Nagel, Tilman: [i]Die Anthropologie des Islams[/i], in: Kratz, Reinhard Gregor, Hermann Spieckermann (Hgg.): Götterbilder, Gottesbilder, Weltbilder. Band II Griechenland und Rom, Judentum, Christentum und Islam, Tübingen 2009[2], 216-217. hat geschrieben:Diese Definition von Gäubigkeit, die sich beweist, indem man sich vorberhaltlos den politischen und militärischen Zielen Mohammeds zur Verfügung stellt, findet sich zum ersten Mal in Sure 8, die kurz nach dem Sieg bei Badr im Jahre 624 entstand. Dort heißt es: „Diejenigen, die gläubig wurden, (nach Medina) auswanderte und mit ihrem Hab und Gut ihrem Leben auf dem Pfade Alahs den Dschihad führen, und diejenigen, die (diese) beherbergen und unterstüzten, die sind einander freund ... Diejenigen, die gläubig wurden, auwanderten und auf dem Pfade Allahs den Dschihad führen, sowie diejenigen die jene beherbergen und unterstützen, das sind die wahrhaft Gläubigen ...“ (Sure 8, 72 und 74). Glaube ist demnach deutlich vom islām, von der rituellen Hinwendung des Gesichts bzw. der Person auf den einen Schöpfer zu unterscheiden. Man kann Muslim sein, d.h. die Riten vollziehen, ohne daß man gläubig ist. Bereits in Sure 8 hatte Mohammed unmißverständlich dargelegt, daß es unzureichend sei, sich zu den von ihm angeordneten Riten zu bekennen, aber nicht „auszuwandern“ und sich seinem Befehl zur Verfügung zu halten. Bei Badr waren auf mekkanischer Seite etliche Muslime gefallen, die nicht den Weg nach Medina gegangen waren; laut Sure 4, Vers 97, etwa aus derselben Zeit stammend, werden die Engel diesen Muslimen am Jüngsten Tag vorhalten, daß sie die Auswanderung zu Mohammed versäumten, und dann haben sie die Höllenstrafen zu gewärtigen. Später mußte Mohammed einsehen, daß unmöglich alle, die sich seinen Riten anschlossen, auch die Hedschra vollziehen konnten. Insbesondere die Beduinen mußten mit ihrem Vieh von Weideland zu Weideland ziehen und hätten beim besten Willen nicht nach Medina kommen können, um sich in die Truppen der Gläubigen einzugliedern. In Sure 49 beharrt Mohammed darauf, daß sich solche Beduinen nicht als gläubig bezeichnen dürfen. Da sie nicht „mit ihrem Vermögen und ihrem Leben auf dem Pfade Allahs fechten“, sind sie allenfalls Muslime.
Wahre Gläubigkeit beweist sich im aktiven Mittun in einer Kampfgemeinschaft auf dem Pfade Allahs. Diese in den medinensischen Suren allgegenwärtige Überzeugung wirkte nach Mohammeds Tod fort und fand reichliche Betätigungsgelegenheiten in den einsetzenden Eroberungszügen, deren Geschichte hier nicht nacherzählt werden kann. Die frühesten noch ganz rohen theologischen Texte des Islams spiegeln diese Situation wider. Sie legen beispielsweise Sure 53 Vers 38 nun im Sinne der Eigenverantwortlichkeit des Menschen für sein Jenseitsschicksal aus. Wie erinnerlich, war in Sure 53 von den Schriften des Abraham und des Mose die Rede, in denen der ganze Weltenlauf niedergelegt ist, so daß am Ende der Zeiten jeder sehen kann, daß es mit ihm genau so gekommen ist, wie von Gott vorgesehen: Kein Mensch brauchte die Last eines anderen zu tragen. Jeder muß sich selber unter Einsatz alle Kräfte um ein gutes Tatenkonto kümmern, so versteht man das nun und will überhaupt jegliche Entscheidung, die im Koran auf das Endgericht verschoben wird, schon hier und heute fällen, und zwar im Sinne einer radikalen Erfüllung der kämpferischen Gläubigkeit. Wenn zum Beispiel in Sure 10, Vers 93 Allah ankündigt, er werde Streitfälle, die unter den einander bekämpfenden Richtungen der Israeliten aufgekommen seien, am Jüngsten Tag entscheiden, dann darf dergleichen unter den Muslimen nicht gelten. Die Entscheidung muß jetzt sofort gefällt werden, damit überhaupt gar nicht erst Streit ausbrechen kann, und ein sofortiges Urteil ist nur denkbar, indem man den Koran zur Richtschnur erhebt, der ja unmittelbar Allahs Wort sein soll. Mithin müssen die medinensichen Verhältnisse, wie sie unter der Herrschaft des Propheten gegeben waren, in die Gegenwart hinein fortgelten, und ist dies nicht der Fall, dann müssen sie wiederhergestellt werden. Die kämpferische Gläubigkeit, in der ein Muslim „Allah ein gutes Darlehen zu geben“ vermag, aktualisiert sich durch die ganze islamische Geschichte hindurch stets in, sagen wir: „Streßsituationen“, in der eine Restauration der prophetischen Urgemeinde von etlichen Muslimen für wünschenswert erachtet wird.