Kilianus hat geschrieben:Bernado hat geschrieben:
Jeder Eingriff, der zu seiner Legitimierung und Durchsetzung zu dem Mittel greift, vorherige Entwicklungsstufen zu verbieten oder zu delegitimieren, kann nicht als Ergebnis einer "organischen Entwicklung" anerkannt werden.
Damit habe ich deutliche (Verständnis-?)Probleme. Das klingt für mich so, als würdest Du sämtliche Veränderungen delegitimieren, die sich in 2000 Jahren Liturgiegeschichte so zugetragen haben. Wenn wir von rein additiven Einschüben mal absehen, hat jede Veränderung zur Folge, daß Elemente einer früheren Entwicklungsstufe verschwinden. Und wenn die Veränderung verbindlich ist, dann sind diese Elemente eben auch verboten.
Daß Elemente früherer Entwicklungsstufen wieder abgeschafft wurden, ist jedenfalls prinzipiell keine Erfindung der jüngsten Liturgiereform. Lettner werden jedenfalls schon ein paar Jahre länger nicht mehr gebaut. Ja, sogar abgerissen hat man sie. (Obwohl sie oft ebenso hervorragende Kunstwerke waren wie mancher Hochaltar, der in den letzten Jahrzehnten draufgegangen ist.)
Die Verständnis-Probleme dürften sich beheben lassen, wenn Du liest, was ich geschrieben hatte: Nicht "Elemente früherer Entwicklungsstufen", sondern "frühere Entwicklungsstufen". Außerdem hatte ich nicht geschrieben, damit würde die Reform "illegitim", sondern man könne sie nicht mehr als "Ergebnis einer organischen Entwicklung" ansehen. Und schließlich hatte ich nicht von "abschaffen" allein gesprochen, sondern von "delegitimieren" - das geht darüber hinaus.
Die Reform von 1969 hat soviele Einzelelemente abgeschafft und soviele Grundzüge der bestehenden Liturgie verändert, daß man sagen kann, m. E. sogar sagen muß, sie habe eine ganze Entwicklungsstufe betroffen. Gleichzeitig wurde offiziell und inoffiziell alles getan, um die frühere Entwicklungsstufe zu delegitimieren - das geht hin bis zu jenen Theologieprofessoren, die heute behaupten, sie könnten es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, den römischen Kanon zu beten. Damit delegitimieren sie 1700 Jahre Tradition der Kirche - meinen sie. In Wirklichkeit delegetimieren sie durch diesen schismatischen Akt nur sich selbt.
Daraus ergibt sich allerdings noch nicht die Illegitimität der damaligen Reform, sondern nur die Tatsache, daß sie keiner "organischen Entwicklung" entsprang. Sie hat, wie Oberreformer Jean Danielou befriedigt feststellte, dazu geführt, daß "der römische Ritus nicht mehr existiert" und ein neuer an dessen Stelle getreten ist. An der Legitimität dieses Aktes
kann man zweifeln, um sich dann vielleicht zähneknirrschend zum Gehorsam zu bequemen - an seiner Klugheit
muß man zweifeln, wenn man die heutigen Ergebnisse betrachtet.
Was die Zerstörung der Lettner betrifft, so war das kein unmittelbarer Eingriff in die Liturgie, aber doch in vielfacher Hinsicht eine Barbarei, die ähnlich wie heute die Schleifung der Hochaltäre einer gedanklichen Engführung bezüglich einer im Prinzip sinnvollen Reformidee entsprach. Um hier nicht in eine Diskussion zu geraten, die vielleicht auch schon an anderer Stelle geführt wurde, nur eine ganz kurze Skizze:
Wo ein Hochaltar weit hinten im Chor stand, der von einem Lettner gegen das Hauptschiff abgeteilt wurde, wurde die Messe für das Volk am Kreuzaltar vor dem Lettner oder an einem der Säulenaltäre gefeiert, die den Lettner begrenzten. Der Chor war das, was der Name sagt: Raum für das Chorgebet und die Konventsmesse der Chorherren oder Kanoniker, die an der jeweiligen Kirche stationiert waren. Erst mit dem Abbruch des Lettners
samt Kreuzaltar entstand die unglückliche Situation, daß das Volk - das immer noch im Hauptschiff stand und den Chor nicht betrat - so weit vom Altar entfernt stehen mußte. Ein typisches Beispiel dafür, wie eine Reform, die im Prinzip gut gemeint war, ihr Ziel verfehlte und das Gegenteil des gewollten erreichte.