märkte entsprechend reagieren und die Zinsen für das Land erhöhen. Schuld sind natürlich nicht die ital. Politiker, Schuld ist die EU:
„Die Äußerungen und die Drohungen von Juncker und anderen europäischen Bürokraten lassen den Spread weiter steigen - mit dem Ziel, die Regierung und die Wirtschaft Italiens anzugreifen?“, erklärte Salvini am Dienstag auf Twitter. „Wir sind bereit, Schadenersatz zu verlangen“, fügte er hinzu.
https://www.krone.at/1781704

Der Abstand zwischen den als "sicher" geltenden 10jährigen deutschen Staatsanleihen und ihrem ital. Pendant hat sich innerhalb weniger Tage von 233 auf 290 Punkte erhöht. IT muß inzwischen knapp 3,3% zahlen während der Zinssatz für deutsche Anleihen nur bei knapp 0,5% liegt.

https://de.investing.com/rates-bonds/eu ... ment-bonds

Hier könnte sich für die EU (und den Euro) das nächste Problem zusammenbrauen - zumal der Brexit noch nicht geklärt ist.

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Der Euro macht schon wieder Stress
Jetzt ist es offensichtlich: Die Konstruktionsprobleme des Euros lassen sich nicht lösen, indem man Krisenherde mit Geld zuschüttet. Die Euro-Rettung, wie sie in Brüssel ersonnen wurde, verschiebt die Probleme nach hinten, anstatt sie zu lösen – und hat das Potential, sie sogar noch zu vergrößern.
In GR sind keine grundsätzlichen Reformen geschehen - auch weil diese dank der Gelder aus den "Hilfsprogramme", nicht als notwendig erachtet wurden.
IT scheint das nächste Problemfeld zu werden. Um die Wahlversprechen zu erfüllen, soll das Defizit über die vereinbarte Höhe wachsen. Wer zahlen soll, ist auch schon klar: Die Überschußländer - also vor allem D..

Italien fordert Anteil an deutschen Überschüssen

Wann kapiert man endlich, daß der Euro das Gegenteil von dem bewirkt, was seine Gründer bezwecken wollten? Anstatt die europ. Einigung zu vertiefen bringt er die Völker gegeneinander auf, denn wer in Nordeuropa will schon für den Süden zahlen? :achselzuck:

Demnächst werden wir einen neuen Akt sehen: Der Euro als Waffe gegen den US-Dollar, damit die EU sich künftig nicht mehr der US-amerikanischen (Sanktions-)Politik beugen muß. Der Euro soll als Handelswährung gestärkt werden.

SPD hinterfragt die Dollar-Dominanz im Rohstoffhandel

Allerdings:
Doch es ist faktisch unmöglich, den Euro kurzfristig zur Leitwährung aufzubauen. Die Euro-Krise hat Spuren hinterlassen. Hinzu kommt, dass der Dollar-Raum wesentlich mehr sichere Investitionsmöglichkeiten in Staatsanleihen bietet. Darum sei es an der Zeit, an einem Tabu zu rütteln, sagt SPD-Politiker Schmid: „Wenn wir den Euro stärken wollen, werden wir auch eine neue Diskussion über Euro-Bonds führen müssen.
(Hervorhebung von mir)

Genauso wird man dann die Schuldenvergemeinschaftung über Eurobonds der Öffentlichkeit verkaufen.

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Die deutsche Angst vor den Schulden der Anderen

Ein Artikel zu EDIS - der gemeinsamen europ. Einlagensicherung. Die Bundesregierung scheint ihren Widerstand wohl aufzugeben.
Die faulen Kredite in Bankbilanzen betrugen Ende 2017 rd. 760 Mrden €, der größte Teil entfällt auf Institute in Zypern, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, aber auch in F. stehen 135 Mrden € im Feuer (D = 55 Mrden €). Verständlich, daß die Südländer nach der gemeinsamen Einlagensicherung schreien - schließlich will man z.B. in IT jetzt erst einmal Wohltaten verteilen und hätte kein Geld, die Bankguthaben im Falle einer Pleite auszuzahlen. Da muß dann halt der reiche Vetter aus dem Norden ran....

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Nordeuropäer fordern schärfere Kriterien für Hilfskredite
Sie fordern nun unter anderem, dass der ESM künftig die Fähigkeit des betreffenden Landes prüfen müsse, einen Hilfskredit zurückzuzahlen, bevor ein Kreditprogramm beschlossen werde. Diese Prüfung müsse vor jeder Freigabe einzelner Kredittranchen im Verlauf des Programms wiederholt werden. Diese Forderung ergebe sich aus dem Prinzip, dass Kredithilfe nur unter strengen Bedingungen („Konditionalität“) gewährt werden dürfe. Es müsse sichergestellt werden, dass ein Land, dem ein Kredit gewährt werde, verantwortlich für seine Schulden bleibe.
Die zehn Länder betonen, dass die ESM-Analyse unabhängig vom Urteil anderer Institutionen, etwa des Internationalen Währungsfonds oder der EU-Kommission, durchgeführt werden müsse. Hinter dieser Forderung steckt offenbar die Erwartung, dass der ESM, der auf einem zwischenstaatlichen Vertrag der Eurostaaten beruht, die Kreditwürdigkeit eines Krisenlandes kritischer beurteile als beispielsweise die Kommission.
Interessant ist, wer nicht zu der Gruppe gehört:
Natürlich D. - unter Merkel war das nicht anders zu erwarten; aber auch Österreich (da wundert man sich angesichts des dort regierenden Kanzlers schon ein wenig) sowie Belgien und Luxemburg.
Die Pläne zielen vor allem auf IT. Die dortigen Zombie-Banken müssen u.U. mit Hilfe des Bankenabwicklungsfonds rekapitalisiert werden. Reichen dessen Mittel nicht aus um z.B. die Mindestgarantiesumme von 100T €/Sparer auszuzahlen, soll man künftig auf den ESM zurückgreifen können.

Mit dem niederl. MP Rutte hat die Gruppe als Sprecher auch ein pol. "Schwergewicht" gefunden, der auf Augenhöhe mit Scholz/Merkel & Co verhandeln kann. Die Zeiten, in denen Mrden-Bürgschaften uä in den Parlamenten widerspruchslos abgenickt wurden, scheinen wohl vorbei zu sein. :daumen-rauf: :klatsch:

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Prof. Sinn:

Die italienische Tragödie
Italiens Regierung erpresst im Schuldenstreit die EU. Das haben sich die Euro-Retter mit ihren vielen Hilfskrediten selbst eingebrockt.
Lt. Prof. Sinn gibt es vier Lösungsmöglichkeiten
- eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden, Einlagensicherung usw., bei denen im Endeffekt "die Steuerzahler der anderen Euroländer den Schuldnern Geld" schenken;
- Preis- (und damit auch) Lohnsenkungen in IT
- höherer Inflation in den nordeurop. Staaten
- vorübergehender Austritt aus dem Euro.

zum letzten Punkt schreibt Prof. Sinn:
Aber dadurch würden Frankreichs Banken, die in Italien etwa dreieinhalb Mal so stark exponiert sind wie die deutschen, schwer getroffen. Politisch käme dieser Schritt zudem einem Offenbarungseid der führenden Politiker Europas gleich. Und die Kapitalmärkte kämen in erhebliche Turbulenzen.
Ausgeschlossen sei dieser Weg jedoch nicht, denn IT mache sich bereits seit einiger Zeit Gedanken über die Einführung sog. "Mini-Bots".

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Hubertus
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Hubertus »

Schwierig, einen passenden Strang hierfür zu finden ...
Videobeschreibung (Auszug) hat geschrieben:Der Finanz- und Wirtschaftsexperte Dr. Markus Krall sprach im Landeshaus in Kiel über die Zukunft des Euro, die Gefahr eines drohenden Wirtschaftscrashs und darüber, welche Maßnahmen die Politik jetzt ergreifen müsste, um noch rechtzeitig gegenzusteuern.
Der eindrucksvolle, sehr informative, aber auch kurzweilige Vortrag dauert eine gute Stunde.


"Der Euro ist am Ende - wann kommt der Crash? (17.09.2019)"
Der Kult ist immer wichtiger als jede noch so gescheite Predigt. Die Objektivität des Kultes ist das Größte und das Wichtigste, was unsere Zeit braucht. Der Alte Ritus ist der größte Schatz der Kirche, ihr Notgepäck, ihre Arche Noah. (M. Mosebach)

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Ungarn ist zwar kein Mitglied des Euroverbundes, gleichwohl läßt diese Meinung des Gouverneurs der ungarischen Zentralbank in der Financial Times aufhorchen:

We need to admit the euro was a mistake
The common currency was not needed for European success stories before 1999 and the majority of eurozone member states did not benefit from it later. During the 2008 financial crisis and the 2011-12 eurozone economic crisis, most members were badly hit, having piled up huge government debts. There is no free lunch and cheap loans often cost a lot later.
(...)
The time has come to wake up from this harmful and fruitless dream. A good starting point would be to recognise that the single currency is a trap for practically all its members — for different reasons — not a gold mine. EU states, both in and outside the eurozone, should admit that the euro has been a strategic error.
https://www.ft.com/content/35b27568-f73 ... b3476c5ff0

Ungarn wäre verpflichtet, den Euro einzuführen. Damit ist wohl kaum zu rechnen, denn eine eigene Währung bietet viele Vorteile. Der Euro dagegen ist ein Gefängnis. Für die einen Länder zu schwach, für die anderen zu stark; die Zinsen sind für die Nordländer zu niedrig und können aufgrund der Situation der Südländer nicht erhöht werden.
Jedes Land verliert und der früher angepriesene Vorteil des Wegfalls der Umtauschkosten ist im Zeitalter des Internets, Geldautomaten, Kreditkarten und transferwise & Co nur noch minimal.

Dabei gibt es noch nicht einmal eine Ausstiegsklausel.....

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Jetzt ist er doch umgekippt:

Europäische Einlagensicherung: Olaf Scholz verrät die Sparer
Scholz schlägt ein europäisches Einlagensicherungssystem vor, das als Rückversicherung der nationalen Sicherungssysteme funktionieren soll. Die nationalen Systeme sollen Kredit über das europäische Rückversicherungssystem bekommen können. Damit wären die Einlagen italienischer oder griechischer Sparer mittelbar über das von deutschen Sparern mittelbar finanzierte deutsche Einlagensicherungssystem abgesichert.
(...)
Die Entwicklung ist eine weitere Vergemeinschaftung von Risiken in der Währungsunion. Mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM wurden 2012 die Schulden der Euro-Staaten zu einem guten Teil kollektiviert. Die europäische Einlagensicherung sozialisiert jetzt auch die Haftung für die Sparvermögen in Europa.
Insbesondere die Volksbanken und Sparkassen sind betroffen, denn ihre eigenen Sicherungssysteme haben bisher gut funkioniert und es besteht keine Notwendigkeit für eine "europäische" Lösung. Jetzt werden sie wohl in den gemeinsamen europ. Topf einzahlen müssen. Warum sollten sie doppelt zahlen? Ihre Ertragssituation ist aufgrund der Nullzinspolitik der EZB unter Draghi bereits sehr angespannt, eine Besserung ist auch unter der neuen Präsidentin nicht in Sicht. Wahrscheinlich wird man daher mittelfristig die Institutssicherung abbauen bzw. aufgeben - es gibt ja "Europa"... :patsch:

Generell wird damit ein Ausstieg für D. aus dem Euro immer schwieriger bis unmöglich - vermutlich das Ziel der Politik. Die Kosten wären zu hoch, vor ihnen fürchten sich die Bürger - und gleichzeitig steigt das Erpressungspotential von IT & Co. Wenn nicht mehr Geld in den Süden fließt, steigt man aus. Eine Parallelwährung ist bereits in Vorbereitung.
Man kann die bekannte Aussage von Daniel Stelter nicht oft genug wiederholen: "In einer überschuldeten Welt ist es kein Vorteil, zur Gruppe der Gläubiger zu gehören." :ja: :klatsch:

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Nicht die von den vier großen Euro-Staaten favorisierte Spanierin (als Vertreter der Südländer) sondern ein Ire wird der neue Eurogruppenchef.
Donohoe setzte sich gegen die spanische Wirtschaftsministerin Nadia Calvino durch, die als Favoritin galt. (...)
Der einflussreiche Posten wird jeweils für zweieinhalb Jahre vergeben. Die Eurogruppe ist ein informelles Gremium der Wirtschafts- und Finanzminister aus den 19 Staaten der Währungszone. Sie beraten normalerweise einmal im Monat und koordinieren sich in Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der oder die Vorsitzende gilt als einflussreicher Koordinator und Wortführer.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/irisc ... 9a5c67e3d6

Merkel hatte versucht, mit der Wahl der Spanierin verlorenes Vertrauen der Südländer wg. der Corona-Krise wieder aufzubauen. Das ist jetzt - ausgerechnet zu Beginn der deutschen Präsidentschaft - gescheitert. Die kleineren Staaten - vor allem aus dem Norden - nicken nicht mehr alles ab, worüber Berlin und Paris sich geeinigt haben. :klatsch:
Vernachlässigt haben sie, dass die EU nicht nur aus vier, sondern aus 27 Mitgliedstaaten besteht. Ihren Anspruch, die EU-Staaten nach der Pandemie wieder zusammenzuführen, werden sie so nicht einlösen können. Als ehrlicher europäischer Makler muss ein EU-Ratsvorsitz alle Länder im Blick behalten, nicht nur die vermeintlich wichtigsten.
(...)
Die Wahl hat in der EU erst einmal Vertrauen zerstört. Es mag wiederherstellbar sein. Die Voraussetzungen für die schwierigen Verhandlungen über den EU-Wiederaufbaufonds in der kommenden Woche sind aber sicher nicht besser geworden.
Zerstörtes Vertrauen

Die kleineren Staaten haben gezeigt, daß sie mitbestimmen wollen. Hoffentlich halten sie das auch durch, wenn über das "Wiederaufbau"programm in dreistellliger Mrden-Höhe abgestimmt wird. Sie haben sich dagegen ausgesprochen, die Mittel als nicht rückzahlbare Zuschüsse zu gewähren, sondern wollen allenfalls einer Kreditlösung zustimmen. Stellen sie sich auf die Hinterbeine, könnte Merkels Ratspräsidentschaft, von der sie sich einen Zustimmungsschub erhoffte, im Fiasko enden. Schließlich wurde der groß geplante EU-China-Gipfel schon abgesagt, Boris will sich auch nicht bzgl. eines Vertrages bewegen und wenn jetzt auch noch das "Wiederaufbau"programm zerredet wird, steht sie am Ende des Jahres mit leeren Händen da... :breitgrins:

Caviteño
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Re: Zukunft von Währungsunion und Euro

Beitrag von Caviteño »

Unter der Titel DAS GESPENST DER EURO-KRISE - Kampf gegen die Inflation - Weich, weicher - Euro (leider hinter einer Bezahlschranke) beschäftigt sich die Wirtschaftswoche sehr kritisch mit den Maßnahmen und den Möglichkeiten der EZB und der Bundesregierung. Zwar will oder muß die EZB die Zinsen erhöhen, um die grassierende Inflation in den Griff zu bekommen, jedoch riskiert sie dabei die Pleite der Südländer. Deswegen soll ein neues Instrument, ein Sicherheitsnetz, geschaffen werden.
Das neue „Antifragmentierungsprogramm“ soll daher ein Sicherheitsnetz für Anleger aufspannen und sie so ermuntern, sich weiter Anleihen von hoch verschuldeten Staaten ins Depot zu legen.
Beruhigend ist das nicht. Dass die EZB sich gezwungen sieht, noch vor der ersten Zinserhöhung über ein neues Notfallprogramm nachzudenken, offenbart die „fundamentale Schwäche der Währungs- und Schuldenunion, die in den vergangenen zehn Jahren durch die diversen Anleihekaufprogramme kaschiert worden ist“, kritisieren die Ökonomen der Warburg-Bank.
(...)
Gezielte Anleihekäufe, von denen vor allem die Südländer der Euro-Zone profitieren, schalten nicht nur den Wettbewerb der Länder am Kapitalmarkt aus. Sie verstoßen auch gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung.
Das hat bisher noch niemanden gestört und seitdem das BVerfG mit Merkel-Getreuen besetzt ist, sind die Chancen noch einmal gesunken, daß hier jemand einschreiten könnte. Es wird teuer für Deutschland - aber auch, weil der frühere Finanzminister und jetzige Bundeskanzler versagt hat:
Zumal Lindners Vorgänger Olaf Scholz es versäumt hat, die Schulden des Bundes in der Niedrigzinsphase auf langlaufende Anleihen umzustellen. Stattdessen nahm der Bund in den vergangenen beiden Jahren überproportional viele kurzfristige Schulden auf. So stieg das Volumen der einjährigen Schatzanweisungen um mehr als das Zehnfache auf 154 Milliarden Euro, das von zweijährigen Papieren um 29 Prozent auf 115 Milliarden Euro. Dagegen legte der Bestand an 30-jährigen Bundesanleihen nur um 20 Prozent auf 277 Milliarden Euro zu.
Klar - bei den kurzfristigen Schuldscheinen mußten die Gläubiger noch Geld zahlen, damit der Bund das Geld annahm. Trotzdem - jeder Häuslebauer hat in den letzten Jahren seine Hypotheken möglichst langfristig finanziert, weil es klar war, daß die Niedrigzinsphase nicht dauernd anhalten wird. Wer auf eine flexible Zinsklausel gewettet hat, darf sich jetzt nicht beschweren - aber zumindest verliert er das eigene Geld.

Leider ist zu befürchten, daß eine solche kritische Berichterstattung es nicht bis ins Fernsehen schafft - oder wenn, dann um 23:30 Uhr in einem Spartenprogramm. Am Mythos des Euros darf um keinen Preis gerüttelt werden, sonst könnten sich noch mehr Bundesbürger an die DM und ihre Aufwertung erinnern. Die wurden vom damaligen Wirtschafts- und Finanzminister als "Sozialdividende" dargestellt, weil importierte Produkte und Auslandsurlaube preiswerter wurden. Deswegen ist der Schlußsatz des Artikels besonders gelungen:
Der Euro – eine Weichwährung? Gedacht war er mal, um den Wohlstand auf dem Kontinent zu steigern.
Um die EU-Bürger zu bereichern. Tja.
Aber zum Glück gibt es noch immer eine ausreichende Anzahl von Zeitgenossen, die in "Europa" (hier: die EU) eine Hoffnung sehen - und die stirbt bekanntlich zuletzt. ;D

Warum eine starke Währung auch im Kampf gegen die Inflation hilft, ist in diesem Artikel aus der Schweiz gut dargestellt:

Kampf gegen Inflation: Ist bereits der «umgekehrte Währungskrieg» im Gang?

Man stelle sich einmal das Dilemma vieler Eurostaaten vor: Steigende Zinsen bei einer Staatsschuldenquote von über 100% und dann auch noch ein starker Euro, der die Exporte erschwert und die Wirtschaft einbrechen läßt. Da wird man doch lieber die Inflation wählen, denn vor allem die Deutschen legen in Sparbüchern und Versicherungen ihr Geld an - und die zahlen sowieso. :breitgrins:

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