Ich habe mich also fürs Refektorium entschieden, auch wenn der Autor in seiner 6. These die außerordentliche als eine mögliche (milieubedingte) Unterform der unordentlichen Liturgieform ansieht, ebenso wie etwa die liturgische Nachtwanderung fürs Männermilieu (10.) oder spezielle Motorrad- und Skatergottesdienste, exkusiv für das »Milieu der neue Unterschicht« (9.), die »auf ganz einfache und praktische Problemlösungen zielen sollen«, wahrscheinlich wie Vergasereinstellung, Ölfilterwechsel oder so.
Man darf sich fragen, inwieweit diese Thesen überhaupt in den christlichen Bereich gehören, aber immerhin stammen sie aus der Feder des Liturgiereferenten eines über 1600-jährigen deutschen Bistums. Hier nun die wichtigen Thesen zur nächsten Liturgiereform:
95 Thesen sind es nun doch nicht geworden, aber dennoch sehr ungeheuerlich, meine ich.Liturgie-Thesenpapier
Vorüberlegungen:
Von diesen Vorraussetzungen ausgehend, gibt es für die Liturgie große Chancen:
- Mit der radikalen Wende des Denken von der Welt her hin zum Denken vom Subjekt her wandelt sich auch das ästhetische Empfingen. Gerhard Schulze beschreibt die Ästhetik in seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ auf dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Entwicklung nach dem Krieg. In der Mangelgesellschaft hatte man wie von selbst Ziele von außen gesetzt bekommen. Es ging um die Sicherung der Existenz und um den Aufbau eines bescheidenen Wohlstands: Je mehr die Existenz gesichert war, muss sich der Mensch in der Überflussgesellschaft die Ziele selbst setzen. Die Sinnfrage, die Anfrage an den Einzelnen, rückt das Projekt des „schönen Lebens“ und die Ästhetik in den Vordergrund. Es geht nicht mehr um die Frage: Wo bekomme ich heute ein Stück Brot her? Vielmehr lautet sie: Welche von 200 Brotsorten wähle ich aus? Was verschafft mir ein befriedigendes Erlebnis? Und dabei spielen subjektive und vor allem ästhetische Perspektiven eine immer stärkere Rolle. Auf die Liturgie übertragen bedeutet dies. Es gilt nicht so sehr die Frage, ob sie „richtig“ oder „falsch“ ist, sondern insbesondere, ob sie „schön“ ist und eine Beitrag zum „schönen (Er-)leben“ leistet.
- Die Menschen heute denken vom Ich und nicht mehr von einem Dogmatismus her. Nicht weil die Liturgie das oder jenes behauptet, wird sie wertgeschätzt, sondern weil sie die persönliche Erfahrung ermöglicht. Die Liturgie wird dann erfolgreich sein, wenn sie die Existenz des Menschen in den Mittelpunkt stellt und sich dann fragt, wie Gott hier im Spiel ist. Die Liturgie von Gott her aufzubauen und dann zu fragen, was sie für den Menschen bedeutet, ist weit schwieriger für das Verständnis der Menschen. Das macht die geordnete Liturgie. Daneben werden Formen der ungeordneten Liturgie immer wichtiger.
- Die Nähe Gottes ist das Kennzeichen einer christlichen Liturgie. Wir feiern als Gemeinde, die sich als Volk Gottes versteht, nicht als Zuschauer. Dieser Grundsatz des Konzils sieht Gott in der Mitte der Gemeinde. Er ist ihr ganz nah. Es ist nicht der Gott, der in weiter Ferne wohnt und zu dem der Priester allein einen Zugang hat und als „Mittler“ fungiert, wie das noch in der vorkonziliaren Liturgie verankert war, zumindest im Denken. Auch der postmoderne Mensch sieht den ganzen Kosmos als von Gott erfüllt. Das kann zur Sprache gebracht werden. Die kosmologische Dimension, die dem Einzelnen einen größeren Horizont eröffnet, ist sowohl vom Gottesdienstgeschehnen wie auch vom „Zeitgeist“ her eine Bereicherung für die Liturgie.
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- Menschen sind heute herausgefordert, die eigene Mission und Berufung für sich zu spüren. Gottesdienste, die sie in den Mittelpunkt stellen und mit dem Wesentlichen des Lebens (das Wesentliche ist dabei noch nicht definiert und kann immer nur in Beziehung zu dem gesehen werden, nach dem die Menschen fragen!) konfrontieren, sind „zeitgemäß“. Dafür braucht es intensive Vorbereitung ganz unterschiedlicher Formen, die den Menschen ein Angebot machen.
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- Die Liturgie ist nur noch einer unter vielen Anbietern auf dem Markt. Will die Kirche mit ihrem liturgischen Angebot bei den neuen Milieus landen, muss sie diese akzeptieren. Wenn sie sich das klar macht und qualifiziert und hochstehend feiert, ohne darauf zu setzen, die Menschen jeden Sonntag binden zu wollen, hat sie eine Chance, sich auf dem Markt zu behaupten. Schließlich hat keine andere Institution eine längere Erfahrung als die Kirche. Verkürzt gesagt: Ihr Gottesdienst muss Profil zeigen, nicht um zu rekrutieren, sondern um die Menschen überhaupt erst einmal wieder mit Jesus Christus bekannt zu machen.
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Wolfgang Fischer, Liturgiereferent des Bistums Mainz [/color]
- Gottesdienste brauchen den Event. Der Event ist nichts von vorneherein Schlechtes. Er ist eine Vergemeinschaftungsform von heute. Es braucht Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für diese Art von Gottesdiensten.
- Segnungsgottesdienst für die neuen Lebensübergänge, z.B. für geschiedene Paare ...
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- Gottesdienste für das Internet sind erst noch zu entwickeln. Sie werden aber aufgrund der neuen Form der Netzwerkbildung immer dringender.
- Eine gepflegte alte Liturgie gehört ebenso dazu, die schauen, staunen lässt und erhebend wirkt.
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- Für Milieus der neuen Unterschicht braucht es in der Sprache ganz einfache und auf praktische Problemlösungen zielende Gottesdienste. Z.B. einen Motorradgottesdienst, einen Skatergottesdienst usw.
- Liturgien im Zusammenhang mit anderen Initiativen. Z.B. Eine Nachtwanderung für Männer am Gründonnerstag mit liturgischen Elementen.
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- Passagere Formen von Gottesdiensten sind gefragt, z.B. die Atempause am Mittag, die religiöse Filmnacht oder das Sonntagstheater. All das hat auf den ersten Blick wenig mit Liturgie zu tun, aber ließe sich mit dem, was Liturgie sein will, durchaus verbinden.
- Vor allem aber brauchen wir einen „neue“ Definition der Eucharistie, die sich weniger von der Feier selbst leiten lässt und diese so sehr in den Mittelpunkt stellt, dass sie sich schon fast wieder verselbständigt, sondern insgesamt das Leben, und zwar das umfassende Leben beschreibt und betreibt, in dem jeder einen Platz erhält. Eucharistie ist nicht nur die Versammlung an einem bestimmten Ort, sondern das diakonale Geschehen, das letztlich zu einer umfassenden Gemeinschaft führt. (vgl. Johannes-Evangelium).