Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Allgemein Katholisches.
Benutzeravatar
taddeo
Moderator
Beiträge: 19226
Registriert: Donnerstag 18. Januar 2007, 09:07

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von taddeo »

Gallus hat geschrieben:Ähnliches gilt dann beim "Herr, ich bin nicht würdig...". Können wir uns wirklich vorstellen, daß der Zöllner leger vor Christus stand und diese Worte sagte?
Soweit mir erinnerlich ist, hat das kein Zöllner gesagt, sondern ein römischer Offizier.
Der allerdings dürfte kaum vor einem Juden in die Knie gegangen sein. Das war nämlich bei Römers eine Huldigungsgeste, die dem Kaiser vorbehalten war.

Benutzeravatar
taddeo
Moderator
Beiträge: 19226
Registriert: Donnerstag 18. Januar 2007, 09:07

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von taddeo »

Ralf hat geschrieben:
Philos hat geschrieben:Es heißt ja auch "vor Dir zu stehen und Dir zu dienen" (man kann jetzt darüber streiten, inwiefern das für alle oder nur für den Klerus gilt ;) )
Vor allem kann man darüber streiten, ob es sich bei dieser Aussage um das Leben generell handelt oder nur um die Anwesenheit während der Hl. Messe.
Das ist durch das "astare" (aus ad-stare) schon ziemlich klar, daß da das konkrete "dabei-stehen" am Altar gemeint ist.

Benutzeravatar
Gallus
Beiträge: 3424
Registriert: Montag 27. Dezember 2010, 11:13
Wohnort: Erzbistum Köln

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von Gallus »

taddeo hat geschrieben:Soweit mir erinnerlich ist, hat das kein Zöllner gesagt, sondern ein römischer Offizier.
Der allerdings dürfte kaum vor einem Juden in die Knie gegangen sein. Das war nämlich bei Römers eine Huldigungsgeste, die dem Kaiser vorbehalten war.
Stimmt, der Hauptmann, natürlich. Das Argument mit der Huldigungsgeste finde ich allerdings nicht sehr plausibel, auch wenn es natürlich Standard ist, das typische zeitgenössische Verhalten als Schablone zu nehmen, um eine biblische Szene zu interpretieren. Aber wieso soll ich davon ausgehen, daß jemand sich wie ein typischer Römer verhält, wenn dieser Römer glaubt, seinen Erlöser oder doch zumindest eine völlig außergewöhnliche Person vor sich zu haben? Daß er Jesus überhaupt auf diese Weise anspricht ist ja schon unkonventionell genug.

Benutzeravatar
taddeo
Moderator
Beiträge: 19226
Registriert: Donnerstag 18. Januar 2007, 09:07

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von taddeo »

Gallus hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben:Soweit mir erinnerlich ist, hat das kein Zöllner gesagt, sondern ein römischer Offizier.
Der allerdings dürfte kaum vor einem Juden in die Knie gegangen sein. Das war nämlich bei Römers eine Huldigungsgeste, die dem Kaiser vorbehalten war.
Stimmt, der Hauptmann, natürlich. Das Argument mit der Huldigungsgeste finde ich allerdings nicht sehr plausibel, auch wenn es natürlich Standard ist, das typische zeitgenössische Verhalten als Schablone zu nehmen, um eine biblische Szene zu interpretieren. Aber wieso soll ich davon ausgehen, daß jemand sich wie ein typischer Römer verhält, wenn dieser Römer glaubt, seinen Erlöser oder doch zumindest eine völlig außergewöhnliche Person vor sich zu haben? Daß er Jesus überhaupt auf diese Weise anspricht ist ja schon unkonventionell genug.
Die Römer waren religiöse Synkretisten reinsten Wassers. Immer schon. Der Hauptmann hatte halt vielleicht von Jesus gehört, daß der ein Wundertäter sei, und sah in ihm die letzte Hoffnung für seinen Sklaven. Das hieß nicht automatisch, daß er in ihm seinen "Erlöser" im christlichen Sinn sah.

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von overkott »

taddeo hat geschrieben:
Gallus hat geschrieben:
taddeo hat geschrieben:Soweit mir erinnerlich ist, hat das kein Zöllner gesagt, sondern ein römischer Offizier.
Der allerdings dürfte kaum vor einem Juden in die Knie gegangen sein. Das war nämlich bei Römers eine Huldigungsgeste, die dem Kaiser vorbehalten war.
Stimmt, der Hauptmann, natürlich. Das Argument mit der Huldigungsgeste finde ich allerdings nicht sehr plausibel, auch wenn es natürlich Standard ist, das typische zeitgenössische Verhalten als Schablone zu nehmen, um eine biblische Szene zu interpretieren. Aber wieso soll ich davon ausgehen, daß jemand sich wie ein typischer Römer verhält, wenn dieser Römer glaubt, seinen Erlöser oder doch zumindest eine völlig außergewöhnliche Person vor sich zu haben? Daß er Jesus überhaupt auf diese Weise anspricht ist ja schon unkonventionell genug.
Die Römer waren religiöse Synkretisten reinsten Wassers. Immer schon. Der Hauptmann hatte halt vielleicht von Jesus gehört, daß der ein Wundertäter sei, und sah in ihm die letzte Hoffnung für seinen Sklaven. Das hieß nicht automatisch, daß er in ihm seinen "Erlöser" im christlichen Sinn sah.
Auch für das Hinknien gilt natürlich die Suche nach entsprechenden Stellen in der Bibel, um daraus eine Inspiration für die Liturgie und das tägliche Gebet abzuleiten. Dabei haben wir es heute viel einfacher als Geistliche im Mittelalter, die nach der Schule erst einmal Jahrzehnte Bibel lesen und kommentieren mussten, um dahin zu gelangen, was uns heute eine Suchmaschine möglich macht. Das Knien oder Unterwerfen ist schon im Alten Testament die typische Haltung des Bittens insbesondere gegenüber einem Herrscher oder Herrn gewesen. Im Buch Daniel ( 6,11 ) etwa findet sich der Hinweis auf das Knien beim Gebet dreimal am Tag. Jesus betete nicht anders ( Lk 22,41 ), Petrus ( Apg 9,40 ), Paulus ( Apg 20,36 ).

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von heiliger_raphael »

Wenn ich die Messe als Einheit betrachte, in der gestanden, gesessen und gekniet wird, dann scheint es mir dagegen zu sprechen, bei der Anwesenheit des Herrn nicht zu knien. In welche Beziehung möchte man sein Verhalten bei der Anwsenheit des Herrn zu anderen Demutsgesten während der Messe setzen? Während des Gottesdienstes an verschiedenen Stellen zu knien, bei der Anwesenheit des Herrn hingegen nicht, scheint den Höhepunkt der Ehrfurcht auf einen Zeitpunkt vor die Anwesenheit des Herrn zu legen. Etwas salopp gesagt: ich werde zum Essen eingeladen und gehe vorher erstmal reichhaltig woanders speisen.

Ein anderer Punkt ist der Zusammenhang zwischen Geste und innerer Haltung. Sitzen und Stehen sind übliche Haltungen während des Tages, die wir ständig einnehmen. Da wir sie ständig einnehmen, können wir unser Inneres nicht schulen, durch diese Haltung Demut zu lernen, umgekehrt stehen wir so häufig, dass auch die Haltung niemals Ausdruck einer inneren Demut sein kann. Ich sitze und stehe auch an der Bushaltestelle ohne darin eine demütige Haltung zu erkennen oder ausdrücken zu wollen.

Knien ist hingegen eine am Tag eher unübliche Haltung. Für mich persönlich daheim nur beim Gebet und während der Messe an den entsprechenden Stellen und bei der Kommunion, bzw. allgemein in der Kirche. Da die Haltung am Tag nicht "zweckentfremdet" wird, bleibt sie in ihrer Ganzheit für mich eine ausschließlich demütige Haltung.

Benutzeravatar
Pit
Beiträge: 8120
Registriert: Freitag 23. April 2004, 17:57

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Pit »

Raphael,ich knie während der Wandlung nicht,weil ich es aus gesundheitlichen Gründen nicht allzulange kann und stehe deswegen,aber mit einer entsprechend ehrfürchtigen Haltung (u.A. mit gesenktem Kopf),denn ich empfinde es in dem Moment auch so,dass ich nicht einfach nur stehe,sondern vor Gott stehe um ihm zu dienen.
Interessant finde ich,dass es aus dem Hochmittelalter eine überlieferte Redewendung gibt,die besagt,dass ein Ritter vor niemandem kniet als "vor Gott und seinem Herrn (gemeint ist der Lehnsherr des Ritters)".
carpe diem - Nutze den Tag !

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von overkott »

Sprach der Herr: Vater, mir bekommt das Kreuz aus gesundheitlichen Gründen im Augenblick nicht so gut. Könntest du nicht das Evangelium etwas johanneischer gestalten?

Benutzeravatar
Pit
Beiträge: 8120
Registriert: Freitag 23. April 2004, 17:57

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Pit »

overkott hat geschrieben:Sprach der Herr: Vater, mir bekommt das Kreuz aus gesundheitlichen Gründen im Augenblick nicht so gut....
Tja,"dumm gelaufen",dass Jesus von den Römern wegen Hochverrat hingerichtet wurde,denn wäre er vom Sanhedrin wegen Gotteslästerung hingerichtet worden,würden wir heute vieleicht kein kleines Kreuz am Hals tragen sondern einen Stein. ;)
carpe diem - Nutze den Tag !

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von overkott »

Pit hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Sprach der Herr: Vater, mir bekommt das Kreuz aus gesundheitlichen Gründen im Augenblick nicht so gut....
Tja,"dumm gelaufen",dass Jesus von den Römern wegen Hochverrat hingerichtet wurde,denn wäre er vom Sanhedrin wegen Gotteslästerung hingerichtet worden,würden wir heute vieleicht kein kleines Kreuz am Hals tragen sondern einen Stein. ;)
Tja, "klingt interesssant", stimmt aber nicht. Pilatus hat ihn nicht verurteilt, sondern ihn gegen Barrabas eingetauscht.

Mary
Beiträge: 1470
Registriert: Mittwoch 29. Juli 2009, 06:58

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Mary »

heiliger_raphael hat geschrieben:
Knien ist hingegen eine am Tag eher unübliche Haltung.
Dann frag mal Mütter, Kindergärtnerinnen, Putzfrauen, Gärtnerinnen, Automechaniker......wie oft sie am Tag knien müssen.... ganz ohne zu beten. Ach ja... und Stillberaterinnen auch... recht häufig sogar.
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

Mary
Beiträge: 1470
Registriert: Mittwoch 29. Juli 2009, 06:58

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von Mary »

overkott hat geschrieben: Jesus betete nicht anders ( Lk 22,41 ), Petrus ( Apg 9,40 ), Paulus ( Apg 20,36 ).
Ja, manchmal knieten diese Menschen und der Herr (vor allem bei Bittgebeten)

Es gibt jedoch in der Bibel auch das Stehen vor Gott, das Aufheben der Hände, das Aufblicken zu Gott oder das Senken des Haupts und Verbeugen, das Niederwerfen zur Erde, das Niederwerfen auf das Angesicht....
Vergleiche dazu übrigens auch die synoptischen Parallelstellen zu Lk 22,41.

Knien ist EINE mögliche Haltung von vielen, die für das Gebet geeignet sind.
Nur Hinsitzen - wie für "stille Zeit" - geht eigentlich gar nicht.
Who is so great a God as our God? You are the God who does wonders!

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von heiliger_raphael »

Pit hat geschrieben:Raphael,ich knie während der Wandlung nicht,weil ich es aus gesundheitlichen Gründen nicht allzulange kann und stehe deswegen,aber mit einer entsprechend ehrfürchtigen Haltung (u.A. mit gesenktem Kopf),denn ich empfinde es in dem Moment auch so,dass ich nicht einfach nur stehe,sondern vor Gott stehe um ihm zu dienen.
Wobei gesundheitliche Gründe doch immer eine eigene Sache sind.
Generell bin ich der Meinung, dass es jeder so handhaben soll, wie er es als richtig empfindet. Mir ging es um die Einheit während des Gottesdienstes: mit welchen Gesten drücke ich was aus. Wenn z.b. jemand generell nicht kniet, kann auch das Stehen ehrfürchtig sein. Und dann passt es auch zu dieser Einheit. Wenn aber jemand, der gesund ist, häufig während des Gottesdienstes kniet, aber zur Wandlung nicht, finde ich das unstimmig. Wenn jemand immer steht, weil es für ihn ehrfürchtiger ist, passt es auch wieder.
Es geht also weniger um die Einzelfrage, welche Geste zur Wandlung vollzogen wird, sondern um eine Einheit, mit der die inneren Einstellung bildlich veräußert wird.
Meine Beschreibung hinsichtlich der gewohnten Gesten muss für andere auch nicht gültig sein. Ein Fliesenleger kniet vermutlich häufiger und hier kann ein bewusstes Stehen, zusammen mit anderen Gesten (wie zb. der von Dir beschriebenen) ebenso ehrfürchtig und Ausdruck der inneren Demut sein.

Benutzeravatar
Jarom1
Beiträge: 887
Registriert: Freitag 5. August 2011, 20:15

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Jarom1 »

Nicolas Gomez Davila hat einmal geschrieben, dass sich das Gewicht der Welt nur tragen läßt, indem man niederkniet.
Consciousness of sin, certainty of faith, and the testimony of the Holy Spirit

Ralf

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von Ralf »

taddeo hat geschrieben:
Ralf hat geschrieben:
Philos hat geschrieben:Es heißt ja auch "vor Dir zu stehen und Dir zu dienen" (man kann jetzt darüber streiten, inwiefern das für alle oder nur für den Klerus gilt ;) )
Vor allem kann man darüber streiten, ob es sich bei dieser Aussage um das Leben generell handelt oder nur um die Anwesenheit während der Hl. Messe.
Das ist durch das "astare" (aus ad-stare) schon ziemlich klar, daß da das konkrete "dabei-stehen" am Altar gemeint ist.
Naja, "adstare" heißt aber auch einfach nur "da stehen" ("dabeistehen" im Sinne von "mit dabei" wäre eher "constare", wenn es das gibt) - natürlich ist da der Vollzug am Altar mitgemeint, aber nicht ausschließlich. Wäre er ausschließlich gemeint, wäre ein hinknien in diesem Moment in der Tat Unsinn. Es sei denn, der Priester spricht im Pluralis majestatis.

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Liturgische Mißbräuche 3.0

Beitrag von overkott »

Ecce Homo hat geschrieben:Es setzt sich in den Gemeinden vor Ort immer mehr durch, daß das Volk während des Hochgebets stehen bleibt. Das wurde den Leuten hier schon vor Jahren so "antrainiert".
Das war wohl Ausgangspunkt der Debatte. Dabei geht es um die Grundfrage:

Was ist Sinn der ursprünglichen Regelung?

Der Hinweis auf die Bibel, auf Jesus und die Apostel als Vorbilder scheint grundlegend.

Man könnte sogar mit dem Konzil argumentieren: Schaut doch mal, was die älteren und jüngeren Brüder, Juden und Moslems, im Glauben praktizieren. Wo sind deren Gebetsformen typisch biblisch?

Benutzeravatar
Hubertus
Beiträge: 15232
Registriert: Montag 3. Mai 2010, 20:08

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Hubertus »

Martin Mosebach hat dazu in Häresie der Formlosigkeit etwas m.E. sehr passendes geschrieben (ich zitiere mal der Einfachheit halber von hier: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=717550#p717550):
Kerneinsicht des Geschichtsdenkens muß [...] sein: was in der einen Epoche Ausdruck der Verehrung ist, kann in einer anderen Epoche Ausdruck der Blasphemie sein. Nachdem sie tausend Jahre lang auf den Knien gelegen haben, erheben sich die Leute doch nicht in der Einsicht, die Urchristen hätten bei der Wandlung gestanden und man kehre nun zu dieser besonders authentischen Andachtsform zurück. Sie stehen vielmehr auf, klopfen sich den Staub von den Hosenbeinen und denken: Es ist wohl alles nicht so ernst gemeint. Jede Bewegung in solchen Kultfeiern spricht dieses: Ganz so ernst ist das alles nicht gemeint. Es ist anthropologisch vollkommen ausgeschlossen, daß unter solchen Umständen der kirchlich noch immer verkündigte und vielleicht mit Worten auch von Teilnehmern solcher Feiern gelegentlich noch bestätigte Glauben an die Gegenwart Christi im Sakrament irgendeine tiefere seelische Bedeutung besitzt.
Vllt. müßte man noch besser von jenen sprechen, welche die Gemeinden in solchen Dingen anleiten.
Der Durchschnittsgläubige ist, wie ich das subjektiv empfinde, zwar schon in Glaubensdingen ungebildet
genug, daß ihn nichts mehr wundert, aber andererseits noch immer "autoritätshörig" genug, um alles, was
"von oben" angeordnet wird, kritiklos mitzumachen.
Der Kult ist immer wichtiger als jede noch so gescheite Predigt. Die Objektivität des Kultes ist das Größte und das Wichtigste, was unsere Zeit braucht. Der Alte Ritus ist der größte Schatz der Kirche, ihr Notgepäck, ihre Arche Noah. (M. Mosebach)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von overkott »

Hubertus hat geschrieben:Martin Mosebach hat dazu in Häresie der Formlosigkeit etwas m.E. sehr passendes geschrieben (ich zitiere mal der Einfachheit halber von hier: http://www.kreuzgang.org/viewtopic.php?p=717550#p717550):
Kerneinsicht des Geschichtsdenkens muß [...] sein: was in der einen Epoche Ausdruck der Verehrung ist, kann in einer anderen Epoche Ausdruck der Blasphemie sein. Nachdem sie tausend Jahre lang auf den Knien gelegen haben, erheben sich die Leute doch nicht in der Einsicht, die Urchristen hätten bei der Wandlung gestanden und man kehre nun zu dieser besonders authentischen Andachtsform zurück. Sie stehen vielmehr auf, klopfen sich den Staub von den Hosenbeinen und denken: Es ist wohl alles nicht so ernst gemeint. Jede Bewegung in solchen Kultfeiern spricht dieses: Ganz so ernst ist das alles nicht gemeint. Es ist anthropologisch vollkommen ausgeschlossen, daß unter solchen Umständen der kirchlich noch immer verkündigte und vielleicht mit Worten auch von Teilnehmern solcher Feiern gelegentlich noch bestätigte Glauben an die Gegenwart Christi im Sakrament irgendeine tiefere seelische Bedeutung besitzt.
Vllt. müßte man noch besser von jenen sprechen, welche die Gemeinden in solchen Dingen anleiten.
Der Durchschnittsgläubige ist, wie ich das subjektiv empfinde, zwar schon in Glaubensdingen ungebildet
genug, daß ihn nichts mehr wundert, aber andererseits noch immer "autoritätshörig" genug, um alles, was
"von oben" angeordnet wird, kritiklos mitzumachen.
Gründonnerstag war ein Tiefpunkt der Liturgieverdrehung. Das war kein Spaß.

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von heiliger_raphael »

Habe meine Beiträge zur Frage des Kniens in der neuen Hedwigs-Kathedrale jetzt bewusst nicht hier rein getan, weil es mir nicht um eine subjektive Demutshaltung geht, sondern um die kirchliche Verunmöglichung der persönlichen Demutshaltung, wenn diese das Hinknien ist.

Möchte aber dennoch eine Frage hier zur Diskussion stellen:

meinem Verständnis nach einer Kirche in Einheit und einer Frömmigkeit in Fülle bedeutet Kirche auch immer als überzeitlich zu betrachten und nicht als etwas, das sich zwangsläufig zeitlich-geschichtlichen Entwicklungen unterwirft. Kirche, wie ich sie verstehe, sollte Veränderung und Erhalt immer auf Gott hin betrachten und in diesem Sinne sich vernünftig wandeln (was eben auch beinhaltet, sich nicht zu wandeln, wenn es nicht vernünftig ist).
Für die Möglichkeiten der Frömmigkeit halte ich daher für sinnvoll, wenn verschiedene Zeichen der Demut ermöglicht werden. D.h. die Kirche soll dem Gläubigen jedwede Möglichkeit bieten,auch erlernte und jahrelang gepflegte Frömmigkeit und Gesten zu praktizieren. Die Realität sieht scheinbar so aus, dass zeitlich gedacht wird und alte Möglichkeiten als überholt verworfen werden. Bei dem Verhältnis Alte/Neue Messe erlebe ich das deutlich, aber auch bei den neuen Plänen in der Hedwigskathedrale ist es baulich darauf ausgerichtet, das Knien zu unterbinden. Kirche scheint hier zeitlich gedacht zu werden und von den Menschen verlangt, ihre frommen Gewohnheiten und auch die Art der Anbetung architektonischen Kriterien zu unterwerfen.

Benutzeravatar
Reinhard
cum angelis psallat Domino
Beiträge: 2161
Registriert: Montag 30. Mai 2011, 11:06
Wohnort: in der ostdeutschen Diaspora

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von Reinhard »

heiliger_raphael hat geschrieben:Möchte aber dennoch eine Frage hier zur Diskussion stellen:

meinem Verständnis nach einer Kirche in Einheit und einer Frömmigkeit in Fülle bedeutet Kirche auch immer als überzeitlich zu betrachten und nicht als etwas, das sich zwangsläufig zeitlich-geschichtlichen Entwicklungen unterwirft. Kirche, wie ich sie verstehe, sollte Veränderung und Erhalt immer auf Gott hin betrachten und in diesem Sinne sich vernünftig wandeln (was eben auch beinhaltet, sich nicht zu wandeln, wenn es nicht vernünftig ist).
Für die Möglichkeiten der Frömmigkeit halte ich daher für sinnvoll, wenn verschiedene Zeichen der Demut ermöglicht werden. D.h. die Kirche soll dem Gläubigen jedwede Möglichkeit bieten,auch erlernte und jahrelang gepflegte Frömmigkeit und Gesten zu praktizieren.
Diese Frage der "Stimmigkeit" würde ich allerdings nicht an "der Kirche", sondern an der inneren Haltung des Einzelnen festmachen.

Mich überzeugt hier der Ansatz von Romano Guardini (in "Von Heiligen Zeichen"), der grundsätzlich bei der Stimmigkeit der äußeren Gesten mit der zugrundeliegenden Herzenshaltung ansetzt. Zeitbedingt wäre hier also nicht "die Kirche", sondern die Art, wie der Einzelne seine Herzenshaltung ausdrückt.

Für mich selber ist der passendste Ausdruck z.B. das Knien vor Gott mit einem Gebetsbänkchen. - geht aber nicht, denn normalerweise gibt es keine Gebetsbänkchen in den Kirchen. (allenfalls beim Nightfever, in Jugendkirchen oder bei Exerzitien ...)
Also muss ich einen Kompromiss eingehen, also das tun, was dem am nächsten kommt. Bei einer konkreten Pfarrgemeinde würde man idealerweise gucken, wie die Summe der Einzelnen (mit ihrer jeweiligen, zeitbedingten Prägung !) dann ihre Haltung vor Gott ausdrücken möchten oder würden. Erst auf diesem Wege gelangt man dahin, wie "die Kirche" damit umgehen sollte. Also auch hier mehr "bottom up" als "top down".

Problematisch ist es natürlich, wenn irgendwelche Gremien oder "Sachverständige" hier in einem erzieherischen Sinne irgendwelche Dinge durchdrücken wollen.
Aber gut: da ist man als "kleiner Gläubiger" dann notfalls wieder bei den Kompromissen: Es ist ja überhaupt kein Problem, auch auf dem Fußboden zu knien. Das ist dem unmittelbaren Knien vor Gott ohnehin noch deutlich näher als eine edel-gepolsterte Kniebank ... ;D ... Tatsächlich halte ich das im Zweifel so.

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von heiliger_raphael »

Es geht mir ja nicht um die subjektive Reaktion auf eine vorhandene bauliche Situation, mit der ich konfrontiert wurde. Sondern um die bauliche Veränderung, die nicht im Einklang mit den frommen Gewohnheiten der Besucher steht (und die sich meiner bescheidenen Meinung nach auch nicht mit dem 2. Vatikanum begründen lässt). Sind denn wir Gesunden und Jungen der Maßstab? Komisch ist zudem, dass der Kardinal keinerlei Probleme mit dem Kölner Dom zu haben scheint, dabei müsste er ihm ja völlig ein Dorn im Auge sein (Stufen, Gemeinde sitzt nicht um den Altar herum usw usf), werden nun Baumaßnahmen, die eine Veränderung im Sinne des 2. Vatikanums herbeiführen wollen, abhängig von der Stadt geplant?

Natürlich kann man sich arrangieren, wenn die baulichen Gegebenheiten so sind, wie man sie vorfindet. Wenn aber architektonisch in eine funktionierende und alte Gemeinde ein Bruch mit den Zeichen der Demut erzwungen wird, halte ich das weder für sinnvoll, noch für etwas, das die Gemeinde zukünftig stärken wird.

Eine Logik erschließt sich mir auch nicht in Deiner Argumentation, wenn Du meinst, auf dem Boden knien wäre doch viel demütiger als auf der gepolsterten Bank: Nun, den alten Katholiken und Katholikinnen, die jetzt schon sich auf den Stufen oder Kommunionbänken abstützen, damit sie auf die Knie kommen, sollen also zu "richtiger" Demut genötigt werden, am besten noch mit Schmerzen, während die "Wir greifen uns mal einen Keks aus der Communio-Dose"-Fraktion in ihrer - aus Deinem vorherigen Ansatz abgeleitet - nahezu fehlenden Demut bestärkt werden?

Es geht hier schon um "die Kirche" und nicht um "den Einzelnen", denn von Kirchengremien wurde dieser Freiflug genehmigt. Und da muss die Frage gestattet sein, ob solche Ausrutscher in irgendeiner Weise mit der Liturgie gerechtfertigt werden dürfen. Denn die Liturgie, so wurde es auch in Interview bekräftigt, sieht hinknien vor. (natürlich können in genannter Kirche natürlich zukünftig alle stehen bleiben und sich auch Marmelade auf die Hostien schmieren, einfach um den Geschmack so angenehm wie das Stehen zu machen - das ist dann auch eine "subjektive" Reaktion auf Gegebenheiten)

Benutzeravatar
overkott
Beiträge: 19634
Registriert: Donnerstag 8. Juni 2006, 11:25

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von overkott »

Anders als vielleicht im staatskirchlichen Denken mancher Kulturredakteure ist das Erzbistum Berlin nicht das Zentrum der Bistümer in Deutschland. Die Gestaltung der Hedwigskathedrale im Herzen der Bundeshauptstadt ist daher ein relativ lokales Thema. Inwieweit in die Planung nicht nur der Erzbischof und das Domkapitel einbezogen sind, sondern auch die Gemeinde, ist hier noch nicht dargelegt worden. Nicht selten scheinen Kirchen den Gemeinden quasi übergestülpt worden zu sein, beauftragt von Bauträgern, die öffentliches Aufsehen erregen wollten, geplant von Architekten mit Blick auf andere Architekten. Das war im 13. Jahrhundert beim Bau des Kölner Doms vielleicht nicht anders.

Die neue Rundform ermöglicht in neuer Offenheit die heilige Messe, in der Gläubige und Priester in gleicher Blickrichtung zu Gott zelebrieren, ebenso wie Gottesdienste als Abendmahlsgedächtnisversammlungen. Eine zumindest partielle französische Kathedralbestuhlung im rückwärtigen Raum würde auch das Knien ermöglichen und die weltkirchliche Katholizität betonen. Wandlungsgegner könnten demgegenüber durch die Bestuhlung analog einem Bildungszentrum betonen, dass eine Vergegenwärtigung Christi in der Eucharistie rein geistlich stattfinde und keinerlei biblischer Demutsgeste bedürfe, zumal auch der Papst Knien teilweise durch Verbeugen ersetzt:

http://www.bibleserver.com/search/VUL/genu%2fl/1

http://www.bibleserver.com/search/EU/knie/1

Das Konzil schrieb zum Thema niederknien:

http://www.stjosef.at/cgi-bin/konzil_suche.pl

heiliger_raphael
Beiträge: 775
Registriert: Dienstag 18. März 2014, 22:16
Wohnort: Urlaub

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von heiliger_raphael »

overkott hat geschrieben:Nicht selten scheinen Kirchen den Gemeinden quasi übergestülpt worden zu sein
Das ist bei Hedwig genauso. Die Domgemeinde wünscht sich im Hinblick auf die schmalen Kassen des Berliner Erzbistums und der Vorgeschichte in Limburg eine Sanierung, die auf's notwendigste reduziert wird (Erneuerung der Elektrik, Renovierungen, Grundsäuberung der Kathedrale) und nach Innen wie Außen vertretbar ist. Die meisten, die neben mir am Modell standen, waren ziemlich entsetzt, sowohl was die zu erwartenden Kosten angeht, als auch die komplette Veränderung des Innenlebens. Die meisten Gläubigen haben Jahrzehnte damit gelebt und sind zufrieden. Dass Kardinal Woelki eine finanziell derart tiefgreifende und den frommen Gewohnheiten der Gläubigen entgegengestellte "Modernisierungsmaßnahme" anstößt, während er Berlin jetzt verlässt, steigert den Unmut noch etwas. Salopp gesagt bleiben wir jetzt auf dem Desaster sitzen, das er zu verantworten hat. Die Priester in Hedwig tun mir auch leid. Während er nun in Köln in diesem wunderschönen, allen klassischen Vorstellungen der Liturgie genügenden Dom, zelebrieren wird, müssen sich unsere Priester vor Ort mit einem Stuhlkreis abfinden. Mahlzeit.
Die neue Rundform ermöglicht in neuer Offenheit die heilige Messe, in der Gläubige und Priester in gleicher Blickrichtung zu Gott zelebrieren, ebenso wie Gottesdienste als Abendmahlsgedächtnisversammlungen. Eine zumindest partielle französische Kathedralbestuhlung im rückwärtigen Raum würde auch das Knien ermöglichen und die weltkirchliche Katholizität betonen. Wandlungsgegner könnten demgegenüber durch die Bestuhlung analog einem Bildungszentrum betonen, dass eine Vergegenwärtigung Christi in der Eucharistie rein geistlich stattfinde und keinerlei biblischer Demutsgeste bedürfe, zumal auch der Papst Knien teilweise durch Verbeugen ersetzt:
Ein modernistisches all-inclusive Paket. Danke für die Links, die schau ich nachher an.

philipp

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von philipp »

Ich bin mittlerweile ein Freund des Kniens geworden. Ist eine schöne Haltung für mich. Aber, je nach Untegrund und Dauer des Kniens tut es ziemlich weh. Die Schmerzen sind sicher ein gutes Opfer, ich frage mich aber, ob es Daten dazu gibt wie stark gehäuft Knieprobleme unter (älteren) Katholiken auftreten.

Mir ist bewusst, selbst wenn das Knien im Durchschnitt "ungesund" ist, sollte man es dennoch tun...

Benutzeravatar
taddeo
Moderator
Beiträge: 19226
Registriert: Donnerstag 18. Januar 2007, 09:07

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von taddeo »

philipp hat geschrieben:
Sonntag 7. März 2021, 18:37
... ich frage mich aber, ob es Daten dazu gibt wie stark gehäuft Knieprobleme unter (älteren) Katholiken auftreten.
Es gibt ja die Mär, dass Ärzte früher an den Knien Katholiken von Protestanten unterscheiden konnten - die Katholiken hatten Hornhaut auf den Kniescheiben. ;D

philipp

Re: Knien: Zeichen der Demut - Anbetungshaltung?

Beitrag von philipp »

und vielleicht auch an der Arthrose :-D

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema