Caviteno hat geschrieben:Wenn wirklich - wie einige Foranten hier annehmen - hier eine "ausgefeilte" Strategie westlicher Kräfte vorliegen sollte, die das Ziel hat(te), die Ukraine aus dem Einflußbereich Rußlands zu lösen, ist sie komplett gescheitert.
Ganz so "ausgefeilt" war die westliche Strategie ja wohl doch nicht, denn die Interessen und Methoden von EU und USA waren keineswegs einheitlich, sondern mindestens teilweise rivalisierend. Das zeigt schon der Inhalt des ersten bisher veröffentlichen Telefonats ("F..k the EU"). Gemeinsam war den beteiligten Strategen vor allem, dass sie das Ziel hatten, die Ukraine aus dem Einflussbereich Russlands zu lösen.
Beiden Interessengruppen scheint leider eines völlig entgangen zu sein, nämlich dass sich nicht ein einziges Problem der Ukraine dadurch lösen lässt, dass man einfach die begründete Unzufriedenheit großer Teile des Volkes ausnutzt, um mit Hilfe bewaffneter Banden sogenannte pro-russische durch sogenannte pro-westliche Oligarchen (oder Sportskanonen wie Klitschko) auszutauschen.
Eine weitaus stärkere und dauerhaftere Anbindung des ukrainischen Volkes an den Westen hätte man beispielsweise dadurch bewirken können, dass man den geschätzten ein bis zwei Millionen ukrainischen Gastarbeitern in Russland, deren in der Ukraine lebende Familien auf ihre monatlichen Geldsendungen dringend angewiesen sind, eine Arbeitsplatzperspektive im Westen eröffnet hätte. Oder indem westliche Firmen mit staatlicher Unterstützung eine Art Investitionsoffensive in der Ukraine gestartet hätten. (Das tun aber vor allem Russen und Chinesen.) Oder indem man Handelsschranken abgebaut hätte. Da solche Maßnahmen unrealistisch sind oder zu kompliziert und langsam erscheinen, hat man es eben vorgezogen, im medienwirksam inszenierten Handstreich die fremden, aber immerhin mehrheitlich gewählten Gangster einfach mal durch eigene Gangster zu ersetzen, denen anschließend in diesem tief gespaltenen, praktisch bankrotten und möglicherweise kurz vor einem Bürgerkrieg stehenden Land nichts Dringenderes einfällt, als Ukrainisch zur alleinigen Amtssprache zu deklarieren.
Caviteno hat geschrieben:Es macht geradezu Angst sich vorzustellen, über welche strategischen politischen Fähigkeiten die "politische Elite" des Westens verfügt....
Ja.
Caviteno hat geschrieben:Andererseits - man kann die Fragen nur wiederholen - warum hat die Regierung nicht bei den Demonstrationen sofort hart durchgegriffen? Ist es Zufall, daß sie nach Sotschi eskalierten?
Das ist und bleibt die Preisfrage. Wer jemals an Demonstrationen an wirklich neuralgischen und prestigeträchtigen Punkten in Deutschland (z.B. Heiligendamm 2008) teilgenommen hat, weiß, dass da auf jeden Fall schwerbewaffnete Polizeieinheiten, gepanzerte Polizeifahrzeuge und manchmal selbst Kampfflugzeuge der Bundesluftwaffe mit Infrarotsuchgeräten auftauchen, um jede Bewegung am Boden zentimetergenau zu verfolgen. Allein den bloßen Versuch, dort als Demonstrant eine Waffe zu ziehen und zu gebrauchen, würde ich vermutlich nicht überleben. (Das alles betrifft natürlich nicht die alljährliche Chaotenrandale in Innenstädten und Wohnvierteln, dort werden nur normale Bürger geschädigt, und die Polizei betreibt deshalb vorwiegend "Deeskalation". Anschließend dürfen die Anwohner dann die Trümmer zusammenfegen.)
So einen "Machtwechsel" kann ich mir jedenfalls weder in den USA noch in einem beliebigen Staat der EU vorstellen, selbst wenn hier die zehnfache Menge an normalen Demonstranten und organisierten Schlägertrupps aufmarschieren würde. Allein die Vorstellung, dass so etwas überhaupt möglich ist, erscheint mir naiv.
Caviteno hat geschrieben:Hat Moskau hier auch dem Westen eine Lektion erteilt, wie Realpolitik heute gemacht wird?
Ich schätze mal, das war's noch lange nicht und die eigentliche Lektion kommt erst noch. Mal sehen, ob es dem Volk der (Rest-)Ukraine unter westlichem Einfluss bald wesentlich besser gehen wird, vor allem auch materiell, als unter russischem Einfluss. Und was die Ukrainer wohl tun werden, falls nicht.