Wie viel Freiheit hat der Mensch?

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Petra
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Wie viel Freiheit hat der Mensch?

Beitrag von Petra »

Wie viel Freiheit hat der Mensch?

Morgen beginnt der Prozeß gegen einen Kannibalen.

In Internetchats hat er jemanden kennen gelernt, der sich gerne aufessen lassen wollte. Er selbst wollte jemanden aufessen. Bekanntlich haben es die zwei durchgezogen. (In der Berichterstattung war von sexuellen Bedürfnissen die Rede, aber das kann Mediengequassel sein.) Der Angeklagte plädiert auf Beihilfe zur Selbsttötung. Da ist die Bestrafung relativ gering, ca. ein halbes Jahr. Andere meinen, er würde lebenslang in der Psychiatrie leben müssen. – Alle sind sich darin einig: Der Ausgang des Verfahrens ist noch völlig unklar, quasi ist alles möglich.

Sollte ein Mensch das Recht haben sich selbst, egal auf welche Weise und mit welcher Begründung auch immer, umbringen zu dürfen? Oder müsste es dafür im Rechtstaat Regeln geben? – Die katholische Position ist mir bekannt, davon sei hier nicht die Rede. Sondern darum, was darf ein Mensch mit seinem Leben, seinem Körper, alles anfangen, um noch damit vor dem Gesetz durchzukommen? Was kann im Rahmen des normalen menschlichen Empfindens noch genehmigt werden? (Der Fall ist sicher außergewöhnlich, aber es gibt weniger spektakuläre, die dann auch nicht so einschlägig berichtet werden. Z.B. im Bereich der Computerforschung versuchen einige Leute, sich elektronische Implantate einoperieren zu lassen, um zu testen, was sich bei ihnen verändert.)

Was meint ihr dazu?

anselm
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Beitrag von anselm »

Die erste Nachricht von dem Kannibalen (vor 7 oder 8 Monaten?) hatte mich stark schockiert. Sowohl aus der Perspektive des "Opfers" als auch des Täters finde ich die Vorstellung wie einen Alptraum.

Normalerweise würde ich dir als Antwort auf deine Frage mitteilen "jeder soll mit seinem Körper machen was er/sie will, solange dadurch nicht die Rechte anderer Menschen beeinträchtigt werden".

Ausgehend von diesem Fall sollte man auch die Wirkungen solcher Taten auf andere (z.B: deren Einstellung zu ethische gerechtfertigtem Handeln) ganz stark in Betracht ziehen. Ich kann mir vorstellen, dass ein solcher Fall, wenn er nicht ganz streng geahndet wird, das "ethische Weltbild" vieler Menschen nachhaltig beeinträchtigt.

Vielleicht kann man auch definieren, dass jeder Mensch ein Recht auf eine "unversehrte Psyche" hat, ohne ständig Gefahr zu laufen, dass das "sittliche Weltbild" massiven Bedrohungen ausgesetzt ist.

=> der Kannibale ist ein klarer Fall für die geschlossene Anstalt.

Petra
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Beitrag von Petra »

Hallo Anselm!
anselm hat geschrieben: Ausgehend von diesem Fall sollte man auch die Wirkungen solcher Taten auf andere (z.B: deren Einstellung zu ethische gerechtfertigtem Handeln) ganz stark in Betracht ziehen. Ich kann mir vorstellen, dass ein solcher Fall, wenn er nicht ganz streng geahndet wird, das "ethische Weltbild" vieler Menschen nachhaltig beeinträchtigt.
Verstehe ich jetzt nicht, was damit genau gemeint ist. :/
Vielleicht kann man auch definieren, dass jeder Mensch ein Recht auf eine "unversehrte Psyche" hat, ohne ständig Gefahr zu laufen, dass das "sittliche Weltbild" massiven Bedrohungen ausgesetzt ist.
Wie soll man denn "unversehrte Psyche" definieren. Das wären dann doch 3 Leute = 3 Definitionen. In einer Gesellschaft, die glaubt das Recht haben zu können, Babys zu töten, nur weil sie nicht dem " körperlichen Gesundheitsideal" entsprechen. Da ist es mit der Psyche noch schwieriger.
=> der Kannibale ist ein klarer Fall für die geschlossene Anstalt.
Tja gut, wer sagt das nicht. Nur bleibt die Frage: Mit welcher Begründung? Er tat nichts gegen den Willen eines anderen, das scheint bewiesen. Gibt es eine Rechtsgrundlage, die besagt, wer "sowas" macht hat sie nicht alle und muss daher in die Geschlossene? Habe keine Ahnung.

