Fand diese am Ende nur noch traurige Geschichte eines Ausgetretenen. Der Artikel lässt viele Fragen, die sich hier aufdrängen offen, z.B. ob der Ex-Mönch Ordenspriester war.
"Ein ehemaliger Mönch sucht neue Arbeit"
von Erik Heier
Es ist wie so häufig. Er sucht nach Sinn. Nach seinem eigenen Weg. In sich fühlt er viel Ehrgeiz. Nur weiß er nicht so richtig, wohin damit.
Gerade ist Frank Fuhgs Sinnsuche ganz eng umrissen. Ein neuer Job. In einer Internet-Stellenbörse trug er bei der Frage nach "relevanter Berufserfahrung" ein: "Mehr als zehn Jahre." Beim Arbeitsamt war er noch nicht. Es hätte interessant werden können. Frank Fuhg war Klostermönch.
Winter 1991. Das Kloster Mariawald liegt auf einem Hügel, abseits von allem, es ist das einzige deutsche Trappistenkloster. Die Tage bestehen aus Schweigen, Askese, Zölibat, schlichter Arbeit, sieben Gebeten, einem Gottesdienst. Kein Radio, kein Fernsehen. An einem Abend klopft Frank Fuhg an die Pforte. Ein Mönch öffnet. Er wolle ins Kloster, sagt Fuhg. Da ist er Mitte zwanzig.
Der Mönch guckt verwundert. "Ja, warum denn das? Bleiben Sie doch in der Welt."
"Ich habe aber eine Einladung vom Abt."
"Ach, der Abt!"
Der Mönch lacht, knallt die Pforte zu. Fuhg steht da wie ausgesetzt. Er irrt um das Kloster herum, alles dicht. Dann zieht er über, was in seinem Rucksack ist, steigt auf einen nahen Hochsitz, schläft ein. Mitten im Winterwald.
Als Fuhg kurze Zeit später doch ins Kloster darf, weil man nun auch an der Pforte Bescheid weiß, trägt er eine rote Jacke. Der Novizenmeister sagt zu ihm: "Wer eine rote Jacke trägt, wird kein Mönch."
Siebzehn Jahre später kommt Frank Fuhg in ein Schöneberger Café und bestellt ein Kristallweizenbier. Er ist 41 Jahre alt, athletisch, groß. Man sieht ihm den ehemaligen Leistungssportler an. Rudern, Klettern, Bodybuilding. Sein Gesicht ist offen. Wettergegerbte Haut, markantes Kinn, gerade Nase. Er lacht oft.
Was sucht so einer im Schweigekloster?
"Ich neige zum Extremen", sagt Fuhg. "Es macht aber auch Spaß." Sein Blick gleitet nach oben weg, zu irgendeinem Punkt in weiter Ferne. "Ich hatte alles probiert: Sport, Drogen, Frauen." Er erzählt von seiner Kindheit im rheinischen Bacharach, 2 000 Einwohner. Als Junge ist er katholischer Messdiener, als Jugendlicher Punk. Irokesenschnitt, bunte Haare, No Future. So läuft er durch das Möbelhaus, wo er Schauwerbegestalter lernt.
Mit neunzehn geht er von zu Hause weg, arbeitet in Hamburg, studiert in Stuttgart Sport. Seine Freundin hat eine schwere Neurodermitis. Er bricht das Studium ab, sie reisen in den Norden Israels, in ein Kibbuz in En Gedi am Toten Meer. Das Klima tut ihrer Haut gut. Dann trennen sie sich.
In En Gedi trifft Fuhg einen Amerikaner. Der heißt auch Frank, ist Extremsportler wie er selbst, ein Kleiderschrankkerl von zwei Metern. Sie verstehen sich sofort. Der Amerikaner hat eine tiefreligiöse Bibelphase. Er ringt mit allem. Seiner selbstgewählten Enthaltsamkeit. Dem Suff, dem Exzess. Vielleicht, glaubt Fuhg, war das ein Zeichen.
Es ist die Zeit des ersten amerikanisch-irakischen Golfkrieges. Nachts schläft Fuhg in Bunkern, Saddams Raketen drohen. Er liest die Bibel, wieder und wieder, so intensiv wie nie zuvor.
Fuhgs Handy klingelt. Er springt auf, läuft durch das Café. Ein Jobangebot. Die Anzeige, die er seit Ende März in Zeitungen und Stadtmagazine setzt, ist knapp: "Ex-Mönch sucht berufliche Herausforderung." Bisher haben fünfzig Leute angerufen.
"Genau, der Ex-Mönch", sagt Fuhg ins Handy. Er stemmt die Hand in die Hosentasche. Das Gespräch dauert. "Es geht also in Richtung Versicherung, Altersvorsorge und so?" Er sagt Danke. Beendet das Telefonat. Zuckt mit den Schultern. Achtzig Prozent der Anrufer sind Versicherungen oder ähnliches. "Ich möchte Leuten eigentlich nichts verkaufen." Fuhg würde lieber als Berater arbeiten, für Lebensfragen, für Zen-Meditation. Was er eben seit Jahren macht. Es müsse doch große Unternehmen geben, die so etwas suchen, sagt er.
Nach einem Jahr in Israel will Fuhg zurück nach Deutschland, sich auf einen Bauernhof zurückziehen, die Bibel studieren. Im Flugzeug sitzt ein freievangelischer Christ neben ihm. Er erzählt ihm von einer Freikirche in Berlin-Charlottenburg. Dort hört Fuhg eine Predigt, ist tief beeindruckt. Die Sinnsuche ist wieder da.
"Ich wollte selbst herausfinden: Gibt es einen Gott?", sagt er. "Diese Frage fand ich spannender als die neue Harley oder die nächste tolle Frau."
Der Christ aus dem Flugzeug schickt ihn zu einer Jesus-Bruderschaft ins hessische Bad Camberg, die "Gnadenthal" heißt. An einem Sonntag geht er zur Messe in ein Kloster im nahen Limburg. Es packt ihn sofort; die Liturgie, die Kerzen, der Weihrauch, die Rituale. "Da wusste ich: Kloster!" Fuhg haut die Faust auf den Tisch, das Bierglas zittert. "Ich war ja scharf auf eine Heimat - und einen Beruf." Er sucht sich das, wie er heute sagt, extremste katholische Kloster aus. Mariawald. Selbst sein alter Pfarrer in seinem Heimatort Bacharach ist schockiert.
In der Abtei Mariawald dröhnt nachts um halb zwei die Morgensirene durch den Gemeinschaftsschlafsaal. Die Trappistenmönche sind blass, übernächtigt, wortkarg. Die Mittagspause, die einzig freie Zeit am Tag, verbringen viele mit Rosenkranzbeten. Fuhg lässt sich den Kopf scheren, trägt einen schwarzen Umhang, den Habit. Fünf Jahre bleibt er bei den Trappisten. Erst in der Eiffel, später auch in Zundet in Holland und Westvleteren in Belgien. Danach geht er noch ein Jahr nach Israel.
Manchmal, sagt Fuhg, denke er heute noch an Mariawald. An die Stille, die Chorgebete, die Gleichförmigkeit des Seins. Es ist eine Art Heimweh. Wie eine Erinnerung an die erste Liebe, sagt er. Seine Stimme wird leise.
Zurück in Deutschland, zieht Fuhg nach Berlin in den Wedding. Eine kleine Wohnung, zweiter Hinterhof, Erdgeschoss. Er will eremitisch in der Stadt leben. "Ich konnte vom Mönchsein nicht lassen."
Als es ihm doch zu einsam wird, fährt er nach Zehdenick nördlich von Berlin zu Franziskanern. Dort liegt der Franziskushof des geschäftigen Bruders Thaddeus, der obdachlose Alkoholiker beherbergt. Fuhg zieht ein, freundet sich mit einem Mönch an, Bruder Johannes. Eines Tages im Jahr 2005 rückt Polizei im Franziskushof an, drei Dutzend Beamte, es geht um Probleme mit der Steuer. Kurz darauf verlassen die Brüder Frank und Johannes die Bruderschaft. In Berlin bauen sie einen eigenen Orden auf, nennen ihr Kloster nach dem Mystiker Meister Eckhart. Im Klostercafé bedient Fuhg oft die Gäste.
Dann passiert, was vielleicht irgendwann passieren musste. An einem Spätsommertag vergangenen Jahres kommt eine dunkelhaarige Kroatin herein. Fuhg hat gerade Dienst. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Dem Zölibat tut das nicht gut. Er verlässt das Kloster. Jetzt ist er der Ex-Mönch aus seiner Anzeige.
Er hatte es schon vorher gemerkt. Manche weiblichen Gäste finden Männer in Mönchskutten anziehend. Und er diese Frauen. Auch jetzt rufen auf seine Anzeige einsame Damen an, die keinen Job bieten.
Es hat nur wenige Wochen gedauert, bis er mit seiner Lebensgefährtin zusammengezogen ist. Es passte einfach, sagt er. Gott muss das verstehen, wenn es ihn gibt. Fuhg glaubt nicht mehr an seine Existenz. Er zitiert Dietrich Bonhoeffer: "Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht."
Vielleicht hat Frank Fuhg nicht Gott gebraucht, sondern nur die Suche nach ihm. Manchmal ist Suchen wichtiger als Finden. Und manchmal findet man genau das Gegenteil von dem, was man gesucht hat.
Die Kroatin arbeitet im Management des KitKatClubs, einem Berliner Partytempel für unbekümmerte sexuelle Neigungen. Das sei fast so skurril wie in einem Kloster, sagt Frank Fuhg. "Da laufen manche sogar im Bischofskostüm herum." Neulich hat er zu einer Party auch mal seine Mönchskutte mitgenommen und übergestreift.
Nur aus Spaß, sagt er.
Quelle:
http://www.berlinonline.de/berliner-zei ... index.html