Das kommt darauf an, wer wo wie lange vorbeischauen wollte, das ist wieder einmal nicht einheitlich. In Fällen von großen Gruppen von außerhalb, die sich auf römischem Gebiet niederlassen wollten, entschied die Zentralmacht in Rom. Im Falle einer einzelnen jüdischen Familie aus Palästina auf den Weg nach Ägypten natürlich nicht, da gab's bis auf die Entrichtung der genannten Abgaben allerdings auch keine Probleme. Tatsächlich befand man sich, was das angeht, im selben Imperium. Die Provinzgrenzen waren vorläufige, unter administrativen Gesichtspunkten gezogene Grenzen. Was die Städte angeht, wo sich das ähnlich verhielt, ergab sich die Grenze aus ihrer historischen Entwicklung oder wurde bei Neugründungen einfach festgelegt. Ebenso war die
Limeszonen keine Demarkationslinien (in der Spätantike, nach der Reichskrise, bekamen sie m. E. jedoch schon einen anderen Charakter), sondern Kontakt- und Kontrollzonen, wie man das nennt, die durchaus bis zu einem gewissen Grad durchlässig waren. Wenn man jemanden, wie z.B. Schuldknechte, später Kolonen usw., daran hindern wollte, ein Gebiet zu
verlassen – woran der jeweiligen Herrschaft stärker gelegen war, als jemanden am Zuzug zu hindern –, griff man zu ganz anderen Maßnahmen. Ansonsten zum konkreten Fall: Nix Genaues weiß man nicht, weder in die eine noch in die andere Richtung, nur hinsichtlich Sozialleistungen u. dgl. gibt's für damals doch die oben dargelegte recht gut begründete Annahme.
Fragesteller hat geschrieben:Aber es scheint hier doch einfach darum zu gehen, dass da heute Menschen in der Fremde und arm dran sind und dass das für die Heilige Familie auch galt[...]
Na ja, es geht hier schon um Größenordnungen ganz anderer Art, die Auswirkungen auf das gesamte gesellschaftliche Gefüge zeitigen (werden) und von daher das Gemeinwesen als Ganzes betreffen, nicht einfach um die cariative Tätigkeit von einzelnen Christen an Einzelpersonen.
Wenn man sich ansieht, worauf sich die vom Herrn erteilten
caritativen Weisungen und Geboten aus der Bestimmung der Nächstenliebe heraus richten[
1], dann kann die hl. Familie i. V. m. den caritativen Weisungen des Herrn nicht einfach dazu dienen, daraus irgendwelche normativen Regeln für die Politik, bestimmt als „
philosophia moralis, quae considerat operationes multitudinis civilis“[
2] bzw. „
recta ratio rerum agibilium circa bona vel mala totius multitudinis civilis“[
3], abzuleiten. Es geht praktisch gesehen dem Objekt nach um die
Menge der
Staatsbürger und deren Lenkung gemäß Regeln zur Verwirklichung des Staatszwecks, dem Gemeinwohl (
bonum commune). Zur Nächstenliebe hat sich Robert hier bereits mehrfach geäußert:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Du beschreibst Akte der Vernunft (oder Unvernunft, je nach dem). Liebe geht nicht ohne persönliche Hingabe, und Hingabe nicht ohne direkte Berührung und Beziehung.
Siehe zur Bestimmung der Nächstenliebe u. a. auch:
St. Thomas von Aquin, S. th. IIª-IIae, q.23 a.1 co. hat geschrieben:Respondeo dicendum quod, secundum philosophum, in VIII Ethic., non quilibet amor habet rationem amicitiae, sed amor qui est cum benevolentia, quando scilicet sic amamus aliquem ut ei bonum velimus. Si autem rebus amatis non bonum velimus, sed ipsum eorum bonum velimus nobis, sicut dicimur amare vinum aut equum aut aliquid huiusmodi, non est amor amicitiae, sed cuiusdam concupiscentiae, ridiculum enim est dicere quod aliquis habeat amicitiam ad vinum vel ad equum. Sed nec benevolentia sufficit ad rationem amicitiae, sed requiritur quaedam [>]mutua amatio[<], quia amicus est amico amicus. Talis autem mutua benevolentia fundatur super aliqua [>]communicatione[<].[4]
St. Thomas von Aquin, S. th. IIª-IIae, q.25 a.2 co. hat geschrieben:Sed caritas non est simplex amor, sed habet rationem amicitiae, ut supra dictum est.
M. E. richtet sich die Politik auf ein anderes Objekt als die Nächstenliebe, was sich aus schon alleine aus den Begriffen ergibt. Politik und Nächstenliebe spielen sich auf zwei unterschiedlichen Ebenen ab. Nächstenliebe als eine Tugend und eine freiwillige, nicht aufgezwungene („
quia est spontaneus motus amantis in amatum“ (S. th. IIª-IIae, q.25 a.2 co.) Form der Freundschaft stellt selbst keine Form der Politik dar, ihr geht es auch nicht um politische Handlungsanleitungen und normative Regeln für die Menge der Staatsbürger aufzustellen, die gerade von Nächstenliebe nichts wissen wollen, sondern um ein gewisses Wohlwollen (
benevolentia) einer konkreten Person gegenüber einer anderen Person (dem Nächsten), zu der dazu eine bestimmte Beziehung möglich sein muss, wie Robert mehrfach ausführte, nämlich die Freundschaft. Mit Kollektiven kann man sich aber nicht anfreunden und mit jedem Einzelnen eines Kollektivs wird das ab einer gewissen Größe desselben auch nicht möglich sein, von daher muss eine etwas anderes für die Handhabung von Kollektiven bzw. Mengen von Menschen her. Das ist im gegenständlichen Fall die Politik, da es sich gerade auch um etwas handelt, was das Allgemeinwohl berührt, zumal "Wohlfahrt" eine der beiden Teilzwecke dieses Staatszwecks ist.
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[1] Nicht auf große oder kleine Kollektive oder ganze Staaten, die es auch nicht ohne/getrennt von einzelnen Personen gibt, weiters nicht auf sonstige Abstracta und andere Entitäten des "Ideenhimmels", nicht auf Tiere etc.
[2] St. Thomas v. Aquin(I eth. 1 a )
[3] St. Thomas v. Aquin (VI eth. 7 b)
[4] Die Einigung zweier Vernunftwesen, d. h. mit dem jeweiligen konkreten, individuellen Menschen einerseits und der Form des Menschen andererseits, das das Gemeinsame ist, in dem das Wohlwollen begründet ist.