Gruß
Petra

Gast

Beitrag von Gast »

Petra hat geschrieben:Gibt es eine Rechtsgrundlage, die besagt, wer "sowas" macht hat sie nicht alle und muss daher in die Geschlossene? Habe keine Ahnung.
Es gibt anscheinend keine Rechtsgrundlage, ihn wegen Kannibalismus zu verurteilen, wohl aber wegen Tötung auf Verlangen (dafür plädiert ja auch der Verteidiger). Anscheinend hielt man Kannibalismus in unserern Breiten für derart unmöglich, dass keiner daran gedacht hat, dass sich ein Gericht mal würde damit beschäftigen müssen.
Und eine Rechtsgrundlage, um ihn in die Psychiatrie zu stecken, gibt es erst, wenn ein Psychiater ein entsprechendes Gutachten abgegeben hat. Aber was da dann drinstehen muss, weiss ich auch nicht...

Margarete

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Kannibalische Gelüste sind eindeutig unter die im StGB als Tatbestandsmerkmal des Mordes aufgeführten „niederen Motive“ zu subsumieren. Somit ist es Mord.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
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Petra
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Beitrag von Petra »

Mit welcher Begründung sind denn nun kannibalische Gelüste ein Strafbestand? Darum gehts doch, warum darf ich niemanden aufessen, der von mir aufgefuttert werden will? Was das deutsche Recht als Grundlage dieser Beschneidung meiner bürgerlichen Freiheiten angibt, das würde mich mal interessieren. ;)
(Bitte keine Erklärung des christlichen Standpunktes, der ist mir bekannt.)

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ketelhohn hat geschrieben:Kannibalische Gelüste sind eindeutig unter die im StGB als Tatbestandsmerkmal des Mordes aufgeführten „niederen Motive“ zu subsumieren. Somit ist es Mord.
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Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Petra hat geschrieben:Mit welcher Begründung sind denn nun kannibalische Gelüste ein Strafbestand? Darum gehts doch, warum darf ich niemanden aufessen, der von mir aufgefuttert werden will? Was das deutsche Recht als Grundlage dieser Beschneidung meiner bürgerlichen Freiheiten angibt, das würde mich mal interessieren. ;)
(Bitte keine Erklärung des christlichen Standpunktes, der ist mir bekannt.)
Grüß Petra,
ist diese Frage wirklich ernst gemeint? Die Tatsache, dass jemand was will und der andere das gleiche will und somit es auch getan wird, ist ja keine Begründung dafür, dass es auch okay ist. Mit diesem Argument wird heutzutage vieles betrieben, was abgrundtief schlecht ist. Zweitens ist Kannibalismus ja nicht umsonst tabusiert - dies ist aber eine andere Diskussion, die ins anthroposophische und kulturhistorische führt.

Meiner Meinung nach handelt es ja hier eine tiefstgreifende psychische Störung und der Mann gehört in psychiatrische Verwahrung.

Tja, wenn ich daran denke, wie viele Menschen die Hannibal-Lecter-Filme sich reinziehen . . .

Gruß
Geronimo

Petra
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Beitrag von Petra »

Hallo Geronimo,
Geronimo hat geschrieben:Die Tatsache, dass jemand was will und der andere das gleiche will und somit es auch getan wird, ist ja keine Begründung dafür, dass es auch okay ist. Mit diesem Argument wird heutzutage vieles betrieben, was abgrundtief schlecht ist.
Eben drum. Die staatliche Rechtsgrundlage bezieht sich ja nicht auf den Willen Gottes. Und das Argument „wenn zwei etwas wollen, dann ist es ok und niemand darf es ihnen verbieten, solange nicht andere geschädigt werden“ habe ich von Nichtgläubigen und auch Christen so oft gehört, dass mir beim Thema Kannibalismus ihre Stellungnahme fehlt. Ist das auch noch ok, und wenn nicht, warum nicht?
Zweitens ist Kannibalismus ja nicht umsonst tabusiert - dies ist aber eine andere Diskussion, die ins anthroposophische und kulturhistorische führt.
Ja bitte, das möchte ich hören, bzw. lesen. (Mal gleich nachschauen, was anthroposophisch bedeutet.) Warum ist Kannibalismus tabuisiert?

Den Film „Schweigen der Lämmer“ kenn’ ich nicht, das war dann wohl ein Serienkiller, der seine Opfer aufgegessen hat? Hab wirklich keine Ahnung.

Lieben Gruß
Petra

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst, Petra. Das primäre Delikt war die Tötung eines Menschen. Zweck war, den Leichnam des Opfers zu verspeisen. Da Kannibalismus bei uns in der Tat – trotz in vielen Dingen katastrophalen sittlichen Verfalls – noch als „Tabu“ gilt, bin ich sicher, daß das Gericht das Motiv des Täters als „niederen Beweggrund“ einordnen wird. Damit ist das Tatbestandsmerkmal des Mordes erfüllt, eine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen scheidet also aus.

Wobei ich vermute, daß es den Westerwellen dieses Landes durchaus recht wäre, würde auch dies Tabu aufgebrochen. Die einschlägigen „Philosophen“ wie Volker Gerhardt, Peter Singer oder Norbert Hoerster werden ja hofiert. Vielleicht wird es mit einer politisch korrekten Sprachregelung beginnen. Man könnte etwa die Kannibalen fortan „Philanthropen“ nennen. Die totalitäre Medienmaschine wird das schnell in die hohlen Köpfe bringen. Dann könnte man auch die Rückstände aus Spätabtreibungen gewinnbringend in den Feinkosthandel bringen.

Aber noch sind wir nicht ganz so weit. Diesmal wird der Kannibale noch verurteilt werden.

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Anthroposophisch nennt sich die Steiner-Sekte. Geronimo, der alte Apatsche, meinte aber gewiß: „anthropologisch“.
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Petra
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Beitrag von Petra »

Robert, du sprichst es in deinem letzten Beitrag selber an: es ist ein Tabu, das auch Gefahr läuft zu verschwinden.
Eigentlich kann man die Frage, so wie von mir gestellt, nur mit Nichtgläubigen diskutieren. Von denen scheint hier aber niemand abzuhängen. Deshalb gebe ich jetzt mal Ruh', ähm in diesem Thread Ruh'. ;)

Geronimo

Beitrag von Geronimo »

Ketelhohn hat geschrieben:Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst, Petra. Das primäre Delikt war die Tötung eines Menschen. ,

Anthroposophisch nennt sich die Steiner-Sekte. Geronimo, der alte Apatsche, meinte aber gewiß: „anthropologisch“.
Ja, schau, das kommt dabei raus, wenn man so am morgen geistreich sein will ;-)))
Geronimo

Lucia

Beitrag von Lucia »

Petra hat geschrieben:Mit welcher Begründung sind denn nun kannibalische Gelüste ein Strafbestand? Darum gehts doch, warum darf ich niemanden aufessen, der von mir aufgefuttert werden will?
Ähm, die Gelüste allein sind kein Straftatbestand - erst die Umsetzung in die Tat. Du kämest auch in arge Beweisnöte, wenn Du die reine Absicht strafen wolltest.

Mal ein Beispiel:
Plane einen Bankraub, mit allem Drum und Dran; und dann machst Du Dir an der Eingangstüre vor lauter Angst in die Hosen, machst kehrt, um gewisse Reinigungsarbeiten vorzunehmen - dann kann Dir kein Gericht der Welt deswegen irgendetwas tun ... (auch wenn Du "ansonsten" vielleicht den Kassierer gemordet hättest).

Stefan

Beitrag von Stefan »

Der Versuch ist aber strafbar. Das heisst, mit bereits begonnener Straftat (und der entsprechenden Absicht) bist Du dran. Auch mit voller Hose.

Stefan

Beitrag von Stefan »

Sollte ein Mensch das Recht haben sich selbst, egal auf welche Weise und mit welcher Begründung auch immer, umbringen zu dürfen?...
Darum gehts doch, warum darf ich niemanden aufessen, der von mir aufgefuttert werden will?
Jedes Rechtssystem hat einen übergeordneten Ehrencodex. Bei uns: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - daraus leiten sich in der Folge Mordverbote und Strafen her. Gewiß ist dem Staat die Selbsttötung egal, weil er den Selbstmörder kaum noch rechtlich belangen kann (außer wenns schief geht). Kannibalismus hingegen ist nach unserem Rechtsempfinden mit der Würde des Menschen unvereinbar.
Wenn die Frage aber an die Ränder verlegt wird (Grenzfälle), dann wird es recht schwierig, das Rechtsempfinden zu erkennen. Es unterliegt einer gewissen Willkür (oder Argumentations- und Stimmungshoheit).

Petra
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Beitrag von Petra »

Ah, endlich fühl ich mir mal verstanden. Würde des Menschen also. Da fällt bestimmt auch drunter, dass man keine Toten aufessen darf, oder? - Also ich brings für mich einfach nicht zusammen, dass man tote oder sichselbstmordende Leute vom Gesetz her stärker schützen will mit diesem "Würde-Grundsatz" als Lebende, oder diejenigen, welche ihr Leben noch vor sich haben. - Irgendwie schräg. :nein:

Stefan

Beitrag von Stefan »

Petra hat geschrieben:Ah, endlich fühl ich mir mal verstanden. Würde des Menschen also. Da fällt bestimmt auch drunter, dass man keine Toten aufessen darf, oder? - Also ich brings für mich einfach nicht zusammen, dass man tote oder sichselbstmordende Leute vom Gesetz her stärker schützen will mit diesem "Würde-Grundsatz" als Lebende, oder diejenigen, welche ihr Leben noch vor sich haben. - Irgendwie schräg. :nein:
Schräg deswegen, weil es dem Rechtswesen am objektiven Fundament zu fehlen scheint. Einerseits ist es so, daß der Beginn des Menschseins in Frage gestellt wird und damit die Rechtsfolgen. Das geht soweit, daß einzelnen "Ethiker" gar geborenem Leben das Lebensrecht absprechen wollen, wenn es bestimmte Kriterien nicht erfüllt. Anderseits bewertet unser Rechtssystem eine Leiche als Sache (und nicht mehr als Mensch). Allerdings mißt der Gesetzgeber auch Toten gewissen Schutz zu, die Begründungen werden aber in der Regel dem Religiösen entnommen.

Schräg ist wirklich, daß es augenscheinlich Nichtreligiösen nicht gelingt, eine objektive nachvollziehbare Ethik mit gesicherten Fundamenten auf die Beine zu stellen - was in der Folge eine Erosion der christlichen Werte zur Folge hat. Am Ende steht eine willkürliche Definition von Würde und Mensch. Das ist leider keine Polemik, sondern belegbare Tatsache.

(Hinzu kommt ein bemerkenswertes Mißtrauen gegenüber dem Begriff Fundament, wie wir wissen :| )

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