Als „Novize“ im Kreuzgang möchte ich Euch herzlich grüßen! Ich bin gespannt auf viele anregende und hilfreiche Gespräche. Wie Ihr an meinem Avatar erkennen könnt, lese ich gerne die altkirchlichen Väter. Durch die Philokalie bin ich auf Evagrios Pontikos gestoßen, der mich tief beeindruckt hat. Passend hierzu mein erster Beitrag im Forum. Ich hoffe, Ihr habt Freude daran.
Gerne möchte ich Euch auf ein Buch hinweisen, das ich in der Adventszeit mit großem Gewinn gelesen habe:
Gabriel Bunge, Irdene Gefäße: Die Praxis des persönlichen Gebetes nach der Überlieferung der heiligen Väter, Würzburg: Verlag „Der Christliche Osten“, 4., vollständig überarbeitete Auflage 29. (
http://www.christlicher-osten.de)
Kurz zum Autor: Gabriel Bunge ist Benediktinerpater, der als Eremit im Tessin lebt. Er ist, soweit ich ihn bisher durch seine Bücher kennengelernt habe, ein großer Kenner altkirchlicher Spiritualität, besonders im Umfeld der Wüstenväter. Wahrscheinlich ist er einer der bedeutendsten Kenner von Evagrios Pontikos (+399), den mit Johannnes Cassianus (+435) wichtigsten Überlieferer der spirituellen Lehre von Antonios dem Großen und der ägyptischen Wüstenmönche. Evagrios ist deshalb besonders wichtig, sagt Bunge, weil er Schüler von Makarios dem Großen und Makarios von Alexandrien war, die beide wiederum direkte Schüler von Antonios waren. Dieser aber war laut Bunge über Clemens von Alexandrien und Origenes besonders nahe an der alexandrinischen urchristlich-apostolischen Tradition.
In seiner Einleitung stellt Bunge sein Buch in die geistliche Situation unserer Zeit hinein: „In kirchlichen Kreisen hört man heute oft die Klage, „der Glaube verdunste“. Trotz eines nie dagewesenen „pastoralen Einsatzes“ scheint der Glaube in der Tat bei vielen Christen zu „erkalten“ oder eben, salopp ausgedrückt, zu „verdunsten“. Es ist die Rede von einer großen Glaubenskrise, des Klerus nicht weniger als der Laien.“
Bunge sieht einen wesentlichen Grund für dieses Verdunsten des Glaubens darin, dass die heutige westliche Christenheit die apostolische Lehre des Gebetes vergessen habe. Nach Bunge gibt es eine mündlich überlieferte apostolische Tradition des persönlichen Gebets, die besonders bei Antonios dem Großen und dann literarisch bei Evagrios Pontikos greifbar sei (Vorwort des Buches und Kapitel I: „Wer vom alten Wein getrunken hat“). Aus diesem Grund nimmt Evagrius in Bunges Buch einen großen Raum ein. Als Begründung dieser These sind dann im Verlauf seines Buches vor allem auch seine Belege durch entsprechende Kirchenväterzitate sehr interessant. Diese apostolische Tradition des persönlichen Gebets entfaltet dann im Fortgang des Buches: Kapitel II: Orte und Zeiten, Kapitel III: Weisen des Gebetes, Kapitel IV: Gebetsgesten.
Besonders wichtig ist, dass Bunge in der Einführung des Buchs, überschrieben mit „Herr, lehre uns beten!“, eine kleine Theologie des Gebets von der Gottebenbildlichkeit des Menschen her entwirft. Weil Gott ein Antlitz hat, hat auch der Mensch ein Antlitz. Dies meint Gottebenbildlichkeit. Von da her leitet sich das personale Bezogensein des Menschen auf Gott ab. Im Beten ist der Mensch Gott von Antlitz zu Antlitz zugewandt und darin Person. „Allein im Gebet ist der Christ wirklich er selbst.“ (S. 18) Weil der Mensch aber eine Einheit aus Leib und Seele ist, ist das christliche Beten nicht beliebig: das personale Bezogensein auf Gott „von Antlitz zu Antlitz“ äußert sich in einer spezifisch christlichen Form, die apostolisch ist. Interessant, dass ausgerechnet Origenes (+254) diese untrennbare Verbindung von seelisch-innerlichem und leiblich-äußerlichem betont hat.
Bei der Entfaltung dieses Ansatzes durch Bunge ist mir noch besonders lebhaft die Ostung („Orient“-ierung im ursprünglichen Sinne des Wortes) des Gebets in Erinnerung: Schon die Beobachtungen, die Bunge beim Lesen der Bibel macht, sind erstaunlich. Lässt man sich dann noch von den Kirchenvätern die biblischen Texte erläutern, war es für mich manchmal so, als ob ich die Bibel zu diesen Fragen das erste Mal richtig gelesen habe. Schmerzlich wurde mir bewusst, was wir Heutigen verloren haben.
Im Schlusskapitel seines Buches kommt Bunge dann auf die Frage, die er schon anfangs gestellt hat, zu sprechen, ob Christen auch nichtchristliche Meditationspraktiken übernehmen könnten. Er weist dies sehr entschieden zurück mit dem Hinweis darauf, dass der „Geist“ den „Buchstaben“ bestimmt, dass sich also ein bestimmter Geist des Betens Ausdruck verleiht in den Formen etc. Auch dies eine Unterscheidung und Argumentation, die Evagrios Pontikos (und auch schon Origenes) bereits vertreten hat. Und entsprechend ist es auch umgekehrt: Wer gewisse Formen praktiziert, wird auch vom Geist geprägt werden, der sich in diesen Formen Ausdruck verliehen hat. Wer z.B. im Sinne des Zen-Buddhismus meditiert, für den wird sich Gott als personales Gegenüber auflösen. Hier kommt Bunge dann ausführlich auf eine Beobachtung zu sprechen, die er als Frage schon an den Anfang seines Buches gestellt hat, nämlich, warum im heutigen Christentum mehr und mehr „der Glaube verdunstet“ und die Menschen sich anderen Religionen und ihren Formen zuwenden. Es gilt deshalb, so Bunge, die Notwendigkeit der apostolischen Tradition des Betens neu zu praktizieren und den Menschen zu vermitteln. Er schließt mit einem Zitat von Evagrios: „…für die, die den Fuß in dieselbe Spur setzen, [die der Fuß der heiligen Väter gezeichnet hat,] werden diese Dinge indessen deutlich sein.“ (Praktikos, Prol. 9)
In einem kurzen Anhang folgen dann noch praktische Hinweise für das persönliche Beten als Konsequenz der Lehre der heiligen Väter: Die Einrichtung eines Ortes zum Beten (ein „Oratorium“), die Gebetszeiten, das „kleine Offizium“, Weisen und Gesten des Gebetes. Die dort skizzierten Regeln muss dann jeder nach seiner persönlichen Lebenssituation füllen. Hier bleibt meinem Eindruck nach ein großer Raum der Gestaltung entsprechend der eigenen Bedürfnisse und Möglichkeiten.
Zusammenfassend mein Eindruck, den Gabriel Bunges Buch bei mir hinterlassen hat:
Ein überaus wertvolles und gutes Buch, sowohl für das eigene Beten, als auch für diejenigen, die in Predigt, Lehre und Vorbild andere leiten sollen. Eine Rückkehr zu den altchristlichen Prinzipien täte uns allen gut. Beim Beten, sei es im öffentlichen Gottesdienst, sei es im persönlichen Beten, schleicht sich z.B. eine „Formlosigkeit“ und ein Subjektivismus ein, die für die Väter des Glaubens undenkbar gewesen wäre. Entsprechend „bequem“ und gefühlsorientiert wird der Glaube. Wie sich hier die heiligen Engel schämen müssen, die bei unserem Beten um uns sind und in Ehrfurcht vor Gott stehen (Lk 1,19 u.a.), während die Gemeinde es sich bequem macht. Dass der Mensch eine Einheit aus Leib und Seele ist und dass deshalb unsere Haltung beim Gebet etwas verrät von unserer Gottesbeziehung, ja diese prägt, ist heute kaum noch bewusst. Ob hier das fehlende Bewusstsein der Heiligkeit Gottes nicht seinen Ursprung hat? Bunge und mit ihm die altkirchlichen Väter sehen das auf jeden Fall so.
Der zweite große Gewinn, der mir Bunges Buch ist: Ihm gelingt es auf sehr überzeugende Weise, die Sukzession der Kirche im Blick auf das Beten deutlich zu machen. Sein erstes Kapitel „Wer vom alten Wein getrunken hat“, in dem er mit Bezug auf Lk 1,2, 1 Joh 1,1-4 und viele andere biblische Texte die Begriffe der „Tradition“ und der „Gemeinschaft“ mit dem „Ursprung“ entfaltet, ihn dann auf die heute so oft missbrauchten Begriffe „Spiritualität“ und „geistliches Leben“ anwendet, von daher dann verdeutlicht, was die Alte Kirche im Unterschied zum späteren Gebrauch unter „Aktion“ und „Kontemplation“ verstanden hat, und schließlich die so gewonnenen Einsichten auf die Begriffe „Psalmodie“, „Gebet“ und „Meditation“ anwendet, ist mit das Beste, was ich je zu diesem Thema gelesen habe.
Gabriel Bunges Ansatz, die geistlichen Väter der Alten Kirche zu verstehen, unterscheidet sich wohltuend von den heute oft üblichen psychologisierenden Ansätzen wie z.B. bei Anselm Grün, der zwar manchmal durchaus lesenswert ist, wenn er über die Altväter schreibt, der aber bei weitem nicht zu der geistlichen Tiefe und vor allem auch biblisch-theologischen Geschlossenheit durchdringen kann, wie dies bei Bunge der Fall ist. Letztlich sind viele moderne Lehrer christlicher Spiritualität Kinder der Entmythologisierungstheologie, nur dass sie den angeblichen „Mythos“ psychologisch deuten. Bunge dagegen ist tief in einem biblischen Realismus verwurzelt. Für ihn sind etwa der Teufel und seine Dämonen Realitäten, personale geistliche Mächte, die uns vom Weg zur Rettung abbringen wollen und mit denen wir kämpfen in einem geistlichen Kampf. Und auch Rettung und Verlorenheit sind für ihn die beiden höchst realen Weisen, wie ein Menschenleben enden kann. Explizit sagt er dies in seinem Buch „Akedia (hier im Thread von jemand anderem schon empfohlen): Die geistliche Lehre des Evagrios Pontikos vom Überdruss, ebenfalls im Verlag „Der christliche Osten“ erschienen. Auch dies ein sehr lesenswertes Buch.
Nun hoffe ich, dass meine kleine Buchrezension euch gefallen hat und vielleicht sogar etwas neugierig gemacht hat, das Buch selber zu lesen.