Kapitalismus mit Gewissen

Aktuelle Themen aus Politik, Gesellschaft, Weltgeschehen.
Stefan

Kapitalismus mit Gewissen

Beitrag von Stefan »

Quelle: http://www.zenit.org
Gespür für soziale Verantwortung der Unternehmen gewinnt an Boden

NEW YORK, den 29. Nov. 2003 (ZENIT.org).-Ein Thema von wachsender Bedeutung im Bereich ‚Ethik im Geschäftsleben' ist das Konzept der ,sozialen Verantwortung der Unternehmen’ Sowohl internationale Organisationen als auch die öffentliche Meinung fordern zunehmend, dass private Unternehmen sich in stärkerem Maße verpflichten, das Wohl der Gemeinschaften zu fördern, in denen sie tätig sind.

Auf globaler Ebene wird dies durch den Globalpakt der Vereinten Nationen gefördert. Im Juli 2000 begonnen, sucht die Initiative “verantwortungsbewusstes soziales Engagement der Unternehmen” zu fördern. Im Rahmen des Globalpakts werden Firmen dazu aufgefordert, sich bei ihrer Unternehmenstätigkeit an neun Prinzipien zu halten. Die Prinzipien sind in drei Abschnitte unterteilt:

Menschenrechte

1. Unternehmen sollten innerhalb ihres Einflussbereiches den Schutz international verkündeter Menschenrechte unterstützen und selbst achten.
2. Sie sollten sich vergewissern, dass sie nicht an der Verletzung von Menschenrechten mitwirken.

Arbeitsnormen

3. Unternehmen sollten die Vereinigungsfreiheit und die wirksame Anerkennung des Rechts auf Tarifverhandlungen unterstützen
4. Eliminierung aller Formen von aufgezwungenen, unzumutbaren Tätigkeiten.
5. Tatsächliche Abschaffung von Kinderarbeit.
6. Beseitigung der Diskriminierung hinsichtlich Beschäftigung und Berufstätigkeit.

Umwelt

7. Unternehmen sollten eine vorausschauende Einstellung zum Umweltschutz unterstützen.
8. Sie sollten Initiativen ergreifen, um die Verantwortung für die Umwelt zu fördern.
9. Sie sollten die Entwicklung und Verbreitung von umweltfreundlichen Technologien unterstützen.

Der Globalpakt steht und fällt mit der freiwilligen Beachtung seiner Prinzipien; seine Organisationsstruktur ist die eines Netzes, das aus einer Anzahl von UN-Gremien besteht. Regierungen, Wirtschaftsunternehmen, Arbeitnehmervereinigungen und auch Nicht-Regierungsorganisationen sind daran beteiligt. Zu den jüngsten Aktivitäten, die vom Globalpakt organisiert wurden, zählen Konferenzen in Spanien und Deutschland, an denen viele Vertreter von Unternehmen, Regierungen und der Zivilgesellschaft teilnahmen.

Ein Artikel von Peter Utting in der ersten Nummer der Zeitschrift “UN-Chronik” dieses Jahres (2003) analysierte den bisherigen Erfolg dieser Initiative. Utting, leitender Forschungskoordinator am ‚UN-Forschungsinstitut für gesellschaftliche Entwicklung‘ (UNRISD), stellte fest, dass die Befürworter diese Initiative “als einen innovativen und pragmatischen Schritt,” betrachten, “der die Unternehmenskultur durch die Übermittlung neuer Werte reformieren und Ressourcen von Seiten der Großindustrie für eine soziale, nachhaltige Entwicklung mobilisieren kann.” Bei dieser Sicht haben Zusammenarbeit und freiwillige Beachtung der Prinzipien Vorrang gegenüber einem schwerfälligeren Regulierungsverfahren.

Kritiker befürchten jedoch, dass “es (das Vorgehen) mehr dazu dienen könnte, den Ruf der Großindustrie zu verbessern als der Umwelt und bedürftigen Menschen zu helfen. Nicht nur hätten die Unternehmen freie Hand, sich aus den Prinzipien die auszusuchen, auf die sie sich konzentrieren wollen, sondern es gebe auch nur wenig Kontrolle darüber, inwieweit die Unternehmen sich (überhaupt) an die Prinzipien halten.

Abschließend meint Utting, dass der Globalpakt trotz seiner Schwächen und begrenzten Erfolgen bislang ein nützliches Forum bietet, auf dem Fragen über soziale Gerechtigkeit und Entwicklung angesprochen werden können.

UN-Generalsekretär Kofi Annan sieht dies auch so. In einer Rede vom 7. Oktober erklärte er: “Der Pakt ist kein Verhaltenskodex. Er ist lediglich eine Plattform, eine Arena, ein Rahmen für Zusammenarbeit und gegenseitiges Lernen. Er sucht Lösungen für gesellschaftliche Probleme und bietet zugleich Gewähr dafür, dass die Märkte offen bleiben und die Globalisierung für alle Menschen wirksam nutzbar wird."

Die Reaktion der Unternehmen

Die Anwendung dieser Prinzipien in einzelnen Unternehmen ist viel komplexer. Dies zeigt ein Anfang dieses Jahres veröffentlichtes Buch. Daniel Litvin untersucht in “Empires of Profit (Weltreiche des Profits): Kommerz, Eroberung und verantwortungsbewusstes soziales Engagement von Unternehmen", eine Anzahl von Fallstudien, die von Beispielen aus Indien im 19. Jahrhundert bis zu solchen der heutigen Zeit reichen.

Litvin, ein Berater und Schriftsteller über Probleme der Wirtschaftswissenschaften, zeigt auf, wie die feindselige Reaktion auf einige Aspekte der Globalisierung die Unternehmer gezwungen hat, auf Kritiken ihrer Geschäftspraktiken zu antworten. Die unter der Überschrift ‚soziale Verantwortung von Unternehmen‘ formulierte Antwort umfasst einen weiten Bereich von Aktivitäten, die von der Veröffentlichung von Unternehmensregeln und der Praxis der Rechnungsprüfung von Unternehmen bis zu ‚Public Relations-Kampagnen‘ (Kampagnen zur Steigerung des guten Rufs eines Unternehmens) reichen.

Er stellt fest, dass eine Schwierigkeit auf dem Gebiet sozialer Verantwortung von Unternehmen darin besteht, dass die mitwirkenden Faktoren zu den verschiedensten Bereichen gehören. Menschenrechte, Arbeitnehmerinteressen und die Umwelt sind nur einige der Gebiete, die zu Konflikten zwischen Unternehmen, der örtlichen Bevölkerung und den Regierungen führen. Ethnische Konflikte in den Zonen, in denen Firmen tätig sind; Konflikte über die Verteilung wirtschaftlicher Hilfsmittel; Uneinigkeit mit der jeweiligen Regierung -- all dies kann Proteste gegen die Arbeitsweise eines Unternehmens hervorrufen.

Ebenso können auch scheinbar positive Schritte zur Umsetzung ethischer Prinzipien ihre Nachteile haben. Als Beispiel führt Litvin Proteste von US-Verbraucher-Aktivisten an, die Fabrikarbeiter in Bangladesch dazu veranlassten, der Beschäftigung von etwa 50.000 Kinderarbeitern unter 14 Jahren Einhalt zu gebieten. Auf Grund der Armut ihrer Familien waren diese Kinder danach gezwungen, andere Arbeit unter viel härteren Bedingungen zu suchen.

Litvin zieht das Resümee: Seine Falluntersuchungen zeigen ein zweifaches Problem. Erstens sind in vielen Fällen die sozialen Probleme, mit denen die Unternehmen konfrontiert waren, zu komplex, als dass sie mit ihnen fertig werden konnten. Zweitens haben, so Litvin wörtlich, “ sich die Unternehmensriesen als eine besonders schwerfällige und ungeschickte Brut erwiesen."

Zur Verbesserung der Verhältnisse, empfiehlt er einerseits den Unternehmen eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Komplexität der zu Grunde liegenden Situationen, mit denen Unternehmen zu tun haben; und den Regierungen andrerseits, sowohl den westlichen als auch den Gastgeberregierungen, dem sozialen und gesellschaftlichen Kontext, in dem Investitionsentscheidungen getroffen werden sollen, mehr Bedeutung beizumessen.

Profite oder Menschen?

Eine andere Perspektive zu dem Problem zeigt John Stapleford auf, Professor für Wirtschaftsentwicklung am Eastern College in Pennsylvania. In seinem Buch aus dem Jahr 2002, “Bullen, Bären und goldene Kälber bei der Anwendung christlicher Ethik in der Ökonomie", widmet Stapleford ein Kapitel der sozialen Verantwortung.

Ein erheblicher Teil der Wirtschaftstheorie, stellt er fest, geht davon aus, dass die Profitmaximierung das Hauptziel im Geschäftsleben sei: Wenn ein Unternehmen langfristig keinen Profit mache, werde es seine Tore schließen. Außerdem leisteten Unternehmen schon dadurch einen substanziellen Beitrag zum Gemeinwohl, dass sie ihre Güter erzeugen und Dienste leisten und Arbeitsplätze schaffen.

Aber, so fährt er fort, wir leben in einer gefallenen Welt, in der oft Egoismus, Habgier und Ungerechtigkeit auftreten. Außerdem sind nicht alle Methoden, die angewendet werden, um Profite zu maximieren, ethisch annehmbar. Selbst am Buchstaben des Gesetzes festzuhalten ist manchmal nicht genug, da einige Gesetze ungerechterweise soziale Ungerechtigkeiten billigen.

Stapleford gibt eine Reihe von Empfehlungen. Er befürwortet ein System des freien Marktes, weil die Existenz von Konkurrenten einen starken Einfluss darauf hat, dass Unternehmen ehrlich bleiben. Er ermutigt auch die Christen, ihren Glauben bei ihrer Arbeit zu praktizieren, besonders wenn sie Managemententscheidungen beeinflussen können. Er unterstützt ferner die Durchsetzung von Regierungsvorschriften, die tatsächlich ihre erwünschte Wirkung erreichen.

In den meisten Fällen hebt Stapleford die Verantwortung des Einzelnen bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen hervor. Ob Angestellter, Manager oder Kunde, jeder von uns muss bereit sein, auf unethische Handlungen und Entscheidungen in Geschäftsangelegenheiten zu reagieren, sagt er. Dies bedeutet, dass wir sowohl gut informiert sein als auch unseren christlichen Glauben aktiv leben müssen.

Der Katechismus der Katholischen Kirche stellt in Nr. 2432 fest, dass Gewinne notwendig sind: “Sie ermöglichen Investitionen, die die Zukunft des Unternehmens und die Arbeitsplätze sichern.”

In Nr. 2426 heißt es jedoch: “Das wirtschaftliche Leben ist nicht allein dazu da, die Produktionsgüter zu vervielfachen und den Gewinn oder die Macht zu steigern; es soll in erster Linie im Dienst der Menschen stehen: des ganzen Menschen und der gesamten menschlichen Gemeinschaft.” Die wirtschaftliche Tätigkeit ist -- wenngleich gemäß ihren eigenen Methoden -- “im Rahmen der sittlichen Ordnung und der sozialen Gerechtigkeit so auszuüben, dass sie dem entspricht, was Gott mit dem Menschen vorhat.” Größere Aufmerksamkeit der Unternehmen für soziale Verpflichtungen ist Teil der Erfüllung dieses Planes.


ZGP03122001

anselm
Beiträge: 370
Registriert: Samstag 1. November 2003, 17:53

Beitrag von anselm »

@ Stefan, das ist ein sehr interessanter Text. Ich beobachte auch schon seit einiger Zeit, dass es eine wachsende Bewegung in Richtung verantwortlichem Wirtschaften gibt. Auch im Bereich der Kapitalmärkte, z.B. gibt es inzwischen zahlreiche Investmentfonds, die speziell in Unternehmen investieren, die sich an bestimmte ethische Standards halten. Ich halte das auch für sehr begrüßenswert.

Allerdings sehe ich (mindestent) 3 Fragen, die ich bislang noch nicht lösen konnte:

- auf welche Mindeststandards wird bzw. soll sich ethisches Unternehmertum festlegen lassen? (es gibt inzwischen ein weites Spektrum, mit allerdings größeren Überschneidungen: christlich, islamisch, von der Umweltbewegung ausgehend, ...)

- wer wird für die Einhaltung solcher Standards sorgen? Der Markt bzw. die Investoren?, eher nein, dazu ist diese Bewegung noch viel zu unbedeutend.

- Welche Rolle könnte die Kirche bei einer Durchsetzung solcher ethischer Standards im Wirtschaftsleben spielen und wie könnte sie diese Standards durchsetzen? Bislang, so scheint es mir jedenfalls, spielt die Kirche zwar eine gewisse Rolle über Erklärungen, Enzykliken, etc., aber dagegen kaum im Wirtschaftsleben.

Stefan

Beitrag von Stefan »

@anselm,

Der erste Schritt besteht m.E. darin, daß der Staat den Weg verläßt, seine Steuerungsmöglichkeiten auf monetäre Größen zu reduzieren. Sicher ist es einfach, über meßbare Größen Verhalten der Bürger zu steuern (Subventionen/Strafzölle). Damit aber gibt er letztlich ein Handeln aus ethischer Verantwortung preis; einziger Bewertungsmaßstab ist die monetäre Größe, die Folge sind Umgehungsstrategien.

Der Staat sollte sich so weit wie möglich aus der monetären Steuerung der Wirtschaft heraushalten und stattdessen ethisch bedenkliche Verhaltensweisen genauer definieren, kontrollieren und stärker unter Strafe stellen (wie auch immer diese aussehen mag). Ein gangbarer Weg wäre die Lizenzierung des Rechts auf Unternehmertum, welches auch entzogen werden kann.

Die Rolle der Kirche kann die einer beratenden Instanz sein: Eine stärkere Einbindung von zugelassenen Theologen, sozusagen ein Ältestenrat, im Gesetzgebungsverfahren, eine Modernisierung der Kirche dahingehend, daß sie gezielt und massiv Unternehmen in ethischen Fragen berät. Das geschieht heute bereits rudimentär und neulich spottete hier jemand über die Verwunderung mancher Manager, die nach einer Beratung durch monasterische Kreise überrascht feststellten, mit welch einfachen, aber jahrhundertealten "Weisheiten" der Erfolg des Unternehmens gesteigert werden kann (und wenn es nur eine Umsetzung der evangelischen Räte wäre).

Wenn ich es überspitzt formuliere: Ersatz der Betriebsräte durch den Unternehmensseelsorger :ja:

(war das jetzt zu visionär?)

Benutzeravatar
otto
Beiträge: 535
Registriert: Sonntag 5. Oktober 2003, 13:48

Beitrag von otto »

Stefan, visionär Ja,
aber ein wichtiger Schritt nach vorne, nur wer will ihn mit uns gehen?
"Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach." Matthäus 16,24

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26021
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Ich bin gegen solchen Ethizismus.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema