Empathie

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Niels
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Empathie

Beitrag von Niels »

Frage in die Runde: Hat man Empathie im Blut oder kann man sich das irgendwie aneignen? Wenn ja, wie?
Ich gehöre wohl zur ersten Gruppe.
Ich kenne aber auch eine Reihe guter Priester, die diese Gabe definitiv nicht haben. Dadurch gehen bestimmt Seelen verloren (unnötigerweise). Was kann man da tun?
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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Reinhard
cum angelis psallat Domino
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Re: Empathie

Beitrag von Reinhard »

Das Wort "Empathie" findest Du weder in der Bibel, noch in der kirchlichen Lehre.
Dort is in diesem Zusammenhang immer von "Liebe" die Rede - sie ist allerdings einer der zentralen Begriffe schlechthin.

Und ja: manche Menschen sind in Bezug auf ihre Fähigkeit zu lieben, tatsächlich in gewisser Weise "behindert", sei es durch eine schlechte Familie, böse Erfahrungen oder was auch immer.

Das entlässt jedoch niemanden aus der Aufgabe, in der Liebe zu wachsen.
Sondern - egal, von welchen Voraussetzungen jemand herkommt - es gilt immer und für jeden Menschen, dass er "in der Liebe wachsen" soll und muss. Das ist eigentlich alles.

Da brauchen wir gar nicht über andere Menschen ein Urteil zu fällen. - - Definitiv haben wir selber reichlich damit unser Tun, wenn wir wirklich in der Liebe wachsen wollen.

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Reinhard
cum angelis psallat Domino
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Re: Empathie

Beitrag von Reinhard »

Beim Durchsehen des Wikis bin ich jetzt noch an einem anderen Stichwort hängen geblieben: Mitleid.

In der Bibel und im Katechismus kommt es meistens als Mitleid Gottes / Christi vor, aber ein paar Stellen fand ich sehr aufschlußreich dafür, wie wir in Gottes Sinne fähig zum Lieben werden können.

Der Katechismus (2243 f.) weist auf etwas hin, das man gar nicht vermuten würde: dass Mitleid aus der Vergebung der Sünden und der Heilung von Verletzungen durch Gott kommt.
(Interessanterweise kommt menschliches Mitleid im KKK nur in diesem Zusammenhang überhaupt vor !)
2843 So nehmen die Worte des Herrn über die Vergebung, das heißt über diese Liebe, die bis zum Äußersten liebt, Leben an. (...)
Es liegt nicht in unserer Macht, eine Schuld nicht mehr zu spüren und so zu vergessen; doch das Herz, das sich dem Heiligen Geist öffnet, läßt diese Verletzung zu Mitleid werden und reinigt das Gedächtnis, indem es die Schuld zu einer Fürbitte werden läßt.

2844 Das christliche Gebet geht so weit (...)
Deshalb kann nur ein Herz, das mit dem göttlichen Mitleid übereinstimmt, die Gabe des Gebetes in sich aufnehmen.
Es ist Gott, der uns letztlich die Fähigkeit zur Liebe und zum Mitleid gibt:
Sacharja 12 hat geschrieben:Jerusalems Not und Errettung
(...) über die Einwohner Jerusalems werde ich den Geist des Mitleids und des Gebets ausgießen. Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben. (...)
Ezechiel 36 hat geschrieben:25 Ich gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. Ich reinige euch von aller Unreinheit und von allen euren Götzen.
26 Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch.
Ich ..., Ich ..., Ich (Gott) ... ! - niemand anders. Man denke an Maria Magdalena:
Lukas 7 hat geschrieben:47 Deshalb sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben, weil sie (mir) so viel Liebe gezeigt hat. Wem aber nur wenig vergeben wird, der zeigt auch nur wenig Liebe.
Du fragst, was man bei einem Mangel an Mitgefühl und Liebe tun kann.
Vor allem können wir ja keine Liebe "produzieren".
Wir können uns nur der Liebe Gottes aussetzen und öffnen. Dann liegt es bei Ihm, ein "Herz aus Fleisch" zu geben. Wir können's nicht und haben's nicht.
Gott wird uns gerade dort mit Seiner Liebe erfüllen, wo wir es am wenigsten vermuten: durch unsere Schuld ! - klar: nicht wo wir sie verbergen, sondern wo wir sie erkennen und zu Ihm bringen.

Was wir müssen, ist unsere Bedürftigkeit überhaupt erstmal wahrnehmen, sonst hat Gott keine Chance.

Und das wird dann wohl auch der Weg sein: dass zuerst mal wir selber "besser" werden, um von dort aus dann andere Menschen anzustecken und mitzunehmen. Auch störrische Pfarrer. :blinker:

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Sempre
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Re: Empathie

Beitrag von Sempre »

Niels hat geschrieben:
Mittwoch 3. Mai 2017, 14:34
Frage in die Runde: Hat man Empathie im Blut oder kann man sich das irgendwie aneignen? Wenn ja, wie?
Ich gehöre wohl zur ersten Gruppe.
Ich kenne aber auch eine Reihe guter Priester, die diese Gabe definitiv nicht haben. Dadurch gehen bestimmt Seelen verloren (unnötigerweise). Was kann man da tun?
Angenommen, ein Getaufter könnte verloren gehen, bloß weil es einem anderen Menschen an Empathie mangelt. Dann könnte ein Getaufter ohne eigene Schuld verloren gehen. Das widerspricht der Lehre der Kirche. Deine Sorge ist folglich unbegründet, was Getaufte angeht.

Was Ungetaufte angeht, ist die Fragestellung ungleich schwieriger und m.W. nicht geklärt. Man kann wohl nichts anderes tun, als solchen Priestern, von denen Du sprichst, mal ein wenig Empathie einzuprügeln.
Niemals sei gesagt es werde je zugelassen, daß ein zum Leben prädestinierter Mensch sein Leben ohne das Sakrament des Mittlers beendet. (St. Augustin, Gegen Julian, V-4)

Romanus
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Re: Empathie

Beitrag von Romanus »

Niels hat geschrieben:
Mittwoch 3. Mai 2017, 14:34
Frage in die Runde: Hat man Empathie im Blut oder kann man sich das irgendwie aneignen? Wenn ja, wie?
Ich gehöre wohl zur ersten Gruppe.
Ich kenne aber auch eine Reihe guter Priester, die diese Gabe definitiv nicht haben. Dadurch gehen bestimmt Seelen verloren (unnötigerweise). Was kann man da tun?
Würde deine Selbsteinschätzung stimmen, würdest du also zur ersten Gruppe gehören, könntest du anhand deiner eigenen empathischen Fähigkeit wohl wahrnehmen, dass solche Priester nicht ursächlich an ihrer vermeintlich fehlenden Empathie, sondern ihrer Einstellung zur Empathie kranken. Sie sehen Empathie als Schwäche an. Das ist ein Irrtum.

Die Ursachen sind komplex. Zu nennen sind die Herkunftsfamilie und das Milieu, dem sie entstammen. Vermutlich hat es in ihrer Kindheit an empathischen Vorbildern bzw. Priestern gemangelt. Sicherlich sind sie als Kind noch empathisch gewesen, sind aber vermutlich von Erwachsenen schroff abgewiesen worden. Der Verlust eines geliebten Menschen tut sein Übriges dazu. Sie haben gelernt, dass Empathie verletzlich macht und haben sich der Empathie gegenüber, somit anderen Menschen gegenüber, verschlossen.

Innerhalb des von der Kirche vorgegebenen Rahmens fühlen sie sich sicher und sind vielleicht auch „gute Priester“ – allerdings eben keine guten Vorbilder indem was es heißt, außer ein guter Zelebrant und gehorsamer Hirte ein einfühlsamer Mensch zu sein. Was kann man da tun? Bei Priestern ist das schwierig, weil sie sich gerne hinter ihrem Amt (und anderen Mechanismen) verschanzen und sich selbst genügen. Im Umgang mit anderen Menschen kann man versuchen, denjenigen Raum zu geben, damit sie mit Menschen, die sie nicht schroff abweisen, also in ihrer Liebe verlässlich sind, neue Erfahrungen sammeln können.

Übrigens haben sich Edmund Husserl und Edith Stein mit dem Thema Einfühlung befasst. Einfühlung ist das katholische Wort für Empathie. :)
„Die Kirche ist ein Kind der Zeit, Gott aber nicht, und der Bischof von Rom, sein Stellvertreter, kann zeitlichen Mächten nicht dienlich sein.“ (Andreas Kilb)

Pirmin
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Re: Empathie

Beitrag von Pirmin »

Romanus hat geschrieben:
Dienstag 9. Mai 2017, 09:35
Sicherlich sind sie als Kind noch empathisch gewesen, sind aber vermutlich von Erwachsenen schroff abgewiesen worden.
Nicht nur schroff abgewiesen, sondern auch emotional überwältigt bzw. missbraucht worden. In dem einen Fall gab es eine zu große Distanz (unverlässliche Liebe), in dem anderen Fall ein Zuviel an (elterlicher oder partnerschaftlicher) Nähe. Derartige Grenzüberschreitungen bei Kindern und auch Erwachsenen verstellen die Fähigkeit zu Empathie. Sie werden zu Opfern und/oder Tätern, im schlimmsten Fall ein Leben lang. Wer sich mit Gottes Hilfe seinen eingeprägten Mustern stellt, kann etwas zum Guten ändern und lernen, anderen wieder zu vertrauen.

Romanus
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Re: Empathie

Beitrag von Romanus »

Pirmin hat geschrieben:
Sonntag 14. Mai 2017, 09:16
Romanus hat geschrieben:
Dienstag 9. Mai 2017, 09:35
Sicherlich sind sie als Kind noch empathisch gewesen, sind aber vermutlich von Erwachsenen schroff abgewiesen worden.
Nicht nur schroff abgewiesen, sondern auch emotional überwältigt bzw. missbraucht worden. In dem einen Fall gab es eine zu große Distanz (unverlässliche Liebe), in dem anderen Fall ein Zuviel an (elterlicher oder partnerschaftlicher) Nähe. Derartige Grenzüberschreitungen bei Kindern und auch Erwachsenen verstellen die Fähigkeit zu Empathie. Sie werden zu Opfern und/oder Tätern, im schlimmsten Fall ein Leben lang. Wer sich mit Gottes Hilfe seinen eingeprägten Mustern stellt, kann etwas zum Guten ändern und lernen, anderen wieder zu vertrauen.
Allerdings sind Nähe und Distanz nur zwei Seiten einer Medaille. Auch wenn es paradox erscheint, gerade auch „ein Zuviel an Nähe“ ist insofern eine Abweisung, als sie den anderen mit seinen Bedürfnissen nicht wahrnimmt und ihn zur eigenen Bedürfnisbefriedigung manipuliert oder missbraucht. Das ist ganz und gar unempathisch und unreif, um nicht zu sagen, in höchstem Maße egoistisch und hat wenig mit Nächstenliebe zu tun. Empathie bedeutet, sich selbst zurücknehmen, sich vorurteilsfrei auf einen anderen Menschen einstellen, ihm zuhören, seine Bedürfnisse wahrnehmen und ihn, wenn gewünscht, aus einer „neutralen“ Haltung heraus, durch einen seelsorgerlichen Rat, einen Schritt weiter im Denken, Handeln oder Fühlen zu bringen; gleichsam ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger. In die Seelsorge wächst man in dem Maße hinein, wie man sich selbst und seinen Bedürfnissen auf die Schliche kommt. Selbsterkenntnis, beispielsweise das Ablegen von sozialen Ängsten, ist mithin eine Voraussetzung, um zu einem „guten Priester“ (einem Dikon oder Pastoralreferenten) heranzureifen, um noch einmal auf das Ausgangsposting zurückzukommen. Eventuell war ja ein hilfreicher Gedanke für den User Niels dabei.
„Die Kirche ist ein Kind der Zeit, Gott aber nicht, und der Bischof von Rom, sein Stellvertreter, kann zeitlichen Mächten nicht dienlich sein.“ (Andreas Kilb)

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