Es ist sicher nicht ganz richtig, Newmans Konversion als "Fehler" zu sehen. Aus anglikanischer Sicht war sie schlicht unnötig. Da Newman allerdings seinem Gewissen folgte, war sie subjektiv wohl unumgänglich.Florianklaus hat geschrieben:Wie kommst Du zu dieser Vermutung?Stephen Dedalus hat geschrieben:Ja, diesen Fehler hat er nicht eingesehen. Auch wenn er ihn heute nicht mehr machen würde.
Warum aber bin ich der Meinung, daß Newman diesen Schritt heute nicht mehr gehen würde?
Zwar legt vor allem die katholische Apologetik großen Wert auf die Feststellung, daß Newman ausschließlich aus seiner Erkenntnis der wahren Kirche gehandelt habe. Jedoch ist nicht zu übersehen, daß diese Erkenntnis durch seine eigene biographische Entwicklung sehr stark beeinflußt war. Die Konversion war zu einem nicht geringen Teil Folge einer Konfliktsituation, in die er und seine Freunde geraten waren. Ihre Bemühungen, den katholischen Charakter der Kirche von England wieder stärker sichtbar zu machen, stießen in jenen Jahren auf teilweise massiven theologischen und praktischen Widerstand aus den Reihen der Bischöfe. Newman und seine Freunde sahen sich isoliert. Für Newman war die Konversion nicht nur ein Befreiungsschlag, sie war auch der finale Stoß gegen seine Gegner, denn allein durch die Tatsache der Konversion attestierte er der Kirche von England, "Nicht-Kirche" zu sein (auch wenn er bis dato das Gegenteil geglaubt hatte).
Interessant ist ebenso, daß sich Newmans Ansichten in vielen Punkten gar nicht änderten. Eine Lektüre von Newmans Predigten aus seiner anglikanischen Zeit macht das schnell deutlich. Newman glaubte im Wesentlichen als Anglikaner, was er später als Katholik auch glaubte. Grundsätzlich änderte sich vor allem seine Bewertung der Kirche von England - und diese Änderung war durch die o.g. Konflikte bestimmt. Insofern ist auch die Formulierung irreführend, die man dieser Tage allenthalben in katholischen Medien findet, Newman sei vom anglikanischen zum katholischen "Glauben" übergetreten.
Die Rahmenbedingungen sind heute - sowohl auf anglikanischer wie auf römisch-katholischer Seite - grundlegend verändert. Die von Newman angestrebte Re-Katholisierung hat sich weitgehend durchgesetzt. Ebenso hat sich die römische Kirche im Hinblick auf ihre Selbstwahrnehmung und Ökumene gewandelt.
Ich sehe heute keinen Grund mehr anzunehmen, warum Newman zu der Erkenntnis gelangen sollte, daß die Ecclesia Anglicana nicht Teil der Ecclesia catholica et apostolica ist.