Ist Gott allwissend?

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Benutzeravatar
Haiduk
Beiträge: 1347
Registriert: Dienstag 15. Dezember 2009, 20:02
Wohnort: Bayern
Kontaktdaten:

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Haiduk »

ChrisCross hat geschrieben:Könntest du bitte bezüglich der beiden letzten Absätze noch einmal deine These deutlich formulieren, damit ich sie nicht mit Missverständnissen herausinterpretieren muss?
Beim mittleren Absatz wüßte ich nicht wie ich ihn deutlicher hätte formulieren sollen. Das Problem dürfte sein, daß Du es für eine "These" hältst. Es ist aber keine These. Ich gebe nur das wieder, was in Gen. 3 (Einheitsübersetzung) steht. Ansonsten verneine ich, was Du weiter oben selbst gesagt hattest: "immer nah" (siehe Dein Beitrag als Zitat unten, fette Markierung). Diese Verneinung ist der Grund für den Absatz.

Im letzten Absatz liegt der Schlüssel. Dort steht, weshalb Gott den Menschen nicht "immer nah" ist. Christus sagte, wir sollen beim Vater "anklopfen", wir sollen Ihn suchen und bitten. Dieser Abschnitt ist aus der Perspektive von jemandem zu lesen, der den Vater noch gar nicht gesucht hat. Wer Ihn aber nicht sucht und nicht anklopft, dem macht der Vater die Tür eben nicht auf. Es ist diese Tür, die so viele Menschen von Gott trennt. Wer die "Allgegenwart" behauptet, der leugnet die Existenz dieser Tür und die Notwendigkeit des Anklopfens und Bittens. Überglücklich wäre der Vater, wenn die Gottfernen Ihm nachts allesamt das Haus einrennen würden. Wer Ihn "bittet", dem "wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben"! :)
ChrisCross hat geschrieben:Gott sucht Adam und Eva nicht, weil er nicht wüßte, wo sie sind, sondern, weil sich beide nicht räumlich, da er dadurch, dass er alles Seiende mit all seinen Eigenschaften erhält, ohnehin ihnen immer nah ist, sondern in der Gerechtigkeit durch den Sündenfall von ihm entfernt haben. Genau das wird den Stammeltern durch die Suche Gottes nach ihnen klar. Ebenso ist es mit dem guten Hirten, den wir im Gleichnis als Gott erkennen: Auch dieser bewegt sich wie das verirrte Schaf nicht räumlich, sondern bringt es im Geiste wieder zu Gott, macht es ihm ähnlich und wohlgefällig. Gott ist also selbstverständlich immer und überall präsent, eben indem er die Dinge im Sein erhält. Wir können ihm näher kommen, indem wir uns durch die Gnade im freien Willen ihm ähnlicher machen lassen.

Sinnvoll ist es übrigens auch außerhalb der Messe den Herrn im Tabernakel zu besuchen, da sich seine Art der Anwesenheit hier deutlich von der Omnipräsenz Gottes unterschiedet, indem er zunächst erstmal überhaupt auch menschlich anwesend ist und zum anderen nicht nur, indem er die Dinge erhält, sondern, indem er selbst das Wesen jener Gestalt des Brotes ist.
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Haiduk hat geschrieben:Im letzten Absatz liegt der Schlüssel. Dort steht, weshalb Gott den Menschen nicht "immer nah" ist. Christus sagte, wir sollen beim Vater "anklopfen", wir sollen Ihn suchen und bitten. Dieser Abschnitt ist aus der Perspektive von jemandem zu lesen, der den Vater noch gar nicht gesucht hat. Wer Ihn aber nicht sucht und nicht anklopft, dem macht der Vater die Tür eben nicht auf. Es ist diese Tür, die so viele Menschen von Gott trennt. Wer die "Allgegenwart" behauptet, der leugnet die Existenz dieser Tür und die Notwendigkeit des Anklopfens und Bittens. Überglücklich wäre der Vater, wenn die Gottfernen Ihm nachts allesamt das Haus einrennen würden. Wer Ihn "bittet", dem "wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben"! :)
Die Allgegenwart ist nicht einfach nur ein Appendix der Offenbarung, sondern ergibt sich aus Gen 1,1 ff.. Wir müssen mit Christus als Tür der Erkenntnis die Bibel von vorne betreten und nicht erst ab der zweiten Schöpfungsgeschichte. Christus ist nicht nur die Tür, sondern auch der Arzt, der den Blinden die Augen öffnet für die Allgegenwart des himmlischen Vaters. Gottes Sohn geht auf die Verdammten zu, die durch ihre Schwierigkeiten mit dem Formalismus ausgegrenzt sind, und sagt ihnen Gottes Nähe zu. Gott lässt sich nicht durch falsche Formen täuschen und ist nicht unbarmherzig mit den formal Schwachen, sondern schaut auf das Herz: Wer sich aus schlichtem Herzen um das Gute bemüht, ist bei Gott nicht verloren.

Benutzeravatar
ChrisCross
Beiträge: 2645
Registriert: Freitag 22. April 2011, 23:28

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von ChrisCross »

Bitte versteh doch die Nähe nicht räumlich. es geht dabei um das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf. Und da ist es eben so, dass der Schöpfer seinen Geschöpfen in seiner Omnipräsenz aber vor allem in seiner Liebe nahe ist, jene ihm jedoch auf Grund ihres freien Willens und der Erbsünde nicht immer, indem sie der Gerechtigkeit und der anderen Tugenden entbehren. Gott ist uns also so nahe, weil er gegenwärtig ist und liebt, wir ihm aber fern, wenn wir ihn nicht lieben, wie es die Stammeltern nicht taten, als sie sündigten, und Gott sie daher suchen musste, nicht weil er nicht wüßte, wo sie waren, sondern, damit sie sich zu ihrem eigenen Heil finden lassen konnten, damit sie auf seinen Ruf zur Heiligkeit antworten und ihm nahe kommen konnten. Nicht umsonst geht Gott umher und ruft, lässt aber, weil sie ihm wieder ähnlich werden sollen, Adam und Eva aus dem Versteck im Busch, aus ihrer Gottesferne, hervortreten.

Das Gleichnis besagt doch sehr deutlich, und so deuten es auch die Väter, dass Gott uns allezeit nahe ist, da wir jederzeit im Gebet an seine Türe klopfen und ihn um geistige nahrung für uns und andere bitten können. Noch einmal sollte man hier nicht an Gott für das Verständnis der Nähe nicht die selben Maßstäbe anlegen wie für die Menschen, deren Nähe zu Gott eben eine andere weise ist, wie sich überhaupt Begriffe und Eigenschaften mehr unterscheiden als gemeinsam sind, wenn sie einerseits von Gott, andererseits vom Geschöpf ausgesagt werden.
Tu excitas, ut laudare te delectet, quia fecisti nos ad te et inquietum est cor nostrum, donec requiescat in te.
Augustinus Conf. I. 1

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Gott ist uns durch Jesus Christus so nahe gebracht worden, dass wir ihn mit Händen begreifen können, wenn wir Gutes tun. Mit ihm ist Gott nicht mehr der Weltfremde, sondern der Menschgewordene. Durch seine Identifikation ist Gott mit den Kranken auch im Elend überall real präsent. Der Bedürftige wird zur Monstranz im Alltag. Das ist nicht nur eine Vertröstung der Kranken, sondern auch ein rettender Hinweis für alle, die Gott suchen und ganz nah im Nächsten finden.

Mary
Beiträge: 1470
Registriert: Mittwoch 29. Juli 2009, 06:58

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Mary »

Haiduk hat geschrieben: Gemäß der heiligen Schrift ist Gott nur eben nicht immer und überall anwesend. Siehe z.B. meine Ausführungen zu Adam und Eva.
Himmlischer Tröster, Geist der Wahrheit, der Du überall bist und alles erfüllst, Hort der Güter und Spender des Lebens, komm und wohne in uns, reinige uns von aller Befleckung und rette, Gütiger, unsere Seelen.

Hallo Haiduk,

Wir bekennen in diesem Gebet, mehrmals täglich, die Allgegenwart Gottes.
Dennoch müssen wir Ihn auch immer wieder einladen, in uns zu wohnen. Das ist unser Offensein für Gott. (und das hat wohl bei Adam und Eva ... und leider auch bei uns... zeitweilig nicht geklappt..)

Lg Mary
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Die Allgegenwärtigkeit im Sinne einer Allanwesenheit (an jedem Ort) ergibt sich daraus, dass Gott reiner Geist, raum- und zeitlos, „aktuell unendlich“ ist (de fide – auch St. Gregor von Nyssa sagt, er sei „in jeder Beziehung ohne Grenze“), also auch keine irgendwie begrenzte körperliche Ausdehnung hat. Das ist hier v. a. auch ontologisch relevant, das ist die Ebene, auf der diese Rede auch geführt wird, aber die „Gottferne“ liegt auf einer ganz anderen (Ausdruks-)Ebene, die gibt es auch, aber nicht irgendwie im ontolog. Sinne, das ginge – wie auch @ChrisCross schon dargestellt hat, also bzgl. alles Seiende erhält sein Sein von Gott usw. – auch gar nicht, ohne dass die seienden Wesen aufhörten zu sein. – Viel von dem hier, wirkt auf mich wie ein "Kategorienfehler" ...
Zuletzt geändert von Thomas_de_Austria am Sonntag 16. September 2012, 19:12, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Gottes Nähe und Ferne sind zwei Perspektiven auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch: Gott ist immer da, aber Vertrauen und Treue beim Menschen nicht immer. "Gottferne" ist also ein Abwenden von Gott und dem Nächsten, ein Mangel an Einsicht und Erkenntnis sowie eine entsprechende Allo- oder Pseudopraxie.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Pilgerer »

overkott hat geschrieben:Gott ist uns durch Jesus Christus so nahe gebracht worden, dass wir ihn mit Händen begreifen können, wenn wir Gutes tun. Mit ihm ist Gott nicht mehr der Weltfremde, sondern der Menschgewordene.
In ihm ist die Menschenliebe Gottes offenbart worden, die der Maßstab für die zwischenmenschliche Liebe ist. Wer Jesus nicht kennt, kennt die Liebe Gottes nicht. Jesus kennen, auf Gott und Seinen eingeborenen Sohn vertrauen, das macht den Menschen gerecht. Das Studium von Gesetzen oder Ethik dagegen nicht.
Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Die Allgegenwärtigkeit im Sinne einer Allanwesenheit (an jedem Ort) ergibt sich daraus, dass Gott reiner Geist, raum- und zeitlos, „aktuell unendlich“ ist (de fide – auch St. Gregor von Nyssa sagt, er sei „in jeder Beziehung ohne Grenze“), also auch keine irgendwie begrenzte körperliche Ausdehnung hat. Das ist hier v. a. auch ontologisch relevant, das ist die Ebene, auf der diese Rede auch geführt wird, aber die „Gottferne“ liegt auf einer ganz anderen (Ausdruks-)Ebene, die gibt es auch, aber nicht irgendwie im ontolog. Sinne, das ginge – wie auch @ChrisCross schon dargestellt hat, also bzgl. alles Seiende erhält sein Sein von Gott usw. – auch gar nicht, ohne dass die seienden Wesen aufhörten zu sein. – Viel von dem hier, wirkt auf mich wie ein "Kategorienfehler" ...
Du kannst sehr gut formulieren!
Zur Veranschaulichung kann der jüdische Tempel dienen: Gott war immer da (gegenwärtig), aber es war ein Vorhang zwischen Gott und den Menschen, der eine scheinbare Distanz schuf. Jesus hat dagegen den Vorhang zerrissen. Nun wird die Gegenwart Gottes in der Welt offenbar(t). Für Nichtchristen besteht der Vorhang nach wie vor. Sie denken, Gott wäre fern, aber er ist unentdeckt immer nah.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
Haiduk
Beiträge: 1347
Registriert: Dienstag 15. Dezember 2009, 20:02
Wohnort: Bayern
Kontaktdaten:

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Haiduk »

Hallo Mary,

dieses Gebet hat während der Göttlichen Liturgie seine Berechtigung. Selbst dort wird der Aussage über die Allgegenwart aber noch die Bitte gegenüber gestellt, daß der Heilige Geist in uns Wohnung nehmen soll! Daher sehe ich meine Skepsis in dem Gebet eher noch bestätigt.

Im Alltag würde ich es nicht beten, weil ich dort eben nicht alles vom Heiligen Geist erfüllt sehe. Daheim finde ich dieses Gebet passender:
Engel Christi, mein heiliger Beschützer, Wächter über meine Seele und meinen Leib, verzeih mir alles, womit ich am heutigen Tag gesündigt habe, und erlöse mich von allen Nachstellungen meines Widersachers, damit ich durch keinerlei Sünde meinen Gott erzürne. Bitte vielmehr für mich sündigen und unwürdigen Knecht und würdige mich der Güte und Barmherzigkeit der Allheiligen Dreifaltigkeit und der Mutter meines Herrn Jesus Christus und aller Heiligen. Amen.
Ich habe auch sonst nichts gegen Aussagen zur Allgegenwart, solange ergänzt wird, daß wir den Herrn schon auch suchen müssen. Wenn jemand sagt, daß Gott immer und überall für uns da ist, dann kann ich dem nur zustimmen. Das ist aber eine andere Aussage als die, daß immer alles von Gott erfüllt wäre. Wenn ich in die Welt blicke, sehe ich genau das Gegenteil. Die Menschen kennen Gott nicht und sie wollen Ihn meist auch gar nicht kennen. Wenn man ihnen von der Allgegenwart Gottes erzählt, kommen sie mit ihren kleinen und großen Nöten und fragen, wie der Allmächtige das zulassen kann, wenn Er doch überall ist. Ich wüßte nicht, was ich darauf antworten könnte. Das ist der Grund, weshalb mir diese ergänzende Konkretisierung der Allgegenwart im Sinne Lk. 11, 5-13 so wichtig ist.

Es mag ein wenig komisch klingen, daß Gott immer und überall für uns da ist. Trotzdem glaube ich, daß es inhaltlich besser ist, als daß Er von keinem Ort ausgeschlossen werden kann. Das wäre die Entsprechung zur Allgegenwart im Sinne der Apophatischen/Negativen Theologie:
http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=632426#p632426
Daß Gott immer und überall für uns da ist, ist deshalb besser, weil es eine Zielrichtung enthält und den Mensch als Person anspricht.

Bitte beachte, daß sich die dort zitierte Arbeit von Nicolae Turcan zur Apophatischen Theologie mit philosophischen Phänomenen der Postmoderne befaßt. Gemäß des Autors ist die Ablehnung jeder Metaphysik und die Aufgabe aller Meta-Narrative der Moderne das Kennzeichen aller postmodernen Philosophien. Wer sich heute dem Zeitgeist nicht bedingungslos unterwirft, gilt sofort als "Fanatiker". Vorherrschend ist eine extrem aggressive Haltung gegenüber Religion im Allgemeinen und dem Christentum im Besonderen. Aussagen zu einem allgegenwärtigen, allwissenden und allmächtigen Gott werden in diesem Klima als willkommene Steilvorlage zur Beweisführung über die "Nichtexistenz" Gottes aufgefaßt. Mehr als schnöde Logik braucht es dafür nicht. So einfach sollten wir es denen nicht machen.

Liebe Grüße,
Haiduk

PS: Nachdem ich diesen Beitrag geschrieben habe fällt mir auf, daß in dem Liturgiegebet ja gar nicht gesagt wird, daß immer überall alles vom Gottes Geist der Wahrheit erfüllt ist. Das Wörtchen "immer" fehlt! Nicht ganz unwichtig :tuete:
Mary hat geschrieben:
Haiduk hat geschrieben: Gemäß der heiligen Schrift ist Gott nur eben nicht immer und überall anwesend. Siehe z.B. meine Ausführungen zu Adam und Eva.
Himmlischer Tröster, Geist der Wahrheit, der Du überall bist und alles erfüllst, Hort der Güter und Spender des Lebens, komm und wohne in uns, reinige uns von aller Befleckung und rette, Gütiger, unsere Seelen.

Hallo Haiduk,

Wir bekennen in diesem Gebet, mehrmals täglich, die Allgegenwart Gottes.
Dennoch müssen wir Ihn auch immer wieder einladen, in uns zu wohnen. Das ist unser Offensein für Gott. (und das hat wohl bei Adam und Eva ... und leider auch bei uns... zeitweilig nicht geklappt..)

Lg Mary
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Nun ist es allerdings auch so, dass dieses Gebet im „Orthodoxen Gebetbuch in deutscher Sprache“ der ROK, das „mit dem Segen S. E. Mark Erzbischof von Berlin und Deutschland“ gedruckt wird, ein Teil des Morgen-, wie auch des Abendgebets ist … – Immer“ steht dort allerdings tatsächlich nicht.

Benutzeravatar
lifestylekatholik
Beiträge: 8702
Registriert: Montag 6. Oktober 2008, 23:29

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von lifestylekatholik »

Ursprünglich hatte Haiduk diese Diskussion in diesem Beitrag begonnen. Es ging da um Markus 13, 32 und die Frage der Allwissenheit Christi. Inzwischen leugnet Haiduk hier zwar schon die Allgegenwart Gottes (vielleicht kann die Moderation das als neuen Strang auslagern), dennoch will ich zu seiner Leugnung der Allwissenheit Christi noch ein paar Zitate bringen, einleitend ein paar Schriftstellen, die bisher noch nicht angeführt wurden, und anschließend zwei Zitate wirklicher orthodoxer Kirchenmänner:
Johannes 3, 34 hat geschrieben:Denn der, den Gott gesandt hat, verkündet die Worte Gottes; denn er gibt den Geist unbegrenzt.
Johannes 16, 30 hat geschrieben:Jetzt wissen wir, dass du alles weißt und von niemand gefragt zu werden brauchst.
Johannes 21, 17 hat geschrieben:Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Hast du mich lieb? Er gab ihm zu Antwort: Herr, du weißt alles
Kolosser 2, 3 hat geschrieben:In [Christo] sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.
Johannes von Damaskus (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens, 2. Buch, 22. Kapitel) hat geschrieben:Da nun Gott schlechthin alles weiß, so geht er nicht mit sich zu Rate. Aber auch bei der Seele des Herrn reden wir von keiner Beratung oder Wahl. Sie war ja frei von Unwissenheit. Denn hatte sie auch eine [menschliche] Natur, die das Künftige nicht wußte, so besaß sie gleichwohl, da sie mit dem Gott-Logos hypostatisch geeint war, die Kenntnis von allem nicht aus Gnade, sondern, wie gesagt, wegen der hypostatischen Union. Ein und derselbe war nämlich sowohl Gott als Mensch.
Gregor der Große (Brief an den Patriarchen Eulogius von Alexandria) hat geschrieben:Was Ihr z. B. vom Feigenbaum gesagt habt, spricht der hl. Augustinus ganz eigentümlich in gleichem Sinne aus, dass man nämlich aus der Bemerkung des Evangelisten: »Denn es war noch nicht die Zeit der Feigen« – deutlich ersehe, dass der Herr unter dem Bilde der Feige eine Frucht an der Synagoge gesucht hatte, welche zwar die Blätter des Gesetzes besaß, aber keine Frucht in guten Werken hervorgebracht hatte. Denn dem Schöpfer aller Dinge konnte es doch nicht unbekannt sein, dass der Feigenbaum keine Frucht besaß; alle aber konnten wissen, dass damals noch nicht die Feigenzeit war. Wenn aber geschrieben steht: »Den Tag und die Stunde weiß weder der Sohn noch die Engel,« so hat Ew. Heiligkeit richtig geurteilt, dass dies ganz gewiss nicht auf den Sohn, insofern er das Haupt aller Dinge ist, sondern auf seinen Leib, welcher wir sind, zu beziehen sei. Derselbe hl. Augustin macht an vielen Stellen von dieser Deutung Gebrauch. Er bemerkt noch etwas anderes, was ebenso auf diesen Sohn angewendet werden kann, dass nämlich der allmächtige Gott bisweilen nach menschlicher Weise spreche, wir er zu Abraham gesagt hat: »Jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest,« nicht als ob Gott erst damals erfahren habe, dass man ihn fürchte, sondern weil er damals den Abraham seine Gottesfurcht erkennen ließ. Wie also auch wir von einem fröhlichen Tag sprechen, nicht als ob der Tag selbst fröhlich sei, sondern weil er uns fröhlich macht, so sagt auch der allmächtige Sohn, er wisse den Tag nicht, den er nicht wissen lässt, nicht als ob er selbst diesen Tag nicht wüsste, sondern weil er durchaus nicht gestattet, dass man ihn wisse. Darum heißt es auch, dass der Vater allein ihn wisse, weil der ihm wesensgleiche Sohn vermöge seiner über die Engel erhabenen Natur allerdings wissen kann, was die Engel nicht wissen.

Man kann aber auch die Sache noch tiefer fassen: Der menschgewordene Eingeborene, der für uns vollkommener Mensch geworden ist, wusste allerdings in seiner menschlichen Natur den Tag und die Stunde des Gerichtes, aber er wusste es doch nicht kraft seiner menschlichen Natur. Was er also in ihr wusste, das wusste er nicht durch sie, weil der menschgewordene Gott den Tag und die Stunde des Gerichtes durch die Kraft seiner Gottheit erkennt. So antwortete er auch auf der Hochzeit, als die jungfräuliche Mutter ihm sagte, dass es an Wein gebreche: »Was geht das mich und dich an, o Weib? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Der Herr der Engel, der, wie er alles erschaffen hat, auch die Zeiten und Stunden gemacht hatte, konnte nicht von einer Stunde abhängig sein. Da aber die jungfräuliche Mutter wünschte, dass bei dem Mangel des Weines ein Wunder von ihm geschehe, bekam sie sogleich die Antwort: »Was geht das mich und dich an, o Weib?« Er wollte sagen: Dass ich Wunder wirken kann, das habe ich vom Vater, nicht von der Mutter. Von der Mutter stammte es, das er sterben konnte, von der Natur des Vaters die Wunderkraft. Als er darum am Kreuze hing, erkannte er sterbend seine Mutter und empfahl sie seinem Jünger mit den Worten: »Siehe da deine Mutter!« Er sagte also: »Was geht dies mich und dich an, o Weib? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Das heißt: In Bezug auf das Wunderwirken habe ich Nichts von deiner Natur, da kenne ich dich nicht Wenn die Todesstunde kommen wird, dann erkenne ich dich als Mutter; denn von dir stammt es, dass ich sterben kann. Darum erklärte er, ein Wissen nicht zu haben, das er vermöge der menschlichen Natur nicht besaß, wie es auch die übrigen Geschöpfe und selbst die Engel nicht besitzen. Den Tag und die Stunde des Gerichtes weiß also der Gottmensch, aber deshalb, weil er Gott und Mensch zugleich ist. Offenbar aber kann niemand Agnoite sein, ohne zugleich Nestorianer zu sein. Denn wer zugibt, dass die Weisheit Gottes Fleisch angenommen habe, mit welcher Stirne kann er sagen, es gebe etwas, was die Weisheit Gottes nicht wisse? Es steht geschrieben: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht worden.« Wenn alles, dann ohne Zweifel auch der Tag und die Stunde des Gerichtes. Wer sollte nun so töricht sein, um den Ausspruch zu wagen, das Wort des Vaters habe etwas gemacht das es nicht kennt? Es steht auch geschrieben: »Jesus wusste, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte.« Wenn alles, so gewiss auch den Tag und die Stunde des Gerichtes. Wer ist also so töricht, dass er sagen möchte, der Sohn habe in die Hände bekommen, was er gar nicht kannte?
Die Sekte der Agnoeten ist lange verurteilt. Ich wundere mich, dass sie hier wieder ihr Haupt erhebt.
Zuletzt geändert von lifestylekatholik am Montag 17. September 2012, 10:45, insgesamt 1-mal geändert.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

lifestylekatholik hat geschrieben:Ursprünglich hatte Haiduk diese Diskussion in diesem Beitrag begonnen. Es ging da um Markus 13, 32 und die Frage der Allwissenheit Christi. Inzwischen leugnet Haiduk hier zwar schon die Allgegenwart Gottes (vielleicht kann die Moderation das als neuen Strang auslagern), dennoch will ich zu seiner Leugnung der Allwissenheit Christi noch ein paar Zitate bringen, einleitend ein paar Schriftstellen, die bisher noch nicht angeführt wurden, und anschließend zwei Zitate wirklicher orthodoxer Kirchenmänner:
Johannes 3, 34 hat geschrieben:Denn der, den Gott gesandt hat, verkündet die Worte Gottes; denn er gibt den Geist unbegrenzt.
Denn Gott gibt den Geist unbegrenzt?
Johannes 16, 30 hat geschrieben:Jetzt wissen wir, dass du alles weißt und von niemand gefragt zu werden brauchst.
Johannes 21, 17 hat geschrieben:Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Hast du mich lieb? Er gab ihm zu Antwort: Herr, du weißt alles
Wie ist das hier gemeint? Geht es hier um ein Examen? Bescheinigt Petrus dem Herrn sein Wissen? Oder geht es vielmehr hier um die persönliche Beziehung? Will Petrus sagen: Herr, du kennst mich? Ist "alles" hier also hyperbolisch gemeint, toto pro parte?
Kolosser 2, 3 hat geschrieben:In [Christo] sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen.
In intellectu? In Deo Patris Christi Jesu?

Diese Hinweise nur dazu, damit wir nicht in den Modalismus abrutschen.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Pilgerer »

Die Allwissenheit des Logos ergibt sich allein schon daraus, dass er alles geschaffen hat:
"1 Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. 2 Dasselbe war im Anfang bei Gott. 3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist." (Johannes 1)

Wenn wir die Schöpfung nicht als einmaligen, sondern fortwährenden Vorgang ansehen, ist der Logos der Urheber aller Dinge und Ereignisse. Wenn dem so ist, ist der auch allwissend. Was der Logos nicht weiß, existiert nicht.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
lifestylekatholik
Beiträge: 8702
Registriert: Montag 6. Oktober 2008, 23:29

Re: Ist Gott allwissend bzw. was bedeutet das?

Beitrag von lifestylekatholik »

Um jetzt auf dem Salafisten seine Argumentation zurückzukommen:
Haiduk hat geschrieben:Ich meine auch, daß man sich überlegen sollte, wie man in so einem Streitgespräch, wie azs es als Video verlinkt hat (siehe unten), besser hätte antworten können. Hier eine Abschrift:

Salafist: "Du glaubst, daß Jesus Gott ist?"
Christ: "Ich weiß es."
Salafist: "Du weißt es. Ok. Sehr gut. Ich hab ne Frage für Dich. Ist Gott allwissend?"
Christ: "Ja."
Salafist: "Gott ist allwissend. Also Jesus ist allwissend."
Christ: "Ja."
Salafist: "Ok. Lügt Gott?"
Christ: "Nein."
Salafist: "Also Jesus lügt nicht."
Christ: "Nein."
Salafist: "Ok. Mk. 13 Vers 32. Jesus wird gefragt, wann ist der Jüngste Tag."
Christ: "Ja."
Salafist: "Er sagt, das weiß ich nicht. Das wissen nicht die Engel im Himmel. Das weiß nur Gott."
Christ: "Ja."
Salafist: "Hat er hier gelogen oder weiß er es nicht?"
Christ: "Er weiß es nicht."
Salafist: "Er weiß es nicht. Dann ist er auch nicht Gott. Du hast eben gesagt Gott weiß alles."
(Applaus der Anhänger des Salafisten. Salafist klopft Christ auf die Schulter. Sein Versuch eines Einwands wird abgeblockt. Ein Ordner führt ihn weg.)
Was steht eigentlich in Markus 13, 32 wirklich?
Markus 13, 32 (EÜ) hat geschrieben:Doch jenen Tag und jene Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel im Himmel, nicht einmal der Sohn, sondern nur der Vater. (De die autem illo vel hora nemo scit, neque angeli in cælo, neque Filius, nisi Pater.)
Jesus sagt nicht, »das weiß ich nicht«, wie der Salafist behauptete. Jesus sagt statt dessen, »das weiß der Sohn nicht«. Das ist nicht einerlei. Jesus verweist hier auf die Aufgabe des Sohnes, der Fleisch angenommen hat, um uns die Offenbarung zu bringen. Es gehört aber nicht zur Offenbarung, uns Tag und Stunde zu offenbaren. In ähnlichem Sinne sagt er auch später noch: »Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen.« (Jo 16, 12) Die Jünger verstehen es auch so (dass es nicht zu dem Wissen gehört, dass er ihnen zu offenbaren gekommen ist), denn sonst könnten sie nicht später sagen: »Du weißt alles.« (Jo 16, 30; 21, 17)

Jesus sagt nicht, »das weiß nur Gott«, wie der Salafist behauptet. Jesus sagt statt dessen, »das weiß nur der Vater«. Das ist nicht einerlei. Denn der Vater ist Gott, und der Sohn ist Gott. Beide sind der eine Gott, weshalb Christus Jesus sagen kann: »Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.« (Jo 14, 9) Und: »Alles, was der Vater hat, ist mein.« (Jo 16, 15) Selbstverständlich auch die Kenntnis über den Tag und die Stunde, aber der Tag und die Stunde sind nicht Offenbarungswissen.

Die Behauptung des Salafisten ist falsch. Aber er hat seine Änderungen so geschickt getarnt, dass sie zunächst kaum auffallen.

Das ist die Argumentation der Väter (vgl. die Zitate in meinem vorigen Beitrag). Sie garantieren uns die Orthodoxie. Sie sind die sicheren Führer.


Man könnte noch fragen: Warum gehört es nicht zur Offenbarung, den Jüngern den Tag und die Stunde zu offenbaren?

Markus 13, 3 f. (EÜ) hat geschrieben:Und als er auf dem Ölberg saß, dem Tempel gegenüber, fragten ihn Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas, die mit ihm allein waren: Sag uns, wann wird das geschehen, und an welchem Zeichen wird man erkennen, dass das Ende von all dem bevorsteht?
Dann beschreibt der Heiland die Zeichen und schließt an:
Markus 13, 28 f. (EÜ) hat geschrieben:Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht.
Denn sie sollen wachsam sein:
Markus 13, 37 (EÜ) hat geschrieben:Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Seid wachsam!
Wenn er ihnen Tag und Stunde nennte, führte er sie dadurch nicht in Versuchung, von ihrer Wachsamkeit abzulassen?
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Benutzeravatar
Haiduk
Beiträge: 1347
Registriert: Dienstag 15. Dezember 2009, 20:02
Wohnort: Bayern
Kontaktdaten:

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Haiduk »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:
Nun ist es allerdings auch so, dass dieses Gebet im „Orthodoxen Gebetbuch in deutscher Sprache“ der ROK, das „mit dem Segen S. E. Mark Erzbischof von Berlin und Deutschland“ gedruckt wird, ein Teil des Morgen-, wie auch des Abendgebets ist … – Immer“ steht dort allerdings tatsächlich nicht.

Die Gebetsbitte an den Heiligen Geist Wohung in uns zu nehmen würde gar keinen Sinn ergeben, wenn das "immer" nicht fehlen würde. Im räumlichen Sinne ist die Allgegenwart ja richtig, aber im zeitlichen eben nicht. Gott ist immer und überall für uns da, es ist aber an uns Ihn zu bitten, daß Er uns mit Seinem Geist erfülle. Wenn ich die Einzelaussage zur Allgegenwart so nicht stehen lassen will, dann deshalb, weil der Herr Selbst großen Wert darauf legte, daß die Menschen Ihn suchen: Lk. 11, 5-13.
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

Benutzeravatar
lifestylekatholik
Beiträge: 8702
Registriert: Montag 6. Oktober 2008, 23:29

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von lifestylekatholik »

Im Orthodoxen-Forum, im Unterforum »Fragen an Priester«, wurde vor einiger Zeit folgende Frage gestellt:
nun habe ich auf der Arbeit einen Kollegen, mit dem ich des öfteren über Glaubensfragen spreche, er ist Moslem diskutiert. […] Hierbei hat er mir allerdings Fragen bzw. Widersprüche in der Bibel gezeigt, welche mich doch sehr verblüfften und auf die ich Ihm keine Richtige Antwort geben konnte. […] 2. An einer anderen Stelle in der Bibel wird Jesus Christus gefragt ob er den Tag des jüngsten Gerichts weiss. Daraufhin antwortet er, dass er es nicht weiss, und nur Gott wisse wann dieser Tag kommt? Sie ahnen schon meine Frage oder :roll:
Wenn Jesus Gott ist, dann muss er es doch wissen, aber er sagt selber das er keine Ahnung hat, und nur Gott selber dies wisse. Wie kann das sein wenn er doch Gott ist?
(Übrigens: die gleiche verfälschende Fragestellung wie beim Salafistendialog.)

Ein russisch-orthodoxer Priester antwortete:
Die Heilige Schrift ist wahrlich ein Buch, das sehr tiefgründig ist und nicht selten den Leser herausfordert. Es ist sozusagen das Buch „hinter den sieben Siegeln“, man bedarf eines „Schlüssels“, mit dem man an die Lektüre der Hl. Schrift herangeht. Der Schlüssel ist zum einen die Gottesgnade, die den Gläubigen in Seiner Kirche reichlich gegeben wird, und zum anderen die Anleitung durch die Kirche. Die Heilige Schrift, das Neue Testament ist in der Kirche entstanden und wird auch von der Kirche ausgelegt und gedeutet. Konkret bedeutet dies, dass wir uns bei der Auslegung in erster Linie an den Heiligen Vätern und Lehrern unserer Kirche orientieren. [...]

2. Diese Stelle (Mk 13.32) sollte im Zusammenhang mit der parallelen Stelle aus dem Matthäus Evangelium (Mt 24, 36) und anderen Stellen aus den vier Evangelien betrachtet werden. Die Kirche glaubt an Christus als an den Sohn Gottes, der die zweite göttliche Person der Allheiligen Dreiheit ist, der vollkommene Gott ist und Fülle der Gottheit besitzt. Und als solcher hat er das Wissen über die Zeiten, denn er ist ja der Schöpfer der Welt und der Zeit. (s. Joh 1.3). Zudem sagt er: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Wie soll man dann die besagte Stelle verstehen? Heiliger Athanasios der Große legt sie so aus: „Man soll Worte Jesu, dass der Sohn die letzte Stunde nicht kennt, als Ihn die Jünger danach fragten, in Bezug auf seine Leiblichkeit verstehen: er sprach diese Worte, um zu zeigen, dass er als Mensch die Stunde nicht kennt, weil die Unwissenheit den Menschen eigen ist. Jedoch ist er auch der Logos (das Wort) und der Kommende, und der Richter und der Bräutigam, so kennt Er als solcher die Stunde, wann er kommt. So wie er als Mensch Hunger, Durst und Schmerz litt, ebenso besitzt Er als Mensch gemeinsam mit den Menschen auch die Unwissenheit. Aber der Gottheit nach, als der im Vater seiender Logos und die Weisheit, weiß Er alles, und es gibt nichts, was Er nicht wüste“.
Sofern der antwortende Priester die Lehre der russisch-orthodoxen Kirche richtig wiedergibt, lehrt sie also, dass Christus »das Wissen über die Zeiten« habe.

Er macht auch darauf aufmerksam, dass, wer die Heilige Schrift richtig auslegen will, sich dabei »an den Heiligen Vätern und Lehrern unserer Kirche orientieren« solle. An welchen »Heiligen Vätern und Lehrern unserer Kirche« orientiert sich Haiduk?
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Benutzeravatar
lutherbeck
Beiträge: 4004
Registriert: Montag 21. Dezember 2009, 09:09

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von lutherbeck »

...wer die Heilige Schrift richtig auslegen will, sich dabei »an den Heiligen Vätern und Lehrern unserer Kirche orientieren« solle...
Er meinte aber dabei sicherlich nur die orthodoxe Kirche?
"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Gott als Schöpfer von allem, also auch als Schöpfer der Zeit*, wird nicht durch Seine "Kreatur" begrenzt. Gottes zeitliche Allgegenwärtigkeit ergibt sich auch aus Seiner Unbegrenztheit. Wäre Er nicht immer überall gegenwärtig, gäbe es für Ihn eine zeitliche Grenze, also einen klar umschriebenen Zeitraum, der an einem bestimmten Zeitpunkt t1 beginnt und an einem davon unterschiedenen Zeitpunkt t2 endet. Es ist mir auch nicht recht klar, wie man die Zeit vom Raum trennen kann: Wenn man, wie nach antiker und eben auch nach Ansicht der Kirche der Väterzeit (wie auch des Mittelalters), Zeit als eine Art "Maß der Veränderung" auffasst, bei Aristoteles ist sie (mit Höffe) „eine Erfahrung, die der Geist an natürlichen, das heißt an sich verändernden Dingen [im Raum!] macht“ oder mit Aristoteles selbst: „Denn eben dies ist ja die Zeit, die Anzahl für die Bewegung hinsichtlich ihrer Phasenfolge“ (Phys. IV, 11, 219b1f. – lt. Aristoteles gibt es keine Zeit ohne eine Seele bzw. einen Verstand, der zählt, sie ist aber auch nicht eine subjektive Form der Anschauung, wie bei Kant), weiß ich nicht, wie das gehen soll. Hier noch einmal schön dargestellt:
P. B. Kälin OSB, [i]Lehrbuch der Philosophie[/i] (editiones scholasticae), S. 179 hat geschrieben:Begriffsbestimmung der Zeit. Die Zeit setzt eine stetige, gleichmäßige Bewegung voraus, und damit auch die stetige Ausdehnung im Raum. Das Eigentümlichste an ihr ist das eindeutig bestimmte, nicht umkehrbare Nacheinander. Dadurch unterscheidet sie sich von dem Nebeneinander des Räumlichen. Bei Ausdehnung und Raum ist die Lage der Teile durch näher oder entfernter bezüglich eines beliebig gewählten Ausgangspunktes gekennzeichnet. Bei der Zeit ist die Anordnung der Teile nach früher und später bestimmt und zwar so, daß das Frühersein oder Spätersein durch den wirklich gegebenen Bewegungsablauf eindeutig ist. Es gibt also keine Möglichkeit, diese Anordnung umzukehren, weil die kausale Verknüpfung der Bewegungszustände und ihr fließendes, vorübergehendes (sukzessives) Dasein das nicht zuläßt. […] Um die Zeit zu erfassen, muß darum der Geist bestimmte, gleichmäßige Bewegungsabläufe zu Einheiten zusammenfassen, um darnach die Aufeinanderfolge des Früher und Später zu bestimmten und die Dauer zu bemessen.
Weiters noch Nachträge zur Allgegenwart (örtlich und zeitlich):
St. Johannes von Damaskus (in: [i]Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens[/i], I, 13 hat geschrieben:Man sagt aber auch, er sei an einem Orte. Ort Gottes heißt der Ort, wo seine Wirksamkeit sich offenbart. Er selbst durchdringt ja alles ohne Vermischung und teilt allem von seiner eigenen Wirksamkeit mit, so wie es der Empfänglichkeit und Aufnahmsfähigkeit, ich meine der natürlichen, und Willensreinheit des einzelnen entspricht. Reiner ist das Immaterielle als das Materielle, das Tugendhafte als das mit Schlechtigkeit Gepaarte. Es heißt demnach Ort Gottes der, der mehr teil hat an seiner Wirksamkeit und Gnade. Darum ist der Himmel sein Thron. Denn in ihm sind die Engel, die seinen Willen tun und ihn immerdar preisen. Das ist seine Ruhestätte, die Erde aber ist der Schemel seiner Füße. Denn auf ihr hat er im Fleische mit den Menschen verkehrt. Fuß Gottes jedoch ist sein heiliges Fleisch genannt. Es heißt aber auch die Kirche Ort Gottes. Denn diesen haben wir zu seinem Lobpreis als ein Heiligtum ausgesondert; in ihm richten wir auch unsere Bitten an ihn. Desgleichen werden auch die Orte, an denen uns seine Wirksamkeit offenbar wird, sei es im Fleische, sei es ohne Körper, Orte Gottes genannt.
Man muß jedoch wissen, daß das göttliche Wesen unteilbar ist, überall vollständig ganz ist und sich nicht nach Körperart in einzelne Teile auflöst. Nein, es ist ganz in allem und ganz über allem. […] Gott allein ist es eigen, überall zu derselben Zeit zu wirken. […] Umschrieben ist, was von Ort, Zeit oder Begriff begrenzt ist; unumschrieben aber, was keine dieser Grenzen hat. Unumschrieben ist also nur die Gottheit, da sie ohne Anfang und Ende ist, alles umfaßt und von keinem Begriff umfaßt wird. Denn sie allein ist unbegreifbar und unbegrenzt, von niemand wird sie erkannt, nur sie selbst erkennt sich. Der Engel aber wird umschrieben: von der Zeit, denn er hat zu sein angefangen; vom Orte, wenn auch auf geistige Weise, wie oben gesagt, und vom Begriff. Denn sie [die Engel] kennen doch wohl ihre gegenseitige Natur und sie werden vollständig vom Schöpfer begrenzt. Die Körper aber [werden] durch Anfang und Ende, durch körperlichen Ort und Begriff [umschrieben].
Gottferne in der Sünde ist bspw. eine ziemlich handfeste Gottferne, speziell nach nach der alten Lehre der Kirche, die das Übel als eine Seinsprivation auffasst, also als einen Mangel an Sein. In diesem Sinne ist Gott auf jeden Fall fern oder "abwesend". Hier muss es wirklich eine Umkehr und eine Suche nach Gott als einen "Verlorenen" von unserer Seite geben.

lutherbeck hat geschrieben: Er meinte aber dabei sicherlich nur die orthodoxe Kirche?
Sind der hl. Athanasios und der hl. Papst Gregor oder der hl. Johannes von Damaskus und viele andere Väter, die hier zitiert wurden, keine Autoritäten in der (R)OK?

---
*Anm.: Platon sah das übrigens auch so:

Platon, [i]Timaios[/i] (Schleiermacher, Übers.), 37c-d hat geschrieben:Als nun der Vater, der es erzeugte, dem Weltganzen, indem er es in Bewegung und vom Leben durchdrungen sah, ein Schmuckstück für die ewigen Götter erblickte, ergötzte es ihn, und erfreut sann er darauf, seinem Urbilde es noch ähnlicher zu gestalten. Gleichwie nun dieses selbst ein unvergänglich Lebendes ist, versuchte er auch dieses Weltganze soviel wie möglich zu einem solchen zu vollenden. Da nun die Natur dieses Lebenden aber eine unvergängliche ist, diese Eigenschaft jedoch dem Erzeugten vollkommen zu verleihen unmöglich war: so sann er darauf, ein bewegliches Bild der Unvergänglichkeit zu gestalten, und machte, dabei zugleich den Himmel ordnend, dasjenige, dem wir den Namen Zeit beigelegt haben, zu einem in Zahlen fortschreitenden unvergänglichen Bilde der in dem Einen verharrenden Unendlichkeit.

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Zeit = Veränderung / Raum

Raum = Veränderung * Zeit

Veränderung = Raum / Zeit

Veränderung = Ausdehnung + Schrumpfung

Benutzeravatar
Haiduk
Beiträge: 1347
Registriert: Dienstag 15. Dezember 2009, 20:02
Wohnort: Bayern
Kontaktdaten:

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Haiduk »

Lieber Lifestylekatholik,

in seiner genauen Darlegung des orthodoxen Glaubens schrieb der Hl. Johannes von Damaskus:
Unaussprechlich also ist das göttliche Wesen und unbegreiflich.
Gottes Wesen ist ein Mysterium. Wir mögen uns noch so viel anstrengen, mit menschlichen Begriffen wird es auch bei noch so genauer Untersuchung nie ganz erfaßt werden können.

Als Gott dem Moses im brennenden Dornbusch erschien, da begann der "zu zittern und wagte nicht hinzusehen" (Apg. 7, 32). Moses fürchtete sich damals nicht vor dem Fleisch gewordenen und als Einziggeborener aus dem Vater vor aller Zeit gezeugten Sohn Gottes, sondern vor dem unerschaffenen Licht ("Licht von Licht" im Nicäno-Konstantinopolitanum), von dem auch bei der Verklärung Jesu in Lukas 9 berichtet wird. Ich habe dieses Licht nie gesehen, kann aber das Entsetzen nachvollziehen. Es war dieses Entsetzen sowie das Wissen um die Unaussprechlichkeit vom Wesen Gottes, das mich an der Angemessenheit allquantorischer Begriffe wie Allwissenheit und Allgegenwart zweifeln ließ.

In der Sache habe ich gesagt, was ich meinte sagen zu müssen. Bei mir haben die von verschiedenen Seiten (auch von Dir) oftmals zurecht vorgebrachten, wohlerwogenen Einwände dazu geführt, daß ich mich ein wenig mit der Negativen Theologie befaßt habe. Soweit es meine Fragen betrifft, sehe ich darin die Lösung. Ich schulde jedem Dank, der mich in diese Richtung geschubbst hat.

Nun sehe ich aber, daß Dir das von mir Gesagte so große Probleme bereitet, daß Du das Gebot der Nächstenliebe vergaßt. Ich will die Schuld dafür nicht bei Dir suchen. Ich will es stattdessen als Hinweis sehen, daß ich mich bei meinen laienhaften Ausführungen nicht genug bemüht habe. Ich kann und werde niemandem gram sein, wenn er meiner Nachlässigkeit wegen der Meinung ist, daß ich mich mit gottlosem Geschwätz hervorgetan habe.

Liebe Grüße,
Haiduk
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Haiduk hat geschrieben:Gottes Wesen ist ein Mysterium.

Wir mögen uns noch so viel anstrengen, mit menschlichen Begriffen wird es auch bei noch so genauer Untersuchung nie ganz erfaßt werden können.
Christlich betrachtet, entfaltet sich Gottes Wort in der Bibel, bis schließlich in Christus die ganze Fülle des Mysteriums offenbar wird.
Als Gott dem Moses im brennenden Dornbusch erschien, da begann der "zu zittern und wagte nicht hinzusehen" (Apg. 7, 32). Moses fürchtete sich damals nicht vor dem Fleisch gewordenen und als Einziggeborener aus dem Vater vor aller Zeit gezeugten Sohn Gottes, sondern vor dem unerschaffenen Licht ("Licht von Licht" im Nicäno-Konstantinopolitanum), von dem auch bei der Verklärung Jesu in Lukas 9 berichtet wird. Ich habe dieses Licht nie gesehen, kann aber das Entsetzen nachvollziehen. Es war dieses Entsetzen sowie das Wissen um die Unaussprechlichkeit vom Wesen Gottes, das mich an der Angemessenheit allquantorischer Begriffe wie Allwissenheit und Allgegenwart zweifeln ließ.
Vor allem dürfen wir nicht übersehen, dass der Vater das Licht ist und der Sohn das Licht vom Lichte, das die Dunkelheit der Herzen mit Leben und Liebe erfüllt.
In der Sache habe ich gesagt, was ich meinte sagen zu müssen. Bei mir haben die von verschiedenen Seiten (auch von Dir) oftmals zurecht vorgebrachten, wohlerwogenen Einwände dazu geführt, daß ich mich ein wenig mit der Negativen Theologie befaßt habe. Soweit es meine Fragen betrifft, sehe ich darin die Lösung. Ich schulde jedem Dank, der mich in diese Richtung geschubbst hat.
Vor allem dürfen wir seit Gen 1,1 mit Christus und Paulus glauben, dass Gott sich als Schöpfer in der Natur offenbart und daher auch der philosophischen Vernunft zugänglich ist. Zurecht suchen die Väter daher das Gespräch mit dem Philosophen und seinem Schüler. Dabei wollen wir nicht vergessen, im Vaterunser das Gespräch mit Gott selbst zu suchen.

Freunde der Negativen Theologie aber sollte sich immer mehr im schweigenden Gebet einüben und ihr unaussprechliches Geheimnis für sich hüten und bewahren.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Pilgerer »

Thomas_de_Austria hat geschrieben:Gottferne in der Sünde ist bspw. eine ziemlich handfeste Gottferne, speziell nach nach der alten Lehre der Kirche, die das Übel als eine Seinsprivation auffasst, also als einen Mangel an Sein. In diesem Sinne ist Gott auf jeden Fall fern oder "abwesend". Hier muss es wirklich eine Umkehr und eine Suche nach Gott als einen "Verlorenen" von unserer Seite geben.
Kennt Gott eigentlich das Böse, das Er nicht geschaffen hat und das demzufolge keine wahre Existenz hat?
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Thomas_de_Austria
Beiträge: 1906
Registriert: Donnerstag 20. Mai 2010, 16:47

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Thomas_de_Austria »

Pilgerer hat geschrieben:Kennt Gott eigentlich das Böse, das Er nicht geschaffen hat und das demzufolge keine wahre Existenz hat?
Gute Frage, aber: Ja. (1) Gott erkennt das, was nicht ist und (2) das Schlechte.

Nur die paar Argumente, da alles insgesamt zu lange wäre:

ad 1:
St. Thomas v. Aquin, [i]ScG[/i], I, 66 hat geschrieben:
Praetera. Deus cognosit alia a se per suam essentiam inquantum est similitudo eorum quae ab eo procedunt, ut ex dictis patet. Sed, cum essentia Dei sit infinitae perfectionis, ut supra ostensum est; quaelibet autem alia res habet esse et perfectionem terminata: impossibile es quod universitas rerum aliarum adaequet essentiae divinae perfectionem. Extendit igitur se vis suae repraesentationis ad multo pluro quam ad ea quae sunt. Si igitur Deus totaliter virtutem et perfectionem essentiae suae cognoscit, extendit se eius cognitio non solum ad ea quae sunt, sed etiam ad ea quae non sunt.
[»Außerdem: Gott erkennt von Ihm Unterschiedes (/anderes als sich) durch Sein Wesen, insofern es das Urbild von dem ist, was aus Ihm hervorgeht, wie aus dem Gesagten klar ist. Aber, während das Wesen Gottes unendlich vollkommen ist, wie oben gezeigt wurde, jedes beliebige andere Ding aber [nur] beschränktes Sein und Vollkommenheit hat, so ist es unmöglich, dass die Allgemeinheit (/Gesamtheit) der anderen Dinge dem göttlichen Wesen gleichkäme. Daher erstreckt sich die Kraft seiner Vergegenwärtigung auf viele mehr als auf die, die sind. Wenn daher Gott gänzlich Kraft und Vollkommenheit seines Wesens erkennt, erstreckt sich seine Erkenntnis nicht allein auf die, die sind, sondern auch auf die, die nicht sind.«]
ad 2:
St. Thomas v. Aquin, [i]ScG[/i], I, 71 hat geschrieben:Bono enim cognito, malum oppositum cognoscitur. Sed Deus cognoscit omina particularia bona, quibus mala opponuntur. Cognoscit igitur Deus mala.
Praetera. Contrariorum rationes in anima nun sunt contrariae: alias non simul essent in anima, nec simul cognoscerentur. Ratio ergo quo congoscitur malum, non repugnat bono, sed magis ad rationem boni pertinet. Si igitur in Deo, propter suam absolutam perfectionem, inveniuntur omnes rationes bonitatis, ut supra probatum est, relinquitur quod in ipso sit ratio qua malum cognoscitur. Et sic est etiam malorum cognoscitivus.
Item. Verum est bonum intellectus: ex hoc enim aliquis intellectus dicitur bonus quod verum cognoscit. Verum autem non solum est bonum esse bonum, sed etiam malum esse malum: sicut enim verum est esse quod est, ita verum est non esse quod non est. Bonum igitur intelletus etiam in cognitione mali consistit. Sed, cum divinus intellectus sit perfectus in bonitate, non es sibi deesse aliqua intelletualium perfectionum. Adest igitur sibi malorum cognitio.
[»Ist etwas Gutes erkannt, dann auch das entgegengesetzte Schlechte. Gott erkennt aber alle partikulären Güter, denen Schlechtes entgegengesetzt ist. Daher erkennt Gott Schlechtes.
Außerdem: Gegensätzliche Begriffe sind in der Seele nicht gegensätzlich, anders wären sie nicht zugleich in der Seele, noch würden sie zugleich erkannt. Der Begriff mit dem das Schlechte erkannt wird, widerspricht nicht dem Guten, sondern er gehört vielmehr zum Begriff des Guten. Wenn daher in Gott, wegen seiner absoluten Vollkommenheit, alle Begriffe (/Begriffsinhalte) der Güte aufgefunden werden, wie oben nachgewiesen wurde, ergibt sich, dass in Ihm der Begriff ist, durch den das Schlechte erkannt wird. Und so ist auch das Schlechte zu erkennen.
Ebenso: Das Gute ist das Gut des Verstandes: Denn deswegen wird Verstand gut genannt, weil er das Wahre erkennt. Wahr ist aber nicht allein, dass Gutes gut, sondern auch dass Schlechtes schlecht ist. Wie denn auch wahr ist, dass das, was ist, ist, so ist auch wahr, dass das, was nicht ist, nicht ist. Das Gute des Verstandes besteht daher auch in der Erkenntnis des Schlechten. Aber, während der göttliche Intellekt in der Güte vollkommen ist, kann Ihm keine intellektuelle Vollkommenheit abgehen. Daher kommt ihm auch die Erkenntnis des Schlechten zu.«
]
Ich hoffe das reicht vorläufig einmal. Es gibt noch viele weitere Gründe. So erkennt Gott auch Differenzen: Er erkennt das, was ist und weiß natürlich, wie alles sein sollte. Der Unterschied zwischen dem wirklich Gegebenen und der Norm erschließt sich Ihm natürlich klar und deutlich.

Pilgerer
Beiträge: 2697
Registriert: Freitag 3. Juni 2011, 00:45

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von Pilgerer »

Wenn daher Gott gänzlich Kraft und Vollkommenheit seines Wesens erkennt, erstreckt sich seine Erkenntnis nicht allein auf die, die sind, sondern auch auf die, die nicht sind.
Daher erkennt Gott Schlechtes.
Stimmt, Gott hat das Leid der Menschen erkannt und hat in Jesus es sogar gesucht. Also ist es wohl eher so: Gott weiß alles, auch das Böse und Unwahre - aber er schaut es nur mit dem Ziel an, es zu vertreiben und Gutes entstehen zu lassen. "das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen." (Johannes 1,5). Er beschäftigt sich nicht gerne mit dem Bösen, so wie unsereins ungern mit Alkoholikern oder Kriminellen umgeht. Anders als Gott neigen wir Menschen aber dazu, uns am Bösen zu erfreuen, weil wir es und den Tod liebhaben. Ein Zweck der Menschwerdung Gottes war, uns wieder Lust am Guten und Leben zu geben.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Jesaja 35,10)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von overkott »

Pilgerer hat geschrieben:
Wenn daher Gott gänzlich Kraft und Vollkommenheit seines Wesens erkennt, erstreckt sich seine Erkenntnis nicht allein auf die, die sind, sondern auch auf die, die nicht sind.
Daher erkennt Gott Schlechtes.
Stimmt, Gott hat das Leid der Menschen erkannt und hat in Jesus es sogar gesucht. Also ist es wohl eher so: Gott weiß alles, auch das Böse und Unwahre - aber er schaut es nur mit dem Ziel an, es zu vertreiben und Gutes entstehen zu lassen. "das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen." (Johannes 1,5). Er beschäftigt sich nicht gerne mit dem Bösen, so wie unsereins ungern mit Alkoholikern oder Kriminellen umgeht. Anders als Gott neigen wir Menschen aber dazu, uns am Bösen zu erfreuen, weil wir es und den Tod liebhaben. Ein Zweck der Menschwerdung Gottes war, uns wieder Lust am Guten und Leben zu geben.
Das ist jetzt etwas vom Thema ab.

HmstSalza
Beiträge: 3
Registriert: Montag 1. Oktober 2012, 01:40

Re: Ist Gott allwissend?

Beitrag von HmstSalza »

Pilgerer hat geschrieben:
Thomas_de_Austria hat geschrieben:Gottferne in der Sünde ist bspw. eine ziemlich handfeste Gottferne, speziell nach nach der alten Lehre der Kirche, die das Übel als eine Seinsprivation auffasst, also als einen Mangel an Sein. In diesem Sinne ist Gott auf jeden Fall fern oder "abwesend". Hier muss es wirklich eine Umkehr und eine Suche nach Gott als einen "Verlorenen" von unserer Seite geben.
Kennt Gott eigentlich das Böse, das Er nicht geschaffen hat und das demzufolge keine wahre Existenz hat?
Ist es nicht so, dass es das "Böse" sozusagen schon gibt, ich versuche meine Gedanken mal mitzuteilen.
Gott ordnete das Universum noch vor der Schöpfung von Erde und Mensch, Gottes gerechte und liebende Gesetze machten aus dem Chaos sein Werk.
Das Böse kam durch die Sünden und Verführund Luzifers in diese perfekte Welt, das war natürlich nicht überraschend für Gott.
Durch das Geschehenlassen der Rebellion Luzifers kam die Sünde in die bis dahin "unbefleckte" "Welt" - aber nur durch den Konflikt und das sogenannte Böse, was aus der Sünde Luzifers resultiert ist, konnte Gottes Liebe und die Gerechtigkeit seiner Regeln als "das Gute" dargestellt werden und sind nicht als "Einschränkung" oder "Tyrannei" zu verklären.....

Wichtig bei allem ist ja, dass jeder die Entscheidungsfreiheit hat - echte Liebe kann nur entstehen, wenn man die Wahl hat zu lieben oder auch nicht.

So hat auch "das Böse" seine Entstehung und auch "einen Sinn" ...

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